[Da Jesus an dem Creutze stund]

Da Jesus an dem Creutze stund,

Mit blut gantz vberschossen,

Von haupt biß zu den füssen wund,

Hat mich gar sehr verdrossen,[204]

Daß noch die Sonn in vollem brand

Mit ihren gülden wagen

Thet vberfahren alle land;

Bat Gott, er drein wolt schlagen.


O Gott, sprach ich, laß eylend doch

Laß roß, vnd wagen stürtzen,

Der freche tag geht vill zu hoch;

Schnell wollest ihn verkürtzen:

Stell nur, stell ein: all sonnen schein,

Das liecht mag ich nit leiden;

Weill ich nit kan: mehr schawen an

Mein lieb am Creutz verscheiden.


Die dunckel nacht: mir baß behagt,

Wans käm den lufft erschwertzen,

Vnd deckt in ruh: mein Jesum zu;

Daß niemand seh den schmertzen.

Kom nur mit macht: o schwartze nacht:

Mein Jesum solst bedecken

Er hengt in noth: ringt mit dem tod:

Es grawset mich vor schrecken.


Ach wicklet ein: den liebsten mein,

Ihr finsternüssen schwere,

Daß ich nit seh: sein großes weh

Mich kräncket vil zu sehre.

Ade, ade: nit scheinet meh,

Sonn, Mon, vnd himmel Sterne

Bin gar bereit: zu leben alzeit,

Im duncklen also gerne.


Nur trawrigkeit: nur hertzen leid

Werd ich hinfürter treiben,

Dich gar ô welt, hab abgestelt

An dir werd mich nit reiben.

Einmahl ich war: in tods gefahr;

Schier war ich vnter gangen

Da kam zu steur: der held so theur,

Für mich wolt selber hangen.
[205]

Mit starckem lauff: zum Creutz hinauff

Sich that er hoch erschwingen,

Für mich da starb: mirs heil erwarb:

O Gott, was wunder dingen!

Du frommer held: wans dir gefelt,

Laß dich vom Creutz herabe,

Daß dich mitt frist; weil storben bist

Im hertzen mein begrabe.

Quelle:
Friedrich Spee: Sämtliche Schriften, Band 2, München 1968, S. 198-199,204-206.
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