Zweite Szene

[155] Garten.


Julia und Lucetta treten auf.


JULIA.

Jetzt sprich, Lucetta, denn wir sind allein:

Du rätst, ich soll mein Herz der Lieb' eröffnen?

LUCETTA.

Ja, Fräulein, schließt Ihr's der Vernunft nicht zu.

JULIA.

Doch von der schönen Auswahl edler Männer,

Die im gesell'gen Kreis ich täglich sehe,

Wer scheint am meisten dir der Liebe wert?

LUCETTA.

Ich bitt' Euch, nennt sie mir, so sag' ich Euch

Nach schwacher, schlichter Einsicht meine Meinung.

JULIA.

Wie denkst du von dem schönen Eglamour?

LUCETTA.

Er ist ein Ritter, wohlberedt und fein;

Doch wär' ich Ihr, er würde nimmer mein.

JULIA.

Wie denkst du von dem reichen Herrn Mercatio?

LUCETTA.

Von seinem Reichtum gut, von ihm so so.[155]

JULIA.

Nun sprich, wie du vom jungen Proteus denkst?

LUCETTA.

O Torheit! wie du uns so ganz befängst!

JULIA.

Sein Name schon kann dir Besinnung nehmen?

LUCETTA.

Verzeiht, mein Fräulein, denn ich muß mich schämen.

Glaubt Ihr, daß ich Unwürd'ge schätzen kann

Solch anmutvollen, edlen, jungen Mann?

JULIA.

Warum nicht Proteus, wie die andern Gäste?

LUCETTA.

Nun denn, von Guten scheint er mir der Beste.

JULIA.

Dein Grund?

LUCETTA.

Kein andrer ist's, als eines Weibes Grund;

Er scheint mir so, nur weil er mir so scheint.

JULIA.

So rätst du, meine Lieb' auf ihn zu werfen?

LUCETTA.

Ja, glaubt Ihr nicht die Liebe weggeworfen.

JULIA.

Er nur allein bewegte nie mich schmerzlich.

LUCETTA.

Doch er allein nur liebt gewiß Euch herzlich.

JULIA.

Er spricht fast nie: das ist nicht Leidenschaft.

LUCETTA.

Verdecktes Feuer brennt mit größrer Kraft.

JULIA.

Nicht liebt, wer nimmer offenbart die Liebe.

LUCETTA.

Und minder liebt, wer andern zeigt die Liebe.

JULIA.

Oh! wüßt' ich, wie er denkt!

LUCETTA.

Lest, Fräulein, dies Papier!

JULIA.

»An Julia.« Sprich, von wem?

LUCETTA.

Der Inhalt sagt es Euch.

JULIA.

Doch sprich: wer gab es dir?

LUCETTA.

Der Page Valentins, den, denk' ich, Proteus schickte;

Euch wollt' er's geben selbst, doch ich kam ihm entgegen,

Empfing's an Eurer Statt; verzeiht, war ich verwegen.

JULIA.

Bei meiner Sittsamkeit! Du, Liebesbotin?

Wagst du, verliebte Zeilen anzunehmen?

Verschwörung, Fallstrick' meiner Jugend legen?

Nun, auf mein Wort, das ist ein ehrbar Amt,

Und du Beamter, schicklich für die Würde.

Da nimm das Blatt, laß es ihm wieder geben;

Sonst komm du nie vor meine Augen wieder!

LUCETTA.

Der Liebe Dienst soll Lohn, nicht Haß gewinnen.

JULIA.

So gehst du nicht?

LUCETTA.

Nun könnt Ihr Euch besinnen.


Lucetta geht ab.[156]


JULIA.

Und doch, – hätt' ich den Brief nur durchgelesen!

Doch Schande wär's, sie wieder herzurufen,

Bitten um das, was ich Verbrechen schalt.

Die Närrin! weiß, daß ich ein Mädchen bin,

Und zwingt mich nicht, daß ich den Brief erbreche.

Nein sagt ein Mädchen, weil's die Sitte will,

Und wünscht, daß es der Frager deut' als Ja.

Pfui! Wie verkehrt ist diese tör'ge Liebe:

Ein wildes Kindchen, kratzt sie erst die Amme

Und küßt in Demut gleich darauf die Rute.

Wie ungestüm schalt' ich Lucetta fort,

Da ich so gern sie hier behalten hätte!

Wie zornig lehrt' ich meine Stirn sich falten,

Da innre Lust mein Herz zum Lächeln zwang!

Die Strafe sei, daß ich Lucetta rufe

Und meine vor'ge Torheit so vergüte.

Heda! Lucetta!


Lucetta kommt zurück.


LUCETTA.

Was befiehlt Eu'r Gnaden?

JULIA.

Ist noch nicht Essenzeit?

LUCETTA.

Ich wollt', es wär';

Dann kühltet Ihr den Zorn an Eurer Mahlzeit,

Statt an der Dienerin.

JULIA.

Was nimmst du auf

So hastig?

LUCETTA.

Nichts.

JULIA.

Weshalb denn bückst du dich?

LUCETTA.

Ich nahm ein Blatt auf, das ich fallen ließ.

JULIA.

Und ist das Blatt denn nichts?

LUCETTA.

Nichts, was mich angeht.

JULIA.

Dann laß für die es liegen, die es angeht!

LUCETTA.

Es wird für die nicht lügen, die es angeht,

Wenn es nicht irgendeiner falsch erklärt.

JULIA.

Es schrieb dir ein Verehrer wohl in Versen?

LUCETTA.

Daß ich's im rechten Tone singen möge.

Gebt mir die Weis': Ihr, Fräulein, könnt sie setzen.

JULIA.

Für solchen Tand, so leicht als möglich ist:

Drum sing es in dem Ton leichtsinn'ge Liebe.[157]

LUCETTA.

Es ist zu schwer für solchen leichten Ton.

JULIA.

Zu schwer? So ist es wohl vierstimm'ger Satz?

LUCETTA.

Es ist melodisch nur, singt Ihr's allein.

JULIA.

Warum nicht du?

LUCETTA.

Es ist für mich zu hoch.

JULIA.

Zeig' her dein Lied! – Nun, Schätzchen, was ist das?

LUCETTA.

Nein, bleibt im Ton, wollt Ihr's zu Ende singen;

Und doch gefällt mir dieser Ton nicht recht.

JULIA.

Weshalb denn nicht?

LUCETTA.

Er ist zu schneidend, Fräulein.

JULIA.

Du bist zu vorlaut.

LUCETTA.

Nein, nun wird es matt.

Einstimm'ges Lied hat keine Harmonie;

Die Mittelstimme fehlt.

JULIA.

Die heisre Stimme

Der Mittlerin zerstört die Harmonie.

LUCETTA.

Proteus bedarf wohl der Vermittlung nicht.

JULIA.

Nicht länger ärgre mich all dies Geschwätz;

Welch ein verwirrtes Hin- und Her-Gerede! –


Sie zerreißt den Brief.


Geh, mach' dich fort! Laß die Papiere liegen;

Du hätt'st sie gern in Händen, mir zum Trotz.

LUCETTA.

Sie treibt es weit; doch wär's ihr wohl am liebsten,

Würd' sie durch einen zweiten Brief geärgert.


Lucetta geht ab.


JULIA.

Nein, könnte mich derselbe Brief nur ärgern!

Verhaßte Finger, Liebesschrift zerreißt ihr?

Mordsücht'ge Wespen, saugt des Honigs Süße

Und stecht zu Tod die Biene, die ihn gab? –

Zur Sühnung küss' ich jedes Stück Papier.

Sieh' –güt'ge Julia – hier; ungüt'ge Julia!

Und so, um deinen Undank zu bestrafen,

Werf' ich den Namen auf den harten Stein

Und trete höhnend so auf deinen Stolz. –

Oh! sieh, hier steht – der liebeswunde Proteus

Oh! Armer du! Mein Busen, wie ein Bett,[158]

Herberge dich, bis ganz die Wunde heilte;

Und so erprüf' ich sie mit heil'gem Kuß. –

Doch zwei-, dreimal steht Proteus hier geschrieben.

Still, guter Wind, entführe mir kein Stückchen,

Bis jedes Wort des Briefs ich wieder fand.

Nur meinen Namen nicht; den trag' ein Sturm

Zu einem furchtbar zackig schroffen Fels

Und schleudr' ihn dann ins wilde Meer hinab! –

Sieh, zweimal hier sein Nam' in einer Zeile –

Der arme Proteus, Proteus, gramverloren, –

Der süßen Julia. – Nein, das reiß' ich ab;

Doch will ich's nicht, da er so allerliebst

Ihn paart mit seinem schwermutsvollen Namen;

So will ich einen auf den andern falten:

Nun küßt, umarmt euch, zankt, tut, was ihr wollt!


Lucetta kommt zurück.


LUCETTA.

Fräulein, zur Mahlzeit, Euer Vater wartet.

JULIA.

Gut, gehn wir.

LUCETTA.

Wie, laßt Ihr die Papier' als Schwätzer liegen?

JULIA.

Hältst du sie wert, so hebe sie gut auf!

LUCETTA.

Schlecht nahmt Ihr's auf, da ich sie niederlegte;

Doch soll'n sie fort, daß sie sich nicht erkälten.

JULIA.

Ich seh', du hast zu ihnen ein Gelüst.

LUCETTA.

Ja, sagt nur immer, was Ihr meint zu sehn;

Auch ich seh' klar, denkt Ihr schon, ich sei blind.

JULIA.

Komm, komm! Beliebt's hinein zu gehn?


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 155-159.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden Veroneser
Shakespeare's dramatische Werke, Band 8: Die beiden Veroneser. Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Zwei späte Novellen der Autorin, die feststellte: »Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon