Zehntes Capitel.
Ngora!

[121] Am nächsten Morgen wölbte sich der wieder heitere – man hätte sagen können, von dem Riesenwedel des Gewitters reingefegte – Himmel in tiefem Blau über den Wipfeln der Bäume. Bei Sonnenaufgang verflüchtigten sich[121] vollends noch die letzten Tröpfchen, die an Blättern oder Gräsern hingen. Der schnell wieder trocken gewordene Erdboden hätte recht gut eine Wanderung durch den Wald gestattet. Natürlich war aber von einer Wiederaufnahme des Marsches nach Südwesten jetzt keine Rede mehr. Wich der Rio Johausen nicht aus seiner bisherigen Richtung ab, so hoffte Khamis, das eigentliche Becken des Ubanghi binnen vierzehn Tagen zu erreichen.

Die gewaltige atmosphärische Störung mit den zuckenden, zuweilen auf die Erde niederschlagenden Blitzen und dem lange hinrollenden Donner hatte erst früh gegen drei Uhr ein Ende genommen. Durch den Strudel hindurch war das Floß an die steile Uferwand getrieben worden und hatte hier Schutz gefunden. Dicht daneben stand ein mächtiger Baobab (Affenbrodbaum), dessen hohler Stamm nur noch durch die äußersten Holzschichten und die Rinde gebildet wurde. Khamis und seine Gefährten nahmen darin Platz, wenn es dabei auch etwas eng zuging. Ebenso waren die wenigen Geräthe, die Feuerwaffen und die Munition, die hier von dem Unwetter nichts zu leiden hatten, hereingeschafft worden und wurden in der Stunde vor der Abfahrt ohne große Mühe wieder auf das Floß gebracht.


Die Thiere erwarteten das Vorüberkommen des Flosses. (S. 119.)
Die Thiere erwarteten das Vorüberkommen des Flosses. (S. 119.)

»Nun wahrlich, dieses Gewitter kam gerade zur rechten Zeit,« bemerkte John Cort gegen Max, während der Foreloper die Reste des Wildes zum Frühstück zurecht machte.

Unter fortwährendem Plaudern beschäftigten sich die beiden jungen Männer mit der Reinigung ihrer Gewehre, die einer solchen nach dem gestrigen Feuergefecht nothwendig bedurften.

Llanga schlenderte inzwischen im Gesträuch und im hohen Grase umher, um Nester und Eier zu suchen.

»Jawohl, lieber John, das Gewitter kam uns recht gelegen, sagte Max Huber, gebe nur der Himmel, daß es jetzt, wo der Sturm vorüber ist, den Burschen nicht einfällt, noch einmal hier aufzutauchen. Jedenfalls müssen wir auf der Hut sein.«

Auch Khamis befürchtete, daß die Vierhänder mit Tagesanbruch die beiden Ufer wieder besetzen würden. Er beruhigte sich jedoch bald: obwohl es unter den Bäumen allmählich heller wurde, war doch kein neuer Lärm zu hören.

»Ich bin am Ufer wohl hundert Schritte weit hinausgegangen, habe aber keinen einzigen Affen entdecken können, versicherte John Cort.

– Das läßt ja das beste hoffen, antwortete Max Huber, und ich denke, unsere Patronen ferner anders zu verwenden, als zur Vertheidigung gegen die[122] Schlingel von Makaken!... Wahrlich, ich befürchtete schon, daß unser gesammter Schießvorrath gestern daraufgehen würde.

– Und wie hätten wir den erneuern können? fiel John Cort ein. Eine zweite Hütte anzutreffen, um sich da mit Pulver, Kugeln und Schrot frisch versorgen zu können, daran ist doch nicht zu denken.

– O, rief Max Huber, wenn ich mir vorstelle, daß der gute Doctor beabsichtigte, mit solchen Burschen einen gesellschaftlichen Verkehr anzubandeln! Eine hübsche Gesellschaft! Um ergründen zu wollen, welche Worte sie gebrauchen, sich zum Essen einzuladen oder einander Guten Tag oder Gute Nacht zu wünschen, dazu muß man wahrlich ein Professor Garner sein, von denen es in Amerika vielleicht noch mehrere giebt, oder ein Doctor Johausen, der vielleicht in Deutschland, vielleicht sogar in Frankreich, noch einige Geistesverwandte hat...

– In Frankreich, Max?...

– O, wenn man danach unter den gelehrten Perücken des Instituts oder der Sorbonne suchte, fände man wahrscheinlich einen Idio...

– Idioten! vollendete protestierend John Cort das letzte Wort.

– Idiomographen, verbesserte Max Huber, der fähig wäre, in den congolesischen Wäldern die Untersuchungen des Professor Garner und des Doctor Johausen wieder aufzunehmen.

– Ist man sich, lieber Max, auch klar über den Erfolg des ersten, der jede Verbindung mit der Gesellschaft der Makaken abgebrochen zu haben scheint, so gilt dasselbe doch noch nicht für den zweiten, und ich fürchte sehr, daß...

... die Paviane oder andere ihm alle Knochen im Leibe zerbrochen haben, fuhr Max Huber fort. Nach der Art und Weise, wie sie sich gestern gegen uns benahmen, kann man sich ja ein Urtheil erlauben, ob es civilisierte Wesen sind oder jemals solche werden können.

– Siehst Du, Max, ich bleibe dabei, daß die Thiere bestimmt sind, unvernünftige Geschöpfe zu bleiben...

– Und die Menschen nicht minder, fügte Max Huber lachend hinzu. Das schließt nicht aus, daß ich sehr bedauere, nach Libreville zurückzukommen, ohne Nachrichten über den Doctor mit heimzubringen.

– Mag sein; für uns wäre es aber doch von Werth, durch diesen undurchdringlichen Wald gekommen zu sein.

– Das wird geschehen...

– Vielleicht, doch ich wünschte, es wäre schon geschehen!«[123]

Das weitere Vordringen schien übrigens von keinen weiteren Schwierigkeiten bedroht zu sein, da das Floß ja nur der Strömung zu folgen brauchte, freilich unter der Voraussetzung, daß der Rio Johausen nicht durch Stromschnellen oder Barren versperrt oder durch Wasserfälle unterbrochen war, und gerade solche Hindernisse befürchtete der Foreloper noch immer.

Eben jetzt rief er seine Gefährten zum Frühstück. Llanga kam sofort herzugesprungen und brachte mehrere Enteneier mit, die für das Mittagsessen aufbewahrt wurden. Da noch ein Stück von der Antilope übrig war, brauchte der Mundvorrath vor der Mittagsrast nicht vervollständigt zu werden.

»Da fällt mir eben ein, begann jetzt John Cort, wir hätten doch unsere Munition nicht so nutzlos verschwenden sollen. Konnten wir denn nicht auch von dem Fleische der Affen zehren?

– O, pfui! stieß Max Huber hervor.

– Seh' einer diesen Kostverächter!

– Ich bitte Dich, lieber John, Gorillacoteletten, Gibbonfilet, Schimpansenkeule... ein Fricassée von Mandrillassen...

– Nun, ich äße im Nothfalle davon, meinte John Cort.

– Anthropophage Du! rief Max Huber mit komischer Entrüstung, wärst wahrhaftig imstande, fast Deinesgleichen zu verzehren...

– Ah, danke schön, Max!«

Schließlich überließ man natürlich die Cadaver der in der »Schlacht« erlegten Vierhänder den Vögeln als willkommene Beute. Der Wald von Ubanghi beherbergte so viele Wiederkäuer und Vögel, daß man den Vertretern des Affengeschlechtes die Ehre, sie in einen menschlichen Magen aufzunehmen, nicht anzuthun brauchte.

Khamis bereitete es ernste Schwierigkeiten, das Floß aus dem Wirbel zu befreien und es um die Landspitze herum zu steuern.

Alle halfen bei dieser Arbeit, die fast eine Stunde in Anspruch nahm. Man hatte dazu dünne Bäume abbrechen und deren Zweige entfernen müssen, um eine Art Stangen zu bekommen, womit das Fahrzeug vom Ufer abgedrängt wurde. Wurde dieses noch von dem Strudel zurückgehalten, wenn die Affenbande etwa wieder herangestürmt kam, so wäre deren Angriffen dadurch, daß man sich nach der Strömung flüchtete, nicht aus dem Wege zu gehen gewesen, und ohne Zweifel wären weder der Foreloper noch seine Gefährten heil und gesund aus dem gar zu ungleichen Kampfe hervorgegangen.[124]

Kurz, nach vieler Anstrengung bewegte sich das Floß langsam um die vorspringende Ecke und begann wieder, auf dem Rio Johausen hinabzugleiten.

Der Tag versprach schön zu werden, wenigstens deutete nichts auf ein drohendes Gewitter oder einen bevorstehenden Regen. Dafür schoß aber eine Lawine von Sonnenstrahlen lothrecht herunter und die Hitze wäre kaum erträglich gewesen, wenn sie nicht durch einen frischen Wind von Norden her gemildert worden wäre, einem Winde, der auch die Fahrt des Flosses, wenn dieses ein Segel trug, sehr beschleunigt hätte.

Je weiter der Fluß nach Südwesten verlief, desto mehr nahm er jetzt an Breite zu. Freilich wölbte sich nun auch keine Laube und vereinigten sich keine belaubten Zweige mehr über seinem Bette. Unter diesen Verhältnissen hätte das Wiedererscheinen der Vierhänder auch nicht mehr die Gefahr gehabt, wie am Vortage. Uebrigens zeigte sich von diesen nichts.

Verlassen waren die Ufer des Rio aber deshalb nicht. Vielerlei Wasservögel, Enten, Trappen, Pelikane, Martinstaucher und mehrere Arten von Strandreitern flatterten kreischend überall umher.

John Cort schoß einiges von diesem Geflügel, das nebst den von dem jungen Eingebornen gesammelten Eiern zur Mittagsmahlzeit diente. Um die verlorene Zeit einzubringen, wurde auch zur gewohnten Stunde nicht Halt gemacht, und die erste Hälfte dieses Tages verlief ohne den geringsten Zwischenfall.

Am Nachmittage kam es jedoch zu einem Alarm, der eine recht ernste Ursache hatte.

Es mochte etwa vier Uhr sein, als Khamis, der am Hintertheile das Steuer handhabte, John Cort bat, einmal seine Stelle zu vertreten, während er selbst nach vorn ging.

Max Huber stand auf, überzeugte sich, daß weder am rechten noch am linken Ufer etwas Verdächtiges zu bemerken war, und sagte dann zum Foreloper:

»Was sehen Sie denn Besonderes?...

– Das da!«

Khamis wies dabei mit der Hand stromabwärts nach einer stark bewegten Stelle des Wasserlaufes.

»Noch ein Wirbel, sagte Max Huber, oder vielmehr ein Maëlstrom im Kleinen! Achtung, Khamis, daß wir nicht dahinein gerathen.

– Das ist kein Wasserwirbel, antwortete der Foreloper.

– Was denn sonst?«...[125]

Auf diese Frage antwortete fast augenblicklich ein Wasserstrahl, der gegen zehn Fuß über die Fläche des Rio emporstieg.

Da rief Max Huber in höchster Verwunderung:

»Sollte es in den Flüssen Centralafrikas etwa gar Walfische geben?

– Nein, aber Flußpferde,« belehrte ihn der Foreloper.

Ein fauchendes Geräusch ließ sich da zu gleicher Zeit vernehmen, wo ein ungeschlachter Kopf mit mächtigen Stoßzähnen an den Kiefern emportauchte, und dazu – um eine merkwürdige, doch treffende Vergleichung zu gebrauchen – »das Innere eines Maules, das schon mehr einem Fleischerladen ähnelte, und ein Paar Augen, die sich an Größe mit der Dachlucke eines holländischen Bauernhauses messen konnten!« (In dieser Weise haben sich nämlich einzelne besonders phantasiereiche Reisende in ihren Berichten ausgedrückt.)

Flußpferde findet man zwischen dem Cap der guten Hoffnung und dem dreiundzwanzigsten Grade nördlicher Breite fast allenthalben. Sie hausen meist in den Flüssen, Seen und Sümpfen dieses ausgedehnten Gebietes. Hätte der Rio Johausen – dieser Hinweis fiel im Laufe des Gespräches – seine Mündung im Mittelländischen Meere gehabt, so wäre kein Angriff jener Amphibien zu besorgen gewesen, denn in den dahin verlaufenden Strömen kamen solche, mit Ausnahme des oberen Nils, überhaupt nicht vor.

Der Hippopotamus ist trotz seines eigentlich sanften Charakters ein recht gefährliches Thier. Wenn es aus irgend einem Grunde gereizt wurde, z. B. unter dem Einflusse des Schmerzes, wenn es harpuniert wird, stürzt es sich mit unbeschreiblicher Wuth auf die Jäger, verfolgt sie längs der Ufer, packt auch unmittelbar Bote an, die es bei seinem ungeheueren Körpergewicht leicht zum Kentern bringt, oder die es mit seinen mächtigen Kinnladen, die Arme und Beine des Menschen glatt abbeißen können, ernsthaft beschädigt.

Kein Insasse des Botes – nicht einmal der überaus jagdeifrige Max Huber – konnte auch nur daran denken, eine solche Amphibie anzugreifen. Das that aber wahrscheinlich die Amphibie, wenn sie das Floß erreichte, dagegen anstieß, es durch ihr, zuweilen bis zweitausend Kilogramm ansteigendes Gewicht überlastete, und wenn sie gar ihre schrecklichen Hauer hineinbohrte, was sollte dann aus Khamis und seinen Genossen werden?

Die Strömung war gerade ziemlich schnell, und vielleicht empfahl es sich mehr, ihr zu folgen, als dem Ufer zuzulenken, wohin der Hippopotamus doch nachgeschwommen wäre. Auf dem Lande konnte man seinen Stößen freilich[126] leichter ausweichen, weil das Thier sich mit seinen kurzen, plumpen Beinen und dem fast auf der Erde geschleppten Bauche nur unbeholfen bewegen kann. Es gleicht eben mehr dem Mastschweine als dem Eber. Auf dem Rio schwimmend, war das Floß dagegen ihm auf Gnade und Ungnade preisgegeben und wurde von ihm jedenfalls zerstört. Gelang es dessen Insassen dann vielleicht auch wirklich, das Ufer schwimmend zu erreichen, so standen sie wenigstens der erschreckenden Schwierigkeit gegenüber, sich ein neues Floß bauen zu müssen.

»Wir wollen versuchen, unbemerkt vorüberzukommen, rieth Khamis. Wir strecken uns alle platt aus, vermeiden jedes Geräusch und halten uns nur fertig, jeden Augenblick ins Wasser zu springen.

– Die Sorge für Dich, Llanga, nehme ich auf mich,« sagte Max Huber.

Alle befolgten den Rath des Forelopers und legten sich auf dem Flosse nieder, das die Strömung ziemlich schnell hinabtrug. In dieser Lage hatten sie vielleicht Aussicht, von dem Hippopotamus nicht bemerkt zu werden.

Wenige Augenblicke später, als sie das von dem mächtigen Thiere aufgewühlte Wasser passierten, das ihr Fahrzeug stark erschütterte, vernahmen sie ein grimmiges Schnaufen und Grunzen, wie von einem Wildschweine.

Jetzt folgten einige Secunden tödtlicher Angst in der Ungewißheit, ob das Floß von dem Kopfe des Ungeheuers in die Höhe gehoben oder durch seine Last versenkt werden würde.

Khamis, John Cort und Max Huber beruhigten sich erst, als sie wieder in ruhigem Wasser hintrieben und das Schnaufen, von dem sie die Wärme des Athems im Vorbeifahren gespürt hatten, allmählich schwächer hörbar wurde. Nun erhoben sie sich auch und sahen wirklich nichts mehr von der Amphibie, die nach der Tiefe des Flusses hinabgetaucht war.

Jäger, die an den Kampf mit Elefanten gewöhnt waren, die noch unlängst der Karawane des Händlers Urdax angehört hatten, hätten eigentlich vor dem Zusammentreffen mit einem Hippopotamus nicht zurückschrecken sollen. Wiederholt, doch unter günstigeren Verhältnissen, hatten sie ja auch schon in der Sumpfgegend des oberen Ubanghi auf diese Thiere Jagd gemacht. An Bord ihres gebrechlichen Fahrzeugs aber, dessen Verlust für sie so schmerzlich gewesen wäre, wird man ihre Besorgniß wohl erklärlich finden, und es war ein Glück, daß sie von einem Angriffe des furchtbaren Thieres verschont blieben.

Am Abend hielt Khamis an der Mündung eines Baches am rechten Ufer an. Ein besseres Unterkommen für die Nacht, am Fuße einer Gruppe von[127] Bananen, deren breite Blätter ein Schutzdach bildeten, konnte man sich kaum wünschen. An derselben Stelle war auch ein sandiger Uferstreifen mit eßbaren Mollusken bedeckt, die eingesammelt und je nach ihrer Art roh oder gekocht gegessen wurden. Der etwas rohe Geschmack der Bananen ließ dagegen viel zu wünschen übrig. Zum Glück ließ sich aus dem Wasser des Baches unter Zusatz des Saftes dieser Früchte ein recht erquickendes Getränk herstellen.

»Das wäre alles gut und schön, äußerte Max Huber, wenn wir nur die Gewißheit hätten, auch ruhig schlafen zu können. Leider schwirren hier aber die verwünschten Insecten umher, von deren Stachel wir nicht verschont bleiben werden. Bei dem Mangel an Moskitonetzen werden wir greulich zerstochen erwachen.«


Alle legten sich auf dem Flosse nieder. (S. 127.)
Alle legten sich auf dem Flosse nieder. (S. 127.)

Das wäre in der That nicht ausgeblieben, wenn Llanga nicht ein Mittel gefunden hätte, die in surrenden Wolken umherschwärmenden Moskitos zu vertreiben.

Er war längs des Ufers ein Stück hinausgegangen, und jetzt hörte man ihn rufen.


 »Was hast Du denn da aufgefischt?« (S. 134.)
»Was hast Du denn da aufgefischt?« (S. 134.)

Khamis lief zu dem Knaben hin, und Llanga zeigte ihm am Ufer trockenen Mist, der von Wiederkäuern, Antilopen, Hirschen, Büffeln und anderen herrührte, die hier gewiß ihren Durst zu löschen pflegten.

Warf man diese Reste in ein helles Feuer, wodurch ein dichter, eigenthümlich scharfer Rauch erzeugt wird, so war das das beste und vielleicht einzige Mittel, die Moskitos zu verjagen. Die Eingebornen bedienen sich seiner immer, und sie fahren auch gut dabei.

Sofort wurde also zwischen den Bananen ein tüchtiges Feuer aus dürrem Holz angezündet. Der Foreloper warf einige Hände voll trockenen Mist hinein. Augenblicklich stieg davon eine dunkle Rauchwolke auf und die Luft war in kürzester Zeit von den unerträglichen Insecten gesäubert.

Das Feuer sollte die ganze Nacht über von John Cort, Max Huber und Khamis unterhalten werden, wozu sie abwechselnd die Wache übernahmen. Am nächsten Morgen gedachten sie dann, durch einen ruhigen Schlummer gestärkt, schon in früher Stunde den Rio Johausen weiter hinunter zu fahren.

Im Klima Mittelafrikas ist nichts veränderlicher als das Wetter. Auf den klaren Himmel am vorigen Tage folgte ein grau überzogener, der einen regnerischen Tag ankündigte. Da die Wolken sich aber mehr in den tieferen Luftschichten hielten, fiel nur ein seiner Regen, ein einfacher Wasserstaub, der aber nichtsdestoweniger recht lästig wurde.

Zum Glück kam da Khamis ein vortrefflicher Gedanke. Die Bananenblätter sind vielleicht die größten Blätter des gesammten Pflanzenreiches. Die Schwarzen benutzen sie als Bedeckung ihrer Strohhütten. Schon aus einem Dutzend davon ließ sich mitten über dem Flosse eine Art Plane herstellen, die mittels Lianenfasern befestigt wurde. Das hatte der Foreloper schon vor der Abfahrt ausgeführt. Die Passagiere befanden sich also unter Schutz gegen den andauernden Regen, der von den breiten Blättern nach der Seite zu ablief.[131]

Während des ersten Theiles des Tages zeigten sich am rechten Ufer wieder einige – vielleicht zwanzig – große Affen, die nicht abgeneigt schienen, die Feindseligkeiten des vorigen Tages aufs neue zu eröffnen. Das Klügste blieb es immer, jede Berührung mit den häßlichen Burschen zu vermeiden, und es gelang auch, das Floß mehr am linken Ufer zu halten, das von Vierhänderbanden weniger bevölkert war.

John Cort bemerkte sehr richtig, daß die Beziehungen zwischen den Affenscharen der beiden Ufer nur sehr dürftig sein könnten, weil der Uebergang von einer Seite zur anderen nur auf den Brücken aus Zweigen und Lianen möglich war, was selbst für Affen seine Schwierigkeiten haben dürfte.

Man »schnitt« heute wiederum die Mittagsrast und im Laufe des Nachmittags hielt das Floß nur ein einziges Mal an, um eine Sassabys-Antilope zu holen, die John Cort nahe bei einer Flußbiegung unter dem Gesträuch am Lande durch einen Schuß erlegt hatte.

An dieser Biegung, wo der Rio Johausen sich nach Südosten wendete, machte er fast einen rechten Winkel gegen seine bisherige Richtung. Natürlich beunruhigte es Khamis nicht wenig, sich damit wieder mehr nach dem Waldesinnern verschlagen werden zu sehen, während sein Reiseziel doch auf der entgegengesetzten Seite am Atlantischen Oceane lag. War auch nicht zu bezweifeln, daß der Rio Johausen zu den Nebenflüssen des Ubanghi gehörte, so bildete es doch einen gewaltigen Umweg, wenn man auf den Hauptstrom erst mehrere hundert Kilometer weiter oben, in der Mitte des unabhängigen Congogebietes traf. Zum Glück erkannte der Foreloper nach einstündiger Weiterfahrt, dank seinem scharfen Orientierungssinne – denn die Sonne war nicht sichtbar – daß der Wasserlauf wieder seine ursprüngliche Richtung einschlug. Das erweckte die Hoffnung, daß er das Floß nach der Grenze von Französisch-Congo bringen werde, von wo aus es leicht war, Libreville zu erreichen.

Halb sieben Uhr lief Khamis mit einem kräftigen Ruderschlage das linke Ufer in einer Einbuchtung an, die von dem dichten Laube eines Cailecedrat, einer den Acajons der Senegalwälder fast gleichkommenden Baumart, beschattet war.

Regnete es auch nicht mehr, so bedeckten den Himmel doch noch starke Dunstmassen, die die Sonne nicht zu durchdringen vermochte. Man brauchte des halb aber nicht zu glauben, daß die nächste Nacht kalt sein werde. Ein Thermometer hätte hier noch immer fünfundzwanzig Centigrade gezeigt. Bald loderte ein Feuer zwischen den Steinen am Ufer der Einbuchtung auf, das nur[132] für Küchenzwecke, nämlich zum Braten eines Sassabysviertels, angezündet worden war. Diesmal hätte Llanga vergeblich nach Mollusken gesucht, um in die Mahlzeit Abwechslung zu bringen, oder nach Bananen, um das Wasser aus dem Rio Johausen schmackhafter zu machen, denn »trotz eines Anklingens an den Namen« – bemerkte Max Huber – erinnerte es in keiner Weise an den Johannisberger des Fürsten Metternich. Dafür konnte man sich wenigstens in gleicher Weise, wie am Abend vorher, der Moskitos erwehren.

Halb acht Uhr war es noch nicht völlig dunkel. Auf dem Wasser des Flusses spiegelte sich ein schwacher Lichtschein, und Haufen von Gesträuch und anderen Pflanzen, sowie einzelne Stämme, die vom Ufer losgerissen sein mochten, trieben auf dem Rio daher.

Während John Cort, Max Huber und Khamis Lagerstätten zurecht machten, indem sie dicke Schichten trockenen Grases am Fuße des Baumes ausbreiteten, lief Llanga noch auf dem Flosse hin und her, und betrachtete mit Interesse die vorüberschwimmenden Gegenstände.

Da zeigte sich, etwa dreißig Toisen stromaufwärts, der Stamm eines mittelstarken Baumes sammt vollständiger Krone. Er war fünf bis sechs Fuß unterhalb des Aesteansatzes abgebrochen und zeigte eine noch ganz frische Bruchfläche. Diese Aeste, deren unterste im Wasser schwammen, zeigten sich bedeckt mit dickem Laube, auch mit einigen Blüthen und Früchten, kurz, mit dem ganzen Grün, das trotz des Sturzes an dem Baume haften geblieben war.

Wahrscheinlich war dieser bei dem letzten Gewitter von einem Blitze getroffen worden. Von der Stelle, wo ihn seine Wurzeln hielten, mochte er auf ein abhängiges Uferstück gefallen, dann, von dem Gesträuch nach und nach frei werdend, weiter geglitten und von der Strömung gefaßt worden sein, mit der er jetzt, gleich der anderen Trift, auf dem Rio weiter hinunter trieb.

Daß sich Llanga solchen Betrachtungen hätte hingeben können, war ja ausgeschlossen und auch nicht der Fall gewesen. Er würde diesem Stamm ebensowenig eine besondere Beachtung geschenkt haben, wie den anderen dahintreibenden Gegenständen, wenn seine Aufmerksamkeit nicht in ganz seltsamer Weise darauf hingelenkt worden wäre.

Mitten unter den Zweigen glaubte Llanga nämlich ein lebendes Wesen zu bemerken, das Bewegungen machte, als ob es um Hilfe flehte. Bei dem herrschenden Halbdunkel war freilich nichts genaues zu erkennen, nicht einmal, ob es sich um ein Thier handelte.[133]

Unentschlossen, was er thun sollte, wollte der Knabe eben nach John Cort und Max Huber rufen, als er durch einen weiteren Zwischenfall davon abgehalten wurde.

Der Stamm befand sich jetzt nur noch vierzig Meter weit von ihm entfernt und trieb schräg nach der Ausbuchtung zu, worin das Floß angebunden lag.

Da ertönte plötzlich ein Schrei, ein eigenthümlicher Schrei oder vielmehr ein verzweifelter Ruf, als ob ein menschliches Wesen Hilfe und Beistand verlangte. Als der Stamm dann vor der Ausbuchtung vorbeitrieb, stürzte sich dieses Wesen in den Fluß, offenbar in der Absicht, nach dem Ufer zu schwimmen.

Llanga glaubte ein Kind zu erkennen, das noch kleiner war, als er selbst. Das Kind mußte sich wohl auf dem Baume befunden haben, als dieser gerade umstürzte. Es schien des Schwimmens nur sehr wenig mächtig zu sein, so daß es das Ufer voraussichtlich nicht erreichen konnte; offenbar versagten ihm auch schon die Kräfte. Es paddelte im Wasser, verschwand jetzt und tauchte dann wieder auf, und von Zeit zu Zeit kam ein auffallendes Glucksen über seine Lippen.

Seinem reinen Mitgefühle folgend und ohne erst noch andere herbeizurufen, stürzte sich Llanga in den Rio und erreichte schwimmend die Stelle, wo das Kind eben wieder versunken war.

John Cort und Max Huber, die dessen erste Rufe auch schon gehört hatten, kamen nach dem Rande der Ausbuchtung geeilt. Da sie Llanga einen Körper an der Wasseroberfläche halten sahen, streckten sie ihm die Hände entgegen, um that das Ersteigen des Ufers zu erleichtern.

»Heda, Llanga, rief Max Huber, was hast Du denn da aufgefischt?

– Ein Kind, lieber Herr Max, ein Kind, das dem Ertrinken nahe war.

– Ein Kind? wiederholte kopfschüttelnd John Cort.

– Ja, lieber Herr John.«

Llanga kniete neben dem kleinen Wesen, das er gerettet hatte, nieder.

Max Huber bückte sich neben ihm, um es genauer sehen zu können.

»Oho, sagte er sich erhebend, das ist ja gar kein Kind!

– Was denn? fragte John Cort.

– Weiter nichts als ein kleiner Affe... ein Abkömmling der greulichen Grimassenschneider, die uns belästigt haben!... Und um den aus dem Wasser zu ziehen, hast Du, Llanga, Dich der Gefahr ausgesetzt, selbst zu ertrinken![134]

– Nein, es ist ein Kind... es ist doch ein Kind! wiederholte Llanga.

– Es ist nicht wahr, und ich fordere Dich auf, den Burschen wieder zu seiner Familie im Walde laufen zu lassen.«

Ob er nun an die Behauptung seines Freundes Max nicht glaubte oder sonst welche Gründe für eine andere Anschauung hatte, jedenfalls blieb Llanga dabei, ein Kind in dem kleinen Geschöpf zu sehen, das ihm seine Rettung verdankte, wenn es auch noch nicht wieder zum Bewußtsein gekommen war. Er dachte also gar nicht daran, sich von ihm zu trennen, sondern hob es sorgsam vom Boden auf. Im ganzen schien es das beste, ihn, wenigstens vorläufig, gewähren zu lassen. Als er es nach dem Lagerplatze gebracht hatte, überzeugte sich Llanga, daß es noch athmete; dann rieb er das seltsame Wesen ab, suchte es zu erwärmen und legte es endlich, in Erwartung, daß es die Augen schon noch aufschlagen werde, auf eine Schicht von dürrem Grase nieder.

Die Bewachung während der Nacht wurde in gewohnter Weise geregelt, und die beiden Freunde schliefen bald ein, da Khamis bis Mitternacht wach bleiben sollte.

Llanga dagegen konnte kein Auge zuthun. Er lauschte gespannt auf die leiseste Bewegung seines neben ihm liegenden Schützlings, hielt ihn an den Händen und beobachtete seine Athmung. Wie groß aber war seine Ueberraschung, als er gegen elf Uhr eine schwache Stimme vernahm... er erlauschte das Wort: »Ngora... Ngora!« Es klang, als ob ein Kind nach seiner Mutter riefe.

Quelle:
Jules Verne: Das Dorf in den Lüften. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXIX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 121-129,131-135.
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