Zwölftes Capitel.
In Falkenhorst. – In Waldegg. – In Zuckertop. – Auf dem Prospect-Hill. – Das verlassene Meer. – Vorbereitungen zum Zuge nach dem Innern. – Wer abreist und wer daheim bleibt. – Begleitung bis zum Engpaß der Cluse. – Abschied.

[182] Die Regenzeit, die dieses Jahr länger als gewöhnlich angehalten hatte, ging mit der letzten Augustwoche zu Ende. Mit Rücksicht auf den geplanten Ausflug nach dem Innern der Insel, wurde die Bearbeitung der Felder und die Aussaat sofort in Angriff genommen. Der ältere Zermatt gedachte jene Fahrt nicht[182] vor der zweiten Hälfte des September anzutreten, und die Zeit bis dahin mußte für die zuerst nothwendigen Arbeiten bequem ausreichen.

Diesmal entschieden sich die beiden Familien nicht für ein Verweilen in Falkenhorst. Das dortige »Luftschloß« hatte durch die letzten Stürme doch manchen Schaden erlitten, der eine gründlichere Ausbesserung verlangte Deshalb sollte jetzt der Aufenthalt daselbst nur wenige Tage dauern, bis die Aussaat, das Beschneiden der Reben vollendet und für die hier untergebrachten Thiere gesorgt war. Ebenso wollte man den Aufenthalt in Waldegg, in Zuckertop und auf dem Prospect-Hill nach Möglichkeit abkürzen.

»Wir dürfen nicht vergessen, bemerkte der ältere Zermatt, daß nach der Heimkehr unserer Abwesenden, nach dem Eintreffen der neuen Freunde, des Obersten Montrose, Ihres Sohnes James und dessen Gattin, lieber Wolston, und vielleicht einer gewissen Anzahl von Colonisten, in Falkenhorst, wie in den übrigen Meiereien, mancherlei Vergrößerungen nothwendig werden dürften. Hilfskräfte für diese wahrscheinlich recht umfänglichen Arbeiten werden uns dann sicherlich willkommen sein. Für jetzt wollen wir uns deshalb nur mit unseren Feldern, Ställen und Geflügelhöfen beschäftigen. In den zwei Monaten bis zur voraussichtlichen Ankunft der »Licorne« wird das gerade genug Arbeit geben.«

Da das Verbleiben der Frau Zermatt und Frau Wolston in Felsenheim unerläßlich war, versprachen diese beiden auch, daß sie alles in der Wohnung und draußen, die Hausthiere, das Geflügel auf dem Gänseteiche und die Gemüseanpflanzung im Garten besorgen würden. Sie gestatteten sogar Annah, ihren Vater beim Besuche der Meiereien zu begleiten, und wenn das junge Mädchen darüber erfreut war, so war es Ernst nicht minder. Der Ausflug war auch mit keinerlei Anstrengung verknüpft, da der mit zwei Büffeln bespannte Wagen und die drei jungen Esel zur Beförderung durch das Gebiet des Gelobten Landes dienen sollten. Im Wagen sollten der ältere Zermatt, Ernst, Wolston und Annah Platz nehmen, während Jack, der ja immer gern die Rolle eines Kundschafters spielte, auf dem Onagre Leichtfuß, seinem Lieblingsreitthiere, voraustraben wollte. Schwankte er auch anfänglich zwischen dem Stier Brummer und dem Strauße Brausewind, so entschied er sich schließlich doch für den Onagre (Wildesel), und Brummer und Brausewind mußten sich schon dareinfinden, in Felsenheim zurückzubleiben.

Am 25. August wurde in Falkenhorst zum erstenmale Halt gemacht, da sich hier eine Anzahl Hausthiere in einer Umfriedigung befanden. Es war schönes[183] Wetter und von der Rettungsbucht her wehte ein leichter Wind bei einer noch recht mäßigen Luftwärme. Die Fahrt durch die schattige, längs des Ufers verlaufende Allee glich mehr einer angenehmen Spazierfahrt.

Zu dieser Zeit des Jahres verspürten wieder Zermatt und seine Söhne den tiefen, wohlthuenden Eindruck, den die Rückkehr des Frühlings immer auf sie gemacht hatte, jene heilsame Einwirkung der Natur in den ersten herrlichen Tagen, die, wie das Haupt der Familie sich in einem Berichte über seine Erlebnisse ausdrückte: »wiederkehrte, wie ein seit Monaten abwesender Freund, der ihnen Vergnügen und Segen brachte«.

Feldarbeiten blieben während des Aufenthaltes in Falkenhorst ausgeschlossen, da die zu besäenden Ackerstücke bei den entfernteren Meiereien lagen. Hier handelte es sich nur um die Besorgung und Verpflegung der Thiere, um die Herbeischaffung weiterer Futtervorräthe, sowie um einige unaufschiebliche Ausbesserungen an den Stallungen und um das Säubern und Ausschlämmen des kleinen Baches, der die hiesige Anlage mit Wasser versorgte.

Die prächtigen Bäume des benachbarten Waldes hatten dem tollen Ansturme des Windes gut widerstanden und nur einzelne schwächere Aeste verloren. Dieses abgestorbene Holz wurde natürlich gesammelt und in den Holzställen der Einfriedigung untergebracht.

Es zeigte sich auch, daß einer der riesigen Mangobäume vom Blitze getroffen worden war. Obwohl das dem, der die hohe Wohnung trug, nicht widerfahren war, kam Ernst doch der Gedanke, daß es rathsam sei, diesen durch einen Blitzableiter zu schützen, dessen Fangstange ein gutes Stück über den Wipfel hinausreichte und mittels eines Drahtes mit dem Erdboden verbunden wäre. Er nahm sich deshalb vor, über eine solche Anlage reiflich nachzudenken, denn im Sommer traten sehr häufig Gewitter auf, und das elektrische Fluidum hätte Falkenhorst doch ernstlich beschädigen können.

Die Arbeiten hier nahmen drei volle Tage in Anspruch, so daß der ältere Zermatt erst am vierten nach Felsenheim zurückkehrte. Seine Gefährten und er brachen schon nach vierundzwanzig Stunden wieder von hier auf, und Wagen und Reitthiere schlugen nun die Richtung nach Waldegg ein.

Die Strecke zwischen Felsenheim und dieser Meierei wurde im Laufe des Vormittags zurückgelegt. Gleich nach der Ankunft ging jedermann an die Arbeit. Hier befand sich die Schäferei mit Schafen und Ziegen, deren Zahl von Jahr zu Jahr zunahm, und daneben ein Hühnerhof mit Hunderten von Bewohnern.[184]

Der Futterboden, der die Vorräthe von der letzten Ernte her enthielt, erforderte einige Reparaturen. An der Wohnung zeigte sich nichts davon, daß sie unter dem schlechten Wetter gelitten hätte. Freilich war diese auch nicht mehr die Hütte aus biegsamem Rohr und dünnen geschmeidigen Ruthen, wie in der allerersten Zeit. Das jetzige Häuschen bestand aus Mauerwerk, außen mit einem Bewurf aus Sand und fettem Thon und im Innern mit einem Fußboden aus Gips, der jedes Eindringen von Feuchtigkeit verhinderte. Zermatt überzeugte sich anderseits zu seiner großen Befriedigung, daß die Baumwollanpflanzungen in der[185] Nachbarschaft von Waldegg ein vortreffliches Aussehen zeigten. Dasselbe war der Fall mit dem zu einem richtigen Maisfelde verwandelten Moore, dessen Boden die Regenfälle nicht hatten fortwaschen können.


An diesem Abende konnten die Gäste einen prächtigen Sonnenuntergang bewundern. (S. 192.)
An diesem Abende konnten die Gäste einen prächtigen Sonnenuntergang bewundern. (S. 192.)

Auf der anderen Seite bedrohte, obwohl der Schwanensee einen hohen Wasserstand aufwies, der fast dem der Flüsse gleichkam, doch keine Ueberschwemmung die Felder in der Umgebung. Zahllose Wasservögel belebten den kleinen See, z. B. Reiher, Pelikane, Sumpfschnepfen, Spießenten, Wasserhühner und, die anmuthigsten von allen, Schwäne mit völlig schwarzem Gefieder, die paarweise dahinschwammen.

Jack konnte hier nach Belieben einige von den Vögeln abschießen, die gewöhnlich auf der Mittagstafel der Farm von Waldegg erschienen. Er erlegte also einige Dutzend Enten und daneben, unter den Uferbäumen, noch ein tüchtiges Wasserschwein, das der Wagen mit nach Felsenheim befördern sollte.

Was die Affenvölker betraf, konnte man um derenwillen beruhigt sein. Jetzt war keiner mehr zu sehen von den schadenbringenden Vierhändern, die so gewandt sind, Tannenzapfen als Wurfgeschosse zu benützen und die früher in den Wäldern der Nachbarschaft hausten, wo sie damals recht empfindlichen Schaden anrichteten. Seitdem man ihnen aber eins ordentlich aufs Fell gebrannt hatte, waren sie klug genug gewesen, Fersengeld zu geben.

Nach Beendigung der ersten Arbeiten begann man auf den Feldern von Waldegg mit der Aussaat. Der höchst fruchtbare Boden brauchte weder gepflügt, noch mit dem Abraum, den die Meierei mehr als genug hätte liefern können, gedüngt zu werden; die von den jungen Eseln darüber hingezogene Egge reichte zu seiner Aufbereitung schon vollständig aus. Diese Saatarbeit beanspruchte jedoch die Betheiligung aller, selbst Annahs, und die Rückkehr nach der Wohnung in Felsenheim konnte erst am 6. September erfolgen.

Zermatt und seine Gefährten hatten alle Ursache, Frau Wolston und Betsie wegen der Thätigkeit zu loben, die diese während ihrer Abwesenheit entwickelt hatten. Viehhof und Ställe befanden sich im besten Zustande; der Küchengarten war in Ordnung gebracht, gejätet und die Gemüse standen in schönster Linie eingepflanzt. Die beiden Hausfrauen hatten auch alle Wohnräume ausgewaschen, das Bettzeug gesömmert und ausgeklopft, kurz, alles gethan, was zu einer ordentlichen Wirthschaftsführung gehört.

Langeweile hatten sie wahrlich nicht empfunden, doch verhehlten sie auch nicht den Wunsch, diese Besuche der Meiereien, woran sie nicht theilnehmen konnten, bald beendigt zu sehen.[186]

Daraufhin wurde beschlossen, daß in den nächsten Tagen nur noch ein einziger Ausflug nach den übrigen Anlagen unternommen werden sollte. Dieser sollte gemeinsam den Meiereien von Zuckertop und am Prospect-Hill gelten. Ihn bis zum Cap der Getäuschten Hoffnung auszudehnen, hätte gewiß acht Tage in Anspruch genommen und die Rückkehr bis Mitte September verzögert.

»Die Einsiedelei Eberfurt, bemerkte dazu der ältere Zermatt, können wir bei unserem Zuge nach dem Innern der Insel mit aufsuchen. denn das Gelobte Land bietet ja keinen anderen Ausgang als durch den Engpaß der Cluse, der ohnehin in der Nähe jener Meierei liegt.

– Ganz richtig. bestätigte Wolston. Sind dort aber nicht noch Culturarbeiten auszuführen, die unter einer Verzögerung leiden könnten?

– Wir haben, lieber Wolston, antwortete der ältere Zermatt, mit solchen Zeit, bis die Heu- und die Getreideernte uns wieder dorthin ruft, und das wird unter mehreren Wochen nicht der Fall sein. Wir wollen also mit Zuckertop und dem Prospect-Hill die kleineren Ausflüge beschließen.«

Dieser Vorschlag fand Zustimmung und gleichzeitig wurde ausgemacht, daß Annah ihren Vater nicht begleiten solle, da die Fahrt sich wohl über eine Woche ausdehnen könnte. Frau Wolston wäre diese Abwesenheit zu lang erschienen Ihre Tochter würde ihr auch in Felsenheim für verschiedene häusliche Arbeiten sehr nützlich sein können, wie bei der großen Wäsche und bei der Ausbesserung von Kleidungsstücken und Bettzeug. Harke und Jäthacke traten jetzt gegen Bügeleisen und Nähnadel zurück. Ohne von ihrer Besorgniß als Mutter zu reden, machte Frau Wolston diese Gründe so überzeugend geltend, daß Annah sich ihnen. wenn auch mit Bedauern, fügen mußte.

Ernst fand diese Gründe begreiflicherweise nicht recht nach seinem Geschmacke und er legte sich deshalb auch die Frage vor, ob nicht auch sein Verbleiben in Felsenheim geboten erscheine.

Da war es nun der wackere Jack, der ihm mit gewohnter Kameradschaftlichkeit helfend unter die Arme griff. Am Abend vor der Abfahrt brachte er deshalb, als alle im gemeinschaftlichen Zimmer versammelt waren, diese Frage mm Gespräch.

»Ich weiß recht gut, Vater, begann er, daß Frau Wolston, ihre Tochter und meine Mutter keinerlei Gefahr laufen, wenn sie in Felsenheim allein zurückbleiben. Soll das aber eine ganze Woche dauern... ja, wer weiß... ob es da nicht besser wäre...[187]

– Ganz gewiß, Jack, stimmte der ältere Zermatt ein, ich würde in unserer Abwesenheit keine ruhige Stunde haben... wenn auch keine Gefahr zu befürchten sein mag. Bisher sind wir immer nur höchstens zwei bis drei Tage weggewesen; diesmal würde es eine ganze Woche werden!... Das ist zu lange. Und doch wäre es zu beschwerlich, wenn wir alle zusammen fortgehen wollten...

– Wenn Sie es wünschen, fiel Wolston ein, erbiete ich mich, in Felsenheim zu bleiben.

– O nein, mein lieber Wolston, erwiderte Zermatt, Sie gerade weniger als jeder andere. Schon wegen der zukünftigen Arbeiten ist es nothwendig, daß Sie uns nach Zuckertop und dem Prospect-Hill begleiten. Wenn einer meiner Söhne zustimmte, bei seiner Mutter zu bleiben, würde ich beruhigt sein. Das ist schon wiederholt vorgekommen. Jack zum Beispiel...«

Jack konnte sich des Lächelns kaum enthalten und warf Ernst einen Seitenblick zu.

»Wie, rief er, mich... mich wollt Ihr bestimmen, das Haus zu behüten? Einem Jäger wollt Ihr die Gelegenheit rauben, Groß- und Kleinwild zu pürschen? Wenn denn einer in Felsenheim bleiben muß, warum denn nicht Ernst?...

– Ernst oder Jack, das ist ja gleich, nicht wahr, Frau Wolston? fragte Zermatt.

– Gewiß, Herr Zermatt!

– Und wenn Ernst hier ist, wird sich niemand fürchten, auch Sie nicht, Annah, oder Du, liebe Betsie?

– Nicht im geringsten, antwortete das junge Mädchen leicht erröthend.

– So sprich doch, Ernst, ermahnte diesen sein Bruder; Du sagst ja kein Wort dazu, ob Dir diese Verabredung paßt!«

Natürlich paßte sie Ernst, und der ältere Zermatt konnte zu dem verständigen und muthigen jungen Manne auch das beste Vertrauen haben.

Die Abfahrt wurde auf den nächsten Tag festgesetzt. Schon mit Anbruch des Tages verabschiedeten sich der ältere Zermatt, Wolston und Jack mit der Zusicherung, ihre Abwesenheit so viel wie möglich zu verkürzen.

Der nächste Weg von Felsenheim nach Zuckertop verlief in schräger Richtung zu dem nach Waldegg, der längs der Küste hinführte.

Der Wagen, worauf die Herren Zermatt und Wolston Platz nahmen, war noch mit Säcken mit Saatgetreide, einer Anzahl Werkzeuge und Geräthe, mit Lebensmitteln und einem reichlichen Vorrath an Schießbedarf beladen.[188]

Jack, der sich von Leichtfuß nicht hatte trennen wollen, trottete nebst seinen Hunden Braun und Falb daneben her.

Anfänglich schlug man die Richtung nach Südwesten ein, um den Schwanensee zur Rechten zu lassen. Große Wiesenflächen, natürliche Weiden, erstreckten sich von hier bis zum Ableitungscanale des Schakalbaches hin, und dieser selbst wurde, etwa eine Lieue von Falkenhorst, auf der kleinen, alten Brücke überschritten.

In dieser Richtung gab es zwar keine eigentlich fahrbare Straße, gleich der nach der Meierei Waldegg, die vielen Fahrten mit schweren Karren und Wagen hatten den Boden aber doch etwas eingeebnet und den Pflanzenwuchs darauf vernichtet. Von den beiden kräftigen Büffeln gezogen, kam denn der Wagen auch ohne zu große Anstrengung ziemlich schnell vorwärts

Die gegen drei Lieues lange Strecke bis Zuckertop wurde in vier Stunden zurückgelegt.

Zermatt, Wolston und Jack kamen in der dortigen Wohnung also zur Frühstückszeit an. Nachdem sie mit gutem Appetit gegessen hatten, ging es sofort an die Arbeit.

Zunächst mußten mehrere Planken der Einfriedigung, worin die Schweine die Regenzeit verbracht hatten, aufgerichtet werden. In diese Einfriedigung waren auch andere Vertreter der Schweinerasse, nämlich Tajams oder Moschusschweine, die schon früher bei Zuckertop bemerkt worden waren, eingedrungen und lebten hier mit den anderen in bester Freundschaft. Natürlich hütete man sich, sie etwa wieder zu verjagen. Der ältere Zermatt wußte recht gut, daß das Fleisch dieser Thiere genießbar war, wenn man nur den stark aromatischen Moschusbeutel, der bei ihnen am Rücken sitzt, sorgsam entfernte.

Die Anpflanzungen dieser Anlage erwiesen sich, dank ihrer größeren Entfernung vom Meere, völlig unverletzt. Es war eine wahre Freude, den guten Zustand der Goyaven, Bananen, des Palmkohles und vorzüglich der »Ravendsaras« mit dickem Stamme und pyramidenförmigem Kopfe zu sehen, deren Rinde den Geschmack des Zimmets und der Gewürznelken vereinigt.

Als der ältere Zermatt mit seinen Söhnen zum erstenmale hierhergekommen war, bildete die Oertlichkeit nur einen Sumpf, der nachher der Zuckerrohrsumpf genannt worden war. Sie hatten diese Stelle schon in den ersten Tagen besucht, nachdem sie an der Insel gestrandet waren. Jetzt umrahmten weite angebaute Felder die Farm von Zuckertop, und daneben Grasflächen, worauf einige Kühe[189] weideten. An Stelle der früheren einfachen Hütte aus Zweigen erhob sich ein Häuschen, das gut geschützt unter Bäumen lag. Nicht weit davon stand ein ausschließlich aus Bambus bestehendes Dickicht, einer Bambusart mit spitzigen Dornen, die als Nägel dienen konnten, und wer durch das Dickicht hätte dringen wollen, wäre nur mit völlig zerrissener Kleidung wieder herausgekommen.

Der Aufenthalt in Zuckertop dauerte acht Tage, die mit der Aussaat von Hirse, Weizen, Hafer und Mais ausgefüllt wurden. Alle Getreidearten wuchsen in dem, von einer Ableitung aus dem Schwanensee bewässerten Boden rasch und kräftig empor. An dieser Seite hatte Wolston nämlich einen seichten Einschnitt am Westrande des Sees gemacht, und das von allein überfließende Wasser vertheilte sich von da aus auf dem ganzen Gebiete. Infolge dieser Einrichtung konnte Zuckertop auch als die reichste der drei Meiereien gelten, die im Bezirke des Gelobten Landes angelegt worden waren.

Selbstverständlich hatte Jack im Laufe dieser Woche seiner leidenschaftlichen Jagdlust ausgiebig gehuldigt. Sobald eine Unterbrechung der Arbeit es ihm gestattete, zog er mit seinen Hunden aus, und die Speisekammer füllte sich dabei reichlich mit Wachteln, Waldhühnern. Rebhühnern und Trappen an Federwild, und mit Wasserschweinen und Agutis an Haarwild.

Von Hyänen, die sich in der Umgebung früher gezeigt hatten, traf Jack ebensowenig eine, wie irgend ein anderes Raubthier an. Offenbar flohen diese Bestien vor dem Menschen.

Als er einmal seitwärts vom See hinausdrang, fand Jack, der vom Glücke mehr als vor einigen Jahren sein Bruder Ernst begünstigt wurde, Gelegenheit, ein Thier von der Größe eines tüchtigen Esels mit dunkelbraunem Felle zu schießen, eine Art Rhinoceros ohne Horn von der Familie der Tapire. Es war ein Anta, der auf die erste Kugel des jungen Jägers, die dieser aus zwanzig Schritt Entfernung abgeschossen hatte, zwar nicht schon fiel, als er sich aber auf diesen stürzen wollte, durch eine zweite Kugel ins Herz getroffen zusammenbrach.

Die gesammte Arbeit bei Zuckertop war am Abend des 15. September beendigt. Am nächsten Tage, und nachdem das Haus gut verschlossen und der Eingang zur Einfriedigung hinter den Planken noch durch einen festen Balken gesperrt worden war, rollte der Wagen nach Norden davon, um zum Prospect-Hill in der Nähe des Caps der Getäuschten Hoffnung zu gelangen.

Zwei Lieues trennten die Meierei von dieser Landspitze, die wie ein Geierschnabel zwischen der Nautilusbucht und dem offenen Meere hinausragte. Der[190] großte Theil der Fahrt verlief auf ebenem Boden, der das Fortkommen erleichterte Nur in der Nähe des Steilufers neigte sich das Land merklicher abwärts

Zwei Stunden nach dem Aufbruche und jenseit einer grünen, fetten Landschaft, die durch die Regenzeit wie verjüngt erschien, erreichten der ältere Zermatt, Wolston und Jack das Affenholz, das seit dem Verschwinden seiner schlimmen Bewohner diesen Namen eigentlich nicht mehr verdiente. Am Fuße des Hügels angelangt, machten sie Halt.

Der Abfall des Prospect-Hill war nicht so steil, daß die Büffel und das Onagre diesen auf einem sich aufwärts windenden Wege nicht hätten überwinden können. Sie mußten sich zwar, mehrfach angefeuert, tüchtig anstrengen, der Wagen gelangte aber bis zum Gipfel.

Das den Ost- und Nordwinden, die das Cap ungebrochen trafen, stark ausgesetzte Haus da oben hatte unter den letzten Stürmen mehrfach gelitten. Es erforderte verschiedene schleunige Reparaturen, denn sein Dach war an mehreren Stellen abgerissen worden. Trotzdem war es zur Sommerzeit noch immer bewohnbar und die Ankömmlinge konnten sich darin für einige Tage recht gut einquartieren.

Was den Viehhof betraf, den das Höhnervolk mit seinem Glucksen und munteren Treiben belebte, mußten versauedene, in der schlechten Jahreszeit entstandene Beschädigungen ausgebessert werden Daneben galt es noch, die Mündung der kleinen frischen Quelle zu reinigen, die nahe dem Gipfel des Hügels entsprang.

Bei den Anpflanzungen, vorzüglich denen der Kapern- und der Theesträuche, beschränkte sich die Arbeit auf die Wiederaufrichtung derer, die durch die Gewalt des Windes niedergebogen worden waren, während ihre Wurzeln noch im Boden hafteten.

Bei dem Aufenthalte hier lustwandelten die Besucher mehrmals nach dem Ende des Caps der Getäuschten Hoffnung hinaus. Von diesem Punkte aus umfaßte der Blick eine weite Strecke des Meeres im Osten und einen Theil der Nautilusbucht im Westen. O, wie oft hatten die Schiffbrüchigen seit so vielen Jahren von hier aus vergeblich hinausgelugt, ob ein Schiff draußen auf dem Meere erschiene!

Als sich Zermatt nebst seinen zwei Begleitern nun heute eben dahin begab, veranlaßte das Jack zu folgender Bemerkung:

»Vor zwölf Jahren, als wir uns voll Schmerz überzeugt hatten, keinen unserer Gefährten vom »Landlord« wiederfinden zu können, verdiente das Cap[191] zwar den Namen der Getäuschten Hoffnung; sollten wir es aber heute, wenn etwa die »Licorne« von der hohen See her auftauchte, nicht lieber das »Cap Willkommen« nennen?

– Gewiß, lieber Jack, antwortete Wolston, dieser Fall ist nur leider sehr unwahrscheinlich. Die »Licorne« schwimmt noch mitten im Atlantischen Oceane, und es müssen fast noch zwei Monate vergehen, ehe sie die Gewässer der Neuen Schweiz erreichen kann.

– Ja, wer weiß... wer weiß, Herr Wolston, wiederholte Jack. Und wenn nicht die »Licorne«, warum könnte nicht ein anderes Schiff die Insel finden und von ihr Besitz nehmen wollen? Dessen Kapitän hätte freilich Anlaß, sie die Insel der Geläuschten Hoffnung zu nennen, da sie bereits in Besitz genommen ist.«

Uebrigens wurde auch heute kein Schiff auf dem hohen Meere gesehen, es lag also kein Grund vor, den ihm früher gegebenen Namen des Caps zu ändern.

Am 21. September waren alle Arbeiten am und beim Landhause des Prospect-Hill beendigt und der ältere Zermatt setzte die Abfahrt auf die ersten Stunden des folgenden Tages an.

An diesem Abende konnten die Gäste des Prospect- Hill, die auf der kleinen Terrasse vor dem Hause beisammensaßen, einen prächtigen Sonnenuntergang bewundern, dessen Reinheit durch keine Dunstschicht am Horizonte beeinträchtigt wurde. Dabei lag, gegen vier Lieues von hier, das Cap im Osten in tiefem Schatten, der nur durch die im Widerscheine funkelnde Brandung an dessen Felsengrunde unterbrochen wurde. Vollkommen ruhig zeigte sich das Meer bis hinauf zur Rettungsbucht. Unterhalb des Hügels verschmolz der grüne Teppich der von einzelnen Bäumen beschatteten Wiesen mit dem gelblichem Farbentone des Strandes. Rückwärts, nach Süden zu und gegen acht Lieues entfernt, zeigten sich die Umrisse der die Insel durchschneidenden Bergkette, an der Wolston's Blicke unverwandt hingen, und deren Kamm die letzten Sonnenstrahlen mit goldigem Scheine schmückten.

Am folgenden Morgen rollte der Wagen erst den abschüssigen Weg vom Prospect-Hill hinab und dann so rasch weiter, daß er gegen zwei Uhr vor der Einfriedigung von Felsenheim ankam. Hier empfing man dessen Insassen, die nicht weniger als zwei volle Wochen abwesend gewesen waren, mit herzlichster Freude. Zwei Wochen sind ja keine allzulange Zeit, der Schmerz einer Trennung ist aber nicht immer nur nach deren Dauer zu bemessen.
[192]

Während dann ein Antilopenviertel, von Jack sorgsam überwacht, röstete... (S. 208.)
Während dann ein Antilopenviertel, von Jack sorgsam überwacht, röstete... (S. 208.)

Selbstverständlich hatten auch Frau Zermatt, Frau Wolston und Annah in diesen vierzehn Tagen ihre Zeit nicht vergeudet. Die große Wäsche war bereits ziemlich beendet, und es war wirklich eine Freude, das Bettzeug, die Tischtücher und die Servietten, alle sorgsam ausgebessert und in ihrer Weiße sich leuchtend von dem Grün des Küchengartens abhebend, auf den von Baum zu Baum ausgespannten Leinen hin und her wedeln zu sehen.

Auch Ernst hatte inzwischen nicht gefeiert. Wenn die Frauen seiner Hilfe nicht bedurften, hatte er sich in die Bibliothek zurückgezogen, ohne zu sagen, womit er sich da beschäftige. Vielleicht mochte er aber wenigstens Annah in sein Geheimniß eingeweiht haben.

Kurz, als die beiden Familien am Abend zum erstenmale wieder im gemeinschaftlichen Zimmer beisammen waren, berichtete der ältere Zermatt erst über die Fahrt nach den Meiereien, und dann legte Ernst ein Blatt Papier auf den Tisch, das eine Zeichnung in farbigen Linien aufwies.

»He, was ist denn das? rief Jack. Etwa der Plan für die zukünftige Hauptstadt der Neuen Schweiz?

– Nein, das noch nicht, erklärte Ernst.

– Nun, dann errathe ich nicht...

– O, das ist eine Vorlage zur inneren Ausschmückung unserer Kapelle, sagte Annah.

– So ist es, Jack, bestätigte Ernst; und es war wohl an der Zeit, daran zu denken, da die Mauern schon bis zu ihrer halben Höhe aufgestiegen sind.«

Diese Erklärung machte allen eine große Freude, und Ernst wurde wegen seiner Arbeit aufrichtig gelobt.

Man fand sie ebenso vollkommen bezüglich der Eleganz wie der gesammten Anordnung.

»Bekommt sie denn auch einen Thurm? erkundigte sich Jack.

– Natürlich, versicherte Annah.

– Mit einer Glocke darin?

– Ei freilich, mit der Glocke vom »Landlord«.

– Und unserer Annah, sagte Ernst, wird die Ehre zufallen, sie zum erstenmale zu läuten!«

Bald war der 24. September und damit der Zeitpunkt herangekommen, wo der schon lange bestehende Plan Wolston's zur Ausführung kommen sollte. Freilich wußte ja niemand, welches Ergebniß diese nähere Besichtigung des Innern der[195] Neuen Schweiz haben werde. Seit einem Dutzend von Jahren hatten sich die Schiffbrüchigen kaum über die Grenzen des Gelobten Landes hinaus begeben, und wir wissen ja, daß dieser Landstrich für ihre Ernährung und alle sonstigen Bedürfnisse alles in reichlicher Menge lieferte. Abgesehen von der Unruhe, die ihr die Abwesenheit einiger der Ihrigen allemal verursachte, trug sich Frau Zermatt, wenn sie es auch nicht aussprach, doch mit dem Glauben, daß dieser Ausflug eher beklagenswerthe Folgen haben werde.

Als sie noch an diesem Abende dann mit ihrem Gatten im Schlafzimmer allein war, gestand Frau Zermatt diesem ihre Besorgniß unumwunden ein.

»Liebe Betsie, hielt Zermatt für rathsam, ihr zu antworten, wären wir noch in denselben Verhältnissen wie in der ersten Zeit nach unserer Hierherkunft, so würde ich Dir zustimmen, daß dieser Ausflug nicht angezeigt sei. Selbst wenn Wolston und seine Familie durch einen Schiffbruch auf unsere Insel verschlagen worden wären, würde ich zu ihnen gesagt haben: Was uns bisher genügt hat, wird auch Ihnen genügen, und es ist nicht nöthig, sich in Abenteuer zu stürzen, wenn diese keinen sicheren Nutzen versprechen und vielleicht gar mit Gefahren verknüpft sind. Die Neue Schweiz hat aber jetzt eine festgestellte geographische Lage, und im Interesse ihrer zukünftigen Colonisten erscheint es wichtig, ihre Ausdehnung, den Verlauf und die Natur ihrer Küsten kennen zu lernen und sich zu überzeugen, was sie an Hilfsquellen bietet.

– Schön, mein Lieber, recht schön, erwiderte Frau Zermatt, könnte die Lösung dieser Aufgabe aber nicht den etwaigen neuen Ankömmlingen überlassen bleiben?

– Ja freilich, mit dem Zuwarten würde nichts versäumt werden, und das Unternehmen könnte wohl unter noch besseren Verhältnissen ausgeführt werden. Du weißt aber, Betsie, daß die Sache unserem Wolston sehr am Herzen liegt, und daß auch Ernst seine Karte der Neuen Schweiz zu vervollständigen wünscht. Ich meine also, wir müssen beider Wünschen schon Rechnung tragen.

– Ich würde nichts dagegen haben, mein Lieber, antwortete Frau Zermatt, wenn das nicht wieder mit einer Trennung verknüpft wäre...

– O, es handelt sich nur um eine Abwesenheit von höchstens vierzehn Tagen.

– Ja, wenn Frau Wolston, Annah und ich noch die Fahrt mitmachen könnten...

– Das wäre unklug, liebe Frau, entgegnete Zermatt. Dieser Ausflug kann, wenn auch keine Gefahren, doch große Schwierigkeiten und Anstrengungen mit[196] sich bringen. Es wird sich darum handeln, unter brennender Sonne über ein unfruchtbares, ödes Stück Land hinzuziehen; die Ersteigung der Bergkette dürfte auch recht beschwerlich werden.

– Also Frau Wolston, Annah und ich, wir sollen bestimmt in Felsenheim zurückbleiben?

– Jawohl, Betsie, doch ich denke Euch nicht allein zu lassen. Nach reiflicher Ueberlegung bin ich zu folgendem Entschlusse gekommen, der hoffentlich allgemeine Billigung finden wird. Wolston mag den Ausflug mit unseren zwei Söhnen unternehmen, mit Ernst, der dabei seine Aufnahmen machen wird, und mit Jack, der sich eine solche Gelegenheit, auf Entdeckungen auszuziehen, doch niemals entgehen lassen würde. Ich selbst aber gedenke in Felsenheim zu bleiben. Nun, ist Dir das recht, Betsie?

– Brauchst Du das erst zu fragen, mein Bester? rief Frau Zermatt. Auf Herrn Wolston können wir uns ja getrost verlassen. Er ist ein verständiger Mann und wird sich zu keiner Unbedachtsamkeit verleiten lassen; mit ihm als Führer laufen unsere Söhne gewiß keine Gefahr.

– Ich hoffe, fuhr der ältere Zermatt fort, diese Ordnung der Angelegenheit wird auch Frau Wolston's und Annahs Beifall finden.

– Bis auf das eine, daß die letztere das Fernsein unseres Ernst bedauern dürfte, meinte Frau Zermatt.

– So gut wie es Ernst bedauern wird, ohne sie fortzugehen, setzte ihr Gatte hinzu. Ja, die beiden guten Wesen fühlen sich zu einander hingezogen, und in der Kapelle, wozu er den Plan entworfen hat, wird ja Ernst eines Tages mit der, die er liebt, vereinigt werden.

– Davon sprechen wir zu gelegener Zeit wieder, sagte Frau Zermatt, von diesem Ehebündnisse, das Herrn und Frau Wolston ebenso beglücken dürfte, wie uns.«

Als der ältere Zermatt mit seinem Vorschlage hervortrat, fand er allseitige Zustimmung. Ernst und Annah mußten sich wohl oder übel den dafür sprechenden Gründen fügen. Der eine gab auch zu, daß sich Frauen nicht an einem Ausfluge dieser Art betheiligen dürften, da sie ihn verzögern oder gar seinen Erfolg in Frage stellen könnten, und die andere sah wohl ein, daß Ernst unbedingt daran theilnehmen müsse, um jenen in erwünschter Weise durchzuführen.

Da die Vorfragen hiermit erledigt waren, wurde schon der 25. September als Tag der Abreise festgesetzt.[197]

Von diesem Tage an beschäftigten sich alle mit den nöthigen Vorbereitungen, die ja schnell erledigt werden mußten. Wolston und die beiden jungen Männer hatten sich verabredet, die Reise zu Fuß auszuführen. Das Land, das an den Fuß der Berge grenzte, konnte ja ebenso schwer zugänglich sein, wie das, das den schon bekannten Oberlauf des Montrose-Flusses durchschnitt.

Es sollte also gewandert werden, gewandert mit dem Stock in der Hand und der Flinte auf dem Rücken und begleitet von den beiden Hunden. Daß Jack ein vorzüglicher Schütze war, unterlag keinem Zweifel, doch leisteten Wolston und Ernst in dieser Hinsicht auch nicht zu wenig, und die drei Jäger waren im voraus überzeugt, daß sie ihren Nahrungsbedarf unterwegs reichlich decken würden.

Wegen der bevorstehenden Ueberführung der beiden Familien nach der Einsiedelei Eberfurt mußten aber auch der Wagen und das Büffelgespann zurecht gemacht werden. Wie erinnerlich, wollte der ältere Zermatt diese Gelegenheit gleichzeitig zu einem Besuche dieser an der Grenze des Gelobten Landes gelegenen Farm benutzen. Mit Befriedigung wurde auch der Gedanke aufgenommen, dabei Herrn Wolston, Jack und Ernst bis jenseit des Engpasses der Cluse zu begleiten. Vielleicht machte es sich nöthig. den Aufenthalt in Eberfurt auf vierundzwanzig oder gar achtundvierzig Stunden auszudehnen, wenn das Wohnhaus dort Ausbesserungen erforderte, bei denen alle Hände helfen mußten.

Am frühen Morgen des 25. verließ der Wagen Felsenheim; Braun und Falb sprangen lustig daneben her. Alle Personen hatten auf jenem Platz gefunden. Das Ziel der Fahrt lag gute drei Lieues entfernt, die Büffel mußten es aber ohne Ueberanstrengung noch vor der Mittagsstunde erreichen können.

Das Wetter war schön; Schäfchenwolken bedeckten den Himmel und milderten die heißen Sonnenstrahlen.

Gegen elf Uhr und nach einer Fahrt schräg durch eine grüne und fruchtbare Landschaft, erreichte der Wagen die Einsiedelei Eberfurt.

In dem kleinen, davor liegenden Gehölz bemerkte man etwa noch ein Dutzend Affen. Diesen mußte das Umhertreiben hier verleidet werden und sie flüchteten denn auch bei den ersten Gewehrschüssen.

Als der Wagen Halt gemacht hatte, begaben sich alle sogleich in das Wohnhaus. Von den Bäumen ringsum gut geschützt, hatte dieses durch das frühere schlimme Wetter nur wenig gelitten. Während dann Frau Zermatt, Frau Wolston und Annah das Frühstück zurechtmachten, entfernten sich die[198] Männer etwa auf Büchsenschußweite, um den Engpaß der Cluse, das Ausgangsthor nach dem Inselinnern, zu besichtigen.

Hier bot sich ihnen freilich eine wichtige und schwere Arbeit, denn kräftige wilde Thiere hatten offenbar versucht, die Sperrung des Weges zu sprengen, und es erwies sich als nothwendig, diese noch weiter zu verstärken. Es sah fast so aus, als hätte sich ein Trupp Elephanten den Weg durch die Schlucht zu erzwingen gesucht, und im Fall, daß ihnen dies gelang, wären schwere Verwüstungen nicht allein der Einsiedelei Eberfurt, sondern auch den Meiereien Waldegg und Zuckertop gewiß nicht ausgeblieben. Ja, es konnte dabei vielleicht so weit kommen, daß man sich sogar in Felsenheim eines Ueberfalles der riesigen Dickhäuter hätte erwehren müssen.

Die Aufstellung neuer Pfähle und Planken nahm den heutigen Nachmittag und noch den folgenden Tag in Anspruch. Alle Arme waren nicht zu viel, die schweren Holzmassen an Ort und Stelle zu schaffen und sie ordentlich zu befestigen, danach aber hatte der ältere Zermatt auch die Ueberzeugung, daß kein Thier mehr durch den Engpaß eindringen könne.

Wir brauchen wohl kaum hervorzuheben, daß die Einsiedelei Eberfurt jetzt nicht mehr die dürftige Kamtschadalenhütte war, die, zwischen vier Baumstämmen eingeklemmt, zwanzig Fuß hoch über dem Erdboden schwebte. Nein, jetzt erhob sich hier eine geschlossene und mit Palissaden umgebene Wohnstätte mit mehreren Einzelräumen, die beide Familien bequem aufnehmen konnten. Auf beiden Seiten davon lagen große Ställe unter den unteren Aesten von Magnolien und immergrünen Eichen. Hier wurden die Büffel eingestellt und reichlich mit Futter versorgt. Die gut abgerichteten, kräftigen Thiere konnten darin in Ruhe wiederkäuen.

Erwähnung verdient auch, daß es in der Umgebung von Wild aller Art, von Hafen, Kaninchen, Rebhühnern, Wasserschweinen, Agutis, Trappen, Auerhühnern und Antilopen, geradezu wimmelte, so daß es Jack leicht gemacht war, seiner Jagdlust zum Besten des gemeinsamen Tisches zu fröhnen. Ein Theil des Wildes, der über der flackernden Flamme des Herdes geröstet worden war, wurde übrigens für die drei Ausflügler zurückgestellt. Mit der Jagdtasche an der Seite, den Rucksack auf dem Rücken, versorgt mit Zündschwamm, um sich Feuer machen zu können, konnten sie, wenn ihnen geröstetes Fleisch genügte, bei dem vorhandenen Ueberfluß an Pulver und Blei und einem reichlichen Branntweinvorrath in ihren Kürbisflaschen über die Frage ihrer Ernährung völlig beruhigt sein. Außerdem boten ihnen die schon bekannten fruchtbaren Ebenen sowohl[199] jenseit des Grünthales als auch im Süden der Perlenbucht genug eßbare Wurzeln und Früchte, die sie nur auszuziehen oder zu pflücken brauchten.

In den ersten Morgenstunden des 27. September begaben sich noch einmal alle nach dem Engpaß der Cluse, wo endlich gegenseitig Abschied genommen wurde. Vierzehn Tage lang sollte man ja ohne Nachrichten von den Abwesenden bleiben! Wie lange würde das allen erscheinen!

»Ohne Nachrichten? sagte da Ernst, nein, Mutterherz, nein, liebe Annah, Ihr werdet schon solche erhalten...

– Durch Eilboten?... fragte Jack lächelnd.

– Jawohl, doch durch einen fliegenden Eilboten. Seht Ihr denn gar nicht die zwei Tauben, die ich in diesem kleinen Käfig mitgenommen habe? Meint Ihr vielleicht, ich hätte sie in Eberfurt zurücklassen wollen? Nein, die lassen wir vom Rücken der Bergkette aus fliegen und sie werden Euch Nachricht von der kleinen Karawane bringen.«

Jedermann freute sich über diesen glücklichen Einfall, und Annah nahm sich vor, tagtäglich nach dem Eintreffen der Ernst'schen Sendboten auszulugen.

Wolston und die beiden Brüder gingen nun durch eine schmale Oeffnung in der Plankenwand, die hinter ihnen wieder sorgsam geschlossen wurde, und bald verschwanden sie hinter einer Biegung des felsigen Engpasses.

Quelle:
Jules Verne: Das zweite Vaterland. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXVII–LXXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1901, S. 182-200.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon