Neuntes Capitel.
Mit der Strömung des Rio Johausen.

[110] Es war genau halb sieben Uhr des Morgens, als am 16. März das Floß abgestoßen wurde, sich von der Uferwand entfernte und bald von der Strömung des Rio Johausen ergriffen wurde.

Noch graute kaum der Tag, doch mußte es bald heller werden. Hoch am Himmel jagten Wolken unter starkem Winde hin. Zwar drohte kein Regen, doch hielt den ganzen Tag über bedecktes Wetter an.

Khamis und seine Gefährten brauchten sich darüber nicht zu beklagen, denn sie trieben jetzt auf einem Flusse hinunter, der den fast senkrechten Strahlen der Mittagssonne meist frei ausgesetzt war.

Das längliche Floß maß nur acht bis neun Fuß in der Breite und gegen zwölf in der Länge, wobei es zur Beförderung von vier Personen und den wenigen Gegenständen, die diese mit sich führten, gerade ausreichte. Das sehr beschränkte »Frachtgut« bestand nämlich aus dem Metallkasten mit den Patronen, aus den Waffen (drei Gewehren), dem Kessel nebst dem Kochtopfe und der einzigen Tasse. Der drei Revolver mit kleinerem Kaliber als dem der Gewehre würde man sich nur für zwanzig Schuß bedienen können, mehr Patronen hatten Max Huber und John Cort jetzt nicht mehr bei sich. Im allgemeinen konnte man aber doch hoffen, daß es den Jägern bis zum Eintreffen am Ubanghi an Schießbedarf nicht fehlen werde.

Vorn auf dem Flosse und auf einer Schicht Erde lag ein Haufen trockenes Holz, der ja leicht erneuert werden konnte, im Fall, daß Khamis außerhalb der Raststunden einmal Feuerung brauchte. Am anderen Ende gestattete ein kräftiges,[110] aus einer Planke hergestelltes Ruder das Fahrzeug zu steuern oder es mindestens in gleicher Richtung wie die Strömung zu erhalten.

Zwischen den beiden, gegen fünfzig Meter von einander entfernten Ufern verlief diese etwa mit der Geschwindigkeit von einem Kilometer in der Stunde. Dabei mußte das Floß also gegen zwanzig Tage brauchen, die dreihundert Kilometer, die den Foreloper und seine Gefährten noch vom Ubanghi trennten, zurückzulegen.

Ging die Fahrt durchschnittlich auch nicht schneller, als vorher die Wanderung durch den Wald, so war sie wenigstens mit keinerlei Anstrengung verknüpft.

Freilich war ganz und gar nichts bekannt bezüglich etwaiger Hindernisse im weiteren Verlaufe des Rio Johausen. Zunächst erkannte man nur, daß er ziemlich tief war und viele Windungen machte, so daß es einer sorgfältigen Beachtung der Strömung bedurfte. Sollten ihn Wasserfälle oder Stromschnellen unterbrechen, so gedachte der Foreloper nach den gerade gegebenen Umständen zu handeln.

Bis zur Mittagsrast verlief die Fahrt unbehindert. Mit Hilfe des Steuers konnte man den Wirbeln an hervorspringenden Landspitzen aus dem Wege gehen. Dank der Geschicklichkeit Khamisens, der die Lage des Flosses mit kräftigem Arm beherrschte, blieb diesem jedes Anstoßen an das Ufer erspart.

Der auf dem Vordertheile stehende John Cort beobachtete, das Gewehr stets zur Hand, die Uferstrecken in rein kulinarischem Interesse. Er dachte nur daran, für Proviantersatz zu sorgen. Vor seinem scharfen Auge war kein Stück Haar- oder Federwild, das ihm in Schußweite kam, nur noch eine Secunde sicher. Gegen halb zehn bot sich ihm eine Gelegenheit, sich als Jäger zu erproben: seiner Kugel erlag ein sogenannter Wasserbock, eine Antilopenart, die vielfach an Flußufern vorkommt.

»Ein trefflicher Schuß! sagte Max Huber.

– Und doch ein nutzloser, wenn wir uns das Thier nicht holen können, antwortete John Cort.

– Das wird die Sache weniger Minuten sein«, versicherte der Foreloper.

Durch passende Handhabung des Steuers lenkte er das Floß dem Ufer zu, wo der verendete Wasserbock nahe bei einem kleinen Einschnitte lag. Schnell wurde er ausgeweidet und seine nutzbaren Theile nahm man für den kommenden Bedarf mit.[111]

Inzwischen hatte Max Huber sich als erfahrener Fischer bewährt, obwohl ihm nur sehr unzulängliche Angelgeräthe zur Verfügung standen: zwei Bindfadenstücke aus der Hütte Johausen's, und als Haken daran Stacheln von Akazien mit Fleischstückchen als Köder daran. Da lag wohl die Frage nahe, ob von den Fischen, die sich vielfach dicht unter der Oberfläche des Rio zeigten, auch einer anbeißen werde.

Max Huber war am Steuerbordrande des Flosses niedergekniet, und ihm zur Rechten stehend, verfolgte Llanga sein Vorhaben mit gespannter Aufmerksamkeit.

Offenbar waren die Hechte im Rio Johausen nicht weniger gefräßig als dumm, denn in kürzester Zeit zappelte schon einer an dem ungewöhnlichen Angelhaken. Nachdem der Fisch dadurch, daß man ihn nur Luft schnappen ließ, geschwächt war – die Eingebornen pflegen einen gefangenen Hippopotamus in ähnlicher Weise zu »lüften« – gelang es Max Huber, ihn mit der Schnur heran- und herauszuziehen. Der Fisch wog mindestens zwischen acht und neun Pfund, und es ist wohl erklärlich, daß die Fahrgäste nicht bis zum nächsten Tage warteten, den Leckerbissen zu verzehren.

Die Mahlzeit gegen Mittag bestand in einem Lendenbraten von dem Wasserbocke und in dem Hechte, von dem nur die Gräten übrig blieben. Zum Abendessen sollte von einem Antilopenviertel eine schmackhafte, kräftige Suppe bereitet werden. Da das dazu verwendete Fleisch aber einige Stunden kochen mußte, zündete der Foreloper auf der erwähnten Erdschicht ein Feuer an und setzte den Kochtopf darauf. Dann ging die Fahrt bis zum Abend ohne Unterbrechung weiter.

Am Nachmittag lieferte der Fischfang keine Ausbeute. Gegen sechs Uhr hielt Khamis bei einem schmalen, steinigen Uferstreifen an, der von den unteren Aesten eines der zur Abart der Krabahs gehörigen Gummibäume überdacht war.

Zwischen dem Gestein wimmelte es von Schalenthieren, von Miesmuscheln und Austern. Diese vervollständigten, die einen gekocht, die anderen roh, das Abendessen in angenehmster Weise. Mit noch einigen Stücken Brod und dem nöthigen Salz – freilich fehlte beides – wäre da wirklich nichts zu wünschen übrig gewesen.

Da die Nacht sehr finster zu werden drohte, wollte der Foreloper sich der Strömung heute nicht noch einmal anvertrauen, da der Rio Johausen gelegentlich[112] auch mächtige Baumstämme mit hinabtrug, und der Anprall eines solchen für das Floß zu leicht hätte verderblich werden können. So machte man sich denn auf zusammengerafftem Grase ein Nachtlager am Fuße des Gummibaumes zurecht.


Max Huber gelang es, den Fisch mit der Schnur heran- und herauszuziehen. (S. 112.)
Max Huber gelang es, den Fisch mit der Schnur heran- und herauszuziehen. (S. 112.)

Dank der abwechselnden Ueberwachung durch John Cort, Max Huber und Khamis wurde das Lager auch von keinen zudringlichen Besuchern belästigt. Nur das Geschrei von Affen dauerte vom Sonnenuntergange bis zum Morgengrauen ununterbrochen an.[113]

»Na, daß diese Burschen nicht sprechen, dafür stehe ich ein!« rief Max Huber, als er am Morgen Gesicht und Hände, die von Moskitos arg zerstochen waren, in das klare Wasser des Rio tauchte.

Heute erfolgte die Abfahrt um eine gute Stunde später, da wieder ein furchtbarer Platzregen niederging. Rathsamer erschien es gewiß, sich dem Wasserströme, den der Himmel so häufig über die Aequatorialgebiete Afrikas ausschüttet, nicht auszusetzen. Die dichte Belaubung des Gummibaumes schützte dagegen bis zu gewissem Grade nicht nur den Lagerplatz, sondern auch das Floß, das an den dicken Wurzeln des Baumes angebunden lag. Die Witterung war übrigens gewitterhafter Natur. Auf dem Flusse bildeten die aufklatschenden Regentropfen kleine, gleichsam elektrisch geladene Blasen. Ohne daß von hier aus Blitze zu sehen waren, hörte man doch stromaufwärts schon ein dumpfes Donnergrollen. Ein Hagelschlag war nicht zu fürchten; die ungeheueren Wälder Afrikas haben die Eigenschaft, einen solchen auszuschließen.

Der ganze Zustand der Atmosphäre hatte jedoch ein sehr bedenkliches Aussehen, das John Cort zu der Bemerkung veranlaßte:

»Wenn dieser Regen kein Ende nimmt, ist es besser, wir bleiben, wo wir sind. Wir haben jetzt Munition genug, unsere Patronentaschen sind gefüllt, dagegen fehlt es uns an Kleidung zum wechseln...

– Ja, unterbrach ihn Max Huber lachend, warum könnten wir uns denn nicht nach Landesgebrauch – einfach mit Menschenhaut – costümieren? Das vereinfacht doch die Sache gewaltig. Da braucht man nur zu baden, um seine Wäsche zu reinigen und sich gehörig zu reiben, um seine Kleidung abzubürsten!«

Thatsächlich hatten die beiden Freunde schon seit etwa acht Tagen diese Reinigung vornehmen müssen, da sie keine Kleidung zum wechseln besaßen.

Der Platzregen wurde zwar sehr heftig. doch gerade deshalb hielt er nur etwa eine Stunde an. Diese Zeit benutzte man für das erste Frühstück. Dabei erschien auch ein neues, sehr willkommenes Gericht: frische Trappeneier, die Llanga gesammelt hatte und die Khamis sofort im kochenden Wasser hart sott. Auch bei dieser Gelegenheit beklagte sich Max Huber bitter und nicht mit Unrecht, daß Mutter Natur es versehen habe, den Eiern die doch so nothwendige kleine Menge Salz beizumischen.

Gegen halb acht Uhr hörte der Regen auf, doch behielt der Himmel noch weiter sein gewitterhaftes Aussehen. Das Floß wurde nun wieder nach der Mitte des Rio in die Strömung gesteuert.[114]

Die Angelschnüre wurden nachgeschleppt, und da hatten wohl die Fische die Verpflichtung, bald anzubeißen, um noch zur Mittagsmahlzeit zu dienen.

Khamis schlug vor, dazu nicht den gewohnten Halt zu machen, um den eben erlittenen Zeitverlust wieder auszugleichen. Das wurde angenommen; John Cort schürte das Feuer wieder an und bald summte der Kochtopf auf den glühenden Kohlen. Da von dem Wasserbock noch genug übrig war, blieben die Gewehre stumm, wenn Max Huber auch mehr als einmal durch feistes, an den Ufern äsendes Wild arg in Versuchung geführt wurde.

Dieser Theil des Waldes erwies sich überhaupt sehr wildreich. Ohne von den Wasservögeln zu reden, gab es hier auch Wiederkäuer in Menge. Häufig streckten sich die Köpfe von Pallahls und Sassabys – einer Abart der Antilopen – mit ihren mächtigen Hörnern aus dem hohen Grase und dem Gesträuch des Ufers hervor. Wiederholt zeigten sich große Elenthiere, rothbraune Damhirsche, Steinböcke, zierliche Gazellen, Kudus – eine besondere Hirschart Afrikas – Quaggas und selbst Giraffen, die ein sehr schmackhaftes Fleisch liefern. Wie leicht wäre es gewesen, verschiedene dieser Thiere zu erlegen, doch was hätte es genützt, da es an Nahrung bis zum nächsten Tage ja nicht fehlte. Obendrein verbot es sich, das Floß unnöthig zu bepacken und zu belasten, worauf John Cort seinen Freund besonders aufmerksam machte.

»Ja, ich bitte Dich, entgegnete Max Huber, meine Flinte rutscht mir zuweilen von selbst an die Wange, wenn mir ein so hübsches Ziel vors Auge kommt.«

Das wäre aber immerhin nichts anderes gewesen als ein Schießen, um nur zu schießen, und wenn eine solche Betrachtung einen übereifrigen Jäger auch nicht leicht zu zähmen vermag, so befahl Max Huber seinem Gewehre doch, sich ruhig zu verhalten und sich nicht von selbst in Anschlag zu legen. Durch die Umgebung dröhnte also kein Knall von unzeitgemäßen Schüssen, und friedlich glitt das Floß den Rio Johausen hinunter.

Khamis, John Cort und Max Huber fanden jedoch am Nachmittage Gelegenheit, sich für ihre Zurückhaltung schadlos zu halten; da mußten die Feuerwaffen wieder den Mund aufthun, wenn auch nicht zum Angriffe, so doch zur Abwehr.

Seit dem Morgen waren etwa zehn Kilometer zurückgelegt worden. Der Fluß zeigte viele launenhafte Windungen, obwohl seine Hauptrichtung eine südwestliche blieb. Seine sehr unebenen Ufer waren von sehr großen Bäumen eingefaßt,[115] vorzüglich von Bombaxarten (Wollbäumen), deren breiter Schirm weit über die Fläche des Rio hineinreichte.

Trotzdem, daß sich die Breite des Johausen nicht vermindert hatte, sondern da und dort über fünfzig, sogar bis sechzig Meter betrug, vermischten sich die Bombaxzweige von beiden Seiten her und bildeten ein tiefgrünes Laubgewölbe, worunter das Wasser leise plätscherte.

Die meisten davon, die mit ihren Enden in die von den jenseitigen Bäumen hinüberreichten, waren noch durch schlangenartige Lianen mit einander verbunden – eine Naturbrücke, über die gewandte Clowns oder mindestens Vierhänder von einem Ufer zum andern gelangen konnten.

Von den niedrigeren Theilen des Horizonts waren die Gewitterwolken immer noch nicht ganz verschwunden, im übrigen aber schien die Sonne wieder und ihre Strahlen fielen fast lothrecht auf den Fluß.

Khamis und seine Gefährten konnten sich also beglückwünschen, hier unter dem Blätterdome hinzufahren. Das erinnerte sie an ihre Wanderung unter den Bäumen und längs tiefschattiger Gänge, nur daß sie jetzt mühelos vorwärts kamen und keinen von Sisiphus und anderen Stachelkräutern bedeckten Boden zu überwinden hatten.

»Wahrhaftig, der reine Park, dieser Wald von Ubanghi, rief John Cort, ein Park mit üppigem Baumschlag und plätscherndem Wasser. Man könnte hier glauben, im Nationalpark der Vereinigten Staaten, an den Quellen des Missouri und des Yellowstone zu sein!...

– Ja, ein Park, worin sich Affen tummeln, bemerkte dazu Max Huber. Wahrlich, hier scheint sich das ganze Affengeschlecht ein Stelldichein gegeben zu haben! Wir sitzen mitten drin im Reiche der Vierhänder, wo Schimpansen, Gorillas und Gibbons eine unbeschränkte Herrschaft führen!«

Eine Bestätigung erhielt dieser Ausspruch durch die ungeheuere Menge dieser Thiere, die auf den Ufern durcheinandersprangen, von den Bäumen herablugten und im tieferen Walde hin und her liefen. Noch niemals hatten Khamis und dessen Gefährten so viele, so lärmende und so überaus gelenkige Affen beobachtet. Das war ein ewiges Schreien und Springen und Purzelbaumschlagen, und ein Photograph hätte hier ganze Bilderserien urkomischer Grimassen aufnehmen können.

»Ja, fuhr Max Huber fort, das ist aber alles nur etwas sehr natürliches, befinden wir uns doch im Herzen Afrikas. Zwischen congolesischen Eingebornen[116] und Vierhändern – unseren Khamis selbstverständlich ausgenommen – scheint mir überhaupt kein großer Unterschied zu bestehen.

– Oho, erwiderte John Cort, einen solchen giebt es doch, den nämlich, der den Menschen vom Thiere trennt, das mit Vernunft begabte Geschöpf von dem, das nur einem unwillkürlichen Instincte gehorcht...

– Der es oft weit zuverlässiger leitet als jene, mein lieber John!

– Darin widerspreche ich Dir nicht, Max. Die beiden Triebkräfte und Leitsterne des Lebens sind aber nichtsdestoweniger durch einen Abgrund von einan der geschieden, und so lange dieser nicht ausgefüllt wird, wird die Fortentwickelungsschule nicht behaupten können, daß der Mensch vom Affen abstamme.

– Ganz recht, antwortete Max Huber, in der Leiter fehlt immer eine Stufe, ein Typus zwischen dem Anthropoïden und dem Menschen selbst, der etwas weniger Instinct und etwas mehr Vernunft als die Affen aufwiese. Und wenn dieser Typus fehlt, liegt das sicherlich daran, daß er niemals existiert hat. Doch selbst wenn er vorhanden gewesen wäre, würde die Darwin'sche Theorie doch, wenigstens meiner Ansicht nach, noch nicht als richtig bewiesen sein.«

Jetzt war freilich etwas anderes zu thun, als in Erörterung des aufgestellten Grundsatzes, daß die Natur niemals Sprünge mache, eine Lösung der Frage zu versuchen, ob alle lebenden Wesen wirklich in enger Verbindung miteinander stehen – jetzt galt es Schutz- oder Abwehrmaßregeln zu treffen gegen einen feindlichen Angriff, der durch die numerische Uebermacht recht gefährlich werden konnte. Es wäre eine unverzeihliche Unklugheit gewesen, diesen als bedeutungslosen Zwischenfall anzusehen. Die Vierhänder bildeten ein Heer, zu dem die gesammte Affenbevölkerung zusammengeströmt zu sein schien. Ueber die Absichten der Thiere konnte sich niemand täuschen, hier hieß es, sich auf Leben und Tod vertheidigen.

Der Foreloper beobachtete die geräuschvolle Bewegung nicht ohne ernste Beunruhigung. Das erkannte man an seinem strengen, hochgerötheten Gesicht, an der Senkung der buschigen Brauen ebenso, wie aus dem durchdringenden Blick und an den tiefen Furchen der Stirne des Mannes.

»Halten wir uns bereit, mahnte er, die Gewehre geladen, die Patronen bei der Hand, denn ich weiß nicht, welche Wendung diese Geschichte nehmen wird...

– Pah, ein einziger Schuß wird die Bande in alle Winde versprengen,« meinte Max Huber.[117]

Schon legte er das Gewehr an.

»Schießen Sie nicht, Herr Max! rief der Foreloper. Wir dürfen die Burschen nicht angreifen... sie nicht selbst reizen. Wir werden genug zu thun haben, uns gegen sie zu vertheidigen!

– Doch wenn sie den Anfang machen... warf John Cort ein.

– Dann antworten wir nur, wenn es unbedingt nöthig wird!« erklärte Khamis.

Der Angriff sollte nicht lange auf sich warten lassen. Vom Ufer flogen schon Steine und Aststücke herüber, geschleudert von den Affen, deren größere Arten eine erstaunliche Körperkraft haben. Sie bedienten sich dabei auch harmloserer Wurfgeschosse, unter anderen verschiedener von den Bäumen abgerissener Früchte.

Der Foreloper bemühte sich, das Floß im Rio möglichst gleichweit von beiden Ufern zu halten. Die Würfe wurden dadurch, weil unsicherer, auch minder gefährlich. Zum Unglücke fehlte es nur an jeder Möglichkeit, dem Angriff gegenüber Schutz zu suchen. Ueberdies wuchs die Zahl der Feinde immer mehr, und bereits hatten mehrere Projectile die Passagiere getroffen, ohne diesen jedoch ernsthaft Schaden zu thun.

»Nun ist es aber genug.« sagte endlich Max Huber.

Er zielte nach einem zwischen dem Gesträuch auftauchenden Gorilla und streckte ihn auf den ersten Schuß nieder.

Den Flintenknall beantwortete ein betäubendes Geschrei. Der Angriff hörte damit nicht auf, die Vierhänderbande wandte sich nicht zur Flucht. Die Affen einen nach dem anderen zu vernichten, dazu hätte die Munition gar nicht ausgereicht. Nur eine Kugel für jeden gerechnet, wäre der Vorrath an solchen bald erschöpft gewesen. Was begannen aber die Jäger, wenn ihre Patronentasche leer war?

»Wir wollen nicht mehr schießen, gebot John Cort. Das reizt die abscheulichen Bestien nur noch mehr. Hoffen wir, mit einigen unbedeutenden Verletzungen von ihnen davonzukommen.

– Na, ich danke!« antwortete Max Huber, den eben ein Stein ans Bein getroffen hatte.

Die Fahrt ging also, begleitet von einem doppelten Gefolge auf den hier recht windungsreichen Ufern des Rio Johausen, ununterbrochen weiter. An manchen Stellen verengerte sich das Flußbett freilich gut um ein Drittel, dafür war die Strömung dann aber um so schneller.[118]

Wenn es völlig Nacht war, nahmen die Feindseligkeiten ja voraussichtlich ein Ende, denn wahrscheinlich zerstreuten sich die Angreifer dann im Walde. Auf jeden Fall wollte Khamis, wenn es nöthig wurde, statt gegen Abend anzuhalten, es wagen, auch in der Finsterniß weiter zu fahren. Jetzt war es freilich erst vier Uhr, und bis um sieben blieb die Lage immer noch recht bedrohlich.

Ein erschwerender Umstand lag ferner darin, daß das Floß gegen einen unmittelbaren Ueberfall keineswegs gesichert erschien. Wenn die Affen das Wasser ebensowenig lieben, wie die Katzen, und also nicht zu befürchten war, daß sie schwimmend herüberkämen, so ermöglichte ihnen doch die Verschränkung des Gezweiges über dem Flusse an manchen Stellen, sich dieser Brücke von Zweigen und Lianen zu bedienen und von da aus Khamis und seinen Gefährten geradezu auf den Kopf herunter zu springen. Das konnte für die gelenkigen und boshaften Thiere ja nur eine Kleinigkeit sein.

Vier oder fünf große Gorillas unternahmen gegen fünf Uhr wirklich diesen Versuch an der Biegung des Flusses, wo sich die Bombaxzweige dicht vereinigten. Etwa fünfzig Fuß weit flußabwärts erwarteten die Thiere das Vorüberkommen des Flosses.

John Cort hatte sie beobachtet und konnte sich über ihre Absicht keiner. Täuschung hingeben.

»Sie werden auf uns herunterfallen, rief Max Huber, und wenn wir sie nicht verjagen...

– Feuer!« commandierte der Foreloper..

Sofort krachten drei Schüsse. Tödtlich getroffen stürzten drei Affen nach dem eiteln Versuche, sich noch an das Gezweig zu klammern, hinunter in den Fluß.

Mit ohrzerreißendem Geschrei schwangen sich jetzt wohl zwanzig Vierhänder auf die Lianen, bereit, sich auf das Floß zu werfen.

Die Gewehre mußten eiligst wieder geladen und augenblicklich abgefeuert werden. Nun folgte ein gut genährtes Geknatter. Zehn oder zwölf Gorillas und Schimpansen wurden verwundet, ehe das Floß sich unter der Pflanzenbrücke befand, und entmuthigt flüchteten die anderen nach den Ufern zurück.

Da kam allen der Gedanke, daß der Professor Garner, wenn er sich allein tief in den Wald hinein gewagt hätte, jedenfalls demselben Schicksal wie der Doctor Johausen verfallen wäre. Nahm man nun an, daß dieser von der Bevölkerung des Waldes in gleicher Weise wie Khamis, John Cort und Max Huber empfangen worden war, so brauchte man nach keiner Erklärung seines[119] Verschwindens weiter zu suchen. Wäre er in der Hütte angegriffen worden, so hätten sich unzweifelhafte Anzeichen dafür finden müssen, denn bei der angeborenen Zerstörungssucht der Affen wäre diese bestimmt nicht unversehrt geblieben und dann hätten sich an der Stelle, wo sie sich befand, nur noch Trümmer davon vorgefunden.

Augenblicklich erschien es aber keine dringende Aufgabe, darüber nachzusinnen, was aus dem deutschen Arzte geworden sein mochte, weit mehr galt es, darüber nachzudenken, was noch mit dem Floß geschehen könnte. Die Breite des Flusses verringerte sich sichtlich mehr und mehr. Hundert Schritte an der rechten Seite weiter hin und vor einer Landspitze verrieth das Gurgeln des Wassers einen starken Strudel. Wenn das Floß in diesen gerieth und nicht mehr in der hier seitwärts abgeleiteten Strömung zu halten war, mußte es unfehlbar gegen das Ufer stoßen. Khamis vermochte es wohl gewöhnlich mit seinem Steuer auf dem richtigen Wege zu halten, es aber auch wieder aus jenem Strudel zu lootsen, erschien als eine sehr schwierige Aufgabe. Dann überfielen es aber jedenfalls die Affen vom Ufer aus in großer Zahl. Darum machte es sich nöthig, sie durch Gewehrschüsse zu vertreiben, ehe das Floß sich in dem Wasserwirbel sing.

Eine Minute später war die ganze Bande verschwunden, doch nicht die Kugeln und nicht der Knall der Schüsse hatte sie vertrieben. Schon seit einer Stunde thürmte sich am Himmel langsam ein Gewitter auf. Fahle Blitze zuckten durch die Wolkenmassen. Immer weiter schoben sich die dunkeln, gelblich geränderten Wolken herauf und bald brach eines jener furchtbaren Unwetter aus, wie sie nur in niedrigen Breiten vorkommen. Bei dem entsetzlichen Donnerkrachen bemächtigte sich der Vierhänder die instinctive Unruhe, die eine elektrische Spannung in der Luft in sehr vielen Thieren hervorruft. Sie singen an sich zu fürchten und suchten unter dem dichtesten Laubdache Schutz gegen die blendenden Entladungen, unter denen die Wolkendecke zu zerreißen schien. In kürzester Zeit waren beide Ufer verlassen, und von der ganzen Rotte waren nur noch etwa zwanzig todte Körper zu sehen, die zerstreut zwischen dem Gebüsch des Waldrandes lagen.[120]

Quelle:
Jules Verne: Das Dorf in den Lüften. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXIX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 110-121.
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