Dreizehenter Period.

[170] Ich war indessen in Heilbronn angelangt und fand gleich einen Klubb von neuen Bekanntschaften, von der guten und schlimmen Art von mir. In Heilbronn ist schon weit mehr Deutschheit, als in Ludwigsburg, obgleich die vornehmen und halbvornehmen Innwohner daselbst eifersüchtig darauf zu seyn scheinen, sich mit den Maschen, Franzen und Berloken fremder Sitten zu behängen und die Verarbeitung ihres eigenen Charakters zu vernachläsigen. – Ach, leider, eine schwere Unart der meisten deutschen Städter; sie glauben besser, vornehmer, gebildeter zu seyn, wenn sie fremd werden, Hausmannskost verachten und ausländische Brühen schlürfen. Doch eben dieser Nachahmungsgeist bringt mit dem eignen Karakter der Heilbronner ein so angenehm buntes Gemisch von sittlichen Farben hervor, daß sich die Fremden mit Herzenslust in Heilbronn weiden und lezen. Die hier üblichen grosen Speisegesellschaften, häufigen[170] Privatkonzerte, Spazierfarthen und Spaziergänge aufs Land, Hausbesuche, Unterredungen über tausend Gegenstände im freiesten Tone, erhöhen die Reize noch mehr, womit diese Stadt schon von Natur durch ihre herrliche Lage geschmükt ist. Hang zur gesellschaftlichen Freude, scheint beinah das Hervorspringende im Karakter dieser Städter zu seyn. Da ich die Livree der Wizlinge trug, und ein traulicher, aller Welt offener, sorgloser Wüstling war; da ich die volle Anlage hatte, ein Günther und Dreier bei bacchantischen und trimalzionischen Festen zu seyn und überdiß den geflügelten Ruf zum Herold hatte: so fand' ich gar bald Zutritt in den ersten Häusern. Unter diesen figurirte damals das von Wachsische Haus am meisten. Es war gleichsam ein Pandamonium, darinnen sich die grosen und kleinen, ausländischen und einheimischen Geister auf den Zauberschlag seines Gebieters, des Burgermeisters von Wachs versammelten.

Gastfreiheit und Menschenfreundschaft zeichnet diesen reichsstättischen Konsul auf eine rühmliche Art aus. Seine Gemalin, ein feine Kennerinn[171] der Welt, von schöner Geistesbildung, sang, und spielte das Klavier mit Geschmak.

Die Welt richtet verblühte Schönheiten weit strenger, als Blumen die noch in ihrem vollen Wuchse stehen.

Man lobt oft den Sang und die Spielart eines Mädchens, oder einer jungen Dame bis zur Ausschweifung; meint aber mehr ihre jugendliche Reize, als ihr Genie. Sind jene verschwunden; so singt und spielt die entschleierte Göttin – nur schlecht. Diese Anmerkung hab' ich in meinem Leben mehr als einmal machen können.

Ich gab der Frau von Wachs, auch einem Herrn von Gemmingen, der sich hernach als Schriftsteller und Staatsmann so rühmlich hob, Lektion auf dem Flügel und brachte die übrige Zeit meist in der Gesellschaft des nun verstorbenen von Pankuch und der Preußischen Werboffiziers zu, worunter Kenner der Musik und sehr gut gestimmte ächtbrandenburgische Herzen waren. Sie liessen mich Antheil an allen ihren Ergözungen nehmen und unterstüzten mich so großmüthig, als wenn sie dazu Befehle von ihrem[172] König gehabt hätten. Eine meiner tiefeingewurzeltesten Neigungen war die Liebe zu König Friederich dem Einzigen. Die ersten Eindrüke davon bekam ich in dem grosen siebenjährigen Kriege, wo diese Feuerseele in ihrer höchsten Kraft, wie die Sonne auf ihrem mittäglichen Thurme, brannte. Von dieser Zeit an behielt' ich diese Eindrüke, wie tiefe Furchen vom schneidenden Pfluge gezogen, unaustilgbar in der Seele. Alles was Preußisch hieß und war, blieb mir daher bis in meine Gefangenschaft lieb und theuer. Preußen, die diese Neigung an mir bemerkten, gewannen mich daher bald lieb, nahmen mich in ihren Schuz und liessen tausend Gutthaten auf mich ausströmen. Man streute dahero bald anfangs aus, ich wäre Soldat geworden. Da ich aber unter so vielen Neigungen, vom Soldatengeiste nicht einmal eine Tinktur hatte; so lag diese Vermuthung beinahe ausser dem Kreise der Möglichkeit – denn auch Zwang konnt' ich in meiner damaligen Situazion nicht befürchten.

Ich, der ich dem Soldatenstande oft so scharf ins Gesicht sah, sein schimmrendes Elend, seine[173] Leiden und Wehen, sonderlich seinen geistabwürdigenden Zwang, bei dem ihm nichts frei bleibt als – ungestraftlasterhaft seyn zu können, ganz genau kannte, sah diesen Stand immer für das lezte Verzweiflungsmittel – eines vom Schiksal gejagten Menschen an; ob ich gleich von Jugend auf bis jezt, immer der gröste Soldatenfreund war, weil ich viel grosmüthige, edle, weitherzige, gerade, ächtdeutsche Seelen unter ihnen antraf.

Herr von Pankuch, ein Edler der Stadt, kam alle Tage in die Rose, wo ich herbergte, theils zum Tische, theils zum Weine. Ich wurde also gar bald mit ihm bekannt und entdekte in ihm die ehrwürdigen Trümmer eines weiland treflichen Kopfes. Lachender Wiz, brittische Laune, reiches Gedächtniß, weite Belesenheit, gaben ihm noch im Schutte ein ehrwürdiges Ansehen – gleich einer Porfirsaule unter den Ruinen von Palmira. Luzian, Rabelais, Liskov, Piron, Rost und Heinse waren, wie er sie zu nennen beliebte, seine Herzskribenten, mit denen er in Denkungsart und Laune sehr zu simpsichiren und zu simpathisiren schien. Da[174] er sehr reich war und keine Kinder hatte, so that er oft weite Reisen, blos seinen Hang nach Weltgenuß zu befriedigen.

Einsmal reißt' er nach Dresden und gab sich viele Mühe, Liskovs ungedrukte Schriften zu sammeln; ein Landgeistlicher aber, vom unverständigen Eifergeiste besessen, hatte längst zuvor alle köstlichen Ueberbleibsel des Liskovischen Geistes vernichtet. Liskovs arme Wittwe brachte dem Geistlichen ein Manuskript, voll der allerkühnsten Zeichnungen von der Hand dieses unsres Swifts und bat ihn, es an einen Verleger zu verhandeln. Der Geistliche hatte kaum ein paar Seiten gelesen, als ihm eine markichte Pfaffenzeichnung auffiel und – das Manuskript lag im Feuer. Wenn er der Wittwe die Handschrift bezahlt hätte; so würd' ich die That dieses Pinehas nicht schelten! – Der Zorn des erwähnten Kavaliers über diese Begebenheit daurte bis in sein Grab und er war ungerecht genug, deßwegen den ganzen Priesterstand sein lebenlang als – schädliches Geschmeis, wie er sagte, zu verabscheuen. Wo er nur einen Priesterrok und Kragen sah, den besprüzte er mit seinem Geifer.[175]

Zu bedauren war es, daß dieser Mann von so herrlichen Anlagen, durch Ausschweifungen, die er sich gränzenlos erlaubte, beinah zu einem Faunus ausartete. Soff und Brunst und Spott, den er über die ehrwürdigsten Dinge hinsprüzte, haben ihn weit unter seinen Werth herabgewürdigt. Er gieng wenig in die Kirche, kommunizirte selten und starb jäh am Schlage. – Ich zweifle nicht an der Veränderung seines Sinnes, da ich zuweilen mitten im bacchantischen Taumel, Spuren vom stillen Sehnen seiner Seele nach Freiheit entdekt habe und da er so zur Gastfreiheit und zum Mitleiden mit jeder Noth des Menschen gestimmt war. Die Gnade Christus ist reich und gros über die Sünder: sie kan Voltäre erschüttern, Rousseaus ergreifen, Spiras aus der Flamme reissen und trunkne Wüstlinge nüchtern und weise machen. Eine der unbegreiflichsten Erfahrungen ist mir diese, daß, so wie es unter den Menschen Leute gibt, die das Böse unter einer heuchlerischen Maske bergen, es auch Heuchler von der entgegengesezten Art gebe, die das gute bergen und das Schlimme herauskehren. Ich habe einen Menschen gekannt,[176] der als der ruchloseste Freigeist verschrieen war; und seinen Reden und Ausschweifungen nach, that man ihm auch nicht Unrecht. Und doch fand ich eben diesen Menschen oft heimlich bei der Bibel sizen, mit thränenhellen Bliken gen Himmel schauend und den Seufzer athmend: »O die Bibel ist ein schön Buch!« – Oder sah ihn einem Armen etwas in die Hand drüken, so behutsam umherschauend, als wär' er im Begriffe, den Armen zu vergiften – hört' es oft, wenn er dem dankenden Elenden zuflisterte: »Bete für mich!« – Sah' ihn oft aufbliken, tiefseufzend: »O Gott, du bist lieb, bist Alles, bist mehr, als die Bibel von dir sagt.«1 – So bald seine wizzige Brüderschaft zu ihm kam, unter denen er das führende Gestirn war; so braußte, schwadronirte, wizzelte, spöttelte er wieder ärger als sie alle. Ein Fönomen, das ich mir nie zu erklären im Stande war. – So viel ist gewiß, daß solche Leute leichter zu bekehren sind,[177] als die Heuchler von der ersten Gattung, ob sie gleich eben so grosse und fast sollt' ich sagen, schwerere Sünder sind, als diese. Daher gibts auch mehr liederliche – offenbar frevlende Sünder, als verstekte Böswichter – denn heucheln kostet Mühe.

Die Heilbronnische Privatkonzerte fand' ich über mein Erwarten gut eingerichtet, mit einem reichen Vorrathe von guten Musikalien versehen und größtentheils gut besezt, theils mit Stadtmusikanten, theils mit Liebhabern. Pirkner und seine Frau, die ehmals so berühmte Marianne, hatten größtentheils die Ehre dieser guten Einrichtung. Die grose Erfahrungen und der richtige Verstand Pirkners, machten ihn zu einem der treffendesten und lehrreichsten musikalischen Kunstrichter. Man konnte nicht gründlicher über das Steigen und Fallen, die Ebb' und Fluth des musikalischen Geschmaks in ganz Europa urtheilen, als es dieser Mann – versteht sich aus den Zeiten seiner Thätigkeit – that, da er die vornehmsten Plaze in Europa bereißte. Seine Frau war zwar schon lebendig tod für den schönen Sang: – aber doch noch etwas[178] mehr, als eine ausgestopfte Nachtigall. Da sie eine gründliche Sangerin war: so leistete sie noch wichtige Dienste beim Unterrichte.2

Nichts predigt einem die Eitelkeit der irrdischen Tonkunst mehr, als die Abnahme der Virtuosen mit dem Alter und das gänzliche Verstummen der Faustinen und Mariannen, wenn sie über das fünfzigste fatale Jahr hinaus sind. – Keine Unsterblichkeit ist unsicherer, als des Tonkünstlers; mit seinem Tode verhallen die süßen Töne alle, die er sang, aus Saiten lokte, oder durch den Hauch schuf; fest des Kontrapunktisten Herrlichkeit währt eine kurze Zeit und fällt unter dem Fächerschlage der leichtfertigen Mode. Caldara, Fuchs, Brescianello, Buxtehude, – selbst Sebastian Bach, Telemann – wie wenig werdet ihr heutiges Tages noch gelesen. – Mit Staub bedekt sind eure köstliche Partituren, und Schellenklang und honigtriefende Rondo's haben euch weggeklümpert!3[179] – Hingegen kann fast der andre Künstler dauerhaftere Denkmale seines Genies zurüklassen. Von der leztern Art traf' ich an Füger, dem jezigen Direktor der Mahlerakademie zu Wien, den ich schon damals aus seine schönen Zeichnungen zu Yoriks empfindsamen Reisen schäzen lernte, einen Mann an, der schon damals das versprach, was er hernach so rühmlich hielt.

Sein Geschmak war um diese Zeit etwas süße – Szenen aus Geßners Idyllen hielt er der Bearbeitung würdiger, als die grosen Parthien aus Klopstoks Messias und Herrmannsschlacht, aus Ossian, Homer, Bodmern und andern pitoresken Dichtern. Durch Kaiser Josefs Unterstüzzung, der ihn lange in Rom unterhielt, ist er an der Leiter des Geschmaks sehr hoch aufgestiegen. Sein Bruder hatte alle Anlagen zu einem starken, kühnen Flügelspieler, wie seine hernach gestochenen Stükke, sonderlich[180] seine charakteristischen Sonaten bezeugen; nur ist seine Faust zu schwerfallig und legt nie den Flug über die Tasten ohne Anstoß zurükke. Mahker Kloz, jezt in Mannheim, einer meiner warmsten Freunde, war damals in Heilbronn und zeigte den guten Porträtmahler, der sich hernach entfaltete, als ihn der Kurfürst von der Pfalz aus dem Staube hob. –

Bei all diesen Blumen die ich pflükte, fiel es mir doch immer ein, daß ich ohne Brod war, und eine Familie, die fern von mir wimmerte, versorgen sollte. Ich entschloß mich daher über Anspach nach Berlin zu gehen und an diesem lezten Orte, dessen Genius damals der Meinige war, mein Heil zu versuchen und da mein Leben zu beschliessen. Ich wußte, daß es mir dort nicht an Brod fehlen konnte. Aber eben, als ich abreisen wollte; erhielt' ich von einem alten Bekannten, der sich in Mannheim aufhielt, den Antrag zu einem Professor der Ritterakademie in Saarbrüken. Der Entwerfer dieser Akademie war ein sehr unakademischer Mann, Namens von Gritsch, ein Luftbaumeister vom ersten Range. Er bestand in Deutschland und in[181] Pohlen viele Ebentheuer und Gott weiß, an welcher Klippe jezt sein Lebenskahn schwankt. Ohne die Umstände zu untersuchen, entschloß ich mich sogleich dahin zu gehen. Ich bestieg noch einmal mit meinen lieben Freunden den Warthurm,4 drükte mir den ganzen Zauber der Gegend tief in die Seele, und nahm Abschied, von Gönnern und Freunden reichlich unterstüzt und von meinem Kloze eine Streke begleitet. Noch seh' ich ihn auf dem Kahne von mir wegfahren und mir den bangen Abschied zuwinken – so schwam ich auf dem Wasser und fuhr nach Mannheim.

Tiefgewurzelt blieben seit diesem in meiner Seele die Eindrüke von Heilbronn – von diesem schönen Himmel, der über seine Warte, Thürme und Häuser hinströmt und von den guten, freien, heitern, offenen, zu den reinsten Akkorden der Freude und des Wohlwollens gestimmten Menschen[182] daselbst – von den preußischen Werboffizieren, voll von ihrem alten Frizen – und meinem braven Wirthe Uhl. Wer Gold hat und zwanglos und gut und schön in Deutschland leben möchte, dem wollt' ich Heilbronn anrathen. – Fürsten und Grafen haben schon Versuche gemacht und sich sehr wohl dabei befunden.

1

So ein seltsamer Mensch, der sich des Guten schämte, war ich selbst. Ich verbarg oft vor meinen Freunden mein Gutes und ließ sie nur meine schlimme Seite sehen.

2

Ihr Mann und sie saßen auch viele Jahre als Gefangene auf dem Asperge, wo sie ganz ihren Verstand verlohr – ihn aber hernach in der Freiheit vollkommen wieder bekam. Doch lag die Rükerinnerung an den Berg ihres Elendes lebenslängig, wie eine düstre Wolke, auf ihrer Seele.

3

Händel bleibt doch Sieger der Zeit, wie seine alle Jahre in Europa wiederholten Oratorien erweisen.

4

Die Aussicht vom Wartthurm herab, wo der Blik über Städte, Dörfer, Wälder, freie Gebürge gleich himmelblauem Gürtel – Gärten, Traubenberge, Wiesen, Aeker, Ströme, Weiher, alles von Menschen, Thieren, Vögeln und Fischen wimlend, hingleitet, ist nächst dem Donauthale gewiß der herrlichste Anblik in ganz Deutschland.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 184.
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