Wiegenlied

[26] Im Namen einer Freundin


Schliess' die blauen Augen zu,

Schlummre sanft in süsser Ruh,

Holdes Kind der Liebe!

Dich umschliesst mein treuer Arm,

Unaussprechlich süss und warm

Ist die Mutterliebe.


Schliess' die Aeuglein zu geschwind!

Hörst du, liebes süsses Kind?

Schlummr' in frohen Träumen,

Wie die Unschuld, sanft und süss,

Einst im goldnen Paradies

Unter Lebensbäumen!


Dann erwach' zu neuer Lust,

Freudig reich' ich dir die Brust:

Trink in langen Zügen!

Deine Mutter stillet dich,

Keinen Miethling liess sie sich

Rauben dies Vergnügen.
[27]

Welch Entzücken, welches Glück,

Wenn dein froher satter Blick

Dankbar mich belohnet.

Wenn Bewustseyn: »meine Pflicht,

Theures Kind! versäumt' ich nicht,«

Mir im Busen wohnet!


Rosen glühen, Blüthen weh'n

Allenthalben wunderschön

Ueber Thal und Höhen!

Fürchte nichts, ich bleibe hier,

Bleibe, bis du kannst mit mir

Durch die Fluren gehen!


O der Wonne, die alsdann

Unsrer harret, kleiner Mann!

Wenn im Frühlings-Fächeln

Deine seidne Löckchen wehn,

Deine Blicke, zart und schön,

Mir im Grünen lächeln!


Und wenn deines Vaters Arm

Uns dann liebevoll und warm

An den Busen schliesset! –

Seiner Züge holder Blick

Stralt aus deinem mir zurück,

Sehnsuchts-Thränen! fliesset!
[28]

Hier an meiner treuen Brust

Weih' ich dich zu Schmerz und Lust

Für dies Erdenleben!

Werde deiner Väter werth:

Was den Mann von Tugend ehrt,

Sey einst dein Bestreben!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 26-29.
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