Fünfte Szene

[164] Vor den Toren von Florenz.


Feldmusik in der Ferne. Es treten auf eine alte Witwe aus Florenz, Diana, Violenta, Mariana, Bürger.


WITWE. Kommt nur mit, denn wenn sie näher an die Stadt rücken, verlieren wir das ganze Schauspiel.

DIANA. Man sagt, der französische Graf habe sich sehr rühmlich gehalten.

WITWE. Es heißt, er habe ihren ersten Feldherrn gefangen genommen und mit eigner Hand des Herzogs Bruder getötet. – Unsre Mühe ist vergeblich gewesen, sie haben einen andern Weg genommen; horch! Ihr könnt es an ihren Trompeten hören.

MARIANA. Kommt, kehren wir wieder zurück und begnügen uns an der Erzählung! Hüte dich nur vor dem französischen Grafen, Diana; die Ehre eines Mädchens ist ihr Ruf, und kein Vermächtnis ist so reich als Ehrbarkeit.

WITWE. Ich habe meiner Nachbarin erzählt, wie Ihr von einem seiner Kavaliere verfolgt worden seid.

MARIANA. Ich kenne den Schurken, der Henker hole ihn! Es ist ein gewisser Parolles, ein nichtswürdiger Helfershelfer des jungen Grafen für solche Streiche. Nimm dich vor ihnen in acht, Diana; ihre Versprechungen, Lockungen, Schwüre, Liebeszeichen und alle diese Künste der Verführung sind das nicht, wofür sie sich ausgeben; schon manche Jungfrau ist durch sie verleitet worden, und leider vermag das Beispiel, das uns verlorne Unschuld so furchtbar erblicken läßt, dennoch nicht von der Nachfolge abzuschrecken, sondern viele kleben an der Leimrute, die ihnen droht. Ich hoffe, ich brauche dich nicht weiter zu warnen; deine Tugend, hoffe ich, wird dich erhalten, wo du stehst, wäre auch keine weitre Gefahr dabei sichtbar, als der Verlust deines guten Rufs.

DIANA. Ihr sollt nicht Ursache haben, meinetwegen besorgt zu sein.


Helena tritt auf, als Pilgerin verkleidet.[164]


WITWE. Das hoffe ich. Seht, da kommt eine Pilgerin: ich weiß, sie wird in meinem Hause herbergen wollen, dahin weisen sie stets einer den andern. Ich will sie fragen: –

Gott grüß' Euch, Pilgerin; wo denkt Ihr hin? –

HELENA.

Zum ältern Sankt Jakobus.

Wo finden Pilger Wohnung? Sagt mir an!

WITWE.

Beim Franziskanerkloster, hier am Tor.

HELENA.

Ist dies der Weg?

WITWE.

Jawohl, das ist er. – Horcht!


Kriegsmusik in der Ferne.


Sie kommen doch hieher. Wollt Ihr noch warten,

Bis daß der Zug vorüber,

So zeig' ich Euch den Weg in Eu'r Quartier;

Denn Eure Wirtin, müßt Ihr wissen, kenn' ich

Ganz wie mich selbst.

HELENA.

Ihr selber seid die Wirtin?

WITWE.

Zu dienen, heil'ge Pilgerin.

HELENA.

Ich dank' Euch,

Und warte hier, solang' es Euch beliebt.

WITWE.

Ihr kommt aus Frankreich, denk' ich?

HELENA.

Ja, von dort.

WITWE.

Dann sollt Ihr einen tapfern Landsmann sehn,

Der sich viel Ruhm erwarb.

HELENA.

Sein Nam', ich bitt' Euch?

DIANA.

Der Graf von Roussillon; kennt Ihr ihn schon?

HELENA.

Von Hörensagen, und man rühmt ihn sehr;

Gesehn hab' ich ihn nie.

DIANA.

Wie er auch sei,

Hier gilt er viel. Er floh aus Frankreich heimlich,

Erzählt man, weil der König ihn vermählt

Entgegen seiner Neigung. Ist das wahr?

HELENA.

Ja wohl ist's wahr! Ich kenne seine Frau.

DIANA.

Hier ist ein Edelmann in seinem Dienst,

Der spricht gering von ihr.

HELENA.

Wie heißt der Mann?

DIANA.

Monsieur Parolles.

HELENA.

Nun, ich geb' ihm recht;[165]

Denn in Betracht der Würd' und Trefflichkeit

Des hohen Grafen selbst ist sie zu niedrig,

Um oft erwähnt zu sein. All ihr Verdienst

Ist strenge Sittsamkeit; und diese hört' ich

Noch nie in Zweifel ziehn.

DIANA.

Ach, arme Dame!

Das nenn' ich bittre Qual, vermählt zu sein

Dem Mann, der uns verabscheut! –

WITWE.

Gewiß! Das liebe Kind! Wo sie auch sei,

Sie muß viel dulden. Seht, dies Mädchen könnt' ihr

Gefährlich werden, wollte sie's.

HELENA.

Wie meint Ihr?

Stellt der verliebte Graf vielleicht ihr nach

In unerlaubter Absicht?

WITWE.

Ja, das tut er,

Und lockt mit allem, was in solcher Werbung

Der zarten Ehre eines Mädchens droht.

Doch sie ist auf der Hut und schützt sich selbst

Durch ehrbar Widerstreben.


Bertram, Parolles, Soldaten marschieren über die Bühne.


MARIANA.

Gott verhüt' auch,

Daß es je anders sei!

WITWE.

Sie kommen jetzt: –


Dies ist Anton, des Herzogs ältster Prinz;

Dies Escalus.

HELENA.

Und der Franzose?

DIANA.

Dieser!

Der mit der Feder: 's ist ein feiner Mann;

Ich wollt', er liebte seine Frau; weit hübscher

Fänd' ich ihn, wär' er treu. – Ist er nicht artig? –

HELENA.

Ja, er gefällt mir wohl!

DIANA.

Schade, daß er nicht treu! – Da, seht den Schurken,

Der ihn verführt; ja, wär' ich seine Frau,

Dem Buben gäb' ich Gift.

HELENA.

Wer ist es denn?

DIANA. Der Geck mit all den Bändern. Warum ist er wohl melancholisch?[166]

HELENA. Er ward vielleicht in der Schlacht verwundet.

PAROLLES. Die Trommel zu verlieren! – Nun –

MARIANA. Er scheint gewaltig verdrießlich. Seht, er hat uns ausgespäht.

WITWE. Wär' er doch am Galgen!

MARIANA. Und sein Grüßen dazu! Solch ein Gelegenheitsmacher!

Bertram, Parolles und Soldaten ziehn vorüber.


WITWE.

Der Zug ist nun vorbei. Kommt, Pilgerin,

Ich bring' Euch unter Dach; vier oder fünf

Bußfert'ge Waller nach Sankt Jakobs Grab

Sind schon in meinem Haus.

HELENA.

Ich dank' Euch bestens! –


Will unsre Wirtin und dies art'ge Mädchen

Mit uns zu Abend speisen? Kost und Dank

Nehm' ich auf mich, und gäb' als Zahlung gern

Noch einige Lehren dieser Jungfrau mit,

Die wohl zu brauchen sind.

BEIDE.

Wir danken freundlich!


Alle gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 164-167.
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