[409] An Luise.
Goldne Zierde sanfter Seelen,
Himmelsgrazie, mit dir
Will ich ewig mich vermählen;
O, wie lieblich strahlst du mir
Aus Luisens sanftem Blick
Deine Herrlichkeit zurück.
Einfalt mit dem Silberschleier,
Unschuld mit dem Rosenflor
Wandern dir in stiller Feier
Als zwei liebe Schwestern vor.
Engel Gottes freuen sich
Ueber dir, und küssen dich.
Als die Schönheit und die Güte
Einst im Garten Gottes stand,
Und der erste Vater glühte,
Da sich Eva ihm entwand;
Blicktest du das erstemal
As des Weibes Augenstrahl.
Göttin – doch, so schön und milde
Hat dich nie ein Aug' erkannt,
Als ich in Luisens Bilde
Dich zum erstenmal empfand.
Still und groß und himmlisch mild
Warst du in Luisens Bild.
Ihrer Augen Zährenhelle,
Ihrer Wangen Purpurschein,
Ach, in Edens lichtem Quelle
Wuschen sie die Engel rein.
Ihrer Stimme süßer Ton,
Wie ein Himmelspantalon;[410]
Blitzt' und drang in meine Seele,
Herz und Busen wurden weit,
Und aus meiner Augenhöhle
Schimmerte die Zärtlichkeit.
Liebeschauernd schlug mein Herz,
Bald vor Wonne, bald vor Schmerz.
Sterben möcht' ich nun vor Liebe,
Seh' ich diese Zauberin;
Aber wird ihr Auge trübe,
O, wie trübt sich dann mein Sinn!
Jeden Zug der Sympathie
Fühlt mein armes Herz durch sie.
Bruderliebe zu den Brüdern,
Mitgefühl bei jeder Noth;
Jedes Lächeln zu erwiedern;
Jede Angst bei fremdem Tod;
Demuth, Kinderfreundlichkeit
Lehrte mich die Zärtlichkeit.
Aber nur aus deinen Blicken,
O Luise! lernt' ich sie;
Ewig soll mich nun entzücken
Diese Seelensympathie;
Diese süße Zärtlichkeit,
Die uns Cherubsschwingen leiht.
Wenn ich rede, wenn ich schweige;
Wenn, in deinen Reiz verschwemmt,
Manche Thrän', der Liebe Zeuge,
Mir die süße Rede hemmt;
O so denke: tief, wie dich,
Rührt die Zärtlichkeit auch mich!
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.
114 Seiten, 4.30 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro