9. Die Schein-keusche

[117] 1.

Gaminde sieht so ernstlich auß/

sie kan für allen Junggesellen

sich so verzumfen stellen/

wenn sie ihr sprechen zu:

daß man sie vor die keusche Dirne/

die auß Diespiters Gehirne

gebohren/ halten solt'[117]

Ey! keusche Pallas du/

weiß auff den Schild/ ich weiß/ er macht die Brüder starren

macht dich und sie zu Narren.


2.

Gaminde/ Stolze/ meinstu wol

man werd' auff deine Keuschheit bauen?

der geile Schmukk der Pfauen

verräht dich wer du bist.

Du blössest die begriffnen Brüste/

die keusche bergen solche Lüste

und gehn beschnürt herein.

Wo Keuschheit in dir ist

so laß doch einen Flor nur um die Ballen spielen.

Nein/ dir gefällt das Fühlen.


3.

Gaminde liegt zum Fenster auß

und spottet aller Jung-gesellen

die sich verliebet stellen.

Schaut/ Brüder/ in die Höh/

seht/ wie Gaminden keusche Wangen

im rotem Feuer angegangen/

beschaut sie/ forschet nach/

ob Pallas auch so seh'

ob ihr beernst Gesicht auß roter Menje blinke:

das Aas ist roht von Schminke.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 117-118.
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