Vermächtniß

[55] An die Freunde.1


Es kommt die Zeit, da ich nicht mehr zu sagen,

Was dieses Lied euch deuten soll, vermag;

Da dieser Mund auf eure Grüß' und Fragen

Tief schweigen wird, und nun mein letzter Tag

Mir ohne Sang und Lust wird nächtlich tagen:

Drum eh' dies Leben hemmt der jähe Schlag,

So lang' es noch beim Frohen bleibt und Alten,

Hört, wie ich's ewig wissen will gehalten.


Soll ich der Erste sein, der von euch scheidet,

Sollt ihr mich starr und stille liegen sehn,

So soll der Anblick, dran der Schmerz sich weidet,

Vor eurer Seele schnell vorübergehn;[55]

Nie soll das Bild des Freundes, wie er leidet,

Und wie er stumm im Tode muß vergehn,

Sein bleiches Antlitz nie, wann ihr in Freuden

Den Bund erneut, euch Wein und Lied verleiden.


Nein! wie ihm Lust und Liebe stets gelungen,

Wie er, lebendig steh'nd im Brüderkreis,

Hoch den Pokal in fester Hand geschwungen

Zu der versammelten Gemeine Preis;

Bei schönen Namen festlich angeklungen,

Die Wangen glühend und die Blicke heiß;

Und mit Gesang zur brüderlichen Flechte

Euch rings geboten seine deutsche Rechte:


So soll er Allen vor der Seele stehen,

Als führt' er noch ein Leben unter euch,

Als könntet ihr ihn hören noch und sehen,

Als wär' er froh und allen Andern gleich.

Ihr müßt nicht glauben, daß aus euren Nähen

Er lang entschwunden, fern vom Freudenreich,

Nur unterm Boden, den ihr fröhlich tretet,

Sein Lager tief und stille sich gebettet.


So bleibe denn bei euren Bundesfesten

Kein Sitz noch Glas zu seiner Ehre leer;

Noch eine Lück' auch in dem treuen, festen,

Verschlungnen Kranz der Brüderhände mehr.

Denkt nur, wie er den theuren Kreis am besten

Beherrschen kann vom blauen Himmel her,

Und wie er blickt auf die verbundnen Rechten,

Ein Bundesglied, aus sternenhellen Nächten.

Fußnoten

1 Durch einen Traum veranlaßt.


Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 55-56.
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