Sechste Szene

[82] Ein offner Platz in der Nachbarschaft der Abtei Swinstead.


Der Bastard und Hubert begegnen einander.


HUBERT.

Wer da? He, sprecht! und schnell! Ich schieße sonst.

BASTARD.

Gut Freund! Wer bist du?

HUBERT.

Englischer Partei.

BASTARD.

Und wohin gehst du?

HUBERT.

Was geht's dich an? Kann ich nach deinen Sachen

Dich nicht so gut wie du nach meinen fragen?

BASTARD.

Ich denke, Hubert.

HUBERT.

Dein Gedank' ist richtig.

Ich will auf jegliche Gefahr hin glauben,

Du seist mein Freund, der meinen Ton so kennt.

Wer bist du?

BASTARD.

Wer du willst; beliebt es dir,

So kannst du mir die Liebe tun, zu denken,

Ich sei wohl den Plantagenets verwandt.

HUBERT.

O kränkend Wort! – Du und die blinde Nacht

Habt mich beschämt: verzeih' mir, tapfrer Krieger,

Daß Laute, die von deiner Zunge kamen,

Entschlüpft sind der Bekanntschaft meines Ohrs.

BASTARD.

Kommt, ohne Förmlichkeit: was gibt es Neues?

HUBERT.

Hier wandr' ich, in den schwarzen Brau'n der Nacht,

Nach Euch umher.

BASTARD.

Kurz denn: was ist die Zeitung?

HUBERT.

Oh, bester Herr! Zeitung, der Nacht gemäß,

Schwarz, trostlos, fürchterlich und grausenvoll.[82]

BASTARD.

Zeigt mir den wund'sten Fleck der Zeitung nur:

Ich bin kein Weib, ich falle nicht in Ohnmacht.

HUBERT.

Den König, fürcht' ich, hat ein Mönch vergiftet.

Ich ließ ihn sprachlos fast, und stürzte fort,

Dies Übel Euch zu melden, daß Ihr besser

Euch waffnen möchtet auf den schnellen Fall.

Als wenn Ihr es bei Weil' erfahren hättet.

BASTARD.

Wie nahm er es? Wer kostete vor ihm?

HUBERT.

Ein Mönch, so sag' ich, ein entschloßner Schurke,

Des Eingeweide plötzlich barst; der König

Spricht noch und kann vielleicht davon genesen.

BASTARD.

Wer blieb zur Pflege Seiner Majestät?

HUBERT.

Ei, wißt Ihr's nicht? Die Herrn sind wieder da

Und haben den Prinz Heinrich mitgebracht,

Auf des Gesuch der König sie begnadigt,

Und sie sind all' um Seine Majestät.

BASTARD.

Besänft'ge die Entrüstung, großer Himmel,

Versuche nicht uns über unsre Kräfte! –

Hör' an, mein halbes Heer ist diese Nacht

In jener Nied'rung von der Flut ereilt:

Die Lachen Lincolns haben sie verschlungen,

Ich selbst bin wohlberitten kaum entwischt.

Fort! Mir voran! Führ' mich zum König hin;

Ich fürchte, er ist tot, noch eh' ich komme.


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 82-83.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Johann
King John / König Johann: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
William Shakespeare's Dramatische Werke: König Johann (German Edition)

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon