10. Laß die Verstorbenen ruhen

[59] 1.

Stirb Filidor/

Warum wilstu nicht willig sterben?

der Musen Chor

verspricht dir deines Nahmens Erben/

ob Florilis schon meinet/

daß niemand um dich weinet.


2.

Zwar Florilis

wird wegen deines Todes lachen/

Sie wird gewiß

sich lustig bey dem Sarge machen/

und auff dem Grabe singen

mit jauchzen und mit springen.


3.

Wird iemand denn

nach deinem Hinfall dein erwehnen/

wie/ wo und wenn:

so wird sie in der Grufft dich höhnen/

die abgefaulten Knochen

wird sie auch selbst bepochen.


4.

Doch denke nicht/

daß ich es dir wil/ Stolze/ schenken:[59]

ein bleich Gesicht/

das meinem gleichet/ soll dich kränken:

mein Geist soll um dich stehen/

und mit zu Bette gehen.


5.

Ein schweerer Traum

soll dich offt auß dem Schlaff' erwekken/

du glaubest kaum

wie ich alsdenn dich werd' erschrekken.

mit werffen und mit poltern

wil ich dein Leben foltern.


6.

Wird man auff dir

des Morgens blaue Flekken sehen/

sprich: daß von mir

zur Rache dieses sey geschehen.

wirstu einmal denn kranken

plag' ich dich mit Gedanken.


7.

Drum besser dich

dieweil es Zeit ist sich zu bessern.

Veriagstu mich

zu Acherontis Nebelwässern:

so hilfft alsdenn kein klagen/

wenn dich mein Geist wird plagen.


Des Zweiten Zehens Ende.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 59-60.
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Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

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