Fünftes Kapitel

[37] Für Albrecht Winter rollten die nächsten Tage in dem gewohnten ausgefahrenen Geleise eben so fort. Lektionen abhalten, griechische, lateinische Exercitia, deutsche Aufsätze korrigieren, sich von seinen Sekundanern anstaunen lassen, mit den Kollegen in den Zwischenviertelstunden und in den Konferenzen »fachsimpeln« – die alte Leier, deren hohler Ton ihn manchmal zur Verzweiflung bringen wollte, mochte er andern noch so wohlgefällig in das anspruchslose Ohr klingen!

An den Abend bei dem Ministerial-Direktor dachte er mit sehr gemischten Gefühlen. Wenn er es recht überlegte, waren die Hoffnungen, in denen er sich während jener paar Stunden gewiegt, bunte Seifenblasen gewesen. Weshalb hatte man ihn eingeladen? Doch um seiner selbst willen wahrhaftig nicht. Doch nur, damit er sich des faulen Schlingels, des Oskar Sudenburg, annehme, der, die richtige Berliner Treibhauspflanze, eines Mentors freilich auch sehr dringend bedurfte. Man würde ihn sich in derselben Absicht noch ein- oder zweimal kommen lassen – natürlich nur zu den großen routs, wo er in der Menge verschwinden konnte – bis[37] er den Jungen nach Prima gelotst hatte, wo denn anstatt seiner der Kollege in Prima an die Reihe kam. Was war man denn diesen Aristokraten anderes als ein Werkzeug! Hatte es seinen Dienst gethan, warf man es zu dem alten Eisen. Die Socialdemokraten hatten ganz recht: jedes Zugeständnis, das sie unsereinem machen, wird ihnen durch die Not und die Furcht abgepreßt. Ganz vergebene Mühe, ihnen zu schmeicheln, um ihre Gunst zu buhlen! Den Fuß muß man ihnen auf den steifen Nacken setzen; ihre Herrlichkeit vor die Füße werfen – ihre freche, zusammengelogene und gestohlene, brutale Herrlichkeit! Ah, ein Luther! ein Luther! Nicht der Reformator der Kirche, die doch zerbröckelt und an der nichts mehr zu halten ist! Nein, der die eisernen Fessel sprengt, mit denen die Junker und ihre Spießgesellen ein mündig gewordenes Volk noch immer einzwängen! die schandbaren Fessel, an welchen sie in den Bauernkriegen schon gerüttelt haben, die Armen und Elenden – meine Ahnen! Deren Söhnen einzig und allein noch frisches, kraftvolles Blut durch die Adern rollt! einzig und allein noch der Funke der Freiheit die Herzen erglühen macht!

Und während Albrecht so in der Phantasie die Welt in Trümmer schlug, raunte ihm eine leise Stimme ins Ohr: möchte sie doch bestehen und bleiben, wie sie ist, könntest Du einmal, nur einmal von ihren Lippen die Worte hören: ich liebe Dich!

Er durfte sich sagen, und sagte es sich diese Tage wieder und wieder, daß er es für seine Verhältnisse erfreulich weit in seinem Berufe gebracht habe, und nach menschlicher Berechnung noch ein gut Stück weiter bringen werde. Und hatte sich auch der Lorbeer des Dichters[38] noch immer nicht auf seine Stirn senken wollen, über kurz oder lang mußte es doch geschehen: nannte man die besten Namen, würde man auch den seinen nennen. Aber die Anerkennung des Gelehrten, den Ruhm des Dichters und alles hätte er freudig hingegeben für die Erfüllung des großen Traumes seines Lebens: geliebt zu werden von einer Frau, wie – wie – nun ja, beim Himmel! wie die, an deren Seite er an jenem Abend gesessen hatte! Das wäre sein Adelsdiplom gewesen! Die Bürgschaft dafür, daß er, der arme Bergmannssohn, ebenbürtig war den Hoch- und Höchstgeborenen! Daß nicht, was er mit andern teilte: sein bißchen Wissen und Können, ihm zum Siege verholfen bei des Lebens olympischen Spielen, sondern das Beste, was der Mensch ist und hat und das er mit niemand teilen kann und worauf er für sein Teil deshalb von jeher den höchsten, ja, einzig und allein Wert gelegt hatte: seine Persönlichkeit.

Eine Stunde lang hatte er sich in diesem holden Traum gewiegt. Sein Ideal, das nur immer, eine goldene Morgen- und Abendwolke, in unerreichbarer Ferne vor seines Geistes Aug' dahingeschwebt war – hier hatte es in wonnesamster Leibhaftigkeit vor ihm gestanden: die hohe, schlanke Gestalt, die feinen, aristokratischen Züge, die großen, stolzen Augen, das reiche, weiche, dunkle Haar, der königliche Anstand, die lässige Anmut jeder, auch der kleinsten Bewegung, die etwas tiefe, metallische Stimme selbst – er hatte sich in jener seligen Stunde immer wieder gefragt: ist es denn möglich? kann es denn sein? hat denn wirklich endlich der Himmel Barmherzigkeit geübt und will den brennenden Durst löschen des Verschmachtenden in der Wüste?[39]

Und er hatte an dem labenden Quell getrunken mit vollen, gierigen Zügen! ihr holdseliges Wesen in sich gesogen mit dem süßen Duft, der von ihrem Haar auszuströmen schien und sie umwitterte wie eine köstliche Sommergartenblume! ihr hoheitsvolles Bild eingegraben in sein Gedächtnis, daß es dastand in leuchtender Schöne, wie von eines Raphael, eines Tizian Hand gemalt, tagsüber, wo er ging und stand, im Dunkel der Nacht selbst, wenn er das schlummerlose tief in die Kissen drückte, damit Klara, die nebenan mit den Kindern schlief, sein verzweifeltes Stöhnen nicht hörte!

Die gute Klara, die nicht ahnte, was Furchtbares das unselige Weib in seinem Herzen angerichtet hatte! Und daß, wenn er sich von dem Graus lösen konnte – und er war jetzt sicher, er zu können – er es ihr und ihr allein verdankte! Denn an dem Empfang, den die hochmütige Aristokratin seiner Gattin zu bereiten gewagt hatte, war er zur Besinnung gekommen. Ah! dies verächtliche Zucken der Nasenflügel! Dies hohnvolle Lächeln! Diese demütigende Herablassung, mit der sie der Ärmsten dann schließlich doch die Hand gereicht – oder waren es nur ein paar Finger? – Wenn er ihr das vergaß – und daß er selbst in dem Moment für sie Luft gewesen – verflucht wollte er sein in diesem Leben und in jenem, wenn es eines gab!

Nun ja, er hätte die Vorstellung unterlassen können. Wenn er es nicht gethan, die sich Sträubende fast zu dem Schritt gezwungen hatte, so war es doch aus einem Gefühl heraus gewesen, dessen er sich nicht zu schämen brauchte. Er wollte durch diese Gesellschaft nicht als ein Komödiant gegangen sein, der, mit einer Frau hinter[40] sich, die Rolle des flotten Junggesellen spielt. Und ihr, der er gesagt hatte, daß er ärmster Bergleute Sohn sei, weshalb ihr die Dorfschulmeistertochter unterschlagen, mit der er da oben auf den Bergen gespielt und Vogelnester gesucht und sich verlobt, als er auf die Universität ging; und der er Treue bewahrt die langen, langen Jahre unendlicher Arbeit durch Hunger und Kummer, bis er sie endlich als sein eheliches Weib heimführen konnte.

Hatte er es denn je zu bereuen gehabt?

Nein, und tausendmal nein!

Wie einfach und unscheinbar sie sein mochte, – das war für ihn Axiom: es gab keine bravere Frau, keine sorgsamere Mutter; keine, die ihn inniger liebte, es so treu und ehrlich mit ihm meinte, wenn auch manchmal ihre Formen zu wünschen ließen und ihre Rede hätte gewählter sein können. Was brauchte sie, der es stets ernst war mit dem, was sie sagte, Worten nachzujagen? Traf sie darum nicht doch immer den Nagel auf den Kopf? Hatte sie es nicht wieder diesmal gethan, als sie für sich die Einladung zu dem Ball nicht annehmen wollte und sagte: wenn Du es den Leuten schuldig zu sein glaubst und Du Dir etwas von dem Verkehr in dem Hause versprichst, – obgleich ich nicht recht sehen kann, was, und mit großen Herren ein für allemal schlecht Kirchen pflücken ist – nun, so gehe in Gottes Namen hin; aber mich laß zu Haus! Ich passe nicht dahin. Wenn Du eine Frau wolltest, mit der Du Staat machen konntest, hättest Du eine andere heiraten müssen. Ich gehöre ins Haus und in die Kinderstube. Unter all den feinen und geputzten Leuten werde ich eine traurige Rolle spielen und Dir nur im Wege stehen, wenn Du[41] auch meinst, Du könntest mich so mit durchschleppen, und man würde mich Dir Deinethalben abnehmen.

Ja, das hatte er gemeint, wenn er sich auch weislich gehütet hatte, es zu sagen. Er hatte gemeint: man wird es Dir in den Kreisen zur Ehre anrechnen, daß Du, der Du zu ganz andern Ansprüchen berechtigt bist, treu zu der kleinen, unscheinbaren Frau hältst. Es ist wahr: während der Stunde bei Tisch hatte er sie in dem Taumel seines Entzückens vergessen, bis die Rede auf seine Abstammung kam, er vielmehr die Rede darauf brachte, um nun von seinem bescheidenen Lehrerhaushalt zu sprechen und dem Vivitur parvo bene des Horaz und seiner guten, kleinen Frau. Und gerade da mußte die Tafel aufgehoben werden! Gerade in dem Moment, als das aristokratische Eisen zu glühen begann, es nur vielleicht noch eines geschickten Schlages bedurft hätte, daß der Funke heraussprang: ich muß Ihre Frau kennen lernen! Die Frau eines Mannes, wie Sie, kann nicht anders als eine Elite-Natur sein, die ich zu meiner Freundin machen, die ich lieben werde!

O, des Thoren, der er gewesen war! des jämmerlichen Thoren, der sich eine volle Stunde lang am Narrenseil hatte führen lassen, um – dahin geschickt zu werden, wohin die Narren gehören!

Gut! es war ihm eine Lehre gewesen, die er nicht wieder vergessen würde. Von Stund an wollte er nur seinem Berufe leben.

Und wenn er auch das Träumen nicht würde lassen können – wer kann dem Seidenwurm verbieten zu spinnen! – er wollte fürder nie wieder in diese Schwäche verfallen; sich immer bewußt bleiben, daß die Wirklichkeit[42] Wirklichkeit ist und die Träume Träume sind! Und nur ein unklarer Kopf beide durcheinander mischt!

Er war kein unklarer Kopf – er nicht! –

Es war inmitten eines solcher Selbstgespräche, die Albrecht in diesen Tagen endlos hielt, daß Auguste, der Familie Mädchen für alles, ihm ein Briefchen brachte, dessen Aufschrift von unbekannter, offenbar weiblicher Hand sein Herz schlagen machte. Bereute sie die kalte Grausamkeit, mit der sie ihn verabschiedet hatte? wollte sie Abbitte leisten? Sollte er ihr verzeihen?

Mit bebenden Händen erbrach er das Billet, hastig nach der Unterschrift blickend: Stephanie Sudenburg!

Also nur eine neue Einladung! Mit Dank abgelehnt! Selbstverständlich!

Nur daß der Brief für eine bloße Einladung ein wenig lang war!

Was also will man von mir?


Hochgeehrter Herr Professor!


Darf eine Gesellschaft junger Leute, die eben in strengster Heimlichkeit unter meinem Vorsitz bei uns tagt, sich in ihrer Rat- und Hilflosigkeit an Ihre bewährte Güte wenden und Sie bitten, Ihren Geist über ihr leuchten zu lassen! Ich will Sie und mich nicht lange mit der Vorrede aufhalten und gleich zur Sache kommen.

Heute über vierzehn Tage ist Papas – nebenbei sechzigster – Geburtstag. Es ist der lebhafteste Wunsch von uns Kindern und unsern Freunden, den Tag durch eine Festlichkeit zu feiern, von der wir annehmen dürfen, daß sie Papa ein Vergnügen bereiten wird. So weit sind wir alle einig; aber es scheint, wir kommen ohne die Beihilfe eines superioren Geistes darüber nicht hinaus.[43] Deshalb unser – wiederum einmütiger und einstimmiger – Appell an Sie. Raten Sie, helfen Sie uns! Daß Sie es können, wissen wir alle; daß Sie es wollen, daran zweifelt niemand. Wir geben uns ganz in Ihre Hand; Sie werden an uns eine willige, gehorsame Gefolgschaft finden.

Noch eines! Da der liebe Papa in seiner grenzenlosen Bescheidenheit dergleiche Ovationen – so sehr er sich nachträglich daran freut – grundsätzlich ablehnt, sind wir willens, vielmehr gezwungen, wenigstens so lange als möglich unser Vorhaben vor ihm geheim zu halten. Ein häufiges Zusammenkommen der Verschworenen – das doch jedenfalls nötig sein wird, und ja auch eigentlich der Hauptspaß bei der Sache ist – würde ihm zweifellos auffallen. In dieser Verlegenheit hat sich Frau Hauptmann von Meerheim (Mauerstraße 8 part.) freundlichst erboten, uns bei sich aufzunehmen. Wie ich von der liebenswürdigen Dame erfahre, haben Sie, hochgeehrter Herr Professor, so wohl ihre als auch des Herrn Hauptmanns, wenn auch nur flüchtige, Bekanntschaft neulich auf unserm rout gemacht. Sie beide freuen sich sehr, Sie bei sich zu sehen und bitten mich, Ihnen ausdrücklich zu sagen, daß Sie von einer vorhergehenden Visite dispensiert sind. Wie hochwillkommen uns Ihre verehrte Frau Gemahlin wäre, im Falle sie an unsern Kindereien Geschmack fände, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung.

Unsere nächste Zusammenkunft ist auf morgen (Sonnabend), 8 Uhr, abends anberaumt.

Wir hoffen zuversichtlich auf Ihr gütiges Erscheinen; speciell bitte ich um eine möglich umgehende Zeile, die uns unsere Zuversicht bestätigt.[44]

Die ich mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung und Bitte um Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin bin


Ihre

ergebenste

Stephanie Sudenburg.


P.S. Frau von Sorbitz, die mir fortwährend über die Schulter sieht, verlangt die Hinzufügung, daß sie mit dem Inhalt dieser Kritzelei nicht nur völlig einverstanden sei, sondern das Verdienst beansprucht, als die erste in unserer Versammlung Ihren Namen genannt uns auf die absolute Notwendigkeit, uns Ihrer Hilfe zu versichern, hingewiesen zu haben. Als ob das nötig gewesen wäre! Indessen will ich hiermit der Schmeichlerin, da sie gar so schön bittet, den Gefallen gethan haben.

D.O.


Albrecht hatte den in einer zierlichen Handschrift geschriebenen Brief in atemloser Hast durchflogen, bei dem Postskript hatten die Hände, die den Brief hielten, heftig gezittert.

Also doch!

Er ließ das Blatt auf den Odyssee-Kommentar fallen, in welchem er, als das Mädchen eintrat, eine Notiz für die Lektion heute gesucht hatte; sprang auf; fing an, mit großen Schritten in dem kleinen Zimmer hin und her zu gehen; blieb vor dem Spiegel stehen, um ein paar Momente höchst aufmerksam sein Gesicht zu betrachten und dann abermals seine Wanderung zu beginnen.

Also doch! Keine bunten Seifenblasen! keine täuschenden Träume! Was er in den großen stolzen Augen zu sehen geglaubt hatte, es war wirklich der Wiederschein[45] des Feuers gewesen, das in seiner Seele brannte! Denn von ihr allein ging dies aus – die Nachschrift, die köstliche Nachschrift bewies es ja deutlich! Nicht für ein Königreich hätte er diese Nachschrift hingegeben! Kein Mensch würde an ihn gedacht haben; aber sie, sie hatte mit ihrer schönen, kühlen, weißen Hand die Gelegenheit bei der Stirnlocke ergriffen – die Gelegenheit, mit ihm wieder zusammen zu kommen, mit ihm wieder beisammen zu sein, nicht einmal! wiederholt, eine vorläufig unabsehbare Reihe von Malen – man weiß ja, wie es bei dergleichen herzugehen pflegt! wie unersättlich die Leute nach Proben und immer wieder Proben sind!

Eine kleine, weinende Stimme, die aus dem zweiten Zimmer neben dem seinen kam, ließ ihn den schon erhobenen Fuß wieder niedersetzen und verstört um sich blicken.

Klara! Wie sollte er ihr das beibringen? plausibel machen! Sie würde ihn auslachen! Nein, auslachen nicht! Sie nahm ja alles ernsthaft – Gott sei es geklagt! Aber um so schlimmer! Die gründliche Beweisführung, daß er ein Narr sei, wenn er sich darauf einließ, und den vornehmen Herrschaften abermals nach der Pfeife tanzte! Er konnte ihr doch nicht sagen: nein, Schatz, diesmal liegt die Sache anders. Diesmal handelt es sich um – ja, großer Gott, um was denn?

Ja, um das! Um das einzig und allein!

Darum, mir den Beweis zu führen, daß ich kein thörichter Knabe bin, der sich durch ein paar heuchlerisch gütige Blicke aus schönen Augen, ein paar schmeichelhafte Worte von Sirenenlippen um sein bißchen Verstand bringen läßt. Ja, Du tapferer Griechenheld, Du sollst[46] mein Vorbild sein! Würden die Menschen noch heute von Dir singen und sagen, wärest Du daheim in Deinem kleinen Ithaka geblieben, mit dem Vater Laertes Reben planzend und dem göttlichen Sauhirten Wirtschaftsfragen erörternd, anstatt Dich durch die Welt zu schlagen, vieler Menschen Städte und Sinn kennen lernend, ja, und auch viele Leiden erduldend in Deiner Seele? Die vor allem! Ohne Leiden keine Leidenschaft! Ohne Leidenschaft keine Größe! keine Erfolge! kein Ruhm bei dem kommenden Geschlecht! Jacta est alea!

Er setzte sich an den Arbeitstisch, schob den Odyssee-Kommentar auf die Seite und schrieb mit fliegender Feder an Stephanie, daß er es sich zur Ehre schätze, dem verehrten Sudenburgschen Hause seine schwache Kraft zur Verfügung zu stellen. Zu der auf morgen abend anberaumten Zusammenkunft werde er sich pünktlich einfinden.

Sollte er Klara gleich jetzt von der Sache benachrichtigen? Es war besser, wenn er ihr mit einem fait accompli gegenüber trat. Mochte sie dann ihre Philippika halten; an der Sache war nichts mehr zu ändern.

Er mußte in die Schule. Angezogen war er bereits – nur noch den Überzieher und Hut und Handschuh. Noch heute morgen hatte er sich in seiner zerknirschten Stimmung gesagt, daß mit dem neuen Leben, welches er beginnen wolle, auch der Kleiderluxus – der einzige freilich, dessen er sich schuldig machte – aufhören müsse. Nun kam ihm doch die gewohnte Sorgfalt seiner Toilette zu statten. Er konnte nach dem Schluß der Schule um zwei Uhr, wie er ging und stand, seinen Besuch bei den Meerheims machen. Der Besuch war ihm freilich erlassen.[47] Aber diesen Aristokraten gegenüber muß man in der Beobachtung der Form lieber ein wenig zu viel thun als zu wenig.

Als er das Haus verließ, sah er, noch einmal emporblickend, Klara mit dem Baby am Fenster stehen. Er winkte mit der Hand hinauf; Klara ließ zur Antwort Baby auf dem Arm tanzen.[48]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 37-49.
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