Josefine Weninger an Helene Beier in Paris

[198] Liebste Helene!

Nein, was hab' ich über Deinen Brief lachen müssen! Ja, wenn Du eine solche Angst um mich hast, da trau' ich mich ja kaum mehr, Dir was zu schreiben! – Aber ich riskier's. Ich bin verliebt, ja, ja, sogar riesig. Er ist ein so süßer Kerl. – Hast Du schon einmal ein Verhältnis mit einem Dichter gehabt? Ich meine, mit einem wirklichen, nicht mit einem von dem die Stück' oder die Operetten aufgeführt werden, sondern mit so einem, der nichts ist und nichts hat und wahrscheinlich nichts wird, so mit einem echten Dichter, der Gedichte macht und einen anschwärmt! Ah, das ist doch eine[198] eigene Rasse. Von der Liebe will ich ja gar nicht reden, aber die Hochachtung! Wenn wir mitsammen am Abend spazierengehen, da ist's rein als wie eine Braut mit ihrem Bräutigam. Neulich haben wir einmal eine Nacht auf dem Land verbracht, und da hat's uns so gut gefallen, daß wir beschlossen haben, auf eine Woche oder zwei uns ganz in die Einsamkeit zurückzuziehen. Hoffentlich wird was daraus, ich hab' nur eine Angst, daß er sich das Geld dazu irgendwo ausleihen muß. Denn wie der Mensch kein Geld hat, das ist geradezu komisch. Ich merk's ihm an, wie wohl es ihm tut, wenn ich ihn von großen Ausgaben zurück halte, wie zum Beispiel – jetzt wirst Du lachen – von einem Comfortable! Na, ich kann ihm natürlich nichts antragen, das wäre gefehlt! Ich, die arme Kunststickerin. Oh, Du wärst erstaunt, wenn Du meine Lebensbiographie kennen möchtest. Na, ich war doch schon früher verliebt und hab' oft gelogen – aber so viel gelogen und so verliebt doch noch nie! Freilich, so rührende Sachen, wie er mir, kann ich ihm nicht erzählen – das läßt sich eben nicht erfinden! – Ich bin zu faul zum vielen Schreiben, aber wenn wir wieder einmal beisammen sind, muß ich Dir die Geschichte erzählen, wie es ihm in Berlin ergangen ist. Ich bin wirklich so froh, daß ich ihn ein bißchen glücklich machen kann, nachdem ihm die Menschen und besonders die Weiber so schändlich mitgespielt haben. Und er ist mir dankbar und sagt mir, wie er merkt, daß ich eine ganz andere bin. Es hätt' aus mancher was ganz anderes werden können ... Na, Helentscherl, hab' keine Angst, der ist auch viel zu gewissenhaft, als daß er mein Los an sein »ungewisses« ketten möchte. Denn er redet oft von seinem ungewissen Los und wird ganz traurig. Und ewig hab' ich ja doch noch nie geliebt, und Deine Angst, liebe Helene, hat keinen Sinn. Schön wär's freilich, aber sein ganzes Leben kann man doch nicht im Omnibus vom Land hereinfahren? – Also leb wohl für heute und grüß mir den Lixl. Aber sag ihm nichts von der Geschicht'! Es ist wegen später.

Deine

Josefine

Quelle:
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 1, Frankfurt a.M. 1961, S. 198-199.
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