3.

[179] Der Enkel wächst mit Lust heran,

Wie Nordlands Knaben blühen;

Um wenig Jahre sei es noch,

Ist er zum Mann gediehen.


Die Stunden, die flogen schnell dahin,

Wie man ein Liedlein singet;

Das Feld gedieh, das Haus stieg auf,

Der Greis saß wie verjünget.


Es hing ihm eine Wolke wohl

In seiner Stirne Falten;

Der Jüngling fragt nicht, dient so treu,

Bis er erfreute den Alten.


Doch wie die Zeit nun schneller ging,

Sah man ihn stille sitzen,

Und aus den hohlen Augen war's,

Als wollt' ein Feuer blitzen.


Zuletzt das Schweigen doch er brach,

Das manchen Tag gedauert.

Er sprach: »Stellt mir den Enkel her!«

Er rief's von Schmerz durchschauert.


»Großvater, laß nicht führen mich!

Auch Frühling wird's im Norden,

Du siehst nicht, wie ich gewachsen bin,

Ich bin ein Jüngling worden.«
[179]

Der schlanke Knabe, der eilt herzu,

Ihn faßt der Greis mit Zittern,

»Ja,« ruft er, »Sommer im Norden ward's,

Ich horche den Ungewittern!


Weh mir, es sprosset ihm schon der Bart,

Es schwellen die Glieder, die Knochen,

Er ist ein Mann geworden und hat

Den Vater noch nicht gerochen! –


Blutrache, heilig, alt Gesetz,

Wie unsre Götter und Eichen,

Vor dir muß unsers Hauses Fried'

Und Liebe mir heut erbleichen!


Seht ihr es nicht? mir däucht, ich seh's –

Und bin doch blind so lange –

Wie seine Augen funkeln wild!

Du dort, ist dir nicht bange?


O weh', du hast mir gedient so fromm,

Hast's wie ein Sohn getrieben!

Du solltest führen in's neue Haus

Die Braut, die dir treu geblieben.


Jetzt kannst du bei mir nicht bau'n dein Haus,

Bei mir dein Weib nicht freien –

Wie soll in seinem Angesicht

Dir dein Geschlecht gedeihen?


Nimm dir aus Kammer und Stall ein Theil,

Was mir der Sohn sollt' erben!

So lange die Rach' in dem Knaben schläft,

Fleuch, fleuch! du sollst mir nicht sterben!


Zur fernsten Orkneysinsel zeuch!

Dort, hinter der Fluten Walle,

Dort bau von meinem Gute dir

Eine feste, helle Halle!


Dort lebe sicher und zeug' ein Kind

Für deines Alters Tage!

Und keiner sei – nimm hin den Wunsch –

Der dir den Sohn erschlage!«

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 179-180.
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