Zweites Capitel.
Ankersichten.

[171] Die Ausrüstung des Delphin nahm nicht viel Zeit in Anspruch; seine Betakelung war fertig, er mußte nur noch adjustirt werden. Der Delphin führte drei Schoonermasten, und dies war fast als überflüssiger Luxus anzusehen, denn er rechnete nicht auf den Wind, um den nordstaatlichen Kreuzern zu entkommen, sondern nur auf die mächtige Maschine in seinen Seiten, und er that Recht daran.

Gegen Ende December wurde der Delphin in der Bucht des Clyde geprobt, und es war schwer zu bestimmen, ob er den Kapitän oder den Erbauer mehr zufrieden stellte. Der neue Steamer glitt prächtig dahin, und das »Patent Log«1 zeigte eine Schnelligkeit von siebenzehn Meilen in der Stunde2, was bis jetzt weder bei einem englischen, französischen noch amerikanischen Schiffe erreicht worden war. Bei einem Wettlauf mit den raschesten Fahrzeugen, bei einem Match zur See hätte der Delphin jedenfalls um mehrere Längen gewonnen.

Am 25. December sollte die Befrachtung vor sich gehen, und der Steamer legte sich zu diesem Zweck an den Steam-boat-Kai, etwas unterhalb Glasgow-Bridge, der letzten Brücke, die vor seiner Mündung über den Clyde führt. Ungeheure Wharfs waren dort mit Kleider-Magazinen, Waffen und Munition gefüllt, welche Vorräthe so schnell wie möglich in den Rumpf des Delphin übergingen. Diese Ladung verrieth nun freilich die Bestimmung des Schiffes, und das Haus Playfair konnte nicht länger sein Geheimniß verschwiegen halten. Kein amerikanischer Kreuzer war gegenwärtig in den englischen Gewässern signalisirt worden, und da die Abfahrt des Delphin nahe bevorstand, mußte doch auch die Mannschaft angeworben werden. Auch hierbei war es natürlich nöthig, daß das Schweigen gebrochen wurde, denn wenn man die Leute einschiffte, mußte man ihnen doch auch ihre Bestimmung und das Ziel[171] der Reise mittheilen. Man forderte, daß sie ihre Haut zu Markte tragen sollten, und solch Verlangen war nur gerechtfertigt, wenn man ihnen reinen Wein darüber eingeschenkt hatte, wie und zu welchem Zweck.

Die Bestimmung des Schiffes hielt indessen Niemanden von der Reise zurück; der Sold war hoch, und jedem Manne wurde von vornherein ein Antheil an dem Unternehmen zugesichert. James Playfair hatte nur zu wählen, denn es erschienen bewährte, tüchtige Seeleute in Menge, und man mußte gestehen, er wählte mit schnellem Auge und richtigem Verständniß, nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden waren die Namen von dreißig Matrosen in die Bemannungsliste eingetragen, die der Yacht Ihrer allergnädigsten Majestät Ehre gemacht haben würden.

Die Abreise des Delphin wurde auf den 3. Januar festgesetzt, und schon am 31. December war er bereit; sein Rumpf war mit Munition und Lebensmitteln angefüllt, die Kammern strotzten von Kohlen, kurz, Nichts hielt ihn mehr zurück.

Am 2. Januar befand sich James Playfair an Bord und überschaute noch einmal mit dem Blick eines Kapitäns sein Schiff, als ein Mann am Hinterdeck an der Oeffnung im Schiffsborde erschien und den Skipper zu sprechen wünschte. Ein Matrose führte ihn auf die Brücke.

Es war ein kräftiger, breitschulteriger Mensch mit sehr rothem Gesicht, hinter dessen harmlosem, fast einfältigem Ausdruck ein gewisser Fonds von Schlauheit und Munterkeit verborgen zu sein schien. Man sah bald, daß er in seemännischen Gebräuchen nicht bewandert war, auch blickte er um sich wie Jemand, der noch nicht viel auf ein Schiffsverdeck gekommen ist, trotzdem aber suchte er sich das Ansehen eines alten Seebären zu geben, betrachtete das Takelwerk des Delphin und schlenderte nach Art der Matrosen.

Als er vor dem Kapitän stand, sah er ihm fest in's Auge und fragte:

»Kapitän James Playfair?

– Ja, was wünschest Du von mir?

– Möchte mich an Bord einschiffen.

– Ich habe keinen Platz mehr. Die Mannschaft ist vollzählig.

– Ein Mann mehr wird Nichts schaden; im Gegentheil.

– So, meinst Du? sagte James Playfair, und sah ihn scharf an.

– Ja, das meine ich, antwortete der Matrose.

– Wer bist Du denn?[172]

– Ein schlichter Seemann, ein starker Kerl und ein entschlossener Kumpan, dafür sage ich gut. Ein paar so kräftige Arme, wie ich sie Ihnen hier präsentire, sind an Bord gewiß nicht zu verachten.

– Es giebt noch mehr Schiffe als den Delphin, und andere Kapitäne wie James Playfair, warum kommst Du gerade hierher?

– Weil ich an Bord des Delphin und unter Kapitän James Playfair dienen will.

– Ich kann Dich nicht brauchen.

– Einen kräftigen Mann kann man immer brauchen, wenn ich meine Kräfte einmal mit drei oder vier von den Stärksten Ihrer Mannschaft messen soll ...

– Du gehst ja drauf los! meinte James Playfair; wie heißt Du?

– Crockston, zu dienen.«

Der Kapitän trat einige Schritte zurück, um den Herkules, der sich ihm auf so »achtkantige« Weise vorstellte, besser zu mustern. Haltung, Wuchs und matrosenhaftes Ansehen straften seine Ansprüche auf Kraft nicht Lügen; man sah sofort, daß er ungewöhnlich stark und zu Allem entschlossen war.

»In welchen Meeren bist Du gefahren? fragte Playfair.

– So ziemlich überall.

– Und Du weißt, was der Delphin dort unten zu thun hat?

– Darum gerade will ich mit.

– Nun, Gott straf' mich, wenn ich mir solchen Kerl entgehen lasse; frage nach dem Obersteuermann, Mr. Mathew, und laß Dich von ihm einschreiben.«

Nach diesen Worten erwartete James Playfair, daß sein Mann Kehrt machen und sich nach dem Vordertheil des Schiffes begeben würde, aber weit gefehlt, Crockston rührte sich nicht von der Stelle.

»Nun, hast Du mich verstanden? fragte der Kapitän.

– Ja wohl, Herr Kapitän, aber das ist noch nicht Alles; ich wollte Ihnen noch einen Vorschlag machen.

– Ach was! ärgere mich nicht, ich habe keine Zeit, mich länger mit Dir aufzuhalten, rief James ungeduldig.

– Ich werde Sie nicht weiter aufhalten, Herr Kapitän, ich wollte Ihnen nur sagen – ich habe einen Neffen.

– Da hat er einen netten Onkel, das muß wahr sein![173]

– Nun, nun! begütigte Crockston.

– Wirst Du bald zu Ende kommen? fragte der Skipper; er war nachgerade verdrießlich geworden.

– Ja, Herr Kapitän, die Sache verhält sich so: wenn man den Onkel nimmt, muß man den Neffen auch mitnehmen.

– So, wirklich?

– Ja, das macht man gewöhnlich so, Einer geht nicht ohne den Andern.

– Erkläre Dich deutlicher; wer und was ist Dein Neffe?

– Ja, sehen Sie, Herr Kapitän, es ist ein junger Mensch von fünfzehn Jahren, dem ich mein Handwerk beibringe. Er hat recht guten Willen und wird gewiß einmal einen tüchtigen Seemann abgeben.

– Potz Tausend, Meister Crockston, Du hältst wohl gar den Delphin für eine Schiffsjungenschule?

– Verachten Sie nicht die Schiffsjungen, Herr Kapitän, es hat einmal Einen gegeben, aus dem ist der Admiral Nelson geworden, und noch Einen, aus dem wurde der Admiral Franklin.

– Potz Blitz! Freund, Du könntest mir gefallen. Bringe Deinen Neffen her, aber wenn sein Onkel solch ein tüchtiger Kerl nicht ist, wie er vorgiebt, wird er's mit mir zu thun bekommen. Mach Dich fort und sei in einer Stunde wieder hier.«

Crockston ließ sich das nicht zwei Mal sagen, er grüßte ziemlich linkisch und begab sich auf den Kai zurück. Eine Stunde später traf er mit seinem Neffen, einem Bürschchen von vierzehn bis fünfzehn Jahren, wieder ein. Der kleine Kerl sah sehr furchtsam und erstaunt aus und schien eine ziemlich zarte Constitution zu haben, von den körperlichen Eigenschaften seines Onkels hatte er jedenfalls nicht viel geerbt. Crockston mußte ihm sogar schon jetzt Muth einsprechen:

»Nur immer dreist und munter, raunte er ihm zu, als sie auf's Verdeck stiegen, es ist immer noch Zeit zum Umkehren.

– Nein, nein! rief der Kleine, Gott bewahre uns davor!«

Noch an demselben Tage wurden der Matrose Crockston nebst seinem Lehrling John Stiggs in die Bemannungsliste des Delphin eingetragen.

Am folgenden Morgen um fünf Uhr waren die Feuer unter den Kesseln kräftig geschürt, das Verdeck bebte unter den Schwingungen des Kessels, und der Dampf entwich zischend durch die Ventile. Die Stunde der Abfahrt war gekommen.[174]

Eine Menge Volks drängte sich trotz der frühen Tageszeit auf den Kais und auf Glasgow-Bridge, um zum letzten Mal den Steamer zu grüßen, und auch Vincent Playfair hatte sich eingefunden, um sich von Kapitän James zu verabschieden und ihn zu umarmen; er benahm sich wie ein alter Römer aus längst vergangener Zeit; seine heroische Fassung verließ ihn keinen Augenblick, und die beiden kräftigen Küsse, die er seinem Neffen rechts und links auf die Wangen applicirte, ließen auf eine große Seele schließen.

»Reise glücklich, James, lauteten seine Abschiedsworte, reife schnell und kehre noch schneller wieder heim. Besonders aber vergiß nicht, die Situation auszunutzen; verkaufe so theuer wie möglich und kaufe billig wieder ein; die Achtung Deines Onkels soll Dir dann gewiß sein.«

Nach dieser letzten Anempfehlung, die aller Wahrscheinlichkeit nach dem »Handbuch des perfecten Kaufmanns« entlehnt war, trennten sich Neffe und Onkel, und alle Besucher verließen das Schiff.

Crockston und John Stiggs standen neben einander auf der Schanz, und der Matrose sagte zu dem Kleinen:

»Du sollst es sehen, Alles geht prächtig. In zwei Stunden sind wir auf hoher See, und ich ahne, daß uns die ganze Reise nach Wunsch gehen wird, nun wir mit dem Anfang solch gutes Glück gehabt haben!«

Statt aller Antwort drückte der Lehrling seinem Onkel die Hand.

James Playfair gab den letzten Befehl zur Abfahrt.

»Ist voller Dampf? fragte er den Obersteuermann.


Der Delphin entschwand bald den Augen der Menge. (S. 175.)
Der Delphin entschwand bald den Augen der Menge. (S. 175.)

– Ja, Herr Kapitän.

– Die Ankertaue aufwinden!«

Das Manoeuvre wurde sofort ausgeführt, die Schrauben setzten sich in Bewegung, der Delphin ging zwischen den Schiffen, die im Hafen lagen, hindurch und entschwand bald den Augen der Menge, die ihm noch mit einem letzten Hurrah einen Gruß nachsandte.

Die Fahrt aus dem Clyde ging leicht von Statten; man kann wohl behaupten, daß dieser Fluß von Menschen und zwar von Meisterhand geschaffen sei. Seit sechzig Jahren hat er, Dank den Baggern und dem unaufhörlichen Ausschlämmen, mindestens fünfzehn Fuß an Tiefe gewonnen, und seine Breite zwischen den Kais der Stadt ist verdreifacht worden. Bald verlor sich der Wald von Masten und hohen Schornsteinen in Rauch und Nebel, das Geräusch der Schmiedehämmer und der Aexte von den Schiffswerften[175] erlosch in der Ferne, und auf Schiffsbauplätze und Werkstätten folgten Landhäuser, Villen und Lustschlösser. Der Delphin mäßigte jetzt seine Dampfkraft und machte seine Evolutionen zwischen den Deichen, die den Fluß höher als seine Ufer eindämmen und ihm oft nur sehr enges Fahrwasser gewähren. Es ist dies ein Uebelstand, der nur von geringer Bedeutung ist, da die Tiefe für einen schiffbaren Fluß wichtiger ist, als die Breite. Der Steamer glitt, von einem vorzüglichen Lootsen des Irländischen Meeres[176] geführt, ohne Stockung zwischen den schwimmenden Bojen, den Säulen von Stein und von »Biggings«3 dahin, auf deren Spitze das Fahrwasser durch dort angebrachte Baken bezeichnet wird. Bald kam das Schiff auch über den Marktflecken Renfrew hinaus, und nun, am Fuße der Hügel von Kilpatrick, wurde der Clyde breiter und ergoß sich vor der Bucht von Bowling, in deren Hintergrund sich die Mündung des Canals öffnet, der Edinburgh mit Glasgow vereinigt.

Endlich sah man auch vierhundert Fuß hoch das Schloß Dumbarton, wie es seine vom Nebel halb verwischten Umrisse von dem Firmament abhob, und bald darauf tanzten und schwankten die Schiffe am linken Ufer des Hafens unter den vom Delphin aufgewühlten Wogen. Noch einige Meilen weiter, und man kam an Greenock, der Vaterstadt von James Watt, vorüber. Der Delphin befand sich nun an der Mündung des Clyde und an dem Eingang des Busens, durch den er seine Wasser in den Nordcanal ergießt. Dort verspürte er die ersten Wellenbewegungen des Meeres und fuhr an dem malerisch schönen Küstenstrich der Insel Arran entlang.

Das Vorgebirge von Cantyre, das sich quer in den Canal erstreckt, wurde umschifft, und man bekam die Insel Rathlin in Sicht; der Lootse begab sich jetzt in seiner Schaluppe auf den kleinen Kutter zurück, der auf der See kreuzte, und der Delphin, jetzt wieder der Autorität des Kapitäns unterstellt, schlug nördlich von Irland eine von Schiffen weniger frequentirte Straße ein und befand sich, nachdem ihm die letzte europäische Küste aus dem Gesicht geschwunden war, allein auf der Höhe des Meeres.

Fußnoten

1 Ein Instrument, das vermittelst Nadeln, die sich auf in Grade eingetheilten Quadranten bewegen, die Schnelligkeit des Fahrzeugs angiebt.


2 Sieben Lieues und 87/100. Die Seemeile ist gleich 1852 Metern (also 17 Meilen gleich 31,484 Meter).


3 Kleine Steinhügel.


Quelle:
Jules Verne: Die Blockade-Brecher. In: Eine schwimmende Stadt. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIX, Wien, Pest, Leipzig 1877, S. 161–236, S. 177.
Lizenz:

Buchempfehlung

Chamisso, Adelbert von

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Peter Schlemihls wundersame Geschichte

In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon