Vierte Romanze

[109] Wieder kamen sie zu schlagen

Bei der hohen Tala Burgtor,

Dort wo an Sanktonas Mauern

Die Caranta schlängelt kunstlos.

Wo den seinen frommen Kriegern

Wieder gleiches Wunder Gott schuf,

Welcher Lanze nächtlich grünet,

Solche soll'n im Himmels Lustort

Morgen heil'ge Sterne schauen,

Rein gebadet in dem Blutstrom.

Froh des heil'gen Märtertumes

Stürzten in den Tod sie mutvoll,

Doch unzählige der Heiden

Färbten noch zuvor den Grund rot.

Agolante nächtlich fliehet,

Da von Karl ihn trennt der Fluß noch;

Doch kaum glüht des Morgens Purpur,

Als schon Karol seiner Spur folgt.

Bugiens König und Algarbens

Zittern vor dem Helden mutlos,

Und nach mancher herben Wunde

Färbt sein Schwert ihr grimmes Blut rot.

Da der Christen Heer nun rastet,

Nach dem wilden Streit die Ruh' folgt,

Da geschah ein seltsam Zeichen

Warnend, wie der Sünde Trug lohnt.

Romarich, ein kranker Krieger,

Da der Tod ihm nahet wutvoll,

Ließ dem teuersten Gesellen,

Ob vor Gott er würde schuldlos,

Noch sein Roß, des Wert den Armen

Er soll geben lieb und huldvoll.

Jener aber treulos denkend,

Mit der wilden Sünd' im Bund schon,

Die er löste, hundert Gulden,

Schnell verschwendet er sie nutzlos,

Lebt im frechen Sinn so fürder,

Denkt nicht seiner Worte trugvoll.

Da nun dreißig Tage waren,

Daß am Freund er ward so schuldvoll,

Da erschien der Geist des Freundes,

Furchtbar schauend, bleich und blutlos,[110]

Sprechend: Wisse, daß all' meine

Sünden sind getilgt und spurlos.

In der Hölle Tal wirst künftig

Du statt meiner jammern wutvoll;

Also lautet jenes Richters

Ewig streng gerechtes Spruchwort. –

So verschwand der Tote wieder,

Jener starret sinn- und mutlos.

Früh am andern Tage Morgens

Tut er's den Gesellen kund noch.

Als er eben frech nun redet,

Da erhebt sich in der Luft hoch

Brüllen, wie von Löwen, Kälbern,

Wie die Wölfe heulen wutvoll.

Luftig fahren durcheinander

Ungeheu'r in wilder Unform,

Blut'ge Flammen zucken strahlend

Aus der dunklen Wolke Glutschoß.

Noch lebendig ward von Teufeln

Weggeführt er durch die Luft so,

Aus der Mitte der Genossen,

Mit Geheul und wildem Fluchwort.

Da das Heer nun weiter wandelt

Wohl zwölf Tage rast- und ruhlos,

Durch die Wüsten, durch die Berge,

Findet man die Leiche wundvoll

An der jähen Felsenspitze,

Findet da die Spur von Blut noch,

Wo ihn schlug der alte Unhold.

Lebe keiner schlecht und ruchlos!


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 109-111.
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