Siebzehntes Capitel.
Ein Angriff.

[158] Wenn Manoel sich zuletzt noch bemeisterte, um an Bord zu keiner unangenehmen Scene Veranlassung zu geben, so nahm er sich doch vor, am nächsten Tage einmal mit Benito über Torres' Zudringlichkeiten zu sprechen.

»Benito, begann er, nachdem er diesen nach dem Vordertheile der Jangada geführt, ich möchte Dir etwas sagen.«

Benito, um dessen Lippen sonst immer ein freundliches Lächeln spielte, blieb stehen, als er Manoel in's Gesicht sah, und seine Züge verdüsterten sich ein wenig.

»Ich errathe, sagte er, es handelt sich um Torres.

– Ganz richtig.[158]

– Nun, Manoel, über dasselbe Thema wollte ich mich auch schon Dir gegenüber auslassen.

– Dir ist es also ebenfalls aufgefallen, wie er sich immer an Minha heranzudrängen sucht? fragte Manoel erbleichend.

– O, hoffentlich erregt nicht ein Gefühl von Eifersucht Deinen Widerwillen gegen einen solchen – Kerl? gab ihm Benito betroffen zurück.

– Nein, das sicherlich nicht! betheuerte Manoel. Gott behüte mich, das junge Mädchen, welches meine Gattin werden soll, durch eine solche Beleidigung zu erniedrigen! O nein, Benito! Sie selbst verabscheut den Abenteurer. Darum eigentlich handelt es sich also nicht, es widert mich aber an, immer Zeuge zu sein, wie der hergelaufene Unbekannte Deiner Mutter und Schwester seine unerwünschte Gesellschaft aufnöthigt und sich mit Deiner Familie, die ich doch schon die meinige nennen zu dürfen glaube, auf so vertrauten Fuß zu stellen sucht.

– Lieber Manoel, antwortete Benito ernst, ich theile vollständig Deinen Widerwillen gegen diese zweifelhafte Persönlichkeit, und wenn es nach mir ginge, hätte ich Torres längst von der Jangada weggejagt. Noch wagte ich es aber nicht.

– Du wagtest es nicht? versetzte Manoel verwundert. Kann es hierbei in Frage kommen, einen solchen Schritt zu wagen?

– Höre mich an, Manoel, erwiderte Benito. Du hast doch Torres scharf beobachtet, nicht wahr? Du hat seine Annäherungsversuche an meine Schwester bemerkt? Darin täuschtest Du Dich gewiß nicht. Da dieser Umstand aber Deine Aufmerksamkeit fesselte, ist es Dir offenbar entgangen, daß jener uns beunruhigende Mann meinen Vater dabei stets im Auge zu behalten sucht, so daß er mir irgend einen arglistigen Hintergedanken zu verbergen scheint, sonst ließe sich diese Erscheinung kaum erklären.

– Was sagst Du, Benito? Hast Du Gründe zu glauben, daß Torres gegen Deinen Vater etwas im Schilde führt?

– Gründe eigentlich nicht, antwortete Benito. Es ist mehr eine Ahnung, die ich nicht los werden kann. Aber beobachte Torres nur genauer, studiere ein wenig seine Physiognomie, und Du wirst bald herausfinden, daß er beim Anblick meines Vaters immer und immer wieder verstohlen, aber ganz unheimlich lächelt.

– Nun, rief Manoel, das wäre ja noch ein Grund mehr, ihn von uns zu entfernen.

– Ein Grund mehr... vielleicht auch einer weniger! antwortete der junge Mann. Sieh, Manoel, ich fürchte... ja, was denn?... ich weiß es selbst[159] nicht... es scheint mir aber unklug, meinen Vater zur Wegweisung jenes Mannes zu bestimmen. Mich überschleicht, ich wiederhole es Dir, eine gewisse Besorgniß, von der ich mir doch keine klare Rechenschaft zu geben vermag!«

Benito überlief bei diesen Worten ein Zittern, wie von unterdrückter Wuth.

»Also meinst Du, nahm Manoel das Wort, es gelte hier, noch zu warten?

– Ja wohl... zu warten, einen letzten Entschluß nicht vorschnell zu fassen, aber immer auf der Hut zu sein.


Die Indianer räuchern ihn über einem Feuer von Palmenfrüchten. (S. 163.)
Die Indianer räuchern ihn über einem Feuer von Palmenfrüchten. (S. 163.)

– Aller Wahrscheinlichkeit nach treffen wir doch binnen etwa drei Wochen[160] in Manao ein, sagte Manoel darauf, dort sollen wir Torres ja los werden Das befreit uns von seiner widerlichen Gesellschaft. Bis dahin behalten wir ihn im Auge!

– Du verstehst mich, Manoel, bemerkte Benito.

Vollkommen, liebster Freund und Bruder! versicherte Manoel, obgleich ich Deine Befürchtungen vorläufig nicht theile und unmöglich theilen kann. Was könnte Dein Vater mit jenem Herumlungerer gemein haben? Offenbar hat er jenen nie zuvor gesehen!

– Ich sage auch nicht, daß mein Vater Torres kennt, aber... nun ja... aber Torres scheint ihn zu kennen. Was trieb den Mann in die Nachbarschaft der Fazenda, als wir ihn trafen? Was veranlaßte ihn, unsere gastfreundliche Einladung abzuschlagen und es nachher so einzurichten, daß er sich uns als Reisegefährte anschließen konnte? Wir betreten kaum Tabatinga, da taucht er schon auf, als ob er nur auf uns gelauert hätte. Ist Alles das nur ein Spiel merkwürdigen Zufalles oder liegt hier ein durchdachter Plan zugrunde? Der gleichzeitig scheue und doch spähende Blick Torres' erweckt in mir diesen Gedankengang. Ich bin mir unklar... ich verirre mich in unbekannte Gebiete. O, warum mußte ich selbst darauf kommen, ihm einen Platz auf unserer Jangada anzubieten!

– Beruhige Dich, Benito, ich bitte Dich!

– Manoel, rief Benito, der immer erregter zu werden schien, glaubst Du, wenn es nur an mir läge, ich würde einen Augenblick zaudern, den Mann, der in uns soviel Unruhe und Abscheu erweckt, einfach über Bord zu werfen? Ich fürchte nur, damit meinem Vater eher zu schaden, und das veranlaßt mich wider Willen, davon abzustehen. Eine innere Stimme warnt mich noch, daß es Gefahr bringen könnte, Hand an diesen Schleicher zu legen, bevor uns nicht eine Thatsache dazu das Recht giebt... das Recht und die Verpflichtung obendrein!... Auf der Jangada ist er übrigens in unserer Gewalt, und wenn wir Beide meinen Vater sorgsam schützend bewachen, kann es nicht ausbleiben, daß jener, so sicher er auch seines Spieles sein mag, doch die Larve abwerfen und sich verrathen muß. Also fassen wir uns in Geduld!«

Das Erscheinen Torres' auf dem Vordertheile der Jangada unterbrach das Gespräch der jungen Leute. Torres richtete zwar die Augen auf sie, sprach dieselben aber nicht an.

Benito täuschte sich mit der Beobachtung nicht, daß der Abenteurer Joam Garral eine besondere Aufmerksamkeit zuwende, sobald er diesen zu Gesicht bekam.[161]

Nein, er täuschte sich auch darin nicht, daß Torres' Züge sich beim Anblick seines Vaters allemal verfinsterten.

Welch' geheimnißvolles Band konnte, ohne daß es der Eine – die Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit selbst – natürlich wußte, zwischen den zwei Männern bestehen?

Unter den obwaltenden Verhältnissen mußte es für den, außer von den beiden jungen Leuten auch noch von Fragoso und Lina überwachten Torres sehr schwierig werden, etwas zu unternehmen, ohne sofort übermächtigen Widerstand zu finden. Vielleicht sagte er sich das schon selbst. Jedenfalls ließ er davon aber nichts merken und keine Aenderung in seinem Benehmen eintreten.

Schon befriedigt, sich gegenseitig ausgesprochen zu haben, nahmen sich Manoel und Benito vor, jenen nur zu beobachten, ohne bei ihm Verdacht zu erregen.

Während der folgenden Tage kam die Jangada am rechten Stromufer am Eingange der Furos des Camara, Aru und Yuripari vorüber, durch welche das Wasser aber nicht in den Amazonenstrom, sondern in südlicher Richtung zur Speisung des Rio Purus abfließt, mit dem es nach dem Mutterbette zurückkehrt. Am 10. August, gegen fünf Uhr Nachmittags, legte man an der Cocosinsel an.

Hier befand sich eine Seringueire-Fabrik. Dieser Name kommt von dem, den Kautschuk liefernden »Seringueira« her, ein Baum, dessen botanische Bezeichnung »Siphonia elastica« lautet.

Man behauptet zwar, daß die Anzahl dieser werthvollen Bäume durch Vernachlässigung und Raubbau erheblich zurückgegangen sei; im Becken des Amazonenstromes finden sich jedoch an den Ufern des Madeira, des Purus und anderer Nebenflüsse noch unübersehbare Seringueira-Wälder.

Hier hielten sich etwa zwanzig mit der Einbringung und rohesten Zubereitung des Kautschuks beschäftigte Indianer auf, welche damit vorzüglich im Mai, Juni und Juli zu thun haben.

Man wartet dazu die Hochfluth ab, welche jene Bäume theilweise unter Wasser setzt, und in denselben Veränderungen erzeugt, welche zur Gewinnung des Saftes als erwünscht betrachtet werden.

Die Indianer machen dann Einschnitte in den Splint der Seringueiras und bringen darunter thönerne Gefäße an, welche sich binnen vierundzwanzig Stunden mit einem milchähnlichen Safte anfüllen, den man auch mittelst eines[162] hohlen Bambusstengels in untergestellten Gefäßen am Fuße des betreffenden Baumes auffangen kann.

Um die Ausscheidung der harzigen Bestandtheile dieses Saftes zu verhindern, räuchern die Indianer denselben über einem Feuer von Assaï-Palmenfrüchten. Durch Ausbreitung des rohen Saftes auf einer, durch den Rauch hin und herbewegten Holzschaufel bringt man denselben fast augenblicklich zum Gerinnen, wobei er eine grau-gelbliche Farbe annimmt. Die auf der Schaufel nach und nach erhärteten Schichten werden dann von dieser abgelöst und den Sonnenstrahlen ausgesetzt, wodurch sie sich noch weiter consolidiren und die allbekannte bräunliche Färbung an nehmen. Benito benutzte die sich darbietende Gelegenheit und kaufte den Indianern den ganzen Vorrath aus ihren, auf Pfählen errichteten Cabanen ab. Er zahlte dafür einen verhältnißmäßig anständigen Preis, so daß die Leute sehr befriedigt erschienen.

Vier Tage später, am 14. August, passirte die Jangada die Mündung des Purus.

Auch dieser gehört zu den rechtsseitigen Nebenflüssen des Amazonenstromes und soll selbst für tiefgehende Schiffe noch auf einer Strecke von fünfhundert Meilen fahrbar sein. Er kommt aus südwestlicher Richtung und mißt an der Vereinigungsstelle in der Breite wenigstens viertausend Fuß. Erst wälzt er sich unter dem Schatten von Ficus, Tahuaris, Nipas-Palmen und Cecropias hin und tritt zuletzt durch ein fünfarmiges Delta in den Hauptstrom ein.1

In dieser Gegend hatte der Pilot Araujo bequeme Arbeit. Der Strom wird hier weit weniger von Inseln unterbrochen, und seine Breite von einem Ufer zum anderen erreichte schon über zwei Meilen.

Auch die Strömung trieb die Jangada besser vorwärts. Letztere kam damit am 18. August vor dem Dorfe Pesquero an, um daselbst über Nacht still zu liegen.

Die Sonne näherte sich schon dem Horizont und sank mit der, jenen niedrigen Breiten eigenthümlichen Schnelligkeit senkrecht, eine flammende Feuerkugel, herab. Die Nacht sollte dem Tage fast ohne vermittelnde Dämmerung folgen, wie jene Nächte auf der Bühne, welche man durch Abblendung der Rampe hervorbringt.[163]

Joam Garral nebst seiner Gattin, Lina und die alte Cybele befanden sich vor dem Wohnhause.

Torres, der sich eine Zeitlang um Joam Garral zu schaffen machte, so als wollte er ihn speciell ansprechen, hatte sich, wahrscheinlich durch das Dazwischentreten des Padre Passanha, welcher der Familie einen Guten Abend wünschte, nach seiner Cabine zurückgezogen.

Die Indianer und Schwarzen lagen längs des Bordrandes ausgestreckt, aber jedes Winkes gewärtig. Araujo saß ganz vorn und richtete seine Aufmerksamkeit auf die jetzt sehr geradlinig verlaufende Strömung.

Manoel und Benito lustwandelten wachsamen Auges, aber plaudernd und, scheinbar ohne auf etwas zu achten, ihre Cigarretten schmauchend, im mittleren Theile der Jangada umher, und warteten der Stunde, die zur Ruhe winken sollte.

Plötzlich faßte Manoel Benito bei der Hand.

»Was ist das für ein sonderbarer Geruch? sagte er. Sollte ich mich täuschen? Bemerkst Du es nicht selbst? Man möchte behaupten...

– Es röche nach erwärmtem Moschus! vollendete Benito den Satz. Da werden am Strande in der Nähe wohl Kaimans im Schlafe liegen.

– O, die Natur that doch sehr weise daran, jene sich durch solch' eigenartige Ausdünstung verrathen zu lassen.

– Gewiß, bestätigte Benito, das ist ein Glück zu nennen, denn es sind in der That furchtbare Thiere.«

Gegen Abend pflegen diese Saurier meist nach dem Strande zu gehen und es sich daselbst möglichst bequem für die Nacht zu machen. Dort lagern sie sich in Löchern, in welche sie rückwärts kriechen, und schlafen mit offenem Rachen und vertical aufgerichteter Oberkinnlade, wenn sie nicht gerade eine Beute in der Nähe wittern. Diese zu erreichen, ob sie nun dazu in's Wasser eilen und unter der Oberfläche, mit dem Schwanze als Ruder, hinschwimmen, oder ob sie mit einer, die des Menschen weit übertreffenden Schnelligkeit über das Uferland laufen, ist für diese gräulichen Amphibien meist nur ein Spiel.

Hier auf den weit ausgedehnten flachen Vorländern werden die Kaimans geboren, hier leben und sterben sie, erreichen aber nicht selten ein sehr hohes Alter. Die hundertjährigen darunter zeichnen sich dann nicht allein durch das grünliche Moos auf ihrem Schuppenpanzer und die vielen den letzteren bedeckenden Warzen aus, sondern auch durch wilde Gefräßigkeit, welche mit den[164] Jahren nur zuzunehmen scheint. Wie Benito gesagt, können diese Thiere sehr gefährlich wer den, und man hat alle Ursache, sich gegen einen Angriff derselben in Vertheidigungszustand zu setzen.

Plötzlich ertönte ein lautes Geschrei.

»Kaimans! Kaimans!« riefen auf dem Vordertheile mehrere Stimmen durcheinander.

Manoel und Benito erhoben sich, um nach dem Lärme zu sehen.

Drei gewaltigen, fünfzehn bis zwanzig Fuß langen Sauriern war es gelungen, das Deck der Jangada zu erklimmen.

»Schnell die Büchsen her! rief Benito, während er die Indianer und Schwarzen zurückwinkte.

– Zunächst nach dem Hause und unter Dach und Fach, antwortete Manoel, das ist noch nöthiger!«

Er hatte mit dieser Mahnung sicher ganz recht, denn an einen directen Kampf mit den Ungeheuern konnte Niemand denken.

In einem Moment folgte Jeder Manoels Rathe. Die Familie Garral war schon in das Haus geflüchtet, wohin die beiden jungen Männer ebenfalls eilten. Die Indianer und Schwarzen waren in ihren Hütten und Zelten verschwunden.

Manoel wollte eben die Hausthür schließen.

»Wo ist Minha? fragte er.

– Hier sehe ich sie nicht, antwortete Lina, die von dem Zimmer ihrer Herrin herzugelaufen kam.

– Um Gottes Willen, wo ist mein Kind?« rief ihre geängstigte Mutter.

Wie aus einem Munde tönte von Allen sofort der Ruf:

»Minha! Minha!«

Keine Antwort.

»Sie wird doch nicht ganz vorn auf der Jangada sein? sagte Benito.

– Minha!« rief Manoel noch einmal.

Mit den Gewehren in der Hand, stürzten die beiden jungen Männer, aber auch Fragoso und Joam Garral, keiner Gefahr achtend, aus dem Hause.

Kaum hinausgetreten, machten zwei Kaimans eine halbe Wendung und liefen auf sie zu. Benito jagte dem einen eine Ladung Rehposten neben dem Auge in den Kopf und wehrte die Bestie ab, die sich unter heftigen Todeszuckungen umherwälzte.[165]

Der zweite Kaiman kam inzwischen näher heran und auf Joam Garral zu, der ihm nicht zu entfliehen vermochte. Mit einem wuchtigen Schweifschlage warf er ihn zu Boden und drehte sich schon mit weit geöffnetem Rachen nach der Beute um.

In diesem Moment der höchsten Gefahr sprang Torres mit einer Axt in der Hand aus seiner Cabine und hieb damit so glücklich auf das Thier ein, daß die Schneide in der oberen Kinnlade fest sitzen blieb, ohne daß der Kaiman sich davon wieder befreien konnte.

Von dem ihm in die Augen rinnenden Blute geblendet, warf sich das Thier auf die Seite und stürzte in den Strom zurück, wo es unter dem Wasser verschwand.

»Minha! Minha!« rief Manoel noch immer ganz außer sich, während er jene auf dem Vordertheile des Floßes suchte.

Plötzlich ward das junge Mädchen sichtbar. Sie hatte zuerst in Araujo's Cabane Zuflucht gefunden, diese wurde aber durch den gewaltigen Anprall des dritten Kaimans umgestürzt, und jetzt floh Minha nach rückwärts und das Ungeheuer folgte ihr in einer Entfernung von kaum sechs Fuß nach.

Minha strauchelte und fiel zu Boden.

Eine zweite Kugel Benitos konnte den Kaiman nicht aufhalten, sie traf nur den festen Panzer des Thieres, von dem nur einzelne Schuppen absprangen, ohne daß derselbe durchbohrt wurde.

Manoel eilte auf das geliebte Mädchen zu, sie aufzuheben, weg zu tragen, vor dem drohenden Tode zu retten.. Da – ein neuer Schlag mit dem Schweife – und er stürzte selbst mit nieder.

Die ihrer Sinne beraubte Minha schien unrettbar verloren, denn schon gähnte vor ihr der Rachen des Kaimans, um sie zu zermalmen.

Da drang noch im letzten Augenblicke Fragoso auf das Unthier ein und bohrte ihm, auf die Gefahr hin, selbst den Arm einzubüßen, wenn die fürchterlichen Kinnladen zuklappten, ein Messer tief in die Kehle.

Seinen Arm vermochte er wohl noch rechtzeitig zurückzuziehen, der Kaiman versetzte ihm selbst aber einen so gewaltigen Stoß, daß er davon in's Wasser geschleudert wurde, welches sich weithin roth färbte.

»Fragoso! Fragoso!« jammerte Lina, am Bordrand der Jangada knieend.

In wenig Augenblicken erschien Fragoso wieder auf der Oberfläche des Amazonenstromes... er war heil und gesund.[166]

Mit Verachtung der Gefahr für sein Leben hatte er das des jungen Mädchens gerettet, die jetzt wieder zu sich kam, und da er von allen ihm dankend entgegen gestreckten Händen Manoels, Yaquitas, Minhas und Linas nicht wußte, welche er zuerst ergreifen sollte, so fand er sich mit einem warmen Händedruck bei der jungen Mulattin ab.

Hatte Fragoso aber Minha gerettet, so verdankte deren Vater sein Leben offenbar dem Eingreifen Torres'.

Daß er dem Leben des Fazenders wenigstens nicht nachstellte, ging doch offenbar aus seiner Handlungsweise hervor.

Manoel machte diese Bemerkung heimlich gegen Benito.

»Das ist richtig, antwortete Benito etwas verlegen, jener Argwohn muß wohl schwinden, und ich begrüße diese Thatsache mit Freuden, weil sie uns doch eine, vielleicht die schwerste Sorge abnimmt. Mein Verdacht gegen ihn, lieber Manoel, besteht aber noch in Gleichem fort. Man kann wohl der schlimmste Feind eines Menschen sein, ohne es gerade auf seinen Tod abgesehen zu haben.«

Inzwischen hatte Joam Garral sich Torres genähert.

»Ich danke Ihnen, Torres!« begann er, ihm die Hand bietend.

Der Abenteurer wich, ohne ein Wort zu sprechen, einige Schritte zurück.

»Ich bedaure, Torres, fuhr Joam Garral fort, daß Sie nun bald an Ihrem Reiseziele sind und wir uns binnen wenig Tagen trennen werden. Ich schulde Ihnen...

– Joam Garral, fiel da Torres ein, Sie schulden mir gar nichts. Ihr Leben galt mir vor Allem das meiste. Doch, wenn Sie es gestatten... ich habe mir die Sache überlegt... ich möchte, statt in Manao abzusteigen, wohl bis Belem mitfahren. Würden Sie das erlauben?

Joam Garral antwortete durch ein zustimmendes Zeichen.

Als Benito diese letzte Frage hörte, wollte er schon in Uebereilung dazwischen treten, doch Manoel hielt ihn noch zurück und der junge Mann bezwang sich, wenn auch mit großem Widerwillen.

Fußnoten

1 Der Purus ist neuerdings von Mr. Bates, einem gelehrten englischen Geographen, sechshundert Meilen weit erforscht worden


Quelle:
Jules Verne: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX–XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 167.
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