Der Triumph der Liebe

[60] Eine Hymne


Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich!

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich.


Einstens hinter Pyrrhas Rücken,

Stimmen Dichter ein,[60]

Sprang die Welt aus Felsenstücken,

Menschen aus dem Stein.


Stein und Felsen ihre Herzen,

Ihre Seelen Nacht,

Von des Himmels Flammenkerzen

Nie in Glut gefacht.


Noch mit sanften Rosenketten

Banden junge Amoretten

Ihre Seelen nie –

Noch mit Liedern ihren Busen

Huben nicht die weichen Musen,

Nie mit Saitenharmonie.


Ach! noch wanden keine Kränze

Liebende sich um!

Traurig flüchteten die Lenze

Nach Elysium.


Ungegrüßet stieg Aurora

Aus dem Schoß Oceanus',

Ungeküsset sank die Sonne

In die Arme Hesperus'.


Wild umirrten sie die Haine,

Unter Lunas Nebelscheine,

Trugen eisern Joch.

Sehnend an der Sternenbühne

Suchte die geheime Träne

Keine Götter noch.


Und sieh! der blauen Flut entquillt

Die Himmelstochter sanft und mild,

Getragen von Najaden

Zu trunkenen Gestaden.[61]


Ein jugendlicher Maienschwung

Durchwebt wie Morgendämmerung

Auf das allmächtge Werde

Luft, Himmel, Meer und Erde.


Schon schmilzt der wütende Orkan

(Einst züchtigt' er den Ozean

Mit rasselndem Gegeißel)

In lispelndes Gesäusel.


Des holden Tages Auge lacht

In düstrer Wälder Winternacht,

Balsamische Narzissen

Blühn unter ihren Füßen.


Schon flötete die Nachtigall

Den ersten Sang der Liebe,

Schon murmelte der Quellen Fall

In weiche Busen Liebe.


Glückseliger Pygmalion!

Es schmilzt! es glüht dein Marmor schon!

Gott Amor Überwinder!

Glückseliger Deukalion,

Wie hüpfen deine Felsen schon!

Und äugeln schon gelinder!

Glückseliger Deukalion,

Umarme deine Kinder!


Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich.[62]


Unter goldnem Nektarschaum

Ein wollüstger Morgentraum,

Ewig Lustgelage,

Fliehn der Götter Tage.


Prächtig spricht Kronions Donnerhorn,

Der Olympus schwankt erschrocken,

Wallen zürnend seine Locken –

Sphärenwirbeln gibt sein Atem Sporn,

Göttern läßt er seine Throne,

Niedert sich zum Erdensohne,

Seufzt arkadisch durch den Hain,

Zahme Donner untern Füßen,

Schläft, gewiegt von Ledas Küssen,

Schläft der Riesentöter ein.


Majestätsche Sonnenrosse

Durch des Lichtes weiten Raum

Leitet Phöbus' goldner Zaum,

Völker stürzt sein rasselndes Geschosse;

Seine weißen Sonnenrosse,

Seine rasselnden Geschosse

Unter Lieb und Harmonie

Ha! wie gern vergaß er sie!


Zitternd vor der Götterfürstin

Krümmen sich die Götter, dürsten

Nach der Gnade goldnem Tau.

Sonnenglanz ist ihre Schminke,

Myriaden jagen ihrem Winke,

Stolz vor ihrem Wagen prahlt der Pfau.


Schöne Fürstin! ach die Liebe

Zittert mit dem süßen Triebe,

Deiner Majestät zu nahn.

Seht ihr Kronos' Tochter weinen?[63]

Geister kann ihr Wink verneinen,

Herzen weißt sie nicht zu fahn.


Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich.


Liebe sonnt das Reich der Nacht,

Amors süßer Zaubermacht

Ist der Orkus untertänig:

Freundlich schmollt der schwarze König,

Wenn ihm Ceres' Tochter lacht;

Liebe sonnt das Reich der Nacht.


Himmlich in die Hölle klangen

Und den wilden Beller zwangen


Deine Lieder, Thrazier –


Minos, Tränen im Gesichte,

Mildete die Qualgerichte,


Zärtlich um Megärens Wangen

Küßten sich die wilden Schlangen,


Keine Geißel klatschte mehr;


Aufgejagt von Orpheus' Leier

Flog von Tityon der Geier;

Leiser hin am Ufer rauschten

Lethe und Cocytus, lauschten


Deinen Liedern, Thrazier,

Liebe sangst du, Thrazier.[64]


Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich.


Durch die ewige Natur

Düftet ihre Blumenspur,

Weht ihr goldner Flügel.

Winkte mir vom Mondenlicht

Aphroditens Auge nicht,

Nicht vom Sonnenhügel?

Lächelte vom Sternenmeer

Nicht die Göttin zu mir her,

Wehte nicht ihr Flügel

In des Frühlings Balsamhauch,

Liebe nicht im Rosenstrauch,

Nicht im Kuß der Weste –

Stern und Sonn und Mondenlicht,

Frühling, Rosen, Weste nicht

Lüden mich zum Feste.

Liebe, Liebe lächelt nur

Aus dem Auge der Natur

Wie aus ihrem Spiegel!


Liebe rauscht der Silberbach,

Liebe lehrt ihn sanfter wallen;

Seele haucht sie in das Ach

Klagenreicher Nachtigallen,

Unnachahmliches Gefühl


In der Saiten Wonnespiel,

Wenn sie Laura! hallen.


Liebe, Liebe lispelt nur

Auf der Laute der Natur.[65]


Weisheit mit dem Sonnenblick,

Große Göttin, tritt zurück,

Weiche vor der Liebe.

Nie Erobrern, Fürsten nie

Beugtest du ein Sklavenknie,

Beug es itzt der Liebe.


Wer die steile Sternenbahn

Ging dir heldenkühn voran

Zu der Gottheit Sitze?

Wer zerriß das Heiligtum,

Zeigte dir Elysium

Durch des Grabes Ritze?


Lockte sie uns nicht hinein,

Möchten wir unsterblich sein?

Suchten auch die Geister

Ohne sie den Meister?


Liebe, Liebe leitet nur

Zu dem Vater der Natur,

Liebe nur die Geister.


Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 60-66.
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