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[39] Überall wird am Neujahrsabend und am Neujahrstage bei den Häusern geschossen, und jeder wünscht dem andern Glück. An manchen Orten gehen die Glückwünschenden scharenweise umher und singen, wofür ihnen aus den Häusern Geschenke gegeben oder Eß- und Trinkwaren gereicht werden. In Brake und Umgegend verkleiden sich wohl einige Leute und gehen mit Trommeln und Pfeifen und Topfdeckeln, auch wohl mit einem drehbaren Stern, von Haus zu Haus, um zu gratulieren, wofür sie dann mit Branntwein, mit Sirup, Grog, Krullkuchen traktiert werden. Sie singen geistliche Lieder und besondere Neujahrswünsche. Wo die Glückwünschenden nicht eingelassen werden, reiben sie die Wände mit Ziegelsteinen, eine auch im Butjadingerlande nicht selten angewandte Weise, den Bewohnern eines Hauses seinen Unwillen zu erkennen zu geben. Anderswo ziehen Erwachsene am Abende vor Neujahr (Oldejohrsoawend) durch die Straßen des Ortes und schlagen mit Knütteln an die Haustüren, oder man wirft Steine dagegen, zerbrochene Flaschen oder man nimmt mit Asche oder Unrat gefüllte Krüge und schleudert sie auf die Tenne. Ein anderer Scherz (?) besteht darin, am Abende und während der Nacht Karren, Wagen, Pflüge, Tore, Gartenbänke usw. fortzuschleppen,[39] zu verstecken, in Bäume oder auf das Dach zu bringen oder in einen Teich oder Bach zu werfen. – In Märschendorf bei Lohne schreiben sich die nächsten Nachbarn ein um das andere Jahr einen Brief, in denen versteckt oder offen jeder Hausgenosse in Reimform eine kleine pikante, doch nicht verletzende Note erhält. Der Brief wird unbemerkt überbracht. Wird der Überbringer gefaßt, so muß er die Epistel den versammelten Hausbewohnern vorlesen. Darauf wird er aufs beste bewirtet. Es gilt aber als Schande, sich fassen zu lassen. Ähnliche Bräuche mit Briefen bestanden früher mehrfach im Münsterlande. Gewöhnlich waren Kinder die Verfertiger und Überbringer der Briefe. – So wandern noch jetzt in der Gemeinde Lönigen am Sylvesterabend die Kinder eines Dorfes gemeinschaftlich von Haus zu Haus. In jedem Hause wird von einem Knaben oder Mädchen ein selbstverfertigter Brief, der Segenswünsche enthält, verlesen, worauf von seiten der Hausbewohner Gaben verabreicht werden. – In Oythe bei Vechta gingen am Abende vor Neujahr die Kinder von Haus zu Haus und einer sprach beim Eintritt:


Gauden Awend gude Wert (Wirt)

Mag ick dreimal um den Herd?


Darauf umkreiste die Schar dreimal das Herdfeuer. Danach wurde dem Sprecher eine Gabe verabreicht und der Empfänger empfahl sich mit den Worten:


»Ji hebt us eine gude Verehrung gäwen,

De lewe Godd lat jau in Freide läwen,

In Freide läwen immerdoar,

Tokum Joahr krieget Ji so lank Flaß.«


Bei den letzten Worten erhob er seinen Stock fast bis zum Hausboden. Der Vers wurde auch anderswo gesprochen, dann lautete der letzte Reim:


Wi wünsket jau ein glücksälig Neijohr.


Wurden die Kinder abgewiesen, dann stellten sie sich draußen vor der Türe auf und deklamierten:


Ji hewt us kine Verehrung gäwen,

De lewe Godd lat jau kine Stunde mehr läwen,

Kine Stunde mehr läwen, kinen Ogenblick,

Wi wünsket jau den Galgenstrick.


Im Ammerlande zieht noch jetzt das junge Volk in Verkleidung (Mädchen als Knaben und Jünglinge als Mädchen kostümiert)[40] und mit Masken vor dem Gesicht von Haus zu Haus und singt. Am Sylvesterabend zog in Lindern und Molbergen das junge Volk truppweise singend durch das Dorf, schoß vor jedem Hause, wo Einkehr gehalten werden sollte und begrüßte die Bewohner mit dem Wunsche: »Guten Abend, guten Abend! Alles Unglück dieses Hauses gehe zur Tür und zum Fenster hinaus. Wir wünschen Ihnen ein Haus von Holz und einen Tisch von Gold, mitten auf dem Tisch einen gebratenen Fisch, auf allen Ecken einen Römer mit Wein, da wollen wir alle recht lustig bei sein. Wir wünschen Ihnen einen Balken voll Garben und den Boden voll Roggen, die Ställe voll Rinder und eine Küche voll Kinder. Wir wünschen dem Hausvater und der Hausmutter soviel Glück und Segen, als Tropfen vom Himmel regnen, so viel fröhliche Stunden, als Worte aus ihrem Mund kommen.« – Danach gab es Kuchen und Branntwein, in späterer Zeit Bier. – Am Vorabende vor Dreikönigen derselbe Aufzug aber ohne obigen Verspruch. Man trat ins Haus und wünschte ein fröhliches Fest, darauf Bewirtung. Man sagt, der Glückwunsch sei ursprünglich plattdeutsch gesprochen.

Auf Stukenborg bei Vechta wurde am Abende des Neujahrstages von Kindern in Verkleidung ein Umzug (mit Singen) gehalten. Dabei trug einer das Skelett eines Pferdekopfes, in welchem ein Licht brannte, auf dem Haupte. Möglich, daß noch der eine oder der andere einen Pferdekopf trug, der Brauch besteht nicht mehr, und die Berichterstatter sind unsicher. Ob hier eine uralte Sitte vorlag, die auf Wodan Bezug hatte?

In Wildeshausen herrschte bislang die Sitte, daß von den beiden Nachtwächtern, wenn die Turmuhr am Sylvesterabende 12 geschlagen hatte, das Lied angestimmt wurde: Das alte Jahr vergangen ist, wir danken dir Herr Jesu Christ usw. Alsbald gesellten sich ihnen andere zu, welche das Lied fortsetzten, während die Nachtwächter auf ihren Hörnern bliesen. Singend und blasend zog der Haufen, der immer größer wurde, durch die Straßen, daß es dröhnte. Dabei flogen Steine und Scherben gegen die Haustüren der jählings aus ihrem Schlafe aufgeschreckten Bürger. Das dauerte bis zum anbrechenden Morgen. Am folgenden Tage gingen die Nachtwächter von Haus zu Haus, um für den in der Nacht gewährten Genuß ein Geldgeschenk in Empfang zu nehmen. – In Lohne besteht in einzelnen Familien die Geflogenheit, ins neue Jahr hineinzuspringen.[41] Sobald die Uhr ausholt zum letztmaligen Glockenschlage im alten Jahre, klettert ein jeder auf irgend einen erhöhten Gegenstand, sei es Tisch oder Stuhl oder Topf, und mit dem letzten Schlage der Uhr springt alles herunter. Als früher die Bauern in den großen Heiden der Ämter Cloppenburg und Friesoythe noch ansehnliche Schafherden weiden ließen, da war der Schäfer keine unwichtige Person im Hause. Das gab sich auch kund am Sylvesterabende. Im Gebiete der Garter Heide galt folgender Brauch: Ging am Abende des Sylvestertages als erstes ein Mutterschaf in den Koven, so erhielt der Schäfer einen Speckpfannkuchen; ging als erster ein Bock durch die Türe, so bekam der Schäfer nur eine Kruste Brot mit Salz. Deshalb fütterte der Schäfer kurz vor Neujahr fleißig den Bock, damit dieser bei ihm blieb (der Schäfer läßt bekanntlich die Herde immer vorausgehen) und nicht zuerst den Stall betrat. – In der Molberger Gegend ließ der Schäfer bei der Rückkehr vom Felde die Schafe vor dem Koven stehen, schoß ein Gewehr oder Terzerol ab oder schlug mit einem derben Knüppel so lange gegen die Stalltür, bis der Bauer kam und ihm ein Geschenk verabreichte. Dieses bestand entweder aus einem Geldstück oder aus Kuchen und einem halben Ohrt Branntwein. – In der friesischen Wede zogen früher Musikanten mit Geigen und Klarinetten am Sylvesterabende von Haus zu Haus. Wo sie einkehrten, wurden den Gästen Kringel und Branntwein mit Rosinen verabreicht. – Am Neujahrstage sucht jeder dem andern das neue Jahr »ab zu gewinnen«, d.h. ihm im Glückwünschen zuvorzukommen, das bringt Glück. Nur im Schaltjahre läßt man anderen den Vortritt. Unter den nachfolgenden Liedern sind die beiden ersten 1821 im Saterlande aufgezeichnet, übrigens nicht in dem dortigen Dialekt, sondern fast holländisch.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 39-42.
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