Der Gefangene auf Kyburg

[370] »Es gilt den armen, gefangenen Mann!

Wir helfen ihm aus Fessel und Bann!«

So ruft vor dem gethürmten Schloß

Des hellen, wilden Haufens Troß.
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Sie werfen den Feuerbrand in's Haus,

Sie treiben den alten Ritter aus,

Sie hauen zusammen Herrn und Gesind,

Und brechen in Küch' und Keller geschwind.


Sie halten unter die Fässer den Mund

Und trinken sie aus bis auf den Grund,

Und schnarchen über dem Herrentisch;

Am dritten Morgen erstehen sie frisch.


»Wo ist der arme, gefangene Mann,

Daß er sich mit uns freuen kann!

Hervor, du guter Bruder, hervor,

Wir sprengen dir dein Eisenthor.«


Da lag er drunten längst erstickt

Vom Feuer, dran sie sich erquickt;

Verschmachtet lag er in Schutt und Rauch,

Es leckt' an ihm der Flamme Hauch.


Sie aber schickten sich zu ziehn,

Sie ließen liegen und modern ihn.

Laut sangen die satten, trunkenen Knecht':

»Wir haben den armen Mann gerächt!«

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 370-371.
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