Der Hirte von Teinach

[260] Bei Teinach lag ein Hirte

Und schlief im grünen Gras,

Derweil sein Heerdlein irrte

Und frische Kräuter las;

Den führt' um ein Jahrhundert

Ein seltner Traum zurück,

Er stand und warf verwundert

In's Dörflein seinen Blick.


Die Häuser, die er wachend

Als alt und grau gekannt,

Sie standen jung und lachend

Mit roter Ziegelwand.

Und wo jetzt ist zu schauen

Das schöne Gotteshaus,

Fing man erst an zu bauen,

Und hieb den Grundstein aus.


Die Maurer waren fertig,

Sie ruhten aus vom Fleiß,

Und des Befehls gewärtig

Noch standen sie im Kreis;

Da kam ein Zug gegangen

In feierlicher Pracht,

Mit Federn, Mänteln, Spangen,

Nach jener Zeiten Tracht.


Und ohne lang zu fragen

Ward's ihm im Traume klar,

Daß der im gold'gen Kragen

Der Herzog selber war.

Das Neuste drein zu stiften

Tritt der zum hohlen Stein,

Mit blanken Münzen, Schriften,

Und neuem, edlem Wein.


Da wird erst von der Gabe

Ein hohes Glas gefüllt,

Damit zu süßer Labe

Der Herr den Durst sich stillt.[261]

Und sieh, da fällt dem Fürsten

Der Hirt' in das Gesicht,

Er sieht ihm an sein Dürsten,

Reicht ihm das Glas und spricht:


»Trink', Freund! es ist der beste

Aus meinem Neckarthal,

Du kommst zu solchem Feste

Doch wohl nicht noch einmal.«

Schon fühlet an den Lippen

Der Hirte sich das Glas,

Und eben wollt' er nippen, –

Da wacht er auf im Gras.


Er blickt um sich erschrocken,

Er fühlt die Hand sich leer,

Er fühlt den Mund sich trocken,

Und ach! es fehlt noch mehr!

Wein läßt sich wieder kaufen,

Doch wie er träumet hier,

Ist ihm davon gelaufen

Der Heerde schönster Stier.


Er richtet sich mit Fluchen

Vom leeren Boden auf,

Den Flüchtigen zu suchen

Beginnt er seinen Lauf;

Bis wo in Büschen stille

Sich birgt ein alt Gestein,

Von dort hört er Gebrülle,

Und mählig dringt er ein.


Ihm ist, als träumt' er wieder,

Er steht in einem Hohl,

Die Steine hangen nieder,

Das war ein Keller wohl!

Und hinten in der Ecken

Da liegt und schlürft der Stier,

Was mag sich dort verstecken?

Springt eine Quell' herfür?
[262]

Fürwahr es ist die Quelle,

Von der du träumtest, Hirt!

Ein Wein ist's, klar und helle,

Der das Gestein durchirrt.

Das Faß ist lang zerstoben,

Er selbst ward rings zu Stein,

Drin' er sich aufgehoben

Als hundertjähr'gen Wein.


Von diesem selben Weine,

Wie dir geträumet hat,

Liegt in dem hohlen Steine

Des Kirchengrunds der Stadt.

Laß dich nur nicht gereuen,

Daß du erwacht so bald;

Du hätt'st getrunken Neuen:

Jetzt ist er wunderalt!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 260-263.
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