4. Ehren-Griffe

[151] 1.

Was zükkstu denn zurükke/

wenn diese meine Hand

versuchen wil ihr Glükke?

fällt sie zu weit ins Land/

Rosille wenn sie rühret

was ihr ihr Jungfer Volk verdekket führet?


2.

Es wird einmahl doch kommen/

daß dir die grosse Scheu

Zu halten wird benommen.

Was meinstu? tieffe Reu

wird dich alsdenn umfassen/

wo du mir meine Lust auch hast gelassen.


3.

Die unkostbahren Tücher/

so du um dich getahn/

betasten frey und sicher

die süsse Wollust an:

den Händen/ die doch beben

wird so ein linder Strich nicht zugegeben.


4.

Ey! wärstu auß der Erden

in Indien erbaut/

wo alle Weiber werden

ganz nakkend angeschaut:

wolltstu dich dar auch schämen/

und einen schlechten Griff vor übel nehmen.
[152]

5.

Die Haut am ganzem Leibe/

ist/ dünkt mich einerley/

ob ich mich hieran reibe

und gehe dort vorbey/

ist schlecht zu unterscheiden

solltstu denn einen Drukk nicht können leiden.


6.

Die Haut wird doch nicht ringer

und bleibet unbeflekkt/

ob sich schon je ein Finger

darüber außgestrekkt.

Man wird diß an nicht sehen/

ist schon ein Ehren-griff wohin geschehen.


7.

Du weist/ ich bin verschwiegen

wo dir es darum ist

man möcht zuwissen kriegen/

daß meine Hand dich küßt:

so wil ich hoch verschweeren/

den Zulaß soll kein Mensch je auß mir hören.


8.

Drum zukke nicht zurükke/

wenn diese meine Hand

versuchen wil ihr Glükke.

Es ist doch nur ein Tand

zu fühlen das/ sich wehren/

was bald ein ander wird mit Macht zerstören.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 151-153.
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