4. Keinem/ als mir

[48] 1.

Legere läst sich offters grüssen/

Legere läst sich offters küssen

und komm ich ungefehr darzu/

so spricht sie: Schaz/ es seind Verwanten/

sind meine Brüder und Bekanten

sonst täht' ich so nicht wie ich tuh.


2.

Legere/ laß die Possen bleiben/

laß dir den Mund nicht so bereiben/[48]

ich achte hier nicht Fug noch Recht.

Mir sind verdacht/ die Mutter/ Brüder

die Schwester/ Freunde; ja ein ieder

und wär' es meines Dieners Knecht.


3.

Vergib mir meine Furcht Legere.

Der Jungfer Lust wehrt keine Wehre/

wil sie/ so hilfft kein halten nicht.

Der ihr verwahrtes Schloß entgliedet/

der Schlüssel/ ist bereit geschmiedet

und niemand lebt/ dehm er gebricht.


4.

Es kan sich bald ein Schmeichler finden

der dein Gemühte kan entzünden

und wer' es auch so kalt als Eyß.

Ich kenne zarter Weiber Sinnen

wie schleunig der sie kan gewinnen/

der nur die rechten Griffchen weiß.


5.

Viel Weiber sind auß Griechen rüchtig

doch war nicht mehr als eine züchtig

die listige Penelope.

Rom hat nur eine treu beschrieben/

die ihren Ehmann konte lieben

die blutige Lukrezie.


6.

Ehr wird man schwarze Schwanen schauen/

die Raben weißlich sehen grauen/

den Schnee abschiessen Kohlen gleich:

als eine Jungfer sonder Wanken.

Ihr Tuhn/ ihr Reden und Gedanken

wird auff das leichtste Windchen weich.
[49]

7.

Drum/ wiltu fromm und Erbar heissen/

mustu/ Leger'/ auch dich befleissen

zumeiden allen argen Wahn.

Verdacht wächst leichtlich auß den Tahten.

Kind willstu meinem Eyffer rahten

so stell dich so bekant nicht an.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 48-50.
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