Das Glück von Edenhall

[226] Von Edenhall der junge Lord

Läßt schmettern Festtrommetenschall,

Er hebt sich an des Tisches Bord

Und ruft in trunkner Gäste Schwall:

»Nun her mit dem Glücke von Edenhall!«


Der Schenk vernimmt ungern den Spruch,

Des Hauses ältester Vassall,

Nimmt zögernd aus dem seidnen Tuch

Das hohe Trinkglas von Kristall,

Sie nennen's: das Glück von Edenhall.


Darauf der Lord: »Dem Glas zum Preis

Schenk roten ein aus Portugal!«

Mit Händezittern gießt der Greis,

Und purpurn Licht wird überall,

Es strahlt aus dem Glücke von Edenhall.


Da spricht der Lord und schwingt's dabei:

»Dies Glas von leuchtendem Kristall

Gab meinem Ahn am Quell die Fei,

Drein schrieb sie: kommt dies Glas zu Fall,

Fahr wohl dann, o Glück von Edenhall!


Ein Kelchglas ward zum Los mit Fug

Dem freud'gen Stamm von Edenhall;

Wir schlürfen gern in vollem Zug,

Wir läuten gern mit lautem Schall;

Stoßt an mit dem Glücke von Edenhall!«
[226]

Erst klingt es milde, tief und voll,

Gleich dem Gesang der Nachtigall,

Dann wie des Waldstroms laut Geroll,

Zuletzt erdröhnt wie Donnerhall

Das herrliche Glück von Edenhall.


»Zum Horte nimmt ein kühn Geschlecht

Sich den zerbrechlichen Kristall;

Er dauert länger schon als recht,

Stoßt an! mit diesem kräft'gen Prall

Versuch ich das Glück von Edenhall.«


Und als das Trinkglas gellend springt,

Springt das Gewölb mit jähem Knall,

Und aus dem Riß die Flamme dringt;

Die Gäste sind zerstoben all

Mit dem brechenden Glücke von Edenhall.


Er stürmt der Feind mit Brand und Mord,

Der in der Nacht erstieg den Wall,

Vom Schwerte fällt der junge Lord,

Hält in der Hand noch den Kristall,

Das zersprungene Glück von Edenhall.


Am Morgen irrt der schenk allein,

Der Greis, in der zerstörten Hall,

Er sucht des Herrn verbannt Gebein,

Er sucht im grausen Trümmerfall

Die Scherben des Glücks von Edenhall.


»Die Steinwand«, spricht er, »springt zu Stück,

Die hohe Säule muß zu Fall,

Glas ist der Erde Stolz und Glück,

In Splitter fällt der Erdenball

Einst gleich dem Glücke von Edenhall.«
[227]

Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 226-228.
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