Der kalte Michel

[358] Erzählung.


War einst ein deutscher Junker

Im prächtigen Paris;

Er wollt' sein Geld in Ehren

Und mit Geschmack verzehren

In Frankreichs Paradies.[358]


Auf einmal blieb der Wechsel

Ihm allzulange aus.

Er schrieb zwar viel naive

Und wohlgesetzte Briefe,

Doch keiner kam von Haus.


Des Franzmanns Complimente

Die waren jetzt nicht groß;

Nur, die mit vollen Händen

Ihr deutsches Geld verschwenden,

Sieht gerne der Franzos.


Da war der Junker traurig,

Und hängt das Mäulchen schief.

Es äugelt ihm itzunder

Vergeblich der Burgunder,

Er will nur Geld und Brief.


Einst schaut er zu dem Fenster

Mit dunkelm Blick hinaus;

Schon träumt er von Pistolen,

Von Mord und Teufelholen:

Da kam sein Knecht von Haus.


Gleich schrie er: »Guter Michel,

O komm doch 'rauf zu mir!«

Der Michel sprach: »Ihr Gnaden!

Ein Schöpplein könnt' nicht schaden;

Ich weiß kein Wirthshaus hier.«


Der Kerl war nun im Zimmer;

Der Junker fragt: »Was Neu's?«

Doch Michel setzt sich nieder,

Labt erst mit Wein die Glieder,

Dann sagt er, was er weiß.


»Ei, denkt doch, gnäd'ger Herre!

Der Rabe ist verreckt.

Er hatte wenig Futter,

Auf einmal fraß er Luder,

Bis er davon verreckt.«[359]


»Wer gab ihm so viel Luder

Frägt Junker schon gerührt.

»Ha! eures Vaters Pferde –

Ihr wißt's, von großem Werthe,

Die waren halt krepirt.«


»Was, meines Vaters Pferde?«

»Ha! 's ist ja schon bekannt!

Ihr Gnaden, muß nur sagen,

Vom vielen Wassertragen

Verreckten sie beim Brand.«


»Was sagst von einem Brande?«

»Hm! ja in euerm Haus.

'S ist eben kein Mirakel;

Denn, spielt man mit der Fackel,

So kömmt leicht Feuer aus.«


»Ach Gott! mein Schloß verbrannte?«

»Ihr Gnaden sagt es gleich.

Mit Fackeln und mit Kerzen

Ist wahrlich nicht zu scherzen,

Wie bei der Mutter Leich'.«


»Wie, Michel, meine Mutter?«

»Ja freilich, sie ist todt!

Sie hat sich halt bekümmert,

Und Kümmerniß verschlimmert

Das Blut, und bringt den Tod.«


»Wer hat sie denn bekümmert?«

»Ihr Vater, wie man sagt.

Der hat vor sieben Wochen

Halt das Genick gebrochen,

Und zwar auf einer Jagd.«


Der Junker sich den Schädel

Mit beiden Fäusten schlug –

»Wär' ich doch nie geboren!

Ha! alles ist verloren!

Verdammter Hund, genug!«[360]


»Ist nicht so arg, sprach Michel,

Was braucht's des Lärmens da?

Ich schwömm', bei meiner Ehre,

Gleich itzo auf dem Meere

Fort nach Amerika.«


Und mir nichts, dir nichts, plötzlich

Floh er mit ihm davon.

Europa bleibt zurücke,

Sie machen bald ihr Glücke

Beim großen Washington.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 358-361.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon