8. Liebe glaubt keinem Neide

[55] 1.

Und/ wo ich dirs/ Zelinde/ schenke

so heiß' ich Peilkarastres nicht.

Es denke doch nur einer/ denke/

was diese Marigelle spricht.

Ich wär' in ihr Gemach geschlichen

gleich als der Sonnen Gold verblichen

da hätt' ich mich wohin gelegt

wo sie geheim zuschlaffen pflegt.


2.

Mein! worzu dienen doch die Lügen?

der Teuffel hat diß Spiel gesehn.

hör! knarrten damahls auch die Stiegen

als ich wolt' in die Kammer gehn?

Gefiel dies/ da ich dich umschlunge

und mich an deine Seite drunge?

Sich/ Ruhm-maul/ wie bestehstu nu/

wer traute dir die Schnitte zu!


3.

Iezt fällt mirs ein. Das süsse Lieben/

daß ich mit Rosilen geführt/

hat dich zu solchem Fund getrieben

und mit der Neides-sucht gerührt.[55]

Nu merk' ich was es soll bedeuten/

daß du so neulich sachst zur Seiten/

als meine Lust/ Rosille kahm/

und mich sanfft in die Arme nahm.


4.

Es war nur um mich zuverstossen/

meinstu/ Rosille glaube dir?

Fürwahr/ du schlägest einen blossen/

mein Augen-wink gilt mehr bey ihr

als wenn du hundert-tausend Eyde

würdst schweeren mir und ihr zu Leide.

Rosille merkt es zugeschwind

was Falschheit/ Trug und Finten sind.


5.

Du willst uns zwar zusammen hezzen

kommst aber heßlich kaal darvon.

wir lachen der bescheinten Nezzen/

und sprechen allem Neide Hohn/

kein Fels ist je so fest gegründet

als unsre Liebe sich befindet.

Stürm immer zu. Wir stehen fest

als sich kein Berg bewegen läst.


6.

Drum denke nicht/ Zelinde/ denke

daß ein verfälschtes Lügen-Kind

Rosillen von mir abelenke.

Hättstu noch duppelt mehr ersinnt/

wird doch mein Schaz mich nimmer hassen

soltstu zerbersten und erblassen/

so liebt sie mich doch wie vorhin.

Gottlob/ daß ich nicht schüldig bin!


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 55-56.
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