Fünftes Kapitel.
Die Folgen der ersten Gerichtsverhandlung.

[273] Die Wirkung der letzten Erklärung des Bootsmannes läßt sich gar nicht beschreiben. Unter den Zuhörern entstand ein langes, peinliches Murren und ein Geflüster, das der Vorsitzende kaum zu unterdrücken vermochte. Alle Blicke richteten sich auf die beiden Brüder, die jetzt eines solchen Kapitalverbrechens beschuldigt waren. Regungslos standen Karl und Pieter Kip vor den Schranken, von Überraschung ebenso gelähmt wie von Entsetzen. Der ältere mit seinem erregbareren Temperamente bedrohte durch Zeichen den erbärmlichen Flig Balt. Das Gesicht totenbleich, die Augen feucht schimmernd und die Arme gekreuzt, begnügte sich der jüngere mit einem verächtlichen Achselzucken gegen den gemeinen Ankläger.

Dann verließen beide auf einen Wink des Vorsitzenden die Zeugenbank und traten, von zwei sie begleitenden Dienern im Auge behalten, näher an die Gerichtstafel heran.

Nach anfänglichem, protestierendem Murmeln, das sie nicht zu unterdrücken vermochten, verhielten sich Hawkins, Hobbes, Wickley, Burnes und Jim vollkommen schweigend, während Sexton, Bryce und Koa mit gedämpfter Stimme noch einige Worte wechselten.

Nat Gibson, der mit gesenktem Kopfe und schmerzverzerrten Zügen dasaß, hielt sich krampfhaft an der Bank fest, doch wenn er die Augen einmal zu den Gebrüdern Kip erhob, schoß daraus auf diese ein Blick tödlichen Hasses. Es sah aus, als hätte er bereits die feste Überzeugung von der Schuld der Holländer gewonnen.

Vin Mod selbst erwartete sehr gleichmütig die Folgen dieser Denunziation des Bootsmannes gegen Karl und Pieter Kip.

Als die so tief erregten Zuhörer wieder ruhiger geworden waren, erteilte der Vorsitzende nochmals Flig Balt das Wort, um diesem Gelegenheit zur Vervollständigung seiner Anklage zu geben.

Flig Balt tat das in klarer, kurzer Rede und mit einem Tone, der unbedingt einen ihm günstigen Eindruck hinterlassen mußte.[273]

Am 25. Dezember gegen Abend, als er noch Befehlshaber der Brigg war, befand er sich zufällig in der gemeinschaftlichen Kajüte. Die Tür der daran gelegenen Kabine der Gebrüder Kip stand gerade offen. Da erhielt das Schiff vom Wasser einen besonders heftigen Stoß, bei dem ihm ein Reisesack bis vor die Füße gerollt wurde. Es war derselbe, der vom Wrack der »Wilhelmina« noch glücklich geborgen worden war. Beim Aufschlagen und Herausrollen hatte sich der Sack geöffnet, und ihm entfielen verschiedene Papiere und eine Handvoll Piaster, die über den Fußboden verstreut wurden.

Das Klirren der Goldstücke erregte ebenso die Aufmerksamkeit Flig Balts, wie seine Verwunderung, da allen auf dem Schiffe bekannt war, daß Pieter und Karl Kip bei dem Schiffbruche alles verloren hätten, was sie an Geld besaßen.

Ohne hierüber weiter nachzudenken, ging Flig Balt daran, die Münzen und die Papiere wieder in den Reisesack zu stecken, als er unter diesen Papieren die des »James-Cook«, das Konnessement (den Ladeschein) und die Chartepartie (den Frachtvertrag) des Kapitäns Gibson erkannte, die dieser am Tage seines Todes bei sich trug und die man bisher nicht wiedergefunden hatte.

Über diese Entdeckung schaudernd, verließ Flig Balt die Kajüte. Er konnte nicht mehr bezweifeln, daß die Gebrüder Kip die Schuldigen wären. Sein erster Gedanke war, zu Herrn Hawkins zu laufen und ihm zu sagen: »Sehen Sie hier, was ich gefunden habe« – und Nat Gibson zuzurufen: »Da stehen die Mörder Ihres Vaters!«

Gewiß hätte der Bootsmann das tun sollen, er tat es aber nicht, er sprach gegen niemand von dem Geheimnis, das sich ihm eben enthüllt hatte. Doch unter der Botmäßigkeit eines Verbrechers, des Mörders seines Kapitäns zu stehen... das konnte er nicht über sich gewinnen. Er wollte ihm das Kommando wieder entreißen, dessen er, Flig Balt, ungerechterweise beraubt worden war, und nur deshalb stachelte er die Matrosen zu der Meuterei an.

Sein Versuch mißglückte. Er wurde entwaffnet und auf Anordnung des Elenden, der das Vertrauen des Herrn Hawkins so schmählich getäuscht hatte, in dem Frachtraum eingesperrt. Infolge dessen beschloß er, bis zum Eintreffen des Schiffes in Hobart-Town zu verschweigen, was er wußte, und auch hier erst die ihm bevorstehende Anklage abzuwarten. Öffentlich, vor dem versammelten Seegerichte, wollte er erst die Urheber des Verbrechens von Kerawara an den Pranger stellen.[274]

Nach dieser ausdrücklichen Erklärung, der eine längere Erregung im Zuhörerraume folgte, glaubte der Vorsitzendem, die Verhandlung zunächst abbrechen zu müssen. Die Sitzung wurde also aufgehoben; einige Gerichtsdiener führten Flig Balt und Len Cannon in das Hafengefängnis zurück. Die weitere Untersuchung der Sache würde ja ergeben, was von der Aussage des Bootsmannes zu halten wäre. Karl und Pieter Kip wurden aber vorläufig verhaftet und im Stadtgefängnis untergebracht.

Vor dem Verlassen des Sitzungssaales hatte Karl Kip sich nicht überwinden können, seiner Entrüstung über den Buben, der sie anklagte, kräftig Ausdruck zu geben. Pieter bemühte sich, ihn zu besänftigen.

»Laß es gut sein, mein armer Bruder... überlaff' es den Gerichten, unsere Unschuld an den Tag zu bringen!«

Dann waren sie fortgegangen, doch keine Hand – nicht einmal die des Herrn Hawkins – hatte sich ihnen entgegengestreckt.

Natürlich mußten Karl und Pieter Kip fest daran glauben. daß bei der weiteren Untersuchung nie etwas herauskommen könnte, was sie belastete... sie hatten das abscheuliche Verbrechen ja nicht begangen. Die Schiffspapiere, die Flig Balt in ihrem Reisesacke gesehen haben wollte, könnte man bei einer Haussuchung in ihrem Gasthofszimmer ja unmöglich finden, und sie meinten, mit ruhigem Gewissen die weiteren Schritte abwarten zu können, die in der Sache getan würden. Die einfache Behauptung des Bootsmannes genügte sicherlich nicht, sie des Diebstahls und des Mordes zu überführen.

Wer beschreibt aber ihr Erstaunen und wer die Empfindung des Entsetzens, das sich in der Stadt verbreitete, als noch am nämlichen Tage das Gerücht aufkam, die Nachsuchungen hätten Flig Balts Aussage bestätigt!

Einige Gerichtspersonen hatten sich sofort nach dem Gasthofe zum Great Old Man begeben. Der vom Bootsmanne erwähnte Reisesack war geöffnet und durchsucht worden. Unter darin verpackter Leibwäsche hatte man eine Summe von sechzig Pfund in Piastern und auch die dem Kapitän Gibson abgenommenen Papiere des »James-Cook« vorgefunden.

Ja noch mehr... einen noch erdrückenderen Beweis! – In dem Reisesacke befand sich eine Waffe, ein malaiischer Dolch... ein Kriß mit gezahnter Klinge. Die in Kerawara vorgenommene Besichtigung und die photographischen Aufnahmen des Herrn Hawkins bewiesen ganz unzweifelhaft, daß die Todeswunde des Kapitäns von einer solchen Handwaffe herrührte.[275]

Es waren also keine einfachen Vermutungen mehr, die zu Ungunsten der Gebrüder Kip sprachen, sondern wirkliche, greifbare Beweise, wie sie Flig Balt in der Gerichtssitzung schon angekündigt hatte. Und was jeden Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Bootsmannes noch weiter ausschloß, war der Umstand, daß er von dem malaiischen Kriß kein Wort gesprochen hatte und also jedenfalls nicht wußte, daß dieser sich im Besitz der beiden Brüder befand, denn in der Verhandlung hatte er ja nur der Papiere und der Piaster Harry Gibsons Erwähnung getan.

Der Leser erinnert sich aber wohl, daß Jim diesen, von Vin Mod auf ein Tischchen in der Kabine gelegten Dolch gesehen hatte, als er zum Aufräumen des Raumes von Flig Balt hinuntergeschickt worden war. Den Dolch hatte der Bootsmann jedoch gleich darauf wieder an sich genommen. Möglicherweise wurde nun sogar der Schiffsjunge zu einer Aussage über diesen Punkt herangezogen, und sein Zeugnis mußte dann die Angaben des Bootsmannes noch weiter bestätigen.

Alles das beweist, daß das von dem schurkischen Vin Mod gesponnene Netz recht fest und widerstandsfähig war. Was er zur Kompromittierung, zum Verderben der beiden Brüder ersonnen hatte, schlug bis jetzt nicht fehl; voraussichtlich konnten sie die dunkle Angelegenheit niemals aufhellen, die freche, gegen sie erhobene Anschuldigung niemals von sich abschütteln.

Jedenfalls hatte der so schwer wiegende Umstand – die Auffindung des Kriß – die von Vin Mod erwartete Folge, daß die Untersuchung gegen Flig Balt und Len Cannon eingestellt und das saubere Paar aus der Hast entlassen wurde. Was bedeutete denn der Versuch einer Auflehnung an Bord des »James-Cook« gegen den Sachverhalt, der durch die Haussuchung an den Tag gekommen war? Der Bootsmann konnte daraufhin ja nicht mehr als Angeklagter, sondern nur noch als Zeuge vor Gericht gezogen werden.

Es ist wohl unnötig, hier besonders auf das Ungestüm – ja, das ist das treffende Wort – hinzuweisen, womit Nat Gibson sich auf die jetzt offenliegende Fährte stürzte. Endlich waren sie entdeckt, würden sie bestraft werden, die herzlosen Mörder seines Vaters! – Ebenso darf es bei dem Gemütszustande, der Nat Gibson beherrschte, kaum wundernehmen, daß der junge Mann alles vergaß, was zur Entlastung der Gebrüder Kip hätte dienen können: ihre Haltung seit dem Tage, wo sie von der Insel Norfolk aufgenommen wurden, ihr mutiges Auftreten bei dem Überfalle der Papuas von Neuguinea, den ungeheuchelten[276] Schmerz, den sie beim Tode des Kapitäns Gibson verrieten, ferner bei der Rückreise das wirksame Eingreifen Karl Kips, der im schlimmsten Sturme die Brigg vor dem Untergange bewahrte. und auch seine Entschlossenheit bei der durch den Bootsmann angezettelten Meuterei. – Nat Gibson vergaß gänzlich die warme Sympathie, die ihm die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina« bisher eingeflößt hatten. Alle diese Gefühle erloschen vor dem Abscheu gegen die Mörder, die ja alle Umstände anklagten, gegen das unwiderstehliche Verlangen, seinen Vater gerächt zu sehen.

Übrigens hatte sich auch in Hobart-Town allgemein ein Meinungsumschwung vollzogen. Soviel man sich früher für die Gebrüder Kip interessierte und sie unterstützt hatte – den einen durch die Vermittlung einer Anstellung als Obersteuermann, den anderen durch die Einleitung späterer Handelsverbindungen zwischen dem Groninger Hause und Tasmanien, ebensoviel wurden sie jetzt verurteilt und verwünscht. Dagegen stieg Flig Balt in den Augen der Leute zur Höhe eines Helden empor. Welche Charakterstärke hatte er bewiesen, jenes Geheimnis bis zum Tage der ihm drohenden Gerichtsverhandlung zu bewahren! Und verdiente er nicht wenigstens eine Entschuldigung, jener Versuch einer Empörung zu dem Zwecke, den »James-Cook« der Führung durch einen Mörder zu entziehen... ein Versuch, bei dem er doch das eigene Leben aufs Spiel setzte? Ja sogar die ehrbaren Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes waren durch das allgemein herrschende, vernichtende Urteil so stark beeinflußt worden, daß sie völlig der Hochachtung, die sie für ihren neuen Kapitän empfunden, völlig der Ergebenheit vergaßen, die sie ihm unter allen Umständen bewiesen hatten.

Was aber in Hobart-Town niemand mehr bezweifelte, das konnte auch in Port-Praslin und in Kerawara keinen Zweifel mehr aufkommen lassen, und Herr Zieger wie Herr Hamburg konnte jede, jetzt überflüssig gewordene Nachforschung aufgeben.

Frau Gibson gab sich mehr dem Schmerz über den Verlust ihres Gatten hin, als dem Bedauern, seinen Tod ungesühnt zu wissen. Doch was hätte sie zu ihrem Sohne sagen können, das geeignet gewesen wäre, seine Überzeugung zu erschüttern? Übrigens erschienen ja auch ihr, wie so vielen, wie vielleicht allen anderen, nach der durch Beweise erhärteten Aussage des Bootsmannes die beiden Brüder als die einzigen, die wirklichen Mörder Harry Gibsons.[277]

Allen anderen?... Nein, doch wohl nicht, wenigstens Hawkins war mit seinem Urteile über die Holländer noch nicht fertig. Fühlte er auch sein unbedingtes Vertrauen auf Karl und Pieter Kip ein wenig schwanken, so war er von deren Schuld doch nicht vollkommen überzeugt. Der häßliche Gedanke, daß die jungen Männer, die sich bisher seine größte Hochachtung erworben hatten, die Urheber einer solchen Freveltat wären... dieser Gedanke widerstrebte ihm gar zu sehr.

Beweggründe für den Mord ließen sich ja gar nicht angeben. Sollte man sie denn in dem Verlangen suchen, sich die paar tausend Piaster anzueignen, die Gibson bei sich getragen hatte, oder etwa in der von Karl Kip genährten Hoffnung, dessen Nachfolger in der Führung der Brigg zu werden? Das genügte dem klarsehenden Hawkins nicht, auch als Frau Hawkins seinen Einwendungen gelegentlich widersprach.

»Doch die Beweise, sagte sie dann, die greifbaren Beweise... das Geld... die Schiffspapiere... und obendrein jener Dolch!... Kann man denn annehmen, daß unser armer Gibson nicht mit dieser Waffe ermordet worden wäre?

– Ja ja, antwortete darauf Hawkins, das weiß ich alles. Hier liegen Beweise vor, die erdrückend er scheinen. Und doch kann ich daneben so manches andere nicht vergessen. Nein, ich zweifle so lange, bis diese Unglücklichen ein unumwundenes Geständnis ablegen.

– Würdest du im Beisein Nats wohl ebenso sprechen?

– Nein... er hätte dafür kein Verständnis. Was könnte es bei seinem überreizten Zustande nützen, ihm andere Gedanken nahe legen zu wollen?... Warten wir die weitere Entwicklung der Sache ab. Wer weiß, ob es Karl und Pieter Kip nicht gelingt, ihre Unschuld nachzuweisen. Und selbst im Falle ihrer Verurteilung würde ich noch sagen: Warten wir die Zukunft ab!«

Nach der Durchsuchung des Zimmers im Gasthofe zum Great Old Man lag die Sache so, daß sie vor dem Kriminalgerichtshof weitergeführt werden mußte. Zu einer Hinausschiebung lag kein Grund vor. Die einzigen Zeugen, die vorgeladen werden konnten, befanden sich alle in Hobart-Town. Etwaige aus Holland einzuziehende Erkundigungen über die Familie der beiden Brüder, über ihre persönlichen Verhältnisse und ihren Leumund konnten mit Hilfe des Telegraphen binnen vierundzwanzig Stunden erlangt werden. Die Untersuchung bedingte keine weitschweifigen Ermittelungen, keine Herbeischaffung weiterer Beweismittel.[278]

Drei Tage verstrichen Am 25., an dem dafür bestimmten Termin, fuhr der »Skydnam« ab, nachdem der Kapitän Fork einen anderen Obersteuermann gewählt hatte. Er dampfte hinaus... ohne Karl oder Pieter Kip an Bord zu haben, und Hawkins zerriß es fast das Herz. als er das Schiff auf dem Meere schaukeln sah.

Flig Balt und Vin Mod glaubten jetzt natürlich, wegen des in Kerawara begangenen Verbrechens nichts mehr zu befürchten zu haben. Wer hätte auch das abscheuliche Komplott durchschauen können, dem zwei Unschuldige zum Opfer gefallen waren, wer hätte die Maschen des Netzes zerreißen können, worin diese gefangen saßen?

Der Bootsmann und sein Helfershelfer allein hatten das häßliche Manöver ersonnen und ausgeführt. Weder Sexton, noch Bryce oder der Koch Koa hatte davon die leiseste Ahnung, ja sie waren fast mehr als die anderen erstaunt über die plötzliche Wendung, die die Angelegenheit vor dem Seegerichte genommen hatte. Was Kyle angeht, der nach achtundvierzigstündiger Hast entlassen worden war, so konnte dieser, obwohl er als Mittelsmann zwischen Vin Mod und Flig Balt gedient hatte, aus der von ihm überbrachten Mitteilung doch nicht den Verdacht schöpfen, daß die beiden genannten den Mord begangen hätten und daß die Gebrüder Kip nur in eine Falle geraten wären. Auch Len Cannon kannte die Wahrheit so wenig wie die anderen. Diese verabscheuungswürdigen Matrosen konnten sich aber nur beglückwünschen über die Wendung, die die Angelegenheit genommen hatte. Flig Balt, der jetzt nicht mehr gefangen saß, konnte sich um eine Heuer für sie und für sich selbst umtun. Und wenn es auch in ihrer Macht gestanden hätte, wären sie gewiß nicht zu Gunsten der beiden Brüder aufgetreten.

Nach der Abfahrt des »Skydnam« am Abend des 25. schlenderten Flig Balt und Vin Mod auf dem Kai umher. Dieser war ganz menschenleer, und so konnten sie jetzt plaudern ohne die Gefahr, gehört oder belauscht zu werden.

»Na, glückliche Reise dem ›Skydnam‹, sagte Vin Mod, glückliche Reise, da er die beiden Holländer nicht nach Holland mitnimmt. Ha ha, Karl Kip hatte an Bord des ›James-Cook‹ deinen Platz eingenommen, Freund Balt, nun er wird ihn auch noch ein zweites Mal einnehmen, doch hinter den Riegeln des Gefängnistores, und solche Riegel... die halten hübsch fest!

– Unser Streich ist gelungen, meinte dazu der Bootsmann, eigentlich leichter, und vielleicht gründlicher, als ich es selbst erwartete.[279]

– O, es war ja alles von langer Hand vorbereitet. Die beiden Kip werden nicht imstande sein, sich aus der Schlinge zu ziehen.

– Wir wollen nur erst das Ende abwarten, Mod.

– Das steht schon im voraus fest, alter Freund!... Ha, ich möchte wohl ihr Gesicht gesehen haben, als sie erfuhren, was man in ihrem Reisesacke gefunden hatte. Wahrlich, es war ein Glück, daß wir auf das treibende Wrack der ›Wilhelmina‹ gestoßen sind und daß jener Reisesack bei deren Unfalle nicht mit versanken war. Hatten sie denn nachher nicht die Papiere und das Geld des Kapitäns im Besitz?... Wie unklug! Freilich hab' ich dazu ein paar hundert Piaster opfern müssen, doch darüber ist nicht zu jammern...

– Wieviel ist uns denn noch geblieben? fragte Flig Balt.

– Fast zweitausend Piaster, und wir werden also nicht verhindert sein, davonzugehen, sobald es uns paßt.

– Das heißt nach dem Prozesse.

– Natürlich! Nur nicht zu vergessen, daß Flig Balt, der Exkapitän des ›James-Cook‹, der Hauptzeuge ist, und ich hoffe, daß der sich dann in keine Widersprüche verwickeln wird.

– Darum sei ohne Sorge, Mod.

– Übrigens war es ein Glück, daß du in der Verhandlung bei Gelegenheit deiner Anklage nur von den Schiffspapieren und den Piastern gesprochen hast, denn als man später auch noch den Kriß fand, machte das um so mehr Wirkung. Damit war jeder Zweifel niedergeschlagen, und du wirst's ja sehen, die beiden Kip mögen noch so sicher behaupten, der Dolch könne nur auf dem Wrack gefunden worden sein, glauben wird es ihnen doch niemand, schon da sie ja zugeben müssen, daß er ihnen gehört. Vergessen wir nicht, daß sie ehrliche Leute sind, die nicht lügen können. Na, ich werde ja noch sehen, welche Grimassen solche ehrbare Leute schneiden, wenn sie am Galgen baumeln!«

Der elende Bursche lachte noch über seine Witzeleien, doch ohne daß es ihm gelang, den Bootsmann aufzuheitern. Dieser fühlte sich immer etwas bedrückt und konnte sich von einer inneren Unruhe nie ganz befreien. Gewiß war die Geschichte bisher sehr gut durchgeführt, wer konnte aber wissen, ob sie nicht durch unerwartete Zwischenfälle doch noch eine bedrohliche Wendung nähme.

»Ja, Vin Mod, daß alles zu Ende und zu unseren Gunsten zu Ende ist, das glaube ich erst nach der rechtskräftig gewordenen Verurteilung und nachdem wir Hobart-Town verlassen haben werden, um unser Glück weit von hier, am Ende der Welt, meinetwegen beim Teufel zu erjagen...

– Das ist so deine Art, Balt; dir ist's unmöglich, die Dinge ruhig anzusehen. Nun ja, das liegt eben in deiner Natur...

– Das bestreite ich nicht, Mod.


Flig Balt und Vin Mod schlenderten auf dem Kai umher. (S. 279.)
Flig Balt und Vin Mod schlenderten auf dem Kai umher. (S. 279.)

– Weil du die Dinge nicht ansiehst, wie sie wirklich liegen, Freund Balt! Ich wiederhole dir: was uns betrifft, ist nichts zu befürchten. Selbst wenn wir jetzt eingestehen wollten. einen schlechten Streich gespielt zu haben, bin ich überzeugt, daß man uns nicht glauben würde!

– Sage mir, Mod, fuhr der Bootsmann ablenkend fort, im Gasthofe zum Great Old Man hat dich doch niemand bemerkt?

– Niemand... weder gekannt, noch wiedererkannt. Vin Mod hat ja dort überhaupt nicht gewohnt, sondern ein Ned Pat, der mir nicht im geringsten ähnelte.

– Gewagt war es doch, was du getan hast.

– Nein, nein; du glaubst gar nicht, wie es mich entstellt, wenn ich einen Vollbart trage... einen starken, rötlichen Bart, der bald bis an die Augen hinausreicht. Außerdem bin ich nur spät abends, zur Zeit des Zubettgehens, in den Gasthof gekommen und allemal sehr frühzeitig wieder fortgegangen.

– Und du bist jetzt von da auch noch nicht ausgezogen? fragte Flig Balt.

– Noch nicht; ich halte es für richtiger, noch ein paar Tage länger dort zu bleiben. Wäre ich gleich nach der Verhaftung der Gebrüder Kip davongegangen, so hätte das auffallen können. Vielleicht hätte man beides in Verbindung gebracht... kurz, aus Vorsicht verlasse ich den Gasthof nicht vor der Fällung des Urteils...

– Es ist aber auch wichtig, Mod, daß du später nicht als identisch mit jenem Ned Pat erkannt wirst.

– Keine Sorge, Balt... sieh, drei- oder viermal, wenn ich mich nach dem Gasthofe begab, bin ich auf der Straße Sexton, Kyle und Bryce begegnet; die haben aber niemals geahnt, daß ihr Kamerad eben vorübergegangen wäre Du selbst, Balt, hättest mir bestimmt kein ›Halt' einmal, Vin Mod!‹ zugerufen.«

Man erkennt also, daß hier keine Vorsichtsmaßregeln versäumt waren und nichts zu der Entdeckung führen konnte, daß Vin Mod unter dem Namen Ned Pat im Great Old Man das Zimmer neben dem der Gebrüder Kip bewohnt hatte.[283]

Die weitere Behandlung der Angelegenheit ging durch den Untersuchungsrichter ununterbrochen vor sich. Niemand zweifelte übrigens mehr an der Schuld der beiden, so klar und bündig angeklagten Holländer, in deren Besitz sich die Papiere und das Geld des Kapitäns gefunden hatten. Alles sprach ja dafür, daß diese Gegenstände von den Mördern Harry Gibsons gestohlen worden seien, da dieser sie, als er seinen elenden Tod fand, bestimmt bei sich getragen hatte.

Zwischen der in dem Reisesacke aufbewahrten Leibwäsche hatten die Gerichtsdiener obendrein einen Dolch gefunden.

Nun entstand freilich zunächst die Frage, ob diese Waffe dieselbe sei, mit der der Kapitän Gibson getötet worden war.

Das ließ sich aber verhältnismäßig leicht erweisen. Die von einer gezahnten Schneide gerissene Wunde konnte nur von einem Kriß malaiischen Ursprungs herrühren. Die Photographie, die Hawkins besaß, bestätigte das ohne weiteres.

In Melanesien sind solche Krisse freilich allgemein in Gebrauch. Die Eingebornen auf Kerawara und der Insel York, so wie die von Neuseeland und Neubritannien, bedienen sich ihrer in allen Kämpfen ganz allgemein neben Speeren und kleineren Wurfspießen... War nun als bestimmt anzunehmen, daß der Karl Kip gehörige Kriß die bei dem Verbrechen benutzte Mordwaffe war?

Dafür sollte sehr bald ein weiterer Beweis geliefert werden.

Am Morgen des 25. ging in Hobart-Town ein englischer Dreimaster, der »Gordon« aus Sydney, vor Anker.

Drei Wochen vorher hatte der »Gordon« nach wiederholtem Aufenthalte in Kerawara und Port-Praslin den Bismarck-Archipel verlassen.

Der Postbeutel des »Gordon« enthielt einen an Herrn Hawkins gerichteten Brief und ein dazu gehöriges Kästchen.

Der Brief kam von Port-Praslin. Herr Zieger hatte ihn erst später geschrieben, als die aus Wellington herrührenden Nachrichten dem Reeder durch seinen Korrespondenten Balfour schon übermittelt worden waren. – Nachrichten, die übrigens für die Untersuchung nichts Neues oder Wichtiges enthielten.

Jener Brief aber lautete folgendermaßen:


»Port-Praslin, am 22. Januar.


Lieber Freund!


Ich benutze die Abfahrt des ›Gordon‹, Sie zunächst zu bitten, mich Ihrer geehrten Gattin zu empfehlen, und der Frau Gibson nebst deren Sohne[284] zu versichern, daß wir, meine Frau und ich, an ihrem Schmerze den innigsten Anteil nehmen.

Herr Hamburg in Kerawara hat sich ebenso bemüht, die traurige Angelegenheit doch aufzuklären, wie ich das in Neumecklenburg versucht habe... leider haben wir beide damit keinen Erfolg gehabt. Nachforschungen unter den Stämmen der Eingebornen der Insel York haben auch weder zur Auffindung der dem Kapitän Gibson gehörigen Papiere, noch zu der des Geldes geführt, das er bei sich getragen hatte. Das Verbrechen dürfte wohl kaum von Eingebornen der Insel York verübt worden sein, denn jedenfalls hätte man in ihrem Besitze jene für sie bedeutende Summe gefunden, da deren Verwendung im Archipel unbedingt stark aufgefallen wäre.

Dagegen habe ich etwas anderes zu berichten. Gestern hat einer der Gehülfen der Faktorei im Walde von Kerawara, rechts von dem Fußwege, der zur Wohnung des Herrn Hamburg führt, und genau an der Stelle, wo der Mord geschehen ist, zufällig eine kupferne Zwinge gefunden, die sich von dem Dolche losgelöst haben muß, als der Mörder sich dessen bediente, unseren unglücklichen Freund niederzustechen.

Wenn ich Ihnen diese Zwinge übersende, glaube ich zwar nicht, daß sie zu einem Beweisstücke werden könnte, da man ja die Mordwaffe selbst nirgends gefunden hat. Ich meinte aber doch, es tun zu sollen, und wünsche nur, daß die ungeheuerliche Missetat nicht ungesühnt bleiben möge.

An Sie, werter Freund, sowie an Ihre liebe Gattin, ferner an Frau Gibson und Nat die besten Grüße. Sollte ich etwas Neues erfahren, so teile ich es Ihnen sofort mit, auch bitte ich Sie, uns hier auf dem Laufenden zu erhalten.


Ihr freundschaftlich ergebener


R. Zieger.«


Herr Zieger wußte eben noch nicht, daß die Behörde in Hobart-Town schon die Waffe eingezogen hatte, womit der Mord am Kapitän Gibson jedenfalls ausgeführt worden war. Bei der Untersuchung war auch aufgefallen, daß an dem Kriß der beiden Brüder die den Handgriff abschließende Zwinge fehlte.

Als man nun die jetzt erhaltene probierte, zeigte es sich, daß sie vollkommen an den Griff des Kipschen Dolches paßte.[285]

Nach diesem neuen Beweise hatte sich Nat Gibson gleich zu dem Reeder begeben.

»Werden Sie, Herr Hawkins, fragte er, jetzt noch immer an der Blutschuld jener Elenden zweifeln?«

Als Antwort ließ Hawkins nur den Kopf niedersinken.

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 273-281,283-286.
Lizenz:
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