Froschkritik

[363] Im antiken Geschmack.


Sang in 'nem Busch 'ne Nachtigall;

So wunderlieblich war ihr Schall

Als wie der 'rausgezogne Ton

Aus Meister Liedels Barbiton.

Es war 'n Sumpf nicht weit davon,

Drin lag 'ne ganze Legion

Von Fröschen; und die hörten all'

Den Wundersang der Nachtigall.

Da war ein hochstudirter Frosch,

Mit runzlicher Stirn und breiter Gosch,1

Hatte die edle Musikam,[363]

Den Kontrapunkt, die Algebram

In manchem Sumpf und Weiher studirt,

Und orgelte, wie sich's gebührt.

Doch weil er war gar kalter Natur,

Empfand er nichts und künstelte nur.

Der hörte auch die Nachtigall

Und sprach: »Ihr Brüder, hört einmal,

Wie singt das Thier so abgeschmackt,

Macht falsche Quinten, hält keinen Takt,

Weicht nicht in künstlicher Modulation

Aus einem Ton in den andern Ton.

In ihrem ekeln di – di – di

Und duk, duk, duk – steckt ihre ganze Melodie.

Magister Frosch lacht drob so laut,

Daß ihm beinah' zerplatzt die Haut,

Und sprach: Kameraden, wißt ihr was?

Eine Fuge klingt doch baß;

Wollen's singen im Sopran, Alt und Tenor,

Ich orgle euch das Thema vor.«

Nun ging's an ein scheußlich Gequack

Im wahren antiken Geschmack

Mit Bund und Motu contrario;

Der Frosch hielt Tasto solo;

Unaufgelöst in der Fuge ganz

Folgt Dissonanz auf Dissonanz.

Nach mancher halsbrechenden Modulation

Kam endlich doch der letzte Ton.

Die Fledermaus und der Uhu

Hörten dem Froschconcerte zu;

Waren drob gar lustig und froh,

Und schrieen laut: Bravissimo!

Ein Jüngling voll Empfindsamkeit,

Gelockt von sanfter Abendzeit,

Kam aus dem nahen Rosenthal,

Hörte das Lied der Nachtigall,

Und weint' und sah zum Himmel auf;

Und als die Frösche fugirten drauf,

Da warf er Steine in den Teich

Und schrie: Der Henker hole euch![364]

»Hum! sprach der Kritikus unter'm Gewässer,

Der Kerl versteht's nicht besser!2«

1

»Mit Gunst ihr auswärtigen Sprachwardeins, wenn 'n ehrlicher Schwab auch seine Provinzialismen an Mann zu bringen sucht.«

Schubart.

2

»Wie viel Thränen hat nicht Klopstocks Golgatha mit Pergolese's Musik den sanften fühlenden Seelen entlockt! – und doch wird diese Musik in der Theorie der schönen Künste ein schlechtes, äußerst fehlerhaftes Stück genannt! Ist's mir doch als wenn ich den Frosch räsoniren hörte!«

Schubart.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 363-365.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon