Vierzehenter Period.

[184] Für einen Menschen von beruhigtem Gewissen, dessen Gedanken und Empfindungen auf der Seele so sanft hingleiten, als ein Kahn auf dem besänftigten Strome, ist nichts angenehmers, als eine Wasserfahrt. Dörfer und grasende Heerden an beeden Ufern, ehrwürdige Trümmer auf den Bergen, gegen den Strom arbeitende Schiffe, das bunte Gemisch der Reisegesellschaft, die beständige Veränderungen beim Aussteigen in Dörfern und Städten, geben dem Reisenden tausend Anlaß zu ergözenden Betrachtungen.

Ich war aber damals schon zu sehr aus dem Schoose der Ruhe hinausgeschleudert, um diese stille Freuden kosten zu können. Um froh zu seyn, mußt ich rasen. – Mein Sprechen war schon wülstige Deklamation, meine Empfindungen Sprizfeuer und meine Grundsäze nicht Wahrheit sondern ein Galimathias von Leserei oder erhaschten Flimmergedanken, meine Fantasie[184] eine Gruppe von tanzenden, schwelgenden, wiehernden Faunen; Mein Wiz liebte die massive Eulenspiegelszote mehr, als den feinen Scherz und meine Einbildungskraft war schon so verdüstert, daß all' ihre Schöpfungen meist gähnende, hipochondrische Figuren und Teufelslarven waren. Daher gränzte jeder Anfall von Schwermuth dicht an die Verzweiflung und die sanften Ausflüsse der Naturschönheiten rührten mich nicht mehr so allgewaltig, wie ehmals. Je mehr Licht in meine Seele fiel, je mehr erschrak ich über ihre Schwärze, wie jener Emir in Wielands goldnem Spiegel, als er unter die seelige Kolonie der Kinder der Natur sich vevirrte.

Ich kam nach Mannheim, nicht ohne süsses Staunen über die simetrische Anlage und Schönheit dieser deutschen Stadt.

Mein Freund Gritsch nahm mich in sein Zimmer auf und sprach mit mir von dem Plane seiner zu errichtenden Ritterakademie in Saarbrük. Ich fand gar bald, daß sein an und vor sich rühmlicher Vorsaz wieder ein Luftschloß war, das mit seinen andern erbauten Luftschlössern wie eine Wolke sich dehnen und in Duft und Wassertropfen[185] zerfliessen würde. Inzwischen hatt' ich ihm doch meine ersten Bekanntschaften Mannheim zu danken, worunter mir gleich anfangs Kazners Freundschaft, den ich schon lange kannte und der Geschafte halber hier war, die erquikendeste war. Dieser Mann verbindet mit einem aufgeklärten Kopfe, das edelste Herz, das man finden kan. Seine Empfindungen und warme Brudergefühle fliessen wie Balsam in seine Gespräche, Gedichte und prosaische Aufsäzze; und lassen uns gleichsam riechen, von welcher schönen Seele sie ausflossen. Er ist empfindsam, ohne Affektation und Schwäche, ein warmer Vaterlandsfreund, Schäzzer und Kenner des Genius, voll schöner und weitläufiger Kenntnisse, für Freundschaft und Liebe empfindlich, wie einer es seyn kann – und kurz, er war mir jederzeit und ist mir's noch, einer der liebsten Menschen, unter den vielen, die mein Herz im Sturme auserkohr. Er führte mich zu Schwan, bei dem er sich meist aufhielt' und lernte mich an seinem Freunde einen Mann kennen, der in manchem Stükke ihm gleich war. – Etwas französischer, weicher als Kazner, aber doch eben so[186] zum ruhigen Gefühl der Schönheit und Wahrheit gestimmt. Schwan hat sich nachhero an seinem Französismus auf die schönste Art gerochen und ihn in die glänzendste Vaterlandsliebe verwandelt. Die Ausbreitung des deutschen Geschmaks in der Pfalz – durch gute Bücher, Leseanstalten, eigne Aufsäze, Errichtung von gelehrten Gesellschaften, Beförderung des deutschen Sing- und Schauspiels, hat ihm gar viel zu danken. Die Aldermänner der deutschen Republik hätten ihn schon längst mit dem Eichenzweige krönen sollen. Sein Verdienst ist um so viel auffallender, da noch zu meiner Zeit der deutsche Sinn von französischen Brühen so verschwemmt war, daß man die Pfälzer eben so leicht für eine Kolonie von Franzosen, als von deutschen Provinzialen halten konnte. Ueberal wo ich hinkam, sprach man die Nasensprache und drükte das Deutsche nur halb und kraftlos aus. Die Toiletten der Herren und Damen glänzten von französischen Bänden; und deutsche Bücher wurden meist als gothischer Hausrath weggeschäzt. Der Kurfürst war beinahe der erste, der den andern vorglaubte, daß auch ein[187] Deutscher Wiz haben könne; so wie er noch nie an ihrem Verstande zweifelte.

Es kam eben damals der lezte Band des Messias heraus, der mir, Kaznern und Schwanen bei einer Flasche alten Rheinwein, manche frohe ekstatische Stunde gewährte.

Ich muß doch hier eines kleinen Ebentheuers erwähnen, das mir damals tief in's Herz schnitt und mir noch unvergeßlich ist. Fast mit meinem lezten Geldvorrathe kaufte ich mir die hallische Ausgabe des Messias, fuhr auf dem grauen Rhenus, legte ein Brett über den Kahn, Klopstoks Messias vor mir. Ich las eben den sechzehenten Gesang und lag mit der vollen Seele auf der Stelle, wie die gerichteten Seelen auf Tabor riefen:


– »Jupiter, Gott des Donners! Erbarme dich unser!

Brama! Tien! Allvater! Wir fehlten, sündigten, irrten!

Zevs Kronion! Götterbeherrscher, erbarme dich unser!«


Rasch auf stand ich in der Begeisterung und – Brett und Messias flogen in Rheinstrom. Wie[188] angedonnert stand ich da und sah bleich und starraugig meiner lieben Messiade nach, die wie eine geschossne Ente auf dem Wasser fluderte und untersank.

Meine neue Freunde riethen mir gar bald, von dem Plane des Herrn von Gritsch, den sie besser kannten als ich, abzustehen und auf eine andere Art mein Glük zu suchen. Die Folge hat gewiesen, wie richtig sie geurtheilt haben. Gritsch reißte nach Saarbrükken, fieng an zu bauen und der Bau stürzte über ihn zusammen. Er errichtete hernach einen vom König von Pohlen privilegirten Orden der göttlichen Vorsehung; gieng unter dieser Aegide auf Abentheuer aus, bestand eins in Montfort und besuchte mich hernach in Ulm. –

Ich entschloß mich, weil ich weiter keinen Plan vor mir sah, nach Mainz, zu der Gräfin von Wartensleben zu gehen, oder mich in Koblenz der Frau von Larosch zu empfehlen, die ich von Ludwigsburg oder vielmehr von Bennigheim aus kannte, wo ich ihren unwiderstehlichen Geist fühlen lernte. Aber plözlich fiel mir's ein, nach Heidelberg zu gehen,[189] und dort unter den Studenten mit Wiederholung ihrer Vorlesungen und Unterricht in der Musik, meinen Unterhalt zu suchen. Ich machte mich mit einer Baarschaft von fünf Kreuzer auf den Weeg, ohne den mindesten Kummer deßwegen in meinem Herzen zu haben; denn so oft ich auch die Delikatessen lukullischer Tafeln kostete: so fiel es mir doch gar nicht schwer, Mangel zu leiden. Und so gieng ich meine Strafe, ein saubres Kleid auf dem Leibe und ein Paar Hembder in der Tasche. – Das war all mein Reichthum; da dacht' ich mit dem gescheiterten Simonides lächlend:


»All meine Haabe

Trag' ich bei mir.«


Ein preußischer Soldat mit einem Stelzfuß stand am Weege und sprach mich an. »Da, braver Preuße, hast du Alles, was ich habe« – ich gab ihm meine fünf Kreuzer und war nun so geldlos, wie ein Kapuziner; doch hellauf und frohen Muths. Als ich nach Kastell kam, einem artigen, dicht am Nekkar liegenden Landhause: so überfiel mich ein Regen. Ich stand[190] unter; ein freundlicher junger Mann kam eben zu mir, als ich den Flügel belauschte, der im untern Zimmer gespielt wurde. – O sie sind vom Regen durchnäßt, wollen sie sich nicht hereinbegeben? sagte der Mann mit einer Miene, die Vertrauen wekte. – Ich trat ohne weiteres ins Zimmer und fand eine junge Baroneß am Flügel und ihren Lehrmeister, den ersten Klavizembalisten des Kurfürsten, hinter ihr. Mein Führer war der Hofmeister des Herrn von Kastells und als er hörte, daß ich ein Gelehrter war; so stimmte er seinen freundlichen Ton noch höher, bewirthete mich mit Wein und Brod und sprach mit mir über die Wissenschaften.

Als die Baroneß vom Flügel aufstand; so sezt' ich mich und fieng an zu fantasieren. Alles lauschte, flisterte Beifall und als ich schloß: so stand der Herr des Hauses hinter mir und lächelte mir ein sehr heiteres Bravo zu. Auch der kurfürstliche Kammervirtuos gab mir seinen vollen Beifall, den ich auch verdiente, denn ich hatte damals meine höchste Zeitigung erreicht, spielte ausserst schwer und doch mit Geschmak. Ich spielte also mehr, sprach dann von meiner[191] Absicht und erhielt sogleich vom Baron, einem ungemein menschenfreundlichen Edlen – Die Versicherung seiner Gnade und Unterstüzzung. Ich sezte der Baroneß ein Rondo mit Variazionen auf, wurde reichlich belohnt und fuhr nun, wie im Triumpfe, auf einem stattlichen Wagen von vier Schweisfuchsen gezogen, nach Heidelberg, wo ich bei dem – nun seeligen Ehegerichtsrath von Bozenhardt, an den ich empfohlen war, abstieg. Wieder ein Mann, wie ich ihn wünschte, dienstfertig, offen, ein Freund der Dichtkunst und mit etwas Schwärmerei tingirt. Menschen von diesen Eigenschaften, ob sie gleich von gemeinen Seelen nicht selten mit mancherlei Unnamen belegt werden, sucht' ich und konnte sie vorzüglich leiden. Er nahm mich ungemein liebreich auf, führte mich in die besten Gesellschaften ein und bekletterte mit mir die Heidelbergischen Berge. Man muß todt seyn, wenn man nicht in Heidelberg auflebt. Die Frische der Luft, das gesunde Quellwasser, das sich oben vom Wolfsbronnen, aus einem natürlichen Beken in's andere ergießt, der Nekarstrom, der hier am breitesten und tiefsten, an der Mauer[192] vorbeizieht, die fürchterlich ehrwürdigen Trümmer der alten pfälzischen Residenz, die schönen von der Kunst nicht verdorbenen Gärten, und das antike Ansehen der Stadt selbst, bieten jedem, der diese Vorzüge zu schäzzen weiß, das reinste Vergnügen an. Ich betrachtete sonderlich mit meinem Freunde die Burg, noch in seiner Zerstörung ein Denkmal vom grosen Geschmakke der alten Deutschen in der Baukunst. Die aus Stein gehauenen, in Nischen zwischen den Pilasters stehenden alten Pfalzgrafen sehen schweigend und hoch, oft von wildem Gras umwallt, auf den Wandrer nieder und scheinen ihre kleine Nachkommen zu bemitleiden.1 – Wer von hier aus nicht einen Fluch nach Frankreich hineinschleudert, – denn Franzosen haben das Schloß verwüstet, – der kann ohnmöglich ein bidrer Deutscher seyn.

Wenn die Lage einen Musensiz gros machte; so würde Heidelberg die erste Universität in Deutschland seyn, und doch ist sie es bei weitem[193] nicht – ist vielmehr eine der geringfügigsten. Ich mußte mich wundern, als ich in Pfählers Buchladen gieng und daselbst meist schaale Disputationen und barbarische Bücher antraf. Der Buchhändler gestand mir – denn das sind meist die sichersten Ausleger vom Geschmak ihres Orts – daß es ihm verboten sei, die besten protestantischen Schriften – selbst Gellerts unschuldige Schriften – zu verkaufen. Nichts gieng damals, als was die jesuitische Quarantaine passirt hatte. Die Professoren der drei geduldeten Religionen lebten in beständigem Mißtrauen gegen einander und hemmten dadurch die Verbreitung der Wahrheit, die wie ihr Urheber, Gott! – die Eintracht liebt.2 An geschikten Leuten hat es der Universität Heidelberg niemals gefehlt; aber heimlicher Religionshaß hat ihre Bemühungen meist fruchtlos gemacht. Ich lernte hier an Professor Wund einen für's Schöne sehr geöfneten Mann kennen. Wir lasen ein paar Oden aus Klopstok miteinander und ich[194] sah' ihm mit Vergnügen wahres Herzgefühl im Auge schimmern.

Ehegerichtsrath Harder, ein ernster tiefblikkender Mann führte mir seinen acht bis neunjährigen Sohn, von ausnehmenden Gaben, vor. Er wußte über einen gegebenen Saz so lange sprechen, als man wollte, – und sprach nicht Unsinn, sondern Gedanken, die oft sehr schön waren.

Die Studierende sind ungemein höflich, und würden mich mit Freuden aufgenommen haben wenn man mir nicht meinen ersten Plan ausgeredet hätte. Es mußte sich fügen, daß ein junger Herr von Stengel seinen Doktorschmaus gab, wozu ich eingeladen wurde. Ich traf hier den Minister von Bekkers, Herrn von Stengel und mehrere von den Gestirnen der ersten Größe am pfälzischen Himmel an. Ich spielte vor ihnen, sie gaben mir Beifall und versprachen mir, mit dem Kurfürsten wegen meiner zu sprechen. Mein erster Plan war also verworfen, ich gieng nach Mannheim zurük, mit einer nachdrüklichen Empfehlung an den Grafen von Nesselrodt und wurde von diesem leutseligen[195] Grafen über meine Erwartung gnädig aufgenommen. Er bot mir seine Tafel an, und da er einen Sohn hatte, der Musik und schöne Wissenschaften liebte; so wurd' ich gar bald bekannt, vertraut, geschäzt und wie für einen Theil der Familie gehalten.

Von dieser Zeit an hatt' ich meist sehr vergnügte Stunden in der Pfalz. Mein Beschüzzer war ein Mann von ganz besonderm Geschmakke. Man traf eben so oft Gelehrte, Mahler, Bildhauer, Sänger und Sängerinnen, Virtuosen, sowol einheimische als fremde, Artisten von aller Art, Schauspieler und Schauspielerinnen, Tänzer und Tänzerinnen an seiner Tafel an, als Leute von Stand. Der Graf hatte selbst viel Geschmak, er sammelte Gemälde und Kupferstiche mit Einsicht und Wahl: und da ich ein natürliches Kunstgefühl hatte und die Schulen der Maler sowol als die verschiedenen Perioden der Kupferstecherkunst kannte, so schenkte er mir seine Gnade in einem vorzüglichen Grade. Ich habe bei ihm zwei Ecce Homo, eines von Correggio und eines von Dürer angetroffen, bei denen ich mich oft in tiefer Betrachtung verweilte.[196] Corregio's Bild ist ein leidender Italiener, dessen Schmerzgefühle meist in's Aeussere getrieben sind. – Der Geist der Miene ist sehr leicht zu finden; Dürers Schilderei ist ein leidender Nürnberger Burger, edlen Herzens und im Vertrauen auf den lieben Gott alles still erduldend. – Der Geist der Miene liegt tief und ist schwer zu finden. Wieder ein Beweis, wie viel Antheil der Nazionalkarakter am Stil der Künstler habe – und nichts ist natürlicher, als diß. Womit man seine Imagination von Jugend auf tränkt, das gießt sich über all unser Gebild und Gemächt aus. Ich habe des Grafen Kupferstiche in Ordnung gebracht, worunter sehr viel schäzbare und schwer zu findende Stükke von Dürer, Golz, van Leiden, Sadeler, Lucas, Kranach, Spranger und andern alten Meistern sind; auch eine Sammlung von äusserst seltnen Holzschnitten, die unserm Unger sehr viel Licht in der Geschichte der Holzschnitte geben würden. Die Gespräche des Grafen über der Tafel betrafen meistens Gegenstände der Kunst; und da nicht selten Meister zugegen waren, so konnte der forschende Hörer sehr vieles dabei[197] lernen. Solche Tischgesellschaften schienen mir ein wahres Göttermal zu seyn. Nach der Tafel ward meistens musizirt; der junge Graf spielte die Violin sehr gut und hatte beinah schon einen ausgebildeten sehr feinen musikalischen Geschmak. Er las zugleich die besten ausländischen und einheimischen Schriften, und fühlte was er las. Ich war gewöhnlich sein Vorleser und manche goldgeschwingte Stunde flog unter so süssen Beschäftigungen über unser Haupt weg. Wir besuchten miteinander die Kunstsäle und Seltenheiten des Kurfürsten, wo ich manches schöne Stük zu sehen das Glük hatte. Unter den Gemälden, die ich im Schlosse des Kurfürsten sah, rührte mich der sterbende Seneka am meisten, da hingegen der sterbende Kato bei allem Aufwande von Zeichnung und Kolorit für mich sehr wenig rührendes hatte. Kato ist zu fett für einen strengen Römer, seine Miene hat zuviel nur unrömisches und strahlt nicht das sokratische Licht aus, von dem Kato in seinen lezten Stunden umleuchtet war. Seine herbeieilende Freunde sind kalt und ohne Karakter. Ein Kristus der ins Grab gelegt wird, schien mir auch sehr viel[198] Wahres zu haben. Das Homerische δακρυοεν γελασασα, oder Klopstoks meinendes Lacheln fand' ich hier in der Miene des Johannes meisterhaft ausgedrükt. Zwei Portrats von Denner, die hier wie Reliquien mit der äussersten Sorgfalt verwahrt werden, verrathen zwar den höchsten Künstlerfleiß, aber desto weniger Genie. Ausgedrükte Pokengruben mit grauen Härchen drinnen, Sprünge und Schweißlöcher der Haut bemerkt und ausgemahlt, machen einen fast glaubend, der Künstler habe durchs Mikroskop gemahlt. Der gefühlvolle Schauer hat dabei eben das Vergnügen, das Gulliver haben konnte, wenn er die eklen Gruben im Angesicht seiner Brobdingrags sah und auf Brustwarzen voltigirte. Von la Brüns Schlachten des Alexanders sind hier die Platten aufgestellt. Das Naturalienkabinet wurde noch nicht lange angelegt, enthielt aber schon einen Vorrath aus allen Naturreichen. Unter dem Schaz zeigt man einem die Krone des unglüklichen pfälzischen Kurfürsten Friedrichs.

Mein Cicerone lächelte dabei und sagte: »das ist die Krone des Winterkönigs.« Ich zitterte[199] heimlich über diese verächtliche Benennung eines Fürsten, der weiter keinen Fehler hatte, als daß er unglüklich war. Die Bibliothek hat ein sehr schönes äusserliches Ansehen. Gleich beim Eintritt figurirt das marmorne Brustbild Voltärs, als wär' er der Gott, der über alle Weisheit zu präsidiren verdiente. Die Büchersammlung besteht mehrentheils aus gedrukten, meist neuen Schriften, wenig Seltenheiten, noch weniger Manuskripten.

Im historischen Fache ist sie, wie ich aus dem geschriebenen Verzeichnisse sah, ziemlich vollständig. Die kostbarsten Denkmale der Gelehrsamkeit sind mit der heidelbergischen Bibliothek nach Rom gewandert, wo sie noch immer den Deutschen wie Trofäen mit triumfirendem Lächeln gezeigt werden. Mein größtes Vergnügen fand' ich im Antikensaale, wo die unschäzbaren Denkmale des griechischen hohen Genius in sehr schönen Gipsformen aufgestellt sind. Hier sah' ich alles dargestellt, was ich in Winkelmann, Lessing und Heyne so oft mit Entzükken aufschlug.3 Man wird sehr[200] klein und verliert allen Stolz auf den Geist seiner Zeit, wenn man unter diesen Antiken, wie in einer Götterversammlung wandelt. So schön und meisterhaft Winkelmanns Beschreibung vom Laokoon, der Niobe, dem Antinous, dem borghesischen Fechter, dem Apollo im Belvedere, dem Torso des Herkules, der medizeischen Venus und andern alten Kunstwerken sind; so sieht man doch, wenn man an diesen Göttergeburten selbst weilt, daß es schwer, daß es unmöglich sei, in successiven Ideen oder in kalter Wortfolge dasjenige auszudrükken, was hier in einer einzigen, aus tausendfachen Gedanken und Empfindungen zusammengeronnenen Idee Eines grosen Menschengeistes dasteht und auf Einmal gebohren und mit dem Odem des Genius beseelt zu seyn scheint. Ein junger Künstler hat ebensoviel Fug und Grund, am Fußgestell einer Antike zu sizzen und ihre Grosheiten zu haschen, als die Natur selbst zu belauschen. – Und doch sind es noch immer Steintrümmer, die meinen Fragen nicht antworten.[201] Ich suchte daher auf allen meinen Auswanderungen lebende Menschen und ergözte mich an der Mannigfaltigkeit ihrer Karaktere. Gelüste von dieser Art lassen sich in Mannheim4 reichlich stillen. Die verschiedenen Religionen, Stände, Künste und Handthierungen, haben auch sehr verschiedene groteske, originalschattirte Karaktere hervorgebracht. Katholiken, Lutheraner, Reformirte, Menonisten, Juden, Freigeister, Höflinge, Soldaten, Gelehrte, Kaufleute, Handthierer und Künstler von aller Art, kalte ruhige Seelen, die das Feuer des alten hochheimer oder nierensteiner Nektars nicht aufthaut und Strudelköpfe, die beim ersten Kelchglase schon sieden, trift man hier in possierlichem Gemische durcheinander an. Die Katholiken ragen über alle andre Religionsgenossen an Ansehen und Gewalt weit hinaus; daher findet man bei den Protestanten gemeiniglich ein zurükhaltendes ängstliches Wesen. Der Katholik[202] ist ein herrlicher Mensch, wo er allein herrscht – gutthätig, gastfrei, warm für Freundschaft und Liebe, billig gegen die Protestanten, wenn sie nur nicht mit ihm kollidiren; – geschieht aber das, so ist niemand geneigter zum Verfolgungsgeiste, als er. Darf er den Dolch nicht öffentlich schwingen, so nimmt er seine Zuflucht zu Minen – die er so listig anzulegen weiß, daß er den Lunten schwingt und sich zum Anzünden rüstet, eh' es der harmlose Protestant vermuthet. Mit einem Wort – der Karakter des Katholiken ist der Karakter der Römer – auf ein Haar. Die Menonisten tragen von der Einfalt und Ehrlichkeit der ersten apostolischen Kirche noch manchen Zug. Ich war einigemal in ihrer Gesellschaft und mir war's so wohl in ihrem reinen Lichte. Die Reformirte haben eine schöne Kirche und eine trefliche Orgel, auf der ich etlichemal vor angesehenen Zuhorern spielte. Nirgend fand ich die Menschenstimme täuschender und reiner als hier auf dieser Orgel. Flöten und Zinnregister standen im schönsten Verhältnisse gegeneinander und das Pedal hatte Stärke und Dikke, auch war die Orgel[203] so gut gestimmt, daß man in chromatischen Tönen wühlen durfte, ohne das den Orgeln sonst so eigene Wolfsgeheul zu befürchten. Die Orgel hat den Deutschen ihre Vollkommenheit zu danken und doch traf ich, so lang' ich lebe, kaum ein Paar gute Orgeln an. Die alten Orgeln fand' ich meist besser, als die neuen, die zwar mehr Register, aber destoweniger innere Stärke haben. Die grosen Orgelmacher sind jezt unter allen Künstlern die seltensten. Man macht Klaviere, Fortepiano, Flügel, Melodika, Harmonika – alles für die Hausmusik; aber der Menschen stolzeste Erfindung – eine Orgel in ihrer höchsten Vollkommenheit hinzuthürmen, dazu fehlt's an Geld und Ermunterung mehr, als an Künstlern, die sich bald wieder finden würden, wenn man sie suchte. – Noch ist die höchstmöglich vollkommene Orgel bei weitem nicht ausgebohren und wenn sie einmal dasteht und von einer Sebastian Bachischen oder Voglerischen Seele beherrscht wird: so hat man ausser dem Gesange keines weitern Aufwands von Instrumentalisten mehr nöthig. – Die Orgel ist Alles.5[204]

Die reformirte Gemeine in Mannheim ist ungemein devot und brüderlich gegen jeden gesinnt, der sich bei ihr erbauen will. Ich kann es nicht unangemerkt lassen, daß bei so vielen sentimentalen, pitoresken, musikalischen, ökonomischen, politischen, litterarischen, dramaturgischen, architektonischen, phisiognomischen und andern Reisen, die seit zwanzig Jahren durch Europa gethan worden, eine religiöse, christliche, andächtige Reise, auf der man sonderlich alles bemerkte, was den neusten Zustand der christlichen Religion beträfe, ein sehr wünschenswürdiges Buch wäre. Der Verfasser müßte aber ein sehr von Vorurtheilen gereinigter Mann seyn und das Gute preisen, wo er's fände. Pontoppidan hat in seinem Menoza für seine Zeiten was ziemlich hinreichendes geliefert, aber seit dem ist in der Religion eine gewaltige Revoluzion vorgegangen, so, daß seine Beschreibungen wenig mehr passen. Ich zweifle auch, ob der Verfasser der neusten Beschreibung vom Religionszustande[205] in den preussischen Landen seiner grosen Absicht entsprochen. Er berührt meist nur die Aussenseite der Religion und dringt zu wenig und nie tief genug in ihr inneres Wesen ein. Ein Fehler, den fast alle mir bekannte Kirchen- und Religionsgeschichten haben.

Meine neuen Freunde schlenderten mit mir überall herum, führten mich bald zu Bachanalien, bald in Messen. Die damalige Jesuiter – jezt Hofkirche – ist im neuesten Stile gebaut: schön wie ein Tanzsaal, aber nicht ehrwürdig war ein Tempel. Die Allgemeintafeln, die zu Mannheim in den vornehmsten Gasthöfen gehalten werden, sind meistens sehr ergözzende Gruppen von wunderbar abstechenden Karakteren. Ich wurde da mit manchen, oft sonderbaren, auch nicht selten, edlen Menschen bekannt. Die pfalzischen Offiziers, sind meistens in Ton der Geselligkeit, der heitern Freude und akademischen Fidelität gestimmt. Man trift auch Leute unter ihnen an von vestem, deutschen Sinne, die es nicht selten wagen, die französischen Milchgesichter von sich wegzublizzen. Unter diesen hatte damals der Obrist von Pfister[206] einen sehr grosen Rang. Ich hab' ihn bei Tisch und in seinem Hause gesprochen und immer den Mann von vielen, sonderlich taktischen Kenntnissen und einer wahrhaftig edlen Gesinnung an ihm bewundert.

Mannheim war damals voll von mancherlei Schauspielen. Die deutschen Komödianten, ein Zeig von Marschant, unterhielten das Publikum mit Uebersezzungen und Nachahmungen der französischen Operetten – dem kühlsten Gezeug, das jemals Menschenhirn erfand, einer Pest der Sitten und des Geschmaks. Seitdem aber in Mannheim eine Nazionalbühne ist, hat sich der Geschmak ausserordentlich schnell verbessert. Nach Hamburg wird schwerlich eine Stadt seyn, die so richtig fühlt und urtheilt, die die grosen Stükke eines Shakespear's, Göthe, Lessing, Leisewiz, Schiller, mit dieser Theilnehmung vorstellen sieht, wie Mannheim. Wie schnell kann sich der Deutsche heben, wenn ihm die Umstände nur in etwas günstig sind! Eine Bande welscher Gaukler vergnügt den Zuschauer mit halsbrechenden Sprüngen, eine Art von Ergözlichkeit,[207] die dem menschlichen Herzen zur Schande gereicht. Möchten wir alle denken, wie Karl Theodor, der, als diese Luftspringer sich vor ihm zeigen wollten, es ihnen nicht erlaubte, sondern mit Ertheilung eines grosmüthigen Geschenkes sagte: »sie möchten sich vor mir zu sehr angreifen und etwan Schaden leiden!« –

Mitten unter diesen Ergözzungen erhielt' ich schleunigen Befehl mich nach Schwezzingen zu begeben und vor dem Kurfürsten zu spielen. Ein Befehl, der mir um so angenehmer war, je schwerer es sonst fiel, bei diesem Fürsten Gehör zu finden. Ich fuhr mit dem jungen Grafen von Nesselrodt dahin und wurde sogleich vor den Kurfürsten gerufen. Er befand sich seiner Gewohnheit nach, im Badhause, einem im schwezzingischen Garten liegenden zwar kleinen, aber ungemein geschmakvollen Gebäude, die Prinzen Gallian und Ysenburg, die Frau von Sturmfeder und noch ein Paar Kavaliers waren bei ihm. Er hatte beinah allen Glanz, jede Miene der zweiflenden Hoheit – nach Klopstoks Ausdruk – abgelegt und schien nur guter Mensch und liebenswürdiger Gesellschafter zu[208] seyn. Sein Aeuseres kündigte Gesundheit und männliche Stärke an. Sein freundlicher Blik, den er auf Fremde und Einheimische ausstrahlt, mildert das Zurükschrökende seiner Macht und seines Ansehens. Man vergißt im Anblik seiner lichten Miene den Stern bald, der an seiner Brust flammt und seine Fürstengröße ankündigt. Er empfieng mich so gnädig, daß sich meine Blödigkeit, bald in Freimuth verwandelte. Nachdem er sich sehr liebreich nach meinen Umständen erkundigt hatte; so spielte er selbst, beinah etwas furchtsam, ein Flötenkonzert von zween Toeschi und dem Violonzellisten Danzy begleitet. Nach diesem spielte ich verschiedene Stükke auf dem Fortepiano, sang ein russisches Kriegslied, da ich so eben gemacht hatte, stand auf, sprach über Litteratur und Kunst und gewann des Kurfürsten vollkommenen Beifall. »Ich will Ihn öfters hören und sprechen,« sagt' er mit der heitersten Miene, als ich Abschied nahm. Dieser erste Erfolg goß Freude und Hofnung in mein Herz aus. Ich machte gleich darauf dem ersten Minister, dem jezigen Reichsgrafen Oberndorf meine Aufwartung – einem[209] ernsten und scharfblikenden Staatsmanne, dessen gnädiges Bezeigen wie Wiederstrahl von der Gnade seines Fürsten gegen mich war. Und nun stürzt' ich mich ganz in den Strohm der Tonkunst hinein, der hier voll, tief und reich in seinem Beete daherzog. Burnei thut den pfälzischen Virtuosen sehr unrecht, wenn er sie der Unhöflichkeit gegen Fremde beschuldigt. Ich hab' in meinem Leben keine höflichere Leute angetroffen, als diese. Ihr Haus, Tisch und Herz stunden mir ganz zu Diensten, so lang ich in Schwezzingen war. Sie liessen mich Antheil an ihren Kunstübungen und Ergözungen nehmen. Nichts konnte auffallender, überraschender seyn, als wenn ein Freund der Harmonie nach Schwezzingen kam, zur Zeit da sich der Kurfürst daselbst aufhielt. Man glaubte durch Zauberei in eine Insel versezt zu seyn, wo alles Ton ist, wo Nixen, Silfen, Gnomen und Salamander, Wasser, Luft, Erd- und Feuermelodien durcheinanderjagen, und dadurch die wundervollste Sinfonie bilden. Mein erster Freund aus diesem Stralenkreise war Cannabich, der mit der schönsten Kunsteinsicht,[210] das beste deutsche Herz verbindet. Man muß ihn sprechen und seine Kompositionen selbst vortragen hören, um darüber richtig urtheilen zu können. Ein einziger falscher Strich, schiefe Bogenlenkung kann seinen Stükken, die ganz original sind, einen falschen Karakter geben, und daher auch falsche Urtheile drüber veranlassen. Ich habe sie in der höchsten Vollkommenheit vortragen hören, und mir schienen sie doch immer mehr Studium der Geige und der äussern Verzierungen der Tonkunst, als tiefes Schöpfen aus dem kristallnen Meere der Harmonie selbst zu verrathen. Seine Sinfonien vom ganzen pfälzischen Orchester vorgetragen, schienen mir damals das Nonplusultra der Sinfonie zu seyn. Es ist nicht blos Stimmengetöß, wie der Pöbel im Aufruhr durcheinander kreischt, es ist ein musikalisches Ganzes, dessen Theile wie Geisterausflüsse wieder ein Ganzes Bilden. Der Hörer wird nicht blos betäubt, sondern von niederstürzenden, bleibenden Wirkungen erschüttert und durchdrungen. Das mit Recht so hochberühmte pfälzische Orchester hat diesem Manne das Meiste von seiner Vollkommenheit zu danken.[211]

Nirgends wird Licht und Schatten besser markirt, die halben, mittel und ganzen Tinten fühlbarer ausgedrukt, der Töne Gang und Verhalt dem Hörer so einschneidend gemacht; und die Katarakte des Harmoniestroms in seiner höchsten Höhe allwirkender vorgetragen, als hier. Die meisten jungen Mitglieder dieses treflichen Musikchors sind Cannabichs Zöglinge. Selbst Cramer, Lolli's würdiger Nebenbuhler, dessen Grazie ich schon in Ludwigsburg bewunderte, ist es. Tonscis Manier ist nicht so ganz eigenthümlich, aber faßlicher und mehr in den Honiggeschmak der Mode getaucht. Beginnende ernste Majestät, dann Lenkung des Strohms vom Plätschern des Pianissimo, bis zum Wogensturze des Fortissimo, schmeichelndes Andante und komisches Presto, sind der Karakter aller seiner Sinfonien. Hat man zwei bis drei gehört; so hat man sie alle gehört. Frenzel ist ein Geiger der Liebe; man kan nichts süssers, einschleichenders hören, als seinen Vortrag und seine Erfindungen.

Eines der größten musikalischen Genies das mir jemals aufstieß, war le Brün, damals[212] ein Jüngling an Jahren, aber ein Mann in seiner Kunst. Er hat – selbst nach dem Zeugnisse seines grossen Nebenbuhlers Besozi, – mit dem ich hernach in Augspurg sprach – das Maximum auf der Hoboe erreicht. Seine Manieren, Erfindungen, Kadenzen, sind meist unnachahmlich. Er übersteigt alle Schwierigkeiten seines Instruments, spielt leicht und schwer, erregt Staunen und süsses Gefühl, drükt fremde Arbeiten so gut als die seinigen aus – und ist mit einem Wort Originalkopf. Kapellmeister Holzbauer schuf mir manches Lehrreiche Vergnügen durch seinen Umgang und innhaltschwere Gespräche über die Tonkunst. Wir besprachen uns ofters über die Möglichkeit, Klopstoks Herrmannsschlacht in Musik zu sezzen; und er sprach mit vieler Einsicht über die Schwierigkeiten eines so grossen Unternehmens. Der grosse Gluk hat nach diesem in treflichen Beispielen gezeigt, daß nur ein Genie der wahre Dollmetscher eines andern Genies seyn kan. Zwei junge Sängerinnen, Danzi und Strasser, waren damals erst im Aufblühen, versprachen aber schon in der[213] Blüte sehr viel.6 Danzi erregt durch die reine ungewöhnliche Höhe ihrer Stimme Erstaunen, aber nicht immer lautschlagendes zitterndes Mitgefühl. Raff ist der reifste Sänger, den ich in meinem Leben gehört habe. Er beurtheilt in Pensum mit dem Verstande, und trägt's dann mit dem Herzen vor.7

Bei all dieser Vollkommenheit der Tonkunst am pfälzischen Hofe fiel mir öfters der schlechte Zustand der Kirchenmusik daselbst schwer auf's Herz. Man würdigte den Kirchenstil nur weniger Aufmerksamkeit; verschmähte die alten Messen, und führte neue, im weichsten und winzigsten Opernstile hingetändelte Kirchenmusik auf. Nichts ist profaner, als ein Lamm Gottes im girrenden neuwelschen Geschmake, ohne Himmelsgefühl hergelallt, und ein Kyrie,[214] das in schnellen leichtfertigen Takten und Tönen, wie eine Theaternimfe daherfaselt. Ich trage den Verfall der Kirchenmusik so schwer auf dem Herzen, daß ich im Verfolge meiner Pilgerreise durch eine kleine Strekke Welt, noch manches davon reden werde. – O wie trifts auch hier ein, was Kristus spricht: »Niemand kan zwei Herren dienen.« Wer dem Baal Peor räuchert und in diesem Dienst seine Kraft verschleudert, hat keine Stärke mehr für den Jehova! – Desto besser wurden die Opern bedient. Man fand hier weit mehr Mannigfaltigkeit, als in Ludwigsburg, wo Jomelli, wie ein Hecht, die kleinen Fische alle verschlang, oder stolz wie Cäsar, keinen Pompejus neben sich dulden konnte. Galuppi, Agrikola, Graun, Hasse, Sacchini, Traetta, Sales, Bach, Piccini, Schweizer, Benda, Gluk, Holzbauer und andere, wurden hier wechselsweise auf's Theater gebracht, zum Nuzzen des studierten und zum Vergnügen des unstudierten Hörers. Da manche Ausländer hieher reißten, um ihren Geschmak zu berichtigen; so war diese Wahl ungemein weise. –[215] Doch ich sehe wohl, ich müßte ein dikkes Buch schreiben, wenn ich alle meine so häufig gemachten musikalischen Bemerkungen sammeln wollte. Vielleicht, wenn diß mein Leben bekannt gemacht wird, schlummern schon viele von den genannten grossen würdigen Männern im Grabe, oder gar in unverdienter Vergessenheit. Wo sind die grossen Virtuosen zu Kaiser Karl V. und August I. in Pohlen Zeiten? – Ihre Töne sind verhallt, ihre Leiber zerfallen, und ihre Namen hat Martini, Burnei, Heinnichen, Mattheson, Marpurg, Hiller, Walter, Forkel, oder Gerber, in irgend einem Winkel ihrer Schriften, wie verbleichte Gemälde aufgestellt. O Eitelkeit! – O zehnfache Eitelkeit, weil es eine musikalische ist!! –

Die Freuden der Tonkunst waren indessen bei weitem nicht fähig, meine ganze Seele auszufüllen. Es wandelte mich vielmehr oft ein Ekel an, daß ich mich in die Einsamkeit barg, und durch Lesen geistreicher Schriften, oder durch Unterredungen mit Leuten, die denken konnten, meinen Hunger nach vieler Speise zu sättigen suchte. Ein gewisser Graf Schall, der ein[216] Enkel des berühmten sinesischen Missionars, des Pater Schalls, aus Heidelberg war, half mir durch seinen wahrheitforschenden Geist manche Stunde sehr nüzlich ausfüllen. Auch sucht' ich, wo ich nur Gelegenheit hatte, den Geschmak an deutscher Leserei immer weiter zu verbreiten. Ich las Männern und Weibern unsre besten Schriftsteller vor, und fand' ungemein vielen Eingang. Klopstoks Gelehrtenrepublik, die damals angekündigt wurde, hatte haufige Subscribenten, auch solche darunter, die es blos auf mein Wort glaubten, daß Klopstok unser größtes Dichtergenie sei. Klopstok kam bald selbst darauf nach Mannheim, und genoß alle einem so grossen Manne gebührende Ehre. Inzwischen war doch Klopstok der Autor nicht für eine halb französische, halb welsche, und damals kaum mit etwas Deutschheit tingirte Nazion. Hingegen hatte Wielands Genius allenthalben Eintritt. Seine ausländische Miene, wollüstige Gemälde, freie Moral, Kenntniß des verderbten Herzens, dem er auf eine so süsse Art zu schmeicheln wußte, machten ihn leicht zum Lieblinge eines Volks,[217] das eben so gesinnt war. Nur wenige – aber die Edelsten – schmekten Milton, Shakespear, Young, Ossian, und unsere ächte deutsche Barden. Der Kurfürst las sehr gerne deutsch, und sprach, als ich das Zweitemal vor ihm spielte, mit vieler Achtung vom Geiste der Deutschen. Schwan hatte Befehl, ihm die neusten deutschen Schriften aus allen Theilen der Litteratur zuzusenden. Ich wagt' es, dem Kurfürsten zu sagen: »Unsere Schriftsteller sind groß geworden, ohne Auguste und Ludwige zu Protektoren zu haben. Sie liesen sich von den Grossen gedultig Roßköpfe und Barbaren8 nennen, und arbeiteten indessen Werke aus, die von den Ausländern nachgeahmt, übersezt, bewundert und beneidet wurden. D'Alembert hat Recht, der den Beifall der Fürsten nicht immer für das einzige Beet hält, aus dem die Blume des Genies hervorkeimt.« – »Er und D'Alembert hat Recht,«[218] sagte der Kurfürst lächelnd, »aber Kunst und Wissenschaft sollte doch niemals betteln gehen.« »Sie geht auch selten betteln,« erwiederte ich demüthigst, »das Publikum hat bishero noch immer einen guten Schriftsteller, der gemeiniglich sehr genügsam ist, satt gemacht.« – Der Kurfürst gab mir darauf selbst ein Thema zur Fantasie auf dem Flügel, das ich zu seinem vollkommensten Beifall ausführte. Er wies mir das schöne Dekkenstük von Guibal, der Morgen, glühend kolorirt, überladen mit Geisterchen ohne hohen Sinn, besoffene Gesichter ohne nüchterne Erhabenheit, und einige ungemein schöne und ausgesuchte Landschaften von Kobelt. Diesen Künstler lernte ich nach diesem persönlich kennen, und fand' an ihm den gefühlvollen, mit weiser Wahl die Natur studierenden Landschaftmahler. Er sprach als Meister von seiner Kunst. Ihm hab' ich auch die erste Bekanntschaft mit Maler Müller zu danken, die hernach in warme Bruderfreundschaft aufflammte. Meine größten süssesten Freuden – in so fern ich noch der Freude fähig war – empfand' ich im schwezzingischen[219] Garten, wenn ich drinnen an der Seite eines geschmakvollen Freundes lustwandelte, oder wenn ich mich ganz allein in seinen dädalischen Irren verlor. Die riesenmäsige Anlage dieses Gartens verkündigte gleich beim ersten Anblik die Schwierigkeit und unabsehliche Zeit und Kosten der Ausführung. Indessen hatte er doch schon Partien von aller Art – Chinesische Wildnisse, englische Einsiedeleien, französische Rosenlauben, welsche Orangerien – Wälder, dikke Gebüsche, hohe Lauben, Springbrunnen, Seen von fremdem Geflügel wimmlend, Grotten, Tempel und manche schöne Bildsäule aus Marmor, Stein oder Bronze. Verschaffel hat hieher seine beste Stükke gemacht. Ein Apollo aus Marmor hat zwar antikes Gesicht, aber weder antike Stellung, noch den antiken Geist, der sich wie ein Lichtschleier übers Ganze verbreitet. Ueberdiß spielt er seine Leier links, ein Fehler, den ihm die dasigen Virtuosen niemals verzeihen werden.

Auch seine Minerva hat wenig Grosses, wenig Göttliches. Das Riesenstük der Danubius, ist kaum was mehr als ein geistloser[220] Steinhügel. Ein Nereus, der eine Nimf hascht, im Schoose des dunkelsten Gebüsches aufgestellt, hat mir unter allen Statuen am besten gefallen. Die Nimfe hat viel Anmuth und Unschuld, sie windet ihr Haar aus, das vom Wasser zu strozzen scheint. Nereus schwellende Muskeln, sein wollustathmendes Gesicht dollmetschen sein ganzes Verlangen – die Brustbilder des Titus, Trajans, Antonius, Mark Aurels, des Seneka, Cicero und anderer Weisen, die mehr als alle fantastische Gottheiten ihre Stelle verdienten, sind so schlecht gemacht, daß man sich kaum dabei verweilen mag. Hirschfelds schöne Gartenideale verdienten wohl von einem deutschen Fürsten realisirt zu werden. Einigen in Schwezzingen gefundnen kostbaren Denkmalen hat der Kurfürst ein Monument errichten und den Fund durch eine schöne lateinische Innschrift verewigen lassen. Der Pallast des Kurfürsten ist klein, und will nicht viel sagen. Man hat seitdem noch mehr Pracht in diesem Garten ausgesat; aber auch diese scheint durch, die grosse, von den Pfälzern lang geahndete[221] lang gefürchtete Staatsveränderung der allgemeinen Hinfälligkeit menschlicher Pracht und Kunst, Preis gegeben zu seyn. Sowol in Schwezzingen als in Mannheim ist ein Observatorium, dessen Auge schon damals Pater Maier war, der sich sehr beeiferte, Hells Rival zu werden. –

Wer sollte glauben, daß ich unter so tausendfachen Vergnügungen des Geistes und Herzens, oft die gewaltigsten Anwandlungen von dikker, schwarzer Schwermuth hatte! –

Ein Mensch, der aus dem Zauberkelche der sinnlichen Ergözzungen, des süssen Gifts zu viel schlürft, wird bald satt und überladen. Ich gieng oft im Hesperidengarten, sah die wasserspringenden Nimfen und Seethiere; sah meine lieben Statuen, und empfand nichts; wandelte unter hohen schattichten Gängen, und blieb kalt: sah die sekularische Aloe blühen, schwamm in den Gerüchen des ganzen Blumenreichs – und schau'rte vor Ekel. Im diksten Gebüsche verloren, wallten schwarze Gedanken empor, und am Fusse des Felsen, der aus dem Rheine hiehergebracht wurde, und Wasser herabgoß, weint'[222] ich oft die bittersten Thränen. Meine Seele suchte, und fand nicht. Ich stürzte mich in Opern und Konzerte; und alle himmlische Töne prallten ohne Kraft und Eindruk von mir ab. Meine Seele suchte, und fand nicht. Tänzer und Tänzerinnen, Spiele, Trinkgelage, wo Rheinwein perlte und Scherz und laute Lache scholl, Spaziergänge im Thiergarten, wo uns der stolze Tannhirsch anglozte, selbst die Miene des Freundes, konnte meine versunkne Seele nicht aufrichten. Ach Gott, du weißt's, ich suchte, und ich fand nicht. Noch denk' ich daran, wie ich mich einstmals aus Schwezzingen riß, den hohen Rheinstrom suchte, an seinen Ufern, unweit Speier staunend stand, und nach langer Pause gen Himmel schrie: »Du, droben in deiner Höhe! Weltschöpfer! erbarme dich meiner! ich darbe im Ueberfluß! ich trinke diesen Strom aus und dürste! O nichts, nichts ist für mich geschaffen! die Schönheiten deiner Natur nicht, die Freuden deiner lieben Menschen nicht, denn mich Armen hat wütende Leidenschaft zum Sklaven gemacht! – Erbarme dich meiner.« – Doch der wird sich deiner erbarmen,[223] dessen du spottest! Mit diesem niederschmetternden Gedanken rannt' ich wieder nach Hause, und suchte Lerm und Kelchglas, um mein wimmerndes Gewissen zu betäuben und zu ersäufen.

Und doch hat Gott nie von mir abgelassen – auch wenn ich taumelte nicht, auch wenn ich ohne Seufzer mich ins Bett warf, nicht! auch wenn ich seiner vergaß, nicht! – O unaussprechlich guter Gott! nimm diese stürzende Thräne – ach sie fließt erst im Kerker! – statt des Danks für deine treue Obsicht über einen Rasenden! einen Empörer! einen Feind deines Sohnes!! – O wie fühl' ichs zittern in allen Nerven, schaudern in allen Gliedern, schlagen im Herzen, tropfen vom Auge – du bist Gott und nicht ein Mensch! du bist die Liebe!! –

Wer Erbauung suchte, konnte damals keinen ungeschiktern Plaz wählen, als Schwezzingen. Die Katholiken bleiben auch hier im Aeussern, und befriedigen sich damit über ihren innern Zustand. Doch hab' ich Leute unter ihnen gefunden, die tiefer gruben und Gründe[224] aufsuchten, dem auch hier herrschenden Unglauben begegnen zu können. Die Lutheraner haben eine Kirche und einen eignen Geistlichen, den ich zuweilen am hellen Tage vor seinem Hause Holz spalten sah. Er führt ein dumpfes kümmerliches Leben. Seine Gemeinde bleibt im engen Kreise weniger Wahrheiten, und pflegt der Andacht beinah ganz im Verborgenen. Die Sitten sind hier und Mannheim ziemlich frei, sonderlich sezt man sich über den Punkt der Keuschheit, wie leider an allen Höfen, auch grossen Städten in Deutschland, mit unbeschreiblichem Leichtsinn weg. Hurerei und Ehebruch sind Modesünden, die man zwar beichtet, aber sogleich wieder begeht. Eine Maitresse halten, ist hier wie in Paris, Londen, Berlin, guter Ton. Die gewöhnlichen Unterredungen mit Frauenzimmern sind eingekleidete, oder meist nakte Zoten. Die Wollust, ich meine eine viel weiter getriebene Wollust als Epikurs ηδονη, hat hier sowohl wie anderwärts ihre Tempel, Priester und Priesterinnen. Unter keiner Gestalt hat der Fürst der Finsterniß größre Eroberungen gemacht, als wenn er im leichtfertigen[225] Gewande der Bulerin erschien, und oft mit einem Tappon, verschobenen Halstuch, wehender Schürze und frechem Blikke die schönsten Entschlüsse der erwachenden Tugend niedertrümmerte. O alte deutsche Keuschheit, wo bist du? – Die Wollust scheint beinahe die Quelle der so hochgerühmten Empfindsamkeit zu seyn, dieser weichen Tugend, die nahes Elend auf Augenblikke fühlt und fernes vergißt, die sterbende Fliege beklagt, und den im Lazaret winslenden Siechen mit Ekkel betrachtet; über nachgeäffte Empfindungen im Schauspielhause weint, und an wirklichen Scenen des Jammers mit versteinerten Augen und Herzen vorübergeht. – Daher sind die Empfindsamen meist da zu Hause, wo es Höflinge, Schauspieler, Tonkünstler, Romanenleser- und Leserinnen gibt. – O Sterne, – guter Yorik! wie übel hat man dich verstanden! –

Inzwischen traf ich doch kaum an einem Orte so wohlthätige, gutherzige Leute an, als am Hofe des Kurfürsten, der selbst ein dem Mitleiden beständig geöfnetes Herz hat. Unter dem Orchester gab es viel gute Seelen, die das, was[226] sie frölich verdienten, wieder frölich mittheilten. Cannabich verdient auch in Absicht auf seine Menschenliebe, die sich oft in Wohlwollen und Freigebigkeit ergießt, ein Denkmal.9

Bei so vielen, grossen Bekanntschaften, die ich in der Pfalz machte, fehlte es mir doch noch immer an einer dauerhaften Versorgung. Ich und meine Freunde glaubten anfangs, der Kurfürst würde mich sogleich in seine Dienste nehmen, weil dieser Fürst selbst davon sprach. Aber der Genius, der unsichtbar mein Leben und meine Schiksale auch im Sturme lenkte, ließ es nicht zu. Ich mußte mich durch ein kühnes Urtheil über die Akademie in Mannheim, die das Herzblatt des Fürsten war, vergehen; geflügelte Boten stellten sogleich mein Urtheil in Riesengestalt vor den Thron, und mein mit wankender Hand erbautes Häuschen stürzte in den Sand.10 Nun war ich wieder gänzlich[227] verlassen. Meine Gönner und Freunde zeigten mir Stirnen, von denen die Ungnade des Fürsten frostig auf mich schauerte; ich floh, denn Frost und Kaltsinn war mir immer ärger, als der Tod. – Wohin nun? – Ich trug alle meine Haabe auf dem Leibe, und hatte nicht einen Kreuzer Geld. – Aber mitten im Angstgedränge meldete sich der Bediente des Grafen von Schmettau bei mir, und ersuchte mich, sogleich zu seinem Herrn zu kommen. Ich flog dahin, und traf einen jungen Mann an, dessen ganze Miene – Freimuth, Durst nach Wahrheit, Grosmuth und Menschenliebe sprach; »Die Hofluft weht nicht gut für Sie,« sagte er mehr trokken als freundlich, »Sie verstehen die Kunst zu leben nicht. Inzwischen bis Sie andere Aussichten haben, sieht Ihnen mein Tisch und meine Börse zu Diensten. Ich habe selbst nicht viel, doch noch immer so viel, als für Ihre einstweilige Bedürfnisse hinreichen möchte.« – Der Graf hielt Wort, nahm mich zu sich,[228] ließ mich von Fus auf kleiden, gab mir Geld und freie Kost. Eine so ungezwungene, großmüthige Seele hab' ich in meinem Leben nicht angetroffen. Sein Vater war dänischer General, der in Altona privatisirte, und äusserst kühne Schriften gegen die Religion herausgab. Er lernte noch im Alter hebräisch, um gegen das alte Testament kriegen zu können. Seine so betittelten Blätter, aus Liebe zur Wahrheit geschrieben, die aber bald von den Censoren unterdrükt wurden, lagen eben auf dem Tische des jungen Grafen, seines Sohnes.

Sie enthielten das Kühnste, was man gegen die Bibel sagen kann. Indessen hatte doch der junge Graf noch nicht ganz Parthie genommen. »Das Ding kann doch wahr seyn,« sagt' er; »aber was haben wir für Trost, wenn es wahr ist?« – So jung dieser edle Mann war, so gros und reich waren doch die Erfahrungen, die er bereits in der Welt angestellt hatte. Er war einige Jahre kursächsischer Gesandter in Madrid, und wußte den Geist der Spanier und den Karakter des Königs und seines Hofs weit treffender zu schildern, als Clark und Baretti.[229] Was ich hernach im Bourgoin las, schien mir größtentheils eine Wiederholung desjenigen zu seyn, was ich lange schon von meinem Grafen gehört hatte. Nachdem er diese Stelle niederlegte; so besuchte er die größten deutschen Höfe, und nahm darauf die Stelle eines kurpfälzischen geheimden Raths an. Er hatte nebst den Eigenschaften eines redlichen Staatsmannes eine schöne Belesenheit in den Schriften der Deutschen, Franzosen und Spanier, schrieb französisch und deutsch mit vieler Richtigkeit, hatte sich auf seinen Reisen wichtige Beiträge zur Menschenkenntniß gesammelt, und war sonderlich ein wahrer Kenner und Beurtheiler der Kunstwerke.11 Ich habe bei ihm die schönste Sammlung von geschnittenen Steinen angetroffen – und sonderlich eine antike Calirrhoe in Carniol von ausnehmender Schönheit und Werth. Lipperts Daktiliothek[230] wurde von ihm mit manchen seltnen Abdrükken bereichert. Dieser Graf konnte durchs Gefühl die Antiken von den Modernen unterscheiden, so geübt war er in diesem Theile der Kunst. Ich las ihm Herrmannsschlacht und Göz von Berlichingen vor, und fand hier das erstemal einen Mensch, für den solche Werke geschrieben zu seyn schienen. In meinem Leben will ich die Aufwallungen von Entzükken nicht vergessen, die unterm Lesen an diesem starkfühlenden Grafen ausbrachen. Herrmann! Göz! Klopstok! Göthe! war alles, was seinen glühenden Lippen entströmte, wenn ich Pausen machte. Da trafen die Dichter einen Mann an, der die grossen Züge fühlte, weil er selbst grosse Anlagen hatte. Feuriger Haß gegen entmannende Grundsäzze und Modeempfindungen entstürzten ihm oft wie Lava. Er suchte tapfere, gerade, redliche, biderbe, grosherzige, einfältige, von der Scheere Kultur unverschnizzelte Menschen – und weil er sie nicht fand, so war er oft gesonnen, sich in die dikste Einsamkeit einzuhüllen, und Stern, Wappen und Ordensband in irgend einen Winkel zu werfen,[231] um der Wahrheit leben und sterben zu können. Dieser originelle, an Höfen ungewöhnliche Karakter gab ihm das Ansehen eines Schwärmers, eines Sonderlings, und hinderte ihn an der Wurzlung und am Emporstreben und Wachsthum seines Glükes. Er war, kurz zu sagen, ein Mann, der unterm neu'sten Moderok die ältesten Gesinnungen verbarg. Da er mit diesem Kopfe überall anstieß; so breiteten sich fast bestandig düstre Wolken über seine Seele aus, hüllten sein Antliz in Schleier einer mürrischen Laune ein, und gaben beim ersten Anblik zu erkennen, daß der Wurm Mißvergnügen am edlen Herzen dieses Mannes nage. Er sprach nicht selten mit Begeistrung vom Selbstmord. – »Wollen uns einklammern und in's Wasser stürzen,« sagte er einstmals zu mir, als wir am Rheinstrome wandelten. – »Wenn Gott nicht unsre Narrheit in einer andern Welt bestrafen könnte,« erwiederte ich. – »Eben diß hält mich noch immer zurük,« sagte der Graf, »denn sollte Gott Seelen schaffen, um sie einige Augenblikke in bunten Farben vor sich schweben, und dann am Grabe zerplazzen zu lassen?« –[232] »Noch mehr, sollt's möglich seyn,« sezt' ich hinzu, »daß Seelen wie die Ihrige ewig suchen und niemals finden sollten? Instinkte ihre Sättigung finden, und Geister mit all ihrem Streben nach Vollkommenheit verschmachten, und am Grabe mit der vegetirenden Pflanze auf ewig hinwelken sollten?« »Sie haben recht,« rief er aus, »o Wahrheit, Wahrheit, wo thronest du?« – So sucht' ich ihn oft zu trösten, ob ich gleich selbsten an der Unsterblichkeit der Seele in mancher düstern Stunde zweifelte. Gott sollte erst dort das Laster bestrafen? dacht' ich oft falsch! Wer hat die Geißeln geflochten, die mich schon jezt zerfleischen? mich oft im Genusse zerfleischen? wer gibt schon hier dem Weisen und Frommen seine heitere Miene, die den Frieden seines Herzens ausstrahlt? – Possen! nach dem Tod ist alles aus. Hier schon, hier schon, ist Himmel und Hölle. Himmel ist Ordnung, und Hölle ist Verwirrung, wie die deinige ist – so dacht' ich, aber sagt' es nicht. Mitten unter solchen Beschäftigungen wurde ich mit dem Sekretar des kurbairischen Gesandten Baron von Leiden bekannt. Bald darauf macht' ich seinem[233] Herrn selbst meine Aufwartung, der mich ungemein gnädig empfieng, und mich beim Nachtessen behielt. Er sprach über der Tafel von der grossen Revoluzion, die der Sturz des Jesuiterordens im Erziehungswesen seines Vaterlandes veranlassen würde. »Vielleicht können Sie jezt im Bairischen ihr Glük machen,« sezte er hinzu, »wenn Sie sich entschliessen könnten, Ihre Religion zu verändern.« Was hast du zu verlieren, dacht' ich, und versprach es ihm, ohne weitere Ueberlegung, wenn er die Gnade haben, und mich mitnehmen wollte. »Das will ich gar gerne,« sprach er, wie ein Mann dem's Ernst ist. Ich gieng sogleich nach Hause, und erzählte meinem Grafen den gefaßten Entschluß. Er billigte ihn, wenigstens als Desperationsmittel. Ich nahm dann überall Abschied, und wurde von dem Kurfürsten beschenkt. Als ich mein Geschenk einpakken und meiner Frau zuschikken wollte; so fragte mich mein Graf: »wem schikken Sie diß Geld?« – »Meiner armen Frau und Kinder.« – »Gut! Legen Sie auch diese hundert Gulden bei. – Doch ich sehe schon, Sie können nicht pakken.«[234] Und hiemit sezte er sich, pakte mein Geld und seine beigelegten hundert Gulden zusammen, legte den Pak auf den Tisch und sagte: »Schreiben Sie Ihrer Familie, sie soll für mich beten!« – Ein Zug seines Herzens, der durch den mindesten Zusaz von Beschreibung verstellt würde. – O Gott in deinem Himmel, sende die schönste Belohnung, die du hast – deinen Frieden in diese edle Seele herab, unter welcher Himmelszone sie jezt weilen mag!!12 – Am lezten Tage meines Aufenthalts in Schwezzingen wurd' ich plözlich von einem Boten des Todes überfallen. Eine Anwandlung vom Schlage erschütterte mir die ganze rechte Seite. Man ließ mir Ader, mein lieber Graf rieb mir mit eig'nen Händen die Fußsolen, und kam nicht von meinem Bette, bis ich mich wieder erholt hatte. Krank fuhr ich den andern Tag mit ihm nach[235] Mannheim, und fieng erst nach und nach an, wieder aufzuleben. Die feurigen Weine, die ich zu unmäßig trank, hatten mir diesen betäubenden Schlag zugezogen. O Gott! wie preiß' ich dich, daß du mich nicht damals tödtetest, daß du mich herausrießest aus dem Strudel, und mich traufelnd auf meinen Berg stelltest! –

Und nun nahm ich auch von allen meinen Bekannten in Mannheim Abschied – und endlich auch den bangen, thränenwekkenden Abschied von meinem lieben Grafen, auf dessen Wiedersehen in der Ewigkeit ich mich innig freue! – Sollte Gott so schöne Seelen nicht herumholen, da er nach weit schwächeren Seelen die Vaterhände ausstrekt? – O Er wirds! – Ich hoff' es zu Gott, er wird's!!


Glosse

Unter den Pfälzern bemerkt' ich damals so was Furchtsames, so was ängstlich Umherblikkendes, sonderlich unter den Protestanten, als wenn sie Spionen zu befürchten hätten. Man merkte es deutlich, daß die Katholischen[236] herrschten; daher sahen sie freier und furchtloser umher, wenn gleich die Protestanten sie in der Geistesbildung weit übertrafen. Die Protestanten erzählten mir manche auffallende Beispiele von Bedrükkungen, die nicht vom Fürsten, seinen Ministern, Räthen und Amtleuten, sondern von sogenannten Geistlichen Priestern des Herrn – eigentlich aber zelotischen Pfaffen – herkamen. Dieses Geschmeis schwebte, wie Harpyen, über den Protestanten, und entweihte mit seinem Unrathe den Bissen ihres Mundes und den Labetrank ihres Bechers. Ich machte gewaltige poetische Ausfälle auf diese schwarze Gesellen, die aber solcher papiernen Blizze nicht achteten, und mich dagegen mit bitterem Grimme verfolgten. – Jezt ist es anders, und der milde Stral der Aufklärung hat auch in der Pfalz tolerantere Gesinnungen verbreitet. Auch ist der Ton der Nazion durch das trefliche Mannheimer Theater seitdeme ungemein verbessert – deutscher, vester, konsistenter gemacht worden. Ein grosses Beispiel vom Nuzzen der Nazionaltheater.

1

Meisterhaft hat mein Freund, Maler Müller in Rom, diese Trummer geschildert. Die starke Zeichnung steht in der Schwanischen Schreibtafel.

2

Wohlgemerkt damals!! – Ist es wol izt besser? –

3

Selbst Lessiing sagte, als er hernach diesen Antikensaal sah, daß man hier Alles viel bequemer beobachten könne, als selbst in Rom.

4

Sonderlich damals. Die Entfernung des Hofes hat hierinnen gar vieles abgeändert. – Doch erhält die trefliche Schaubühne – Deutschlands erste – noch immer Leben in dieser schönen Fürstenstadt.

5

Davon gibt in unsern Tagen Vogler gar stattliche Beweise. Er hat nicht nur der Orgel manche höhere Vollkommenheit gegeben; sondern spielt sie auch als erster Meister.

6

Leztere ist bereits verblüht und die erstere ist jezt des eben gerühmten le Brün Gemahlin, und gehört mit Gabrieli, Mara, Lang, Baletti, unter die ersten Sängerinnen unsrer Zeit.

7

Ist noch als Veteran angenehm zu hören. Raff ist auch in anderm Betrachte ehrwürdig, denn er ist, was wenig Virtuosen sind – fromm.

8

Vom Kaiser Karl V. bis auf Friedrich den Einzigen, und noch giebt es Fürsten, die voll vom Auslandswahne ihr eignes köstliches Landguth verkennen.

9

Unverschämt ist also der Vorwurf, den Burnei in seinen musikalischen Reisen den pfälzischen Tonkünstlern macht – als wären sie ungesellig, grob, ungastfrei. Gerade das Gegentheil fand ich.

10

Eine rothhaarige Furie, das Weib des K.M.H., der nun auch heimgegangen ist, beschleunigte mit ihrer Zungengeissel meinen Fall.

11

Seine seitdem herausgekommene Schriften bestätigen die Richtigkeit meines Urtheils. Er denkt kühn, schreibt kühn, und erhebt sich gerne gegen die gemeinen Meinungen, wie seine Schrift gegen die Empfindler und Kraftgenies darthut.

12

Ich habe von diesem treflichen Manne seitdem wieder Nachricht erhalten. Er war indessen ein Paar Jahre in Paris, privatisirte dann zu Worms, gab durch einige herrliche Aufsäzze Laut von sich, und lebt noch jezt – seinen Grundsäzzen gemäß – ohne Bedienung.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Schubartߣs Leben und Gesinnungen. Erster Theil, Stuttgart 1791, S. 184-238.
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