5. Liebes-streit. Gedanken

[92] 1.

Ich sach mit einer einen scherzen/

da fiel die Rosilis mir ein.

Was? fiel erst Rosilis mir ein/

als ich die beyde sahe scherzen?

die Rosilis ist allzeit mein

und schwebet stets in meinem Herzen.


2.

Es schmazzten vier Korallen-Lippen/

da dacht' ich auff Rosillen hin.

Dacht' ich auff ihre Lippen hin/

als schmazzten vier Korallen-Lippen?

Nein! Lauter Rosen und Rubin

sind ihres roten Mundes Klippen.
[92]

3.

Ich sach zwey Liljen-Hände drükken/

so weiß auch ist Rosillen Hand.

Ist weisser nicht Rosillen Hand/

wenn sie die meinen pflegt zu drükken?

Nicht Schnee noch Wolle hält Bestand

für ihrer Hände silber-blikken.


4.

Ich sach vier Arme sich umfassen/

so liebt die Rosilis auch mich.

Wie? liebt die Rosilis so mich/

durch ihr besüßtes Arm-umfassen?

Die Tugend hat sie mehr bey sich/

was übrig/ wil sie zu- mir -lassen.


5.

Es waren in dem Busen Hände:

So treib' ichs mit Rosillen auch

Mein! leidet Rosilis diß auch/

und läßt darinnen deine Hände?

Rosill' hat dieses nicht im Brauch/

so wende nu dein Rühmen/ wende.


6.

Sie sahen sich beyd' an und lachten:

so/ dacht' ich/ lacht die Rosilis.

Wer sagt was von der Rosilis/

wie ich und Sie zusammen lachten?

Ja/ wenn ich Koridon schon hieß/

sprach' ich es nicht/ sie zu verachten.


7.

Es war nur ein Gemüht in zweyen:

so ist die Rosilis gesinnt.[93]

Ja/ freylich/ ist sie so gesinnt/

es lebt nur ein Geist in uns Zweyen.

Ach! sollt' ich Rosilis/ mein Kind/

darüber mich nicht herzlich freuen.


8.

Laß andre lachen/ laß sie klagen/

laß herzen/ scherzen und was mehr.

Ich dürff kein Zeugnüß/ Herze/ mehr/

als dein bey meinem hingehn/ klagen.

Rosille liebt mich noch so sehr/

als ich beschreiben kan und sagen.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 92-94.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Ein alternder Fürst besucht einen befreundeten Grafen und stellt ihm seinen bis dahin verheimlichten 17-jährigen Sohn vor. Die Mutter ist Komtesse Mizzi, die Tochter des Grafen. Ironisch distanziert beschreibt Schnitzlers Komödie die Geheimnisse, die in dieser Oberschichtengesellschaft jeder vor jedem hat.

34 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon