Achtes Capitel.
Der Doctor Johausen.

[95] Wenn John Cort, Max Huber und selbst Khamis bei der Nennung dieses Namens keinen Ausruf der Verwunderung hören ließen, lag das nur daran, daß sie augenblicklich der Sprache beraubt waren.

Der Name Johausen hatte für sie die Bedeutung einer Offenbarung. Er enthüllte einen Theil des Geheimnisses, das eine der tollsten wissenschaftlichen Unternehmungen der neueren Zeit, in der sich die Komik mit dem Ernste, ja sogar mit der Tragik vermischte, bisher noch umgab, denn es ließ sich jetzt annehmen, daß diese ein sehr trauriges Ende genommen haben müsse.

Vielleicht erinnert sich der Leser des Versuches, den der Amerikaner Garner wagte, indem er die Sprache der Affen ergründen und seine Theorien durch ein Experiment bekräftigen wollte. Der Name dieses Professors, die in Hayser's Weekly in New York von ihm erschienenen Aufsätze, sein Buch, das in England, Deutschland, Frankreich und Amerika herausgegeben worden war... alles das konnten die Bewohner des Congogebietes – vor allem John Cort und Max Huber – nicht wohl vergessen haben.

»Da haben wir ihn ja, rief der eine, ihn, von dem nie wieder eine Nachricht auftauchte...

– Und man auch nie eine erhalten wird, da er nicht zur Stelle ist, uns eine solche zu geben!« rief der andere.

Er, das war für den Franzosen wie für den Amerikaner der Doctor Johausen. Der Doctor hatte in dem genannten Garner freilich einen Vorläufer gehabt. Dieser Yankee konnte nicht, wie Jean Jacques Rousseau in der Einleitung zu seinen Confessions sagen: »Ich unternehme hier etwas, wofür es noch kein Beispiel giebt, und das auch keine Aachahmer haben wird.« Garner sollte einen solchen finden.

Ehe der Professor Garner den Schwarzen Erdtheil betrat, hatte er sich mit der Welt der Affen – natürlich der gezähmten – eingehend beschäftigt. Aus seinen langen und sorgsamen Beobachtungen schöpfte er die Ueberzeugung,[95] daß die Vierhänder wirklich »sprächen«, daß sie einander verständen, sich einer articulierten Sprache bedienten und z. B. ganz bestimmte Wörter gebrauchten, um ihr Bedürfniß zu fressen, und bestimmte andere, um das Bedürfniß zu saufen auszudrücken. Garner hatte im Washingtoner Zoologischen Garten phonographische Apparate vertheilt, um die Wörter dieser Sprache aufzunehmen. Er beobachtete auch, daß die Affen – ungleich den Menschen – nur sprachen, wenn dazu eine Nothwendigkeit vorlag. Seine Ansicht darüber drückte er in folgendem Satze aus:

»Die Kenntnisse, die ich mir über die Thierwelt erworben habe, nöthigten mir den Glauben auf, daß allen Säugethieren die Fähigkeit zu sprechen zukomme, und zwar bis zu dem Grade, wie ihre Erfahrungen und Bedürfnisse eine solche erheischen.«

Vor den Untersuchungen Garner's wußte man ja schon, daß die Säugethiere, wie Hunde, Affen und andere, einen laryngo-buccalen Apparat (Kehlkopf- und Mundorgane) haben, der dem des Menschen ähnelt, und auch eine Stimmritze, die zur Hervorbringung articulierter Laute geeignet erscheint. Man wußte aber auch – möge sich die Schule der Simiologen deshalb nicht aufregen – daß der Gedanke dem Worte vorausgegangen ist. Um zu reden, muß man denken können, und das Denken setzt die Fähigkeit des Generalisierens voraus, eine Fähigkeit, die den Thieren offenbar abgeht. Der Papagei spricht, er versteht aber kein Wort von dem, was er sagt. Kurz, in Wahrheit reden die Thiere nur deswegen nicht, weil die Natur sie nicht mit hinreichender Intelligenz ausgestattet hat, denn sonst würde sie nichts daran hindern. Allgemein gilt ja der Satz, den ein gelehrter Kritiker ausgesprochen hat: »Wo eine Sprache sein soll, da muß auch Ueberlegung und wenigstens einigermaßen begründetes Urtheil sein, und zwar über einen abstracten und allgemeinen Begriff« Diese dem gesunden Menschenverstande entsprechende Voraussetzung wollte Garner aber nicht anerkennen.

Selbstverständlich wurde seine Lehre vielfach erörtert. Er entschloß sich, mit den betreffenden Geschöpfen, die er in den Wäldern des tropischen Afrika in großer Zahl und großer Verschiedenheit finden mußte, unmittelbar in Berührung zu treten. Wenn er dann dem Gorilla und dem Schimpansen ihre Sprache abgelauscht hätte, wollte er nach Amerika heimkehren und neben einer Grammatik ein Wörterbuch der Affensprache veröffentlichen. Dann müßte man, solchen greifbaren Beweisen gegenüber, ihm wohl recht geben.[96]

Hat Garner nun das sich selbst und der Gelehrtenwelt gegebene Versprechen gehalten?... Das war die Frage, und – darüber konnte kein Zweifel aufkommen – Doctor Johausen glaubte das, wie es sich im weiteren zeigen wird, offenbar nicht.

Im Jahre 1892 begab sich Garner von Amerika nach Afrika, erreichte Libreville am 12. October und nahm bis zum Februar 1894 in der Factorei von John Holland und Cie. Wohnung. Erst hier entschloß sich der Professor eigentlich, seine Studienreise zu beginnen. Nachdem er den Oguë auf einem[97] kleinen Dampfer hinausgefahren war, ging er bei Lambarana an's Land und langte am 22. April in der katholischen Mission von Fernand Vaz an.


... ebenso eine Drehorgel, hoffend, daß die Affen für Musik empfänglich sind... (S. 100.)
... ebenso eine Drehorgel, hoffend, daß die Affen für Musik empfänglich sind... (S. 100.)

Gastfreundlich nahmen ihn die Väter vom heiligen Geist in ihrem am Ufer des prächtigen Fernand Vazsees errichteten Hause auf. Der Gelehrte hatte die Zuvorkommenheit der Insassen der Mission nur zu rühmen, denn alle bemühten sich, ihm sein abenteuerliches zoologisches Unternehmen zu erleichtern.

Gleich hinter der Niederlassung erhoben sich die ersten Bäume eines ausgedehnten Waldes, worin es von Affen geradezu wimmelte. Günstigere Verhältnisse, sich mit diesen in Verkehr zu setzen, konnte man sich gar nicht vorstellen. Nothwendig war nur, sich mit den Vierhändern auf guten Fuß zu stellen und ihre Lebensweise so gut wie möglich zu theilen.

Zu diesem Zwecke hatte Garner einen eisernen, zerlegbaren Käfig anfertigen lassen, und dieser wurde nun in den Wald geschafft. Angeblich hat er darin drei Monate und auch meist ganz allein gewohnt, um die Vierhänder im Naturzustande zu beobachten.

Thatsächlich hatte der vorsichtige, kluge Amerikaner dafür eine Stelle gewählt, die nur zwanzig Minuten von der Wohnstätte der Patres und nahe dem Brunnen der Mission gelegen war, und hatte sein metallenes Haus das Fort Gorilla genannt. Nach diesem gelangte man auf einem schattigen Wege. Hier hat er sogar drei Nächte geschlafen. Verzehrt von Myriaden von Moskitos, konnte er es daselbst aber nicht lange aushalten. So brach er denn seinen Käfig wieder ab und nahm aufs neue die Gastfreundschaft der Väter vom heiligen Geist in Anspruch, die ihm ohne Widerrede bewilligt wurde. Am 18. Juni verließ er dann endgiltig die Mission und kehrte über England nach Amerika zurück, wobei er als einzige Andenken von seiner Reise zwei kleine Schimpansen zurückbrachte, die sich leider nicht bewegen ließen, mit ihm zu plaudern.

Das war der ganze Erfolg der Garner'schen Studienreise. Erwiesen war dadurch nur das eine, daß das Patois der Affen, wenn es überhaupt ein solches giebt, noch ebenso zu entdecken war, wie die betreffenden Lebensäußerungen, die in der Gestaltung ihrer Sprache eine Rolle spielten.

Der Professor behauptete freilich, es sei ihm gelungen, mehrere Affenworte von bestimmter Bedeutung erlauscht zu haben, z. B. »Whuri« gleich Futter, »Cheny« gleich Getränk, »Jegk« gleich Achtung! und einige andere. Später versicherte er, auf Grund sorgfältiger, im Washingtoner Zoologischen Garten angestellter und mit Hilfe des Phonographen gleichsam fixierter Beobachtungen, überdies,[98] daß er auch ein Wort von ganz allgemeiner Bedeutung erkannt habe, ein Wort, das etwa »Nahrung«, d. h. alles, was eß- oder trinkbar wäre, ausdrückte, ferner eines, das sich auf den Gebrauch der Hände bezöge, und eines, das auf eine gewisse Messung der Zeit hinauskäme. Seinen Erfahrungen nach bestand diese Thiersprache aus acht oder neun Grundlauten mit dreißig bis fünfunddreißig daraus abgeleiteten Lauten, deren musikalische Lage er sogar angab, und die meist in Aïs-moll ausgesprochen würden. Kurz, seiner Meinung nach könnte man, in Uebereinstimmung mit der Dar win'schen Lehre von der Einheit der ganzen Schöpfung und der Vererbung physischer Eigenschaften, nicht der Mängel, etwa den Satz aufstellen: »Wenn das Geschlecht der Menschen aus dem der Affen hervorgegangen ist, warum sollte die menschliche Sprache nicht nur eine Weiterentwicklung der unvollständigen Sprache dieser Anthropoïden sein?« Dabei bleibt nur die Frage bestehen, ob die Affen wirklich die Ahnen der Menschen seien. Das hätte bewiesen werden müssen, ist aber bisher nicht erwiesen worden.

Die von dem Naturforscher Garner vermuthete und von ihm ergründete Sprache der Affen kam also auf weiter nichts hinaus, als auf eine Reihe von Lauten, die diese Säugethiere ausstoßen, um sich ihresgleichen mitzutheilen, wie das allen Thieren, Hunden, Pferden, Schafen, Gänsen, Schwalben, Bienen, Ameisen u. s. w. möglich ist. Nach der Angabe des Beobachters erfolgt diese Art der Mittheilung entweder durch ein Geschrei oder durch Zeichen oder bestimmte Bewegungen, und wenn dadurch auch keine eigentlichen Gedanken zum Ausdrucke gelangen, so verdeutlichen sie doch äußerlich einzelne seelische Empfindungen, wie die der Freude oder des Erschreckens.

Es lag also auf der Hand, daß die vorliegende Frage durch die unvollkommenen Beobachtungen und Experimente des amerikanischen Professors ihrer Lösung keinen Schritt näher gerückt war. Da kam zwei Jahre später einem deutschen Arzte der Gedanke, den Versuch Garner's zu wiederholen, und er begab sich dazu aber mitten hinein in den Wald und in die Welt der Vierhänder, auch nicht nur zwanzig Minuten weit von einer Mission, selbst auf die Gefahr hin, eine Beute der Moskitos zu werden, denen die simiologische Leidenschaft Garner's zu trotzen nicht stark genug gewesen war.

Jener Zeit wohnte in Kamerun, und zwar in Malinba, ein Gelehrter Namens Johausen. Er hatte hier bereits einige Jahre geweilt. Es war eigentlich ein Arzt, doch ein Mann, der sich mehr zur Zoologie und Botanik als zur[99] Heilkunde hingezogen fühlte. Als er von dem erfolglosen Versuche des Professor Garner Kunde erhielt, reiste in ihm – obwohl er die Fünfzig schon überschritten hatte – der Entschluß, das Unternehmen zu wiederholen. John Cort hatte in Libreville wiederholt Gelegenheit gehabt, mit dem Manne zu sprechen.

War der Doctor Johausen auch kein Jüngling mehr, so erfreute er sich doch einer vortrefflichen Gesundheit. Englisch und Französisch verstand er wie seine Muttersprache und war, infolge seiner Thätigkeit als Arzt, auch der Sprache der Eingebornen einigermaßen mächtig. Seine Vermögensverhältnisse gestatteten ihm, auch ohne Entlohnung thätig zu sein, denn er hatte weder directe Angehörige, noch erbberechtigte Verwandte. Unabhängig im weitesten Sinne des Wortes, keinem Menschen für sein Thun und Lassen verantwortlich und von unerschütterlichem Selbstvertrauen erfüllt, konnte er sich ja unbedenklich zu einem so gewagten Schritte entschließen. Immerhin gehört hierzu die Bemerkung, daß es bei dem seltsamen Manne – wie man zu sagen pflegt – im Oberstübchen nicht ganz richtig zu sein schien.

Als Diener hatte der Doctor einen Eingebornen, mit dem er außerordentlich zufrieden war. Als dieser die Absicht seines Herrn, im Walde mitten unter den Affen zu leben, vernahm, zögerte er keinen Augenblick, den Arzt zu begleiten. Er mochte aber wohl kaum wissen, was er damit auf sich nahm.

Der Doctor Johausen und sein Diener gingen nun unverzüglich an die Arbeit. Mit einem Frachtschiffe, das Malinba anlief, traf ein in Deutschland bestellter, zerlegbarer Käfig ein, der zwar dem Garner's ähnelte, doch fester und bequemer benutzbar als jener war. In der Hafenstadt war es leicht, genügende Mundvorräthe zu erwerben, wie Conserven und andere, und auch so viele Munition, daß eine Vervollständigung der Ausrüstung für einen langen Zeitraum unnöthig erschien. Die im übrigen sehr einfache Ausstattung an Bett- und Leibwäsche, Kleidung, Küchengeräthen u. dergl. wurde dem Hause des Doctors entnommen, und ebenso eine alte Drehorgel, in der Hoffnung, die Affen könnten für die Reize der Musik vielleicht nicht unempfänglich sein. Gleichzeitig ließ Johausen eine große Menge Medaillen aus Nickel anfertigen, die auf der einen Seite seinen Namen, auf der anderen sein Bildniß zeigten, und die er unter den höherstehenden Mitgliedern der Affencolonie, die er zu gründen gedachte, zur Vertheilung bringen wollte.

Der Arzt und der Eingeborne schifften sich endlich am 13. Februar 1896 in Malinba mit allem Zubehör auf einer Barke des Nbarri ein und fuhren den[100] Fluß hinauf, um später nach... Ja, wohin denn zu gehen? Das hatte der Doctor keinem Menschen sagen wollen. Da seine Bedürfnisse für lange Zeit gedeckt waren, schützte er sich damit am besten gegen Störungen durch Unberufene. Der Eingeborne und er würden sich schon selbst genug sein. Das verhinderte auch jede Störung und Ablenkung der Vierhänder, die er sich als einzige Gesellschaft wünschte, und er hoffte, sich mit ihrem Geplauder zu begnügen, überzeugt, daß es ihm gelingen werde, die Geheimnisse der Makakensprache zu entschleiern.

Später erfuhr man nur, daß die Barke, nach etwa hundert Lieues langer Fahrt auf dem Nbarri, bei dem Dorfe Nghila vor Anker gegangen war. Dort waren gegen zwanzig Schwarze als Träger angenommen worden und der ganze Zug hatte sich von dem Dorfe aus nach Osten hin gewendet. Von dieser Stunde an war von dem Doctor Johausen aber nichts mehr zu hören gewesen. Die nach Nghila zurückgekehrten Träger hatten auch die Stelle nicht genau angeben können, wo sie sich von dem Doctor verabschiedet hatten. Kurz, auch nach zwei Jahren und trotz wiederholten, leider erfolglosen Nachsuchungen, hatte von dem deutschen Arzte und seinem treuen Diener keine Silbe wieder verlautet.

Was nun inzwischen vorgegangen war, konnten John Cort und Max Huber jetzt, wenigstens theilweise, erkennen und feststellen.

Der Doctor Johausen hatte mit seiner Begleitmannschaft einen Fluß im Nordwesten des Waldes von Ubanghi erreicht gehabt. Dann hatte er nach Zurücksendung der Eingebornen, die Herrichtung eines Flosses begonnen, für das er die Planken und Pfähle seinen Vorräthen entnahm. Nach Vollendung dieser Arbeit waren sein Diener und er den Lauf des unbekannten Flusses hinausgefahren und hatten ihre Käfigwohnung an der Stelle errichtet, wo sie hier unter den ersten Bäumen des rechten Ufers entdeckt worden war.

Soweit herrschte über die Angelegenheit des gelehrten Forschers also einige Gewißheit. Bezüglich alles weiteren waren freilich nur Vermuthungen aufzustellen. Warum mochte der Käfig denn leer sein?... Warum hatten seine beiden Bewohner ihn verlassen?... Wie viele Monate, Wochen oder Tage war er bewohnt gewesen? Darüber ließ sich gar nichts urtheilen. Waren die zwei Männer fortgeschleppt worden?... Durch wen denn?... Durch Eingeborne?... Der Wald von Ubanghi galt aber doch für unbewohnt. Sollte man annehmen, daß sie vor einem Anfalle durch Raubthiere entflohen wären?... Lebten der Doctor Johausen und der Eingeborne überhaupt noch heute?[101]

Alle diese verschiedenen Fragen drängten sich den beiden Freunden auf. Leider konnten sie für keine Vermuthung eine annehmbare Erklärung geben, und so verloren sie sich immer mehr in die Dunkelheit des Geheimnisses.

»Wir wollen doch in dem Notizbuche nachsehen, schlug John Cort vor.

– Ja, das ist das einzige, was uns übrig bleibt, sagte Max Huber. Vielleicht können wir, wenn es auch keine ausführlichen Mittheilungen enthält, schon aus etwaigen Zeitangaben weitere Schlüsse ziehen.«

Max Huber schlug das Notizbuch auf, in dem einige Blätter, die feucht geworden waren, aneinander klebten.

»Ich glaube nicht, daß dieses Buch uns besonderen Aufschluß geben wird, bemerkte er.

– Warum denn?

– Weil alle Seiten darin, mit Ausnahme der ersten, unbeschrieben sind.

– Nun... und diese erste Seite, Max?...

– Die enthält einige abgerissene Sätze, auch einige Datumangaben, wahrscheinlich bestimmt, dem Doctor Johausen später bei der Abfassung eines Reiseberichtes zu dienen.«

Max Huber gelang es, wenn auch mit einiger Schwierigkeit, die folgenden, mit Bleistift geschriebenen Zeilen zu entziffern.

»29. Juli 1896. – Mit den Trägern und meinem Diener am Rande des Waldes von Ubanghi eingetroffen. – Gelagert am rechten Ufer eines Flusses. – Unser Floß gebaut.

»3. August. – Das Floß fertig gestellt. – Die Begleitmannschaft nach Nghila zurückgeschickt. – Mit meinem Diener eingeschifft.

»9. August. – Den Fluß sechs Tage lang ohne Hinderniß befahren... Bei einer Lichtung angehalten. – Viele Affen in der nächsten Umgebung. – Die Stelle scheint recht passend zu sein.

»13. August. – Unsere Einrichtung vollendet. – Die Käfighütte bezogen. – Die Nachbarschaft völlig menschenleer. – Auch keine Spuren oder Fährten von Eingebornen oder anderen. – Wasserwild im Ueberfluß. – Der Fluß sehr fischreich. – In der Hütte bei einem schlimmen Wetter gut geschützt.

»25. August. – Siebenundzwanzig Tage verflossen. – Unser Leben regelmäßig geordnet. – Einige Hippopotamusse im Wasser, doch kein Angriff durch diese. – Elenthiere und Antilopen erlegt. – In der Nacht drängen sich große Affen an die Hütte heran. – Welcher Art sie angehören, habe ich noch[102] nicht zu erkennen vermocht. Einmal auf dem Boden umherlaufend und einmal in den Baumkronen hin und her springend, zeigen sie doch keine feindlichen Absichten. – Habe etwa hundert Schritte weit von hier einen Feuerschein unter dem Hochwalde wahrzunehmen geglaubt. Merkwürdig! Diese Affen scheinen zu sprechen, mit einander zusammenhängende Worte zu wechseln! Ein kleiner hat »Ngora! Ngora! Ngora!« gerufen, ein Wort, worunter die Eingebornen doch »Mutter« verstehen.«

Llanga hatte aufmerksam zugehört, als sein Freund Max das Vorstehende verlas; jetzt rief er plötzlich mit lauter Stimme:

»Jawohl... jawohl! Ngora, ngora... Mutter... ngora... ngora!«

Als er dieses von dem Doctor Johausen gebrauchte und von dem Knaben wiederholte Wort vernahm, mußte sich John Cort doch unwillkürlich erinnern, daß dasselbe Wort ihm vorige Nacht ebenfalls zu Ohren gekommen war. Da er das aber für eine Gehörtäuschung, für einen Irrthum hielt, hatte er den anderen überhaupt nichts davon gesagt. Nach der eben gehörten Beobachtung des Doctors glaubte er sie aber doch über diesen Vorfall unterrichten zu müssen. Da rief eben Max Huber:

»Wahrlich, sollte der Professor Garner doch recht haben? Es gäbe sprechende Affen?...

– Ich kann Dir, lieber Max, nur sagen, daß auch ich das Wort »Ngora« schon einmal zu hören bekommen habe!« erklärte John Cort.

Er erzählte nun, unter welchen Umständen dieses Wort in der Nacht vom 14. zum 15., als er die Wache gehabt habe, mit einer kläglichen Stimme ausgesprochen worden sei.

»Seh' einer, rief Max Huber, das wäre ja fast etwas außerordentliches!

– Hast Du denn nicht nach solchem verlangt, bester Freund?« erwiderte John Cort.

Khamis hatte die Vorlesung ebenfalls mit angehört. Was aber den Franzosen und den Amerikaner im höchsten Grade interessierte, das ließ ihn einfach kalt. Was kümmerte er sich um Geschichten, die allein den Doctor Johausen etwas angingen! Ihm war es die Hauptsache, daß der Doctor ein Floß gebaut hatte, das er sich zu nutze machen konnte, und höchstens achtete er noch auf die Geräthe, die sich in dem verlassenen Käfig vorfanden. Der Foreloper begriff gar nicht, daß man danach fragen könne, was aus dem Arzte und seinem Diener geworden sei, noch weniger, daß es jemand in den Sinn kommen könne, sich[103] zur Verfolgung seiner Spur in den großen Wald hineinzuwagen, auf die Gefahr hin, so wie jene beiden verschleppt zu werden. Wenn Max Huber und John Cort dann wirklich vorschlügen, nach den beiden Verschwundenen zu suchen, wollte er alles daransetzen, ihnen das auszureden und sie zu erinnern, daß ihnen nichts anderes obliege, als den Rückweg, und zwar auf dem Wasserlaufe bis zum Ubanghi hinunter, ohne Zögern fortzusetzen.

Vernünftigerweise war ja wohl auch anzunehmen, daß keine Nachsuchung von Erfolg gekrönt sein werde. Man wußte ja nicht einmal, in welcher Richtung man den deutschen Arzt suchen sollte. Wenn noch irgend eine Andeutung dafür vorhanden gewesen wäre, würde es John Cort für eine Menschenpflicht gehalten haben, einem jedenfalls Unglücklichen Hilfe zu bringen, und auch Max Huber hätte sich vielleicht für das von der Vorsehung erwählte Werkzeug gehalten, das den Verschwundenen retten solle. Doch nichts... nichts als die abgerissenen Sätze des Notizbuches, das den letzten Eintrag vom 25. August enthielt, sonst nichts als weiße Blätter, die sorgsam bis zum letzten besichtigt wurden.

Ueber den Befund bemerkte John Cort:

»Ganz zweifellos ist der Doctor an einem neunten August an diese Stelle gekommen und seine Aufzeichnungen hören mit dem fünfundzwanzigsten desselben Monats auf. Hat er seit diesem Tage nichts mehr niedergeschrieben, so liegt das offenbar daran, daß er seine, von ihm nur sechzehn Tage bewohnte Hütte aus dem einen oder anderen Grunde verlassen hat.

– Jawohl, setzte Khamis hinzu, und es ist gar nicht zu ahnen, was aus ihm geworden sein mag.

– Das thut nichts, fiel der Max Huber ein. Ich bin zwar nicht neugierig...

– Oho, werther Freund, das bist Du in hohem Grade.

– Na, meinetwegen, John, um aber hinter dieses Räthsel zu kommen...

– Wollen wir sofort weiterziehen,« begnügte sich der Foreloper zu sagen.

Thatsächlich war es ja auch gerathen, damit nicht zu zögern, vielmehr mußte das Floß flott gemacht werden, um die Gesellschaft den Fluß hinunter zu tragen. Erschien es später angezeigt, eine Nachforschung nach dem Doctor Johausen zu unternehmen, so konnte das jedenfalls unter günstigeren Verhältnissen geschehen, und beiden Freunden stand es dann frei, daran theilzunehmen oder nicht.

Noch bevor alle den Käfig verließen, sah sich Khamis aufmerksam überall darin um, ob sich nicht irgend ein für sie brauchbarer Gegenstand vorfände, den man, ohne sich darüber Gedanken zu machen, mitnehmen könnte, denn es war ja kaum anzunehmen, daß der Eigenthümer noch nach zweijähriger Abwesenheit zurückkehren könnte, um hier zurückgelassene Dinge zu holen.


Alle arbeiteten emsig an der Ausbesserung des Flosses. (S. 109.)
Alle arbeiteten emsig an der Ausbesserung des Flosses. (S. 109.)

Die recht dauerhaft construierte Hütte bot übrigens auch noch heute ein vortreffliches Obdach. Das mit einer Strohlage bedeckte Zinkdach hatte den Unbilden der schlechten Jahreszeit sehr gut widerstanden. Die vergitterte Vorderseite war nach Osten gerichtet und deshalb den stürmischeren Winden weniger ausgesetzt. Wahrscheinlich hätte sich auch die gesammte Ausstattung an Lagerstätten, Tischen, Stühlen und Kisten und Kasten unversehrt erhalten, wenn sie nicht – und das erschien unerklärlich – von hier fortgeschafft worden wäre.

Nach Verlauf dieser zwei Jahre hätten aber doch einige Ausbesserungen vorgenommen werden müssen. Die Planken der Seitenwände klafften da und dort von einander und der untere Theil der Pfähle saß nur noch locker in dem feuchten Erdreich, auch bemerkte man schon Anzeichen von Verfall unter dem Geflecht der Lianen und des aufgerankten Grüns.

Khamis und seine Gefährten hatten natürlich keine Veranlassung, hier eine bessernde Hand anzulegen, es war ja auch gar nicht anzunehmen, daß später einmal noch ein weiterer Liebhaber der Simiologie sie als willkommenes Obdach benutzen würde. Die Käfighütte wurde also in ihrem dermaligen Zustande belassen.

Sollte sie aber nicht noch weitere Gegenstände bergen, als den Kochtopf, die Tasse, das Brillenfutteral und den von den beiden Freunden gefundenen Metallkasten mit dem Notizbuche? Khamis suchte sorgsam nach... nichts fand sich mehr, keine Waffen, Geräthe, Kasten, keine Conserven oder Kleidungsstücke. Der Foreloper wollte schon mit leeren Händen abziehen, als an einer Ecke rechts im Hintergrunde der Fußboden bei seinem Auftreten einen metallischen Klang gab.

»Halt, hier steckt noch etwas, sagte er.

– Vielleicht ein Schlüssel? fragte Max Huber.

– Was denn für ein Schlüssel? rief John Cort.

– O, bester Freund... der Schlüssel des Geheimnisses!«

Ein Schlüssel war es zwar nicht, wohl aber ein Kasten aus Eisenblech, den man an dieser Stelle eingesenkt hatte und den Khamis jetzt heraushob. Er schien unbeschädigt zu sein, und nicht ohne große Befriedigung entdeckte man, daß er etwa hundert Patronen enthielt.[107]

»Schönen Dank, lieber Doctor, rief Max Huber, möge es uns vergönnt sein, Ihnen den Dienst, den Sie uns heute leisten, mit Zinsen zu vergelten!«

In der That, das war ein werthvoller Dienst, denn die Patronen erwiesen sich völlig passend für die Gewehre des Forelopers und seiner zwei Gefährten.

Jetzt war nichts anderes mehr zu thun, als nach der Haltestelle zurückzukehren und das Floß in brauchbaren Zustand zu setzen.

»Vorher wollen wir uns aber doch noch überzeugen, schlug John Cort vor, ob sich in der Umgebung wirklich gar keine Spuren von dem Doctor Johausen und seinem Diener zeigen. Möglicherweise sind beide von Eingebornen tief in den Wald hinein entführt worden, sie könnten aber auch bei der Vertheidigung den Tod gefunden haben... und wenn sie etwa nicht begraben wären...

– Wär' es unsere Pflicht, ihnen eine Ruhestätte zu bereiten,« erklärte Max Huber.

Die Nachforschungen in einem Umkreise von hundert Metern blieben ohne Erfolg. Das bestärkte die Annahme, daß der unglückliche Johausen weggeschleppt worden sei, und dann doch nur durch Eingeborne, durch dieselben Wesen, die der Doctor für Affen gehalten hatte, die mit dem Sprachvermögen begabt wären. Wie kam er nur zu der Annahme, daß Vierhänder des Wortes mächtig sein könnten?

»Mindestens deutet das, bemerkte dazu John Cort, auf die gelegentliche Anwesenheit von Nomaden im Walde von Ubanghi hin und mahnt uns zur größten Vorsicht.

– Wie Sie sagen, Herr Cort, stimmte ihm Khamis bei. Nun aber vorwärts nach dem Flosse!

– Ohne zu wissen, was aus dem gelehrten Teutonen geworden ist? erwiderte Max Huber. Wo mag er denn sein?

– Da, wo die Leute sind, von denen man niemals wieder hört, meinte John Cort.

– Ist das eine genügende Antwort, John?

– Wenigstens die einzige, die wir geben können, lieber Max.«

Als alle wieder in der Grotte waren, war es etwa neun Uhr. Khamis machte sich zuerst an die Zubereitung des Frühstücks. Jetzt im Besitz eines Kochtopfes, sollte er, auf dringendes Verlangen Max Huber's, statt gebratenen oder gerösteten Fleisches einmal gekochtes vorsetzen. Das gab doch dem gewohnten Speisezettel eine erwünschte Abwechslung. Dem Verlangen wurde nachgegeben,[108] ein tüchtiges Feuer angezündet, und gegen Mittag erquickten sich die Tischgenossen an einer Suppe, neben der es nur an Brod, Gemüsen und Salz fehlte.

Vor dem Essen arbeiteten aber alle emsig an der Ausbesserung des Flosses und nachher ebenso. Zum Glück hatte Khamis hinter der Hütte einige Planken gefunden, die zum Ersatz derer von der Plattform dienen konnten, die sich angefault und morsch erwiesen. Das ersparte viele Arbeit, zumal bei dem herrschenden Mangel an Werkzeug. Das aus Planken und Pfählen bestehende Bauwerk wurde durch Lianen verbunden, die ebenso fest wie Bandeisen oder wenigstens wie Haltetaue waren.

Das Werk war vollendet, als die Sonne eben hinter dem Baumdickicht des rechten Ufers versank.

Die Abfahrt wurde bis zum frühen Morgen des nächsten Tages verschoben, da es gerathener erschien, die Nacht in der Grotte zuzubringen. Es drohte nämlich schon ein starker Regen, der denn auch etwa von acht Uhr an herunterströmte.

Nachdem sie also die Stelle gefunden hatten, wo der Doctor Johausen sich häuslich eingerichtet gehabt hatte, sollten Khamis und seine Gefährten weiter fahren, ohne zu wissen, was aus dem gelehrten Herrn geworden war... Nichts... nichts verrieth ja eine Spur von ihm! Dieser Gedanke lastete recht schwer auf Max Huber, während sich John Cort leichter damit abfand und der Foreloper davon ganz unberührt blieb. Der Franzose träumte von Pavianen, Affen, Schimpansen, Gorillas, von Mandrill- und von sprechenden Affen, obwohl er zugeben mußte, daß der Doctor nur mit Eingebornen zu thun gehabt haben könne. Und dann gaukelte ihm seine lebhafte Einbildungskraft allerlei geheimnißvolle Bilder vor, unglaubliche Begegnungen, die sich im Herzen des Waldes ereignen sollten, völlig neue Völkerschaften, unbekannte Menschengestalten, unter den großen Bäumen verlorene Dörfer u. dergl. m.

Vor dem Weggange aus der Grotte begann er dann noch:

– »Lieber John und Sie, Khamis, ich habe noch einen Vorschlag auf dem Herzen.

– Und der wäre, Max?

– Doch wenigstens etwas für den Doctor zu thun.

– Aber beileibe nicht etwa nach ihm zu suchen? rief der Foreloper.

– Nein, das nicht, beruhigte ihn Max Huber. Doch seinen Namen wollen wir dem bisher wohl noch ungetauften Wasserlaufe beilegen.«[109]

In Zukunft wird also auf den neuen Karten des äquatorialen Afrika der »Rio Johausen« zu finden sein.

Die Nacht verlief ruhig, und obgleich sie abwechselnd Wache hielten, schlug doch kein einziges Wort an John Cort's, Max Huber's oder des Forelopers Ohr.

Quelle:
Jules Verne: Das Dorf in den Lüften. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXIX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 95-105,107-110.
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