2.

[257] Als sie funfzehn Jahr gestanden,

Sah'n schon alle Steine grau,

Vieles hatten überstanden

Fürst zumal und Fürstenbau.


Denn das span'sche Kriegsgewitter

War gezogen durch das Land,

Doch am Thor die steinern' Ritter

Hielten unbezwungnen Stand.
[257]

Und die Linde vor den Thoren

Rauschte freudiglich darein,

Als von Fürstenhand erkoren,

Freie Wächterin zu sein.


Rauscht' und blühte funfzehn Jahre,

Bis ein Winter wieder kam,

Der den Herzog auf der Bahre

Von dem treuen Schlosse nahm.


Mit der welken Blätter Zittern

Flüsterte sein Baum darein,

Und das edle Paar von Rittern

Jetzo schien es erst von Stein.


Lehrer viel und Schüler wallen

Durch die Straßen schleichend bang,

Aus den Sälen, aus den Hallen

Tönt ein frommer Sterbgesang.


Doch die graue Landesveste

Zeuget noch von ihrem Herrn,

Hätten gleich die fremden Gäste

Sie zerstöret gar zu gern1.


Und der Baum der blüht noch immer

Seit manch hundert Sommern gut,

Ziert mit grüner Zweige Schimmer

Manchen freien Musenhut.


Horch, sie rauscht im Abendwinde,

Wandle, Herzog, durch dein Schloß,

Komm' und pflück' von deiner Linde

Einen frischen Blütensproß!

Fußnoten

1 Die Franzosen im Jahre 1688.


Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 257-258.
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