Viertes Kapitel.
Vor dem Seegerichte.

[258] Es kann nicht wundernehmen, daß die bedauerlichen Vorkommnisse auf der letzten Fahrt des »James-Cook« in Hobart-Town Aufsehen erregt hatten und eifrig besprochen wurden. Die unter noch unaufgeklärten Umständen erfolgte Ermordung des Kapitäns Harry Gibson einerseits, die von Flig Balt versuchte und von Karl Kip unterdrückte Meuterei anderseits... mehr bedurfte es nicht, unter den Einwohnern der Hafenstadt eine hochgradige Erregung zu schüren.

Von dem ruchlosen Morde hatte man nicht eher etwas gewußt, als bis die Brigg mit der Flagge in Schau wieder im Hafen eingelaufen war.

Was die Meuterei betraf, war man einstimmig der Ansicht, daß das Seegericht Flig Balt und seinen Helfershelfer schuldig sprechen und den Bootsmann zu harter Strafe verurteilen werde, das umsomehr unter Berücksichtigung der Verhältnisse, worunter sich das Schiff befunden hatte. Unter zehn bis fünfzehn Jahren Bagno könnte Flig Balt nicht wegkommen.

Die Hauptzeugen, Hawkins, Nat Gibson, Karl und Pieter Kip, sowie die Matrosen Burnes, Wickley und Hobbes nebst dem Schiffsjungen Jim, waren schon in der Voruntersuchung vernommen worden. Die von dem Angeschuldigten genannten anderen, Vin Mod, Sexton, Kyle, Bryce und der Koch Koa, sollten als Entlastungszeugen abgehört werden.

Ohne unvorhergesehene Zwischenfälle sollte die schnell erledigte Angelegenheit nur eine einzige Sitzung in Anspruch nehmen.[258]

Der Gerichtssaal war am Verhandlungstage von Zuhörern überfüllt. Von neun Uhr vormittags ab drängte sich die Menge nach dem ihr überlassenen Raume, Kaufleute, Reeder, Offiziere der Handelsflotte und Journalisten bunt durcheinander, daneben aber auch viele Matrosen, die aus den benachbarten Schenken kamen und wahrscheinlich mehr zu Gunsten der Angeklagten gestimmt waren.

Hawkins und Nat Gibson erschienen vor der Zuhörermenge und nahmen auf der für die Zeugen bestimmten Bank Platz.

Wenige Minuten nach ihnen betraten die Gebrüder Kip den Saal und wechselten mit den beiden ersten einen warmen Händedruck.

Am heutigen Tage war die Anwesenheit Karl Kips an Bord des »Skydnam« nicht nötig. Die Verladung des Getreides war am Abende vorher beendigt worden. Von Reparaturen waren nur noch einige Anstricharbeiten zu vollenden. Die Bunker lagen voller Kohlen; die Maschine war im Stande, die Mannschaft hatte ihren Dienst angetreten. Nach drei Tagen sollte der Dampfer am frühen Morgen zur Abfahrt klar machen.

Am heutigen Abend gedachten die Gebrüder Kip noch den Gasthof zum Great Old Man zu verlassen und ihre Kabinen auf dem Schiffe zu beziehen.

Auf einer Bank hinter ihnen saßen die Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes nebst dem Schiffsjungen Jim, die von Hawkins und Nat Gibson alle freundlich begrüßt wurden.

Auf einer anderen Bank befanden sich Vin Mod, Sexton, Bryce mit dem Koche Koa, dessen breites schwarzes Gesicht sich grinsend verzog, jedenfalls vor Verwunderung, daß er nicht mit zu den Angeklagten gehörte.

Nur Kyle fehlte. Kyle war noch nicht freigelassen und das erfolgte voraussichtlich auch nicht vor Ablauf von achtundvierzig Stunden... er hatte seine Rolle als Schwerbetrunkener gar zu gut gespielt, als er sich gegen die Polizisten verteidigte.

Seine etwaigen Aussagen konnten auch nicht von besonderer Bedeutung sein. Vin Mod beunruhigte sich nur ein wenig darüber, ob Kyle im Gefängnisse mit Flig Balt zusammengetroffen sein und diesem gesagt haben werde, was er ihm aufgetragen hatte. Diese Unruhe zerstreute sich jedoch vielleicht, wenn der Bootsmann und er sich erst gegenüberstanden. War Flig Balt benachrichtigt worden, so genügte ein unauffälliges Zeichen, schon ein Blick, das zu bestätigen,[259] und wenn der rechte Augenblick gekommen war, würde Flig Balt aus einem Angeklagten zum Ankläger werden.

In Erwartung des Eintritts der Gerichtsbeisitzer sprach Hawkins noch mit den Gebrüdern Kip und meldete ihnen, daß an diesem Morgen Nachrichten von Neuirland eingegangen wären.

»Ein Brief von Herrn Zieger? fragte Pieter Kip.

– Nein, eine Depesche, die mir mein Korrespondent Herr Balfour geschickt hat. Sie meldet, daß in Wellington gestern ein von Kerawara kommendes Schiff eingelaufen sei, das den Bismarck-Archipel zehn Tage nach dem ›James-Cook‹ verlassen und einen Brief von Herrn Zieger mitgebracht hätte. Balfour hat mir dessen Inhalt sofort telegraphiert, und diese Depesche hab' ich heute früh erhalten.

– Und was sagt Herr Zieger bezüglich der Nachforschung nach den Tätern? fragte Karl Kip.

– Nichts, antwortete Nat Gibson, gar nichts. Die Mörder sind auch bis jetzt noch nicht entdeckt.

– Das ist leider nur zu wahr, setzte Hawkins hinzu. Die Herren Zieger und Hamburg haben sich unablässig darum bemüht, ohne einen Erfolg zu erzielen.

– Sie haben auch keine einzige Spur gefunden, die es ermöglichte, die Nachforschungen mit einiger Aussicht fortzusetzen? sagte Pieter Kip.

– Nein, erwiderte Hawkins, man hat bisher auf niemand Verdacht. Allem Anscheine nach ist das Verbrechen von Eingebornen begangen worden, die Zeit genug fanden, nach der Insel York zu flüchten, wo es natürlich sehr schwer werden würde, sie herauszufinden.

– Immerhin braucht Herr Gibson noch nicht alle Hoffnung aufzugeben, erklärte Karl Kip. Die gestohlenen Papiere könnten ja vernichtet worden sein, doch das Geld... die Piaster, sind jedenfalls nicht verschwunden, und wenn die Mordgesellen diese Goldstücke umsetzen wollen, hält man sie gewiß dabei an.

– Ich werde nach Kerawara zurückkehren, rief Nat Gibson, ja... ja, ich gehe noch einmal dahin!«

Dem jungen Mann war wohl zuzutrauen, daß er diese Absicht ausführte.

Das Gespräch verstummte beim Eintreten der Mitglieder des Seegerichts, die auf einem etwas erhöhten Teile des Saales Platz nahmen... eines Kommodore, eines Kapitäns und eines Leutnants, nebst dem Referendar, der die Anklageschrift aufgesetzt hatte.[260]

Die Verhandlung wurde eröffnet, und der Vorsitzende gab Auftrag, die Angeklagten hereinzuführen.

In der Mitte zweier Gerichtsdiener erschienen Flig Balt und Len Cannon, denen eine Bank links von der Richtertafel angewiesen wurde.

Der Bootsmann schien seiner Sache ganz sicher zu sein; er sah gleichgültig und kühl aus und blickte ziemlich sorglos umher. Wenn es ihm aber auch gelang, die Gefühle, die ihn jetzt gewiß erregten, zu unterdrücken, so machte seine ganze Erscheinung doch den Eindruck eines hinterlistigen Sünders.

Über Hawkins kam es bei seinem Anblick wie eine verspätete Erleuchtung. Es schien ihm, als sähe er Flig Balt zum ersten Male so, wie er wirklich war. O, wie hatten der Kapitän Gibson und er nur so verblendet sein können, diesem Menschen ihr Vertrauen zu schenken, sich von dem scheinheiligen Benehmen des Schurken täuschen zu lassen!

Was jetzt aber Hawkins Verwunderung erregte, das konnte die Gebrüder Kip nicht in gleicher Weise berühren. Der Bootsmann hatte auf sie ja von Anfang an einen recht verdächtigen Eindruck gemacht, und Flig Balt hatte das auch selbst bemerken müssen.

Was Len Cannon betraf, sprach dessen Haltung gewiß nicht zu seinen Gunsten. Er schleuderte tückische Blicke nach links und nach rechts, bald auf Vin Mod, bald auf Sexton oder auf Bryce, denn er mochte sich wohl fragen, warum diese nicht ebenfalls auf der Anklagebank säßen, da sie doch ebensoviel auf dem Kerbholz hätten, wie er.

Wenn Len Cannon – so war der Gedankengang Vin Mods – nicht ebenso siegesgewiß auftrat, wie Flig Balt, kam das offenbar daher, daß Flig Balt ihm nichts davon gesagt hatte, was Kyle ihm in seinem Auftrage mitgeteilt hatte. Doch war das überhaupt geschehen oder wußte Flig Balt bis jetzt noch nichts? Die Ungewißheit machte Vin Mod doch ziemlich ängstlich.

Kyle hatte sich jedoch seines Auftrages entledigt. Flig Balt und er waren noch am heutigen Morgen zusammengetroffen. Der Bootsmann konnte als Ankläger auftreten. Auf einen fragenden Blick, den Vin Mod ihm zuwarf, antwortete er durch eine kaum bemerkbare Handbewegung, die über ihre Bedeutung keinen Zweifel übrig ließ.

»Nun glimmt ja die Lunte, murmelte er für sich, nun mag die Bombe platzen!«[261]

Der Vorsitzende erteilte das Wort dem Referendar, und dessen Bericht schilderte in knappen Zügen die ganze Angelegenheit. Er wies darauf hin, unter welchen Umständen Flig Balt den Befehl über den »James-Cook« erhalten und unter welchen anderen Umständen man ihm diesen wieder hatte abnehmen müssen; wie Flig Balt wegen seiner offenkundigen Unfähigkeit durch den holländischen Seemann Karl Kip, einen Passagier des Schiffes, ersetzt worden war, ferner wie der Bootsmann die Auflehnung gegen den neuen Kapitän geschürt und sich – offenbar in der Absicht, das Schiff in seine Hand zu bekommen – an die Spitze der Meuterer gestellt hatte.

Daß Len Cannon ebenso schuldbelastet sei wie Flig Balt, war gar nicht zu bezweifeln und wurde durch das jetzige Verhalten des Mannes nur bestätigt. Offenbar hatte er bei dem Einflusse, den er auf seine in Dunedin angemusterten Kameraden ausübte, diese zu dem schweren Vergehen überredet. Gleich beim Ausbruch der Meuterei tat er sich ja auch durch seine Hetzrufe und Gewalttätigkeiten hervor. Mit einem Messer in der Hand war er auf Karl Kip eingedrungen und erst zurückgewichen, als ihm dieser den Revolver auf die Brust setzte. Seine Mitschuld und Verantwortlichkeit lag also klar zutage.

Als der Referendar seinen Vortrag beendigt hatte, beantragte er die höchste zulässige Strafe für die Meuterer.

Der Vorsitzende wendete sich nun an Flig Balt mit der Frage, ob er bezüglich der gegen ihn erhobenen Beschuldigung etwas einzuwenden habe.

»Nichts, erklärte einfach der Bootsmann.

– Sie erkennen also die in dem Berichte erwähnten Tatsachen an?

– Ja wohl... vollkommen.«

Diese wenigen Worte brachte er mit so klarer, ruhiger Stimme hervor, daß es die Verwunderung der Zuhörer erregte.

»Sie haben zu Ihrer Verteidigung nichts hinzuzufügen? fragte der Vorsitzende nochmals.

– Nicht ein Wort,« erklärte Flig Balt, der sich wieder setzte, da er sein Verhör für beendet ansah.

Vin Mod sah ihn scharf, doch mit einiger Besorgnis an.

Hatte Flig Balt nicht den rechten Augenblick verpaßt, alles zu sagen? Und hatte er, Vin Mod, sich doch nicht vielleicht über das Zeichen getäuscht, das der Bootsmann ihm gemacht hatte? Sollte dieser die kurze Mitteilung Kyles etwa nicht verstanden oder vielleicht überhaupt nicht erhalten haben?[262]

Immerhin, das sollte nichts ausmachen. Wenn Flig Balt nicht sprach, würde Vin Mod sprechen, sobald er zu seiner Aussage aufgerufen wurde.

Auf die an ihn gerichteten Fragen gab Len Cannon nur ausweichende Antworten, wobei er sich stellte, als ob er den Vorsitzenden nicht recht verstände, und jedenfalls hatte Flig Balt ihm empfohlen, so wenig nie möglich zu sprechen.

Vin Mod kam daher auf den Gedanken, dem Bootsmanne passe es, daß die Verhandlung erst weiter fortschreite, und daß die Zeugenaussagen, darunter vorzüglich die Karl Kips, zu Protokoll genommen worden seien. Wegen der Anschuldigung, die er gegen die Brüder erheben wollte, erschien es besser, daß diese sich vorher dem Gerichte gegenüber ausgesprochen hätten.

»Ja ja, sagte sich Vin Mod, der Flig Balt hat recht, er wird schon im geeigneten Augenblick gegen sie auftreten!«

Nach Beendigung des Verhörs mit dem Hauptangeklagten und seinem Mitschuldigen, wurde der erste Zeuge zu seiner Aussage aufgerufen.

Das war Karl Kip, und als er sich erhob, ging ein leises Flüstern durch die Reihen der Zuhörerschaft.

Karl Kip gab zuerst seinen Familiennamen nebst Vornamen und seine Nationalität zu Protokoll: ein Holländer aus Groningen gebürtig; Stand: Offizier in der Handelsflotte, nachdem er wenige Wochen an Bord des »James-Cook« als Kapitän tätig gewesen war, Obersteuermann auf dem nach Hamburg bestimmten Dampfer »Skydnam«.

Nach Erledigung dieser Vorfragen drückte sich Karl Kip mit solchen Worten und einer so erkennbaren Aufrichtigkeit über alles weitere aus, daß an seinem guten Glauben kein Zweifel aufkommen konnte.

»Mein Bruder und ich, sagte er, waren vorher Passagiere der ›Wilhelmina‹ wir sind von der Insel Norfolk gerettet worden, wohin wir uns nach erlittenem Schiffbruche geflüchtet hatten, und zwar gerettet durch Herrn Hawkins und den Kapitän Gibson. Ich kann auch an dieser Stelle nicht unterlassen, den edelmütigen und menschenfreundlichen Herren, die so viel für uns getan haben, den wärmsten und aufrichtigsten Dank auszusprechen.

»Während der Fahrt des ›James-Cook‹ von Norfolk nach Port-Praslin habe ich vielfach Gelegenheit gehabt, das Verhalten des Bootsmannes zu beobachten. Er flößte mir von Anfang an ein Mißtrauen ein, das sich später nur allzu gerechtfertigt erwies, und es wunderte mich, daß der Reeder und der Kapitän noch eine so gute Meinung von ihm hatten. Da mich das aber nichts[263] anging, habe ich in dieser Beziehung still geschwiegen. Daneben gewann ich jedoch auch die Überzeugung, daß Flig Balt seinen Obliegenheiten sehr wenig gewachsen war. Überließ der Kapitän Gibson ihm zuweilen Manöver, wie solche gewöhnlich Sache des Bootsmannes sind, so wurden diese so schlecht angeordnet, daß ich mich fast zum Eingreifen versucht fühlte. Da sie aber die Sicherheit des Schiffes nicht weiter in Gefahr brachten, enthielt ich mich, mit dem Kapitän darüber zu sprechen.

»Am 20. November ankerte der ›James-Cook‹ in Port-Praslin, um seine Fracht zu löschen und einige Reparaturen zu erfahren. Sein Aufenthalt dauerte neun Tage, dann segelte er nach Kerawara, der Hauptstadt des Bismarck-Archipels ab.

»Dort war es, wo der unglückliche Kapitän Gibson am Abend des 2. Dezembers unter den Streichen bisher noch unentdeckter Mörder erlag...«

Karl Kip äußerte diese Worte mit so schmerzlichem Ausdrucke, daß sich der Zuhörerschaft eine deutliche Erregung bemächtigte.

Gleichzeitig erhob sich Flig Balt, der dem Berichte gesenkten Kopfes gelauscht hatte, von der Bank, als ob auch er sich gar nicht zu fassen vermöchte.

Der Vorsitzende fragte ihn, ob er dem Gerichte etwas mitzuteilen hätte.

»Nein... nichts!« antwortete der Bootsmann.

Damit setzte er sich wieder nach einem flüchtigen, auf Vin Mod gerichteten Blick, der, sehr mutlos erscheinend, bereits eine lebhafte Ungeduld verriet.

Gleichzeitig warf aber auch Karl Kip einen so durchdringenden Blick auf Flig Balt, daß dieser betroffen die Augen niederschlug.

Dann fuhr der Holländer in seiner Aussage fort. Nach dem Ableben Harry Gibsons machte es sich natürlich nötig, die Führung des Schiffes jemand anderem anzuvertrauen. Weder in Port-Praslin, noch in Kerawara fand sich ein englischer Kapitän, der Gibsons Stelle hätte übernehmen können, es lag also nahe, diese dem bisherigen Bootsmanne zu übertragen. Nach Karl Kips Ansicht war der »James-Cook« damit freilich einem unfähigen und nicht ehrbaren Mann in die Hand gegeben.

»Herr Hawkins, fuhr er fort, konnte unter den gegebenen Umständen kaum anders handeln, und Flig Balt wurde damit betraut, die Brigg nach Port-Praslin zurückzuführen. Nachdem der ›James-Cook‹ dann in Kerawara seine Fracht eingenommen hatte, ging er wieder in See und vervollständigte schließlich seine Ladung.


»Ich klage ihn eines Verbrechens an, von dem er sich nicht wird rein waschen können.« (S. 271.)
»Ich klage ihn eines Verbrechens an, von dem er sich nicht wird rein waschen können.« (S. 271.)

Hier war es, wo dem Bootsmanne die Funktionen des Kapitäns dann ausdrücklich übertragen wurden.

Am 10. Dezember lichtete die Brigg die Anker und verließ die Inselgruppe. In den ersten Tagen und bei der Fahrt durch die Louisiaden ging alles ohne Störung vor sich. Wir hatten günstigen Wind, der keine Segelmanöver nötig machte, nur glaubte ich schon damals zu bemerken, daß der ›James-Cook‹ allmählich mehr nach Osten abwich. statt den geraden Kurs nach Süden einzuhalten.

Das erschien mir auffällig. Ich sprach darüber mit meinem Bruder und dieser riet mir, Herrn Hawkins davon Mitteilung zu machen, denn auch er mißtraute dem neuen Kapitän. Ich schwieg indes, da mir jede Denunziation verhaßt war. Dagegen unterließ ich es nicht, die Fahrtrichtung der Brigg so genau wie möglich zu beobachten, was Flig Balt jedenfalls bemerkte, denn vielleicht erschwerte es ihm die Ausführung eines geheimen Planes...«

Da Karl Kip mit der weiteren Ausführung seines Gedankens zu zögern schien, nahm der Vorsitzende das Wort.

»Sie haben beobachtet, Herr Kip, daß Flig Balt aus dem richtigen Kurse weichen zu wollen schien?... In welcher Absicht sollte er das versucht haben?

– Das kann ich unmöglich sagen, antwortete Karl Kip, mir war aber die Sache selbst nicht zweifelhaft. Flig Balt sachte die Brigg mehr nach Osten, nach den berüchtigten Inselgruppen steuern zu wollen, wo die Sicherheit eines Schiffes erfahrungsgemäß immerge fährdet ist. Da Flig Balt außerdem versuchte, eine Meuterei an Bord zu veranlassen, glaube ich, seine Absicht lief darauf hinaus, sich des ›James-Cook‹ zu bemächtigen.«

Diese unverhüllte Beschuldigung schien den Angeklagten sehr wenig zu berühren, und er begnügte sich, darauf nur leicht die Achseln zu zucken.

»Wie dem auch sei, fuhr Karl Kip fort, ein Sturm, der uns an der Grenze des Korallenmeeres überfiel, mußte eine solche Absicht unterstützen, da er unser Schiff seitwärts weit hinaus verschlug. Meiner Erfahrung nach hätte man sich da dem wütenden Westwinde gerade entgegenlegen sollen. Der neue Kapitän war dieser Ansicht aber nicht. Er ergriff vielmehr die Flucht, indem er nach der verrufenen Gegend der Salomonsinseln zu steuerte, und das unter einer Segelentfaltung, die die Sicherheit der Brigg arg gefährdete. Ich sah den Augenblick kommen, wo sie vom Meere verschlungen werden mußte, denn sie nahm immer gewaltige Sturzseen über und steuerte überhaupt nicht mehr. Da packte[267] ich das Ruder. Mich trieb die Empfindung, daß wir verloren wären, wenn ich nicht eingriffe. Die Mannschaft starrte mich an, Flig Balt erschöpfte sich in unzusammenhängenden Befehlen.

»Laßt mich nur machen!« rief ich. Herr Hawkins hatte mich verstanden und sagte zu mir: »Tun Sie Ihr Bestes!« – Ich übernahm also den Befehl; die Matrosen gehorchten mir; es gelang mit genauer Not, die Brigg zu wenden, und als am nächsten Morgen der Sturm nachließ, konnten wir leicht unter dem Lande Schutz suchen.

»Daraufhin übergab Herr Hawkins den Befehl mir, nachdem er ihn Flig Balt entzogen hatte. Dieser erhob Einspruch, ich zwang ihn, sich zu fügen. Jetzt hatte ich ja Gelegenheit, mich durch Ergebenheit und Pflichteifer gegen Herrn Hawkins ein wenig abzufinden.

Sobald es sich tun ließ, schlug der ›James-Cook‹ seinen Kurs nach Süden wieder ein, und wir befanden uns schon gegenüber Sydney, als die Meuterei am Abend des 30. Dezembers zum Ausbruche kam. Der ehrlose Bootsmann machte mit den Meuterern gemeinsame Sache. Er trieb seine Helfershelfer nach dem Deckhause, sich dort der vorhandenen Waffen zu bemächtigen. Len Cannon stürzte sich auf mich, um mich niederzustechen. Ich hatte aber schon einen Revolver in der Hand und drohte, ihm den Schädel zu zerschmettern. Mein Auftreten schreckte die Leute zurück, vorzüglich als einige brave Matrosen mir beisprangen. Die anderen wichen nach dem Vorderdeck aus, und ich ließ Flig Balt und Len Cannon ergreifen und beide in Eisen legen.

Ein zweiter Auflehnungsversuch war nicht mehr zu befürchten. Die Fahrt ging unter günstigen Umständen weiter. Am 1. Januar umschiffte der ›James-Cook‹ das Vorgebirge und traf den übernächsten Tag auf der Reede von Hobart-Town ein.

Das ist alles, was ich berichten kann, schloß Karl Kip, und ich habe hier nichts als die reine Wahrheit gesagt.«

Er trat darauf zur Zeugenbank zurück, mit der Gewißheit, daß man seiner Aussage vollen Glauben schenkte, und als er sich neben Hawkins und Nat Gibson wieder niedergelassen hatte, begrüßten ihn diese mit einem dankbaren Händedruck.

»Angeklagter, was haben Sie zu sagen? fragte jetzt der Vorsitzende.

– Nichts!« antwortete Flig Balt.

Nacheinander wurden nun die übrigen Zeugen aufgerufen, und sie bestätigten in allen Punkten die Darstellung Karl Kips.[268]

Hawkins gestand seinen Irrtum bezüglich Flig Balts unumwunden zu, einen Irrtum, den Harry Gibson vollkommen geteilt hatte, da dieser ja Flig Balt stets das beste Vertrauen entgegenbrachte. Der Reeder hatte nach der in Kerawara begangenen Mordtat gar nicht gezögert, dem Bootsmanne für die Rückfahrt den Befehl über die Brigg anzuvertrauen. Die Mehrzahl der Mannschaft schien damit recht zufrieden zu sein. Als das Schiff aber im Norden des Korallenmeeres in einen Sturm geriet, zeigte es sich deutlich, daß der neue Kapitän seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Er hatte völlig den Kopf verloren, und ohne das Eingreifen Karl Kips wäre der ›James-Cook‹ sicherlich dem Untergange geweiht gewesen. Auch an dieser Stelle wollte diesem Hawkins nochmals den wärmsten Dank aussprechen.

Der nach dem Reeder aufgerufene Nat Gibson konnte dessen Bericht wiederum nur bestätigen. Als er aber auf seinen Vater zu sprechen kam, fühlte man es aus seinen Worten heraus, welcher Ingrimm gegen die Mörder seine Seele erfüllte.

Auch Pieter Kip gab, nur abgekürzt, den Bericht seines Bruders wieder. Er beleuchtete das Mißtrauen, das sie beide von Anfang an gegen den Bootsmann gehegt hätten, und den Verdacht, der sofort in ihnen aufgestiegen wäre, als Karl Kip den Kurswechsel des Fahrzeuges bemerkt hatte. Auch er zweifelte nicht, daß diese Kursänderung in verbrecherischer Absicht vorgenommen worden sei, was sich ja bald durch den Versuch einer Auflehnung eines Teiles der Besatzung bestätigt hätte.

Die Aussagen der Matrosen Wickley, Hobbes, Burnes und des Schiffsjungen Jim stimmten damit und untereinander vollkommen überein. Sie erklärten, versucht worden zu sein, sich an der Meuterei zu beteiligen, und wenn sie von dem Auftritte am 30. Dezember überrascht worden seien, bevor sie den Kapitän Kip von dem geplanten Anschlage unterrichten konnten, so hätten sie sich doch sofort auf seine Seite gestellt.

Der Vorsitzende widmete ihnen ein warmes Lob, das die Leute gewiß verdient hatten.

Die Aussagen der vorgeladenen Zeugen waren hiermit beendet. Jetzt sollten die anderen, in der Angelegenheit mehr oder minder belasteten Personen abgehört werden, die gewiß etwas unruhig darüber waren, wie die Verhandlung für sie ausgehen werde.

Zunächst wurde Vin Mod über das, was er wußte, befragt.[269]

Von dem arglistigen Burschen durfte man sich freilich keiner wahrheitsgetreuen Schilderung der Vorgänge versehen. Er bemühte sich denn auch, jede Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen; er habe niemals – jetzt wie früher-geglaubt, daß Flig Balt den Kurs der Brigg hätte verändern wollen, wie Karl Kip das vermutete. Flig Balt wäre ein tüchtiger Seemann, wofür verschiedene Beweise vorlägen... seine Anordnungen bei dem Sturme wären ganz zweckmäßig gewesen, so daß er es höchst ungerechtfertigt finde, daß man ihm das Kommando wieder abgenommen hätte.

»Genug!« fiel der Vorsitzende ein, dem der Ton und das Auftreten Vin Mods tief mißfiel.

Der Matrose suchte seinen Platz wieder auf, doch nicht ohne einen forschenden Blick auf Flig Balt geworfen zu haben, der ihm mit einem kaum bemerkbaren Zeichen antwortete. Der Blick Vin Mods wollte aber sagen:

»Nun rede bald... es ist Zeit dazu!«

Die Aussagen Sextons und Bryces waren von keinerlei Bedeutung. Noch unter der Nachwirkung des Trinkgelages am Vorabende und unter dem Einflusse einer halben Trunkenheit verstanden sie kaum die an sie gerichteten Fragen.

Nach ihnen rief der Vorsitzende Flig Balt noch einmal auf. Die Gerichtsverhandlung neigte sich dem Ende zu, und bevor die Richter sich zur Beratschlagung zurückzogen, kam dem Bootsmanne das Recht zu, noch einmal das Wort zu ergreifen.

»Sie wissen, wessen Sie angeklagt sind, Flig Balt, sagte er zu dem Bootsmanne, haben die Beschuldigungen gehört, die von den Zeugen vorgebracht wurden. Haben Sie darauf etwas zu entgegnen?

– Ja!« erklärte der Angeklagte, jetzt aber mit sehr verschiedenem Tone gegen den, womit er vorher »Nein« geantwortet hatte.

Nach dem Richtertische zu gewendet, doch mit noch niedergeschlagenen Augen und leicht geschlossenem Munde, wartete er, daß der Vorsitzende ihm eine bestimmtere Frage vorlegen sollte.

Das ließ denn auch nicht auf sich warten.

»Flig Balt, fuhr der Richter fort, wie wollen Sie sich gegen die Tatsachen, die hier vorgebracht worden sind, verteidigen?

– Indem ich jetzt selbst Anklage erhebe,« antwortete der Bootsmann.

Keineswegs beunruhigt, sondern nur erstaunt, sahen Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip einander an. Keiner von ihnen konnte sich vorstellen,[270] worauf Flig Balt hinauswollte, oder gegen wen er eine Anklage zu erheben wagte.

»Ich war der Kapitän des ›James-Cook‹, begann dieser, und hatte meine Berufung als solcher von Herrn Hawkins in bindender Weise empfangen. Ich sollte die Brigg nach Hobart-Town zurückführen, und was der eine oder der andere auch denken mochte, ich würde sie nach Hobart-Town zurückgebracht haben... Da wurde ein neuer Kapitän an meine Stelle gesetzt... Und wer?... Ein Fremder, ein Holländer. Engländer an Bord eines englischen Schiffes können es sich aber nicht gefallen lassen, unter dem Befehle eines Fremden zu fahren. Das war es, was uns gegen Karl Kip zur Auflehnung trieb...

– Gegen Ihren Kapitän, fiel der Vorsitzende ein, und das gegen Recht und Gesetz, denn er stand rechtmäßig an seiner Stelle, und Sie hatten ihm einfach zu gehorchen!

– Zugegeben, meinte Flig Balt mit entschiedenem Tone. Ich leugne nicht, daß wir uns in dieser Hinsicht vergangen haben. Ich habe dagegen folgendes zu sagen: Wenn Karl Kip mich der Meuterei gegen ihn anklagt und, übrigens ohne Beweise, beschuldigt, den ›James-Cook‹ aus seinem Kurse gebracht zu haben, um mich des Schiffes zu bemächtigen, so klage ich ihn eines Verbrechens an, von dem er sich nicht wird rein waschen können.«

Auf die so schwere Beschuldigung schnellten Karl und Pieter Kip, obwohl sie noch gar nicht wußten, worauf diese sich gründete, von ihrem Platze in die Höhe, als wollten sie sich auf die Anklagebank stürzen, von der aus Flig Balt sie mit frechem Hohne ansah.

Hawkins und Gibson hielten beide noch in dem Augenblicke zurück, wo die Brüder ihrem Zorne schon die Zügel schießen lassen wollten.

Pieter Kip gewann zuerst seine Fassung wieder. Er ergriff die Hand seines Bruders und hielt diesen entschlossen zurück.

»Wessen beschuldigt uns dieser Mensch? fragte er mit vor Abscheu bebender Stimme.

– Des Verbrechens des Mordes, antwortete Flig Balt.

– Des Mordes! rief Karl Kip... Uns!...

– Ja, Sie... die Mörder des Kapitäns Gibson!«

Es wäre unmöglich, die jetzt in der Zuhörerschaft auflodernde Erregung zu schildern. Eine Empfindung von Entsetzen erfüllte den ganzen Saal... doch von Entsetzen, von Abscheu gegen den Bootsmann, der sich erfrecht hatte, gegen[271] die Brüder Kip eine solche Anschuldigung zu erheben. Wie von einem unwiderstehlichen Instinkt bezwungen, war Nat Gibson – bei dieser Wendung der Dinge ja kein Wunder – erbleichend zurückgewichen, und Hawkins hatte vergeblich versucht, ihn zu beruhigen.

Pieter und Karl Kip, die einen Augenblick von der abscheulichen Beschuldigung wie erstarrt dasaßen, wollten in ihrer natürlichen Entrüstung schon das Wort ergreifen, als ihnen der Vorsitzende darin zuvorkam.

»Flig Balt, sagte er... Ihre Frechheit übersteigt alle Grenzen... wie können Sie eine solche Ungeheuerlichkeit wagen!

– Ich spreche die Wahrheit!

– Und wenn das die Wahrheit wäre, warum sind Sie nicht eher damit hervorgetreten?

– Weil ich sie erst im Laufe der Rückfahrt erfahren habe. Dann wurde ich beim Eintreffen des ›James-Cook‹ verhaftet und mußte wohl oder übel bis zu dem heutigen Verhandlungstage warten, ehe ich die öffentlich anklagen konnte, die mir die Ehre abzuschneiden suchten.«

Karl Kip war außer sich.

»Elender Schurke! schrie er laut und mit der Stimme eines Kapitäns, der im Sturmesheulen seine Befehle erteilt, elender Bube! Wenn man solche Beschuldigungen wagt, muß man auch Beweise dafür haben...

– Die fehlen mir auch nicht, erwiderte Flig Balt trocken, sie stehen dem Gerichtshof zur Verfügung, sobald er sie zu erhalten wünscht.

– Und welche wären das?

– Man untersuche nur den Reisesack, den die Gebrüder Kip noch von der verunglückten ›Wilhelmina‹ geborgen haben; darin wird man die Papiere und das Geld des Kapitäns Gibson schon finden.«[272]

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 258-265,267-273.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
Die Gebrüder Kip
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