[151] 1.
Was zükkstu denn zurükke/
wenn diese meine Hand
versuchen wil ihr Glükke?
fällt sie zu weit ins Land/
Rosille wenn sie rühret
was ihr ihr Jungfer Volk verdekket führet?
2.
Es wird einmahl doch kommen/
daß dir die grosse Scheu
Zu halten wird benommen.
Was meinstu? tieffe Reu
wird dich alsdenn umfassen/
wo du mir meine Lust auch hast gelassen.
3.
Die unkostbahren Tücher/
so du um dich getahn/
betasten frey und sicher
die süsse Wollust an:
den Händen/ die doch beben
wird so ein linder Strich nicht zugegeben.
4.
Ey! wärstu auß der Erden
in Indien erbaut/
wo alle Weiber werden
ganz nakkend angeschaut:
wolltstu dich dar auch schämen/
und einen schlechten Griff vor übel nehmen.
[152]
5.
Die Haut am ganzem Leibe/
ist/ dünkt mich einerley/
ob ich mich hieran reibe
und gehe dort vorbey/
ist schlecht zu unterscheiden
solltstu denn einen Drukk nicht können leiden.
6.
Die Haut wird doch nicht ringer
und bleibet unbeflekkt/
ob sich schon je ein Finger
darüber außgestrekkt.
Man wird diß an nicht sehen/
ist schon ein Ehren-griff wohin geschehen.
7.
Du weist/ ich bin verschwiegen
wo dir es darum ist
man möcht zuwissen kriegen/
daß meine Hand dich küßt:
so wil ich hoch verschweeren/
den Zulaß soll kein Mensch je auß mir hören.
8.
Drum zukke nicht zurükke/
wenn diese meine Hand
versuchen wil ihr Glükke.
Es ist doch nur ein Tand
zu fühlen das/ sich wehren/
was bald ein ander wird mit Macht zerstören.
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