Zwanzigstes Capitel.
Unter vier Augen.

[182] Allein in dem Zimmer, wo Niemand sie sehen oder hören konnte, sahen Joam Garral und Torres einander kurze Zeit schweigend an. Wagte sich der Abenteurer jetzt nicht mit der Sprache heraus? Setzte er voraus, daß Joam Garral auf seine an ihn zu richtenden Fragen nur mit verächtlichem Schweigen antworten würde?

Ohne Zweifel. Torres verzichtete auch darauf, erst Fragen zu stellen. Seit dem kurz vorausgegangenen Tischgespräch fühlte er sich seiner Sache so sicher, daß er gleich in der Rolle des Anklägers auftrat.[182]

»Joam, begann er, Sie heißen nicht Garral sondern Dacosta!«

Bei der Nennung des Namens jenes Verbrechers konnte sich Joam Garral eines leisen Zitterns nicht erwehren, aber er gab keine Antwort.

»Sie sind Joam Dacosta, wiederholte Torres, vor dreiundzwanzig Jahren Beamter im Bureau des General-Gouverneurs von Tijuco, und Sie sind es auch, der in Folge jener Raub- und Mordgeschichte verurtheilt wurde.«

Keine Erwiderung von der Seite Joam Garral's, dessen merkwürdige Ruhe den Abenteurer doch etwas überraschte. Sollte er sich mit dieser Anklage gegen seinen Wirth doch täuschen? Nein! Schon weil jener auf diese furchtbare Beschuldigung hin nicht entsetzt aufsprang und mit sich zu Rathe zu gehen oder Torres weiter aushorchen zu wollen schien.

»Joam Dacosta, sagte dieser noch einmal. Sie sind es, der wegen jener berüchtigten Diamanten-Affaire verhaftet, des Verbrechens überwiesen und zum Tode verurtheilt wurde, und kein Anderer als Sie, der wenige Stunden vor der Hinrichtung aus der Kerkerzelle von Villa Rica entsprang. Können Sie darauf eine Antwort geben?«

Auf diese unumwundene Frage Torres' erfolgte nur ein langes Schweigen. Joam Garral hatte sich ruhig niedergesetzt. Den Ellenbogen stützte er auf einen kleinen Tisch und sah seinem Ankläger, ohne den Kopf zu senken, gerade in's Gesicht.

»Können Sie darauf eine Antwort geben? wiederholte Torres.

Welche Antwort erwarten Sie von mir? sagte Joam Garral gelassen.

– Eine Antwort, erklärte Torres, die mich der Nothwendigkeit enthebt, in Manao zu dem Chef der Polizei zu gehen und zu melden: Es befindet sich hier ein Mann, dessen Identität leicht festzustellen sein, den man auch nach dreiundzwanzigjähriger Abwesenheit wiedererkennen wird, und dieser Mann ist der Urheber des bekannten Diamantenraubes in Tijuco, der Helfershelfer jener Mörder der Begleitmannschaft, der Verurtheilte, der sich seiner Strafe zu entziehen wußte, Joam Garral ist es, dessen wirklicher Name Joam Dacosta lautet.


Die Soldaten, welche sich heldenmüthig wehrten. (S. 180.)
Die Soldaten, welche sich heldenmüthig wehrten. (S. 180.)

– Ich würde demnach, äußerte Joam Garral, von Ihnen, Torres, nichts zu fürchten haben, wenn ich die erwünschte Antwort gäbe?

– Nichts, denn dann hätten weder Sie noch ich ein Interesse daran, von jenem Vorfall zu reden.

– Weder Sie noch ich? antwortete Joam Garral. Mit Geld allein könnt' ich Ihr Schweigen also nicht erkaufen?

– Nein, welche Summe Sie mir auch böten![183]

– Was verlangen Sie aber dann?

– Joam Garral, antwortete Torres, hören Sie meinen Vorschlag. Uebereilen Sie sich nicht, diesen rundweg abzuweisen, und denken Sie daran, daß Sie in meiner Gewalt sind.

– Wie lautet denn Ihr Vorschlag?« fragte Joam Garral.

Torres sammelte sich einen Augenblick. Das Benehmen dieses Schuldigen fiel ihm doch nicht wenig auf. Er hatte auf ein erregtes Wortgefecht, auf Bitten, auf Thränen gerechnet... Vor ihm stand ein der schlimmsten Verbrechen bezichtigter[184]

und deshalb verurtheilter Mann, aber dieser Mann kam nicht im mindesten außer Fassung.

»Sie haben eine Tochter, begann er endlich, die Arme kreuzend. Das Mädchen gefällt mir. Ich will Sie ehelichen.«

Joam Garral versah sich von Seiten eines solchen Menschen wohl schon im voraus alles Möglichen, denn auch diese Forderung raubte ihm die Ruhe nicht.


Die ganze Familie begab sich nach dem Vordertheile. (S. 181.)
Die ganze Familie begab sich nach dem Vordertheile. (S. 181.)

»Der ehrenwerthe Torres, erwiderte er, scheut sich also nicht, in die Familie eines Räubers und Mörders einzutreten?[185]

– Ueber meine Handlungsweise hab' ich allein zu richten, antwortete Torres. Ich will Joam Garral's Schwiegersohn werden und das wird auch in Erfüllung gehen.

– Sie scheinen ganz außer Acht zu lassen, Torres, daß meine Tochter im Begriffe steht, Manoel Valdez zu heiraten?

– Sie werden Ihre Manoel Valdez gegebene Zusage einfach zurücknehmen.

– Und wenn meine Tochter sich weigert?

– So werden Sie ihr Alles mittheilen, und sie wird, soweit kenne ich das Mädchen, dann Ja sagen, antwortete Torres unverschämt genug.

– Alles?

– Wenn's sein muß, Alles! Zwischen dem eigenen Gefühle und der Ehre ihrer Familie, dem bedrohten Leben ihres Vaters wird ihr die Wahl des verlangten Opfers nicht schwer werden.

– Sie sind ein erbärmlicher Schurke, Torres! sagte Joam Garral, der immerfort seine Kaltblütigkeit bewahrte, sehr ruhig.

– Ein Schurke und ein Mörder – ja Gleich und Gleich gesellt sich einmal gern!«

Bei diesen Worten erhob sich Joam Garral und trat an den Abenteurer, diesen scharf fixirend, näher heran.

»Torres, sagte er bestimmt, wenn Sie sich der Familie Joam Dacosta's anschließen wollen, dann hängt das so zusammen, daß Sie Kenntniß von Joam Dacos ta's Unschuld an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen haben.

– Wirklich?!

– Und daß Sie, füge ich hinzu, auch Beweise dafür besitzen, mit welchen Sie erst am Tage der Hochzeit mit meiner Tochter hervortreten würden.

– Spielen wir mit offener Karte, Joam Garral, antwortete Torres jetzt mit gedämpfter Stimme, wenn Sie mich angehört haben, wird sich's ja zeigen, ob Sie meine Bewerbung um Ihre Tochter ausschlagen.

– Ich höre, Torres.

– Nun... ja! sagte der Abenteurer etwas zögernd, als bereue er schon, mit diesem Worte zu viel zugestanden zu haben, ja... Sie sind unschuldig. Ich weiß es, denn ich kenne den wirklichen Verbrecher und habe auch den Beweis für Ihre Unschuld in den Händen.

– Und der Elende, welcher jenes Verbrechen beging?

– Der ist todt![186]

– Todt! rief Joam Garral, der bei dieser Nachricht unwillkürlich erbleichte, als sei ihm nun jede Möglichkeit der Wiederherstellung seines ehrlichen Namens abgeschnitten.

– Ja, todt! versicherte Torres. Dieser Mann aber, den ich lange Zeit kannte, ohne in ihm den Verbrecher zu vermuthen, hat eine eigenhändige schriftliche Darstellung der Vorgänge bei dem Diamantendiebstahle hinterlassen, welche bis auf das Einzelnste eingeht. Als er sein Ende herankommen fühlte, marterten ihn die Gewissensbisse. Er hatte Kenntniß davon, wohin Joam Dacosta geflüchtet, unter welchem Namen er ein neues Leben begonnen. Er wußte, daß er reich war, in glücklichen Familienverhältnissen lebte, aber daß ihn doch ein geheimer Stachel peinigen mußte. Er wollte ihn erlösen, den Makel seines Namens tilgen... aber der Tod kam ihm zuvor... er beauftragte mich, seinen vertrauten Gefährten, das auszuführen, was ihm nun unmöglich wurde. Da übergab er mir noch die Beweise der Unschuld Dacosta's, um sie diesem auszuliefern, und – schloß die Augen für immer.

– Der Name, der Name dieses Mannes? rief Joam Garral in höchster Aufregung.

– Den werden Sie erfahren, sobald ich Ihrer Familie angehöre.

– Und jenes Schriftstück?...«

Joam Garral war nahe daran, Torres mit Gewalt zu visitiren, um ihm die Beweise seiner Unschuld zu entreißen.

»Das Schriftstück ist gut aufgehoben, antwortete Torres, und Sie werden es erst erhalten, wenn Ihre Tochter mein Weib geworden ist. Nun, weigern Sie sich noch immer?

– Ja, erwiderte Garral. Für das Schriftstück biete ich Ihnen aber die Hälfte meines Vermögens!

– Die Hälfte Ihres Vermögens, lachte Torres, wenn mir's Minha als Mitgift bringt, dann nehme ich es an!

– Auf diese Weise ehren Sie also den letzten Willen eines Sterbenden, eines Verbrechers, in dessen Brust das Gewissen erwachte und der Ihnen anvertraute, die Wunden zu heilen, die er mir einst geschlagen?

– Ganz wie Sie sagen!

– Noch einmal, Torres, Sie sind ein erbärmlicher Schurke!

– Meinetwegen!

– Und da ich kein Verbrecher bin, so haben wir mit einander nichts gemein![187]

– Sie weigern sich also?...

– Ganz entschieden!

– So wollen Sie Ihr Verderben, Joam Garral. Alle bekannten Umstände wälzen die Schuld an jenem Verbrechen auf Sie. Sie wurden zum Tode verurtheilt und wissen sicherlich, daß die Regierung sich selbst des Rechtes begeben, an Stelle dieser einmal verhängten Strafe eine andere treten zu lassen. Erfolgt eine Anzeige, so werden Sie verhaftet, einmal verhaftet trifft Sie der Tod... und ich, ich zeige Sie an!«

Trotz seiner sonstigen Selbstbeherrschung konnte Joam Garral sich nicht halten. Er sprang auf Torres zu...

Eine Handbewegung des Elenden mäßigte seinen Zorn.

»Hüten Sie sich, rief er warnend, Ihre Frau weiß nicht, daß sie die Gattin Joam Dacosta's, Ihre Kinder wissen nicht, daß sie dessen Kinder sind; die nächste Zukunft wird jene darüber aufklären!«

Joam Garral hielt inne. Er gewann die frühere Selbstbeherrschung und sein Antlitz die gewöhnliche Ruhe wieder.

»Diese Verhandlung hat schon zu lange gedauert, sagte er, sich nach der Thür wendend, und ich weiß, was ich zu thun habe!

– Nehmen Sie sich in Acht, Joam Garral!« warnte ihn zum letzten Male Torres, der gar nicht an die Ablehnung seines erbärmlichen Anerbietens glauben mochte.

Joam Garral würdigte ihn keiner Antwort. Er stieß vielmehr die nach der Veranda führende Thür auf, winkte Torres, ihm zu folgen, und Beide gingen nach dem mittleren Theile der Veranda, wo die Familie versammelt war.

Von quälendster Besorgniß getrieben, hatten Manoel und Benito sich eben erhoben. Sie bemerkten recht wohl, daß Torres' Haltung noch immer eine drohende war, und das Feuer des Zornes in seinen Augen glühte.

In merkwürdigem Gegensatz zur Erscheinung des Abenteurers kam Joam Garral ganz ruhig, fast lächelnd daher gegangen.

Beide blieben bei Yaquita und deren nächster Umgebung stehen. Niemand wagte sie anzusprechen.

Zuletzt brach Torres mit dumpfer Stimme und der ihm eigenen Unverschämtheit das peinliche Stillschweigen.

»Zum letzten Male, Joam Garral, sagte er, verlange ich hier von Ihnen eine entscheidende Antwort.[188]

– Eine Antwort? – Sofort!«

Er wandte sich hiermit an seine Gattin.

»Yaquita, redete er diese an, eigenthümliche Verhältnisse zwingen mich, unsere früheren Bestimmungen bezüglich der Hochzeit Minhas und Manoels abzuändern!

– Endlich!« stieß Torres hervor.

Joam Garral warf dem erbärmlichen Kerle, ohne ein Wort zu erwidern, nur einen verächtlichen Blick zu.

Manoels Herz aber hämmerte bei jener Anrede in seiner Brust, als sollte es zerspringen. Das junge Mädchen erhob sich todtenbleich, als wollte sie an ihrer Mutter Seite Trost und Hilfe suchen. Yaquita breitete die Arme weit aus, ihr Kind zu schützen, zu vertheidigen.

»Mein Vater! rief Benito, während er sich zwischen Joam Garral und Torres drängte, was wollen Sie sagen?

– Ich wollte sagen, antwortete Joam Garral mit erhobener Stimme, daß wir zu lange warten würden, wenn unsere Minha und Manoel erst in Para getraut werden sollten. Hier am Platze, morgen, auf der Jangada, unter dem Segen des Padre Passanha soll die Vermählung erfolgen, wenn Manoel, mit dem ich über diese Angelegenheit noch einmal sprechen will, nicht gar zu abweichender Ansicht ist.

– O, mein Vater, mein theurer Vater!... rief der junge Mann.

– Gedulde Dich noch, ehe Du mich so nennst,« bedeutete ihn Joam Garral mit eigenthümlich schmerzbewegtem Tone.

Torres, der dieser kurzen Scene mit verschränkten Armen beigewohnt hatte, maß die ganze Familie mit frechsten, unverschämtesten Blicken.

»Das ist also Ihr letztes Wort? preßte er hervor, die Hand gegen Joam Garral ausstreckend.

– Nein, das letzte doch noch nicht.

– Und wie lautet dieses?

– Wie folgt Torres. Hier bin ich der Herr! Sie werden, wenn es Ihnen recht ist, und auch wenn es Ihnen nicht recht ist, die Jangada in dieser Minute verlassen.

– Ja, augenblicklich, mischte sich Benito ein, oder ich werfe ihn über Bord!«

Torres zuckte mit den Achseln.[189]

»Nur keine Drohungen, sagte er, das ist unnütz! Mir paßt es selbst, mich ohne Zögern auszuschiffen. Sie werden noch an mich denken, Joam Garral! Wir werden uns zeitig genug wiedersehen.

– Wenn es nur von mir abhängt, erwiderte dieser, so möchten wir einander wohl eher gegenüberstehen, als Sie das wünschen dürften. Morgen begebe ich mich zu dem Criminalrichter Ribeiro, dem höchsten Beamten der Provinz, den ich von meinem Eintreffen in Manao schon benachrichtigt habe.

– Zu dem Richter Ribeiro!... wiederholte Torres, offenbar betroffen.

– Gewiß, zu diesem!« versicherte Joam Garral.

Darauf wies er Torres mit verächtlicher Geberde nach der einen Pirogue und befahl vier Leuten, jenen am nächsten Punkte der Insel an's Land zu setzen.

Endlich verschwand der Bösewicht von der Bildfläche.

Noch innerlich erregt über das Vorhergegangene verharrten Alle schweigend wie das Haupt der Familie. Nur Fragoso, der den Ernst der Lage kaum zur Hälfte begriff, trat leichtfüßig und leichtmüthig an Joam Garral heran.

»Wenn Fräulein Minhas und Manoels Vermählung aber schon morgen auf der Jangada, stattfindet...

– So wird Ihre Hochzeit, guter Freund, natürlich zu derselben Stunde gefeiert werden,« beruhigte ihn Joam Garral.

Darauf winkte er Manoel und begab sich mit diesem in's Haus.

Joam Garral's und Manoels Gespräch mochte wohl eine halbe Stunde in Anspruch nehmen, welche den Anderen ein Jahrhundert dünkte, bis sich endlich die Thür des Wohnhauses öffnete.

Manoel trat allein heraus.

Seine Augen leuchteten wie von einem hochherzigen Entschlusse.

Er trat zu Yaquita heran. »Meine Mutter!« begrüßte er diese; »Mein Weib!« sagte er zu Minha, und »Mein Bruder!« zu Benito, dann wandte er sich an Lina und Fragoso mit den Worten: »Also morgen!«

Er wußte nun, was zwischen Joam Garral und Torres vorgegangen war und daß es Joam Garral durch einen wohl seit einem Jahre ohne Mitwissenschaft seiner Familie geführten Schriftwechsel gelungen sei, den Richter Ribeiro von seiner Unschuld zu überzeugen. Er hatte vernommen, daß der Fazender sich seiner Zeit zu der gegenwärtigen Reise nur durch die Aussicht bestimmen ließ, eine Revision des wahrhaft schmählichen Processes erlangen zu können, als dessen unschuldiges Opfer er vor langen Jahren fiel, um auf seinem Schwiegersohne[190] und der lieblichen Tochter nicht auch die Bürde der schrecklichen Situation lasten zu lassen, die er so lange Zeit ertragen hatte und ertragen mußte.

Ja, Manoel kannte jetzt Alles, er wußte aber auch, daß Joam Garral, oder vielmehr Joam Dacosta, unschuldig und ihm um seines Unglücks willen nur noch theurer war als je.

Nur von dem einen Umstande hatte er noch keine Kenntniß, daß der handgreifliche Beweis von des Fazenders Unschuld sich in Torres' Händen befand. Joam Garral wollte dem Richter die Geltendmachung dieses Beweises reserviren, der von ihm auch den letzten Verdacht abwenden mußte, wenn der Abenteurer überhaupt die Wahrheit gesprochen hatte.

Manoel beschränkte sich zunächst auf die Mittheilung, daß er zu dem Padre Passanha mit der Bitte gehen wolle, alles zu der Celebrirung der Doppeltrauung Nöthige schleunigst vorzubereiten.

Am Morgen des 24. August, eine Stunde, bevor die Feierlichkeit stattfinden sollte, legte sich eine große, vom linken Ufer hergekommene Pirogue an die Seite der Jangada. Ein Dutzend Ruderer hatten diese schnell von Manao hergeführt. Auf ihr befand sich außer einigen niedrigeren Beamten auch der Chef der Polizei, der sich zu erkennen gab und an Bord kam.

In demselben Augenblicke traten Joam Garral und seine Angehörigen, schon festlich geschmückt, aus dem Wohnhause.

»Joam Garral? fragte der Polizeichef.

– Der bin ich! meldete sich der Fazender.

– Joam Garral, fuhr der Polizeichef fort. Sie waren einstmals auch Joam Dacosta! Diese beiden Namen hat ein und derselbe Mann getragen. Ich verhafte Sie!«

Vor Schreck erstarrt waren Yaquita und Minha bei diesen Worten unbeweglich stehen geblieben.

»Mein Vater – ein Mörder?!« rief Benito, während er auf Joam Garral zueilte.

Mit einer Handbewegung gebot ihm dieser Schweigen.

»Ich erlaube mir nur eine Frage, wandte sich Joam Garral mit fester Stimme an den Polizeichef. Erhielten Sie das Mandat, auf dessen Inhalt hin Sie mich verhaften, von dem Gerichtspräsidenten in Manao, von dem Richter Ribeiro?

– Nein, antwortete der Beamte, es ist mir, mit dem Befehle sofortiger Ausführung von dessen Stellvertreter ausgehändigt worden. Der Richter Ribeiro[191] bekam gestern Abends einen Schlaganfall und ist diese Nacht um zwei Uhr, ohne wieder zum Bewußtsein zu gelangen, gestorben.

– Gestorben? rief Joam Garral, kurze Zeit vor Schreck versteinert, todt!... todt!...«

Bald erhob er aber wieder das Haupt und wendete sich an seine Gattin und die Kinder.

»Der Criminalrichter Ribeiro, erklärte er, wußte allein, daß ich unschuldig war.


»Nehmen Sie sich in Acht!« warnte Torres. (S. 188.)
»Nehmen Sie sich in Acht!« warnte Torres. (S. 188.)

Sein Tod trifft mich zwar sehr hart, aber es ist kein Grund deshalb zu[192] verzweifeln, und auch Ihr Alle, die meinem Herzen so nahe stehen, Ihr könnt ruhig in die Zukunft blicken.«

Dann wandte er sich an Manoel.

»Ich vertraue der Barmherzigkeit Gottes, sagte er zu ihm. Jetzt wird sich's zeigen, ob die Gerechtigkeit des Himmels auch auf Erden eine Stätte findet.«


Laßt der menschlichen Gerechtigkeit ihren Lauf. (S. 104)
Laßt der menschlichen Gerechtigkeit ihren Lauf. (S. 104)

Der Polizeichef gab seinen Leuten ein Zeichen, welche darauf näher traten, um sich Joam Garral's zu bemächtigen.[193]

»Aber, Vater, so sprechen Sie doch ein Wort! rief Benito, vor Verzweiflung halb von Sinnen. Sagen Sie ein Wort und wir werden, wenn nicht anders, durch Gewaltmaßregeln das unselige Mißverständniß aufklären, dem Sie zum Opfer fallen.

– Hier waltet kein Mißverständniß, mein Sohn, antwortete der Fazender. Joam Dacosta und Joam Garral sind wirklich ein und dieselbe Person. Ich, ich bin Joam Dacosta – aber ein ehrlicher Mann, der nur durch richterlichen Irrthum einst zum Tode verurtheilt wurde – dreiundzwanzig Jahre sind darüber hingegangen und der wirkliche Schuldige blieb unentdeckt. Meine vollkommene Unschuld, Ihr geliebten Kinder, beschwöre ich hiermit ein für alle Mal beim allwissenden Gotte, bei meiner Liebe zu Euch und Eurer Mutter!«

– Von jetzt an hat jede weitere Communication zwischen Ihnen und Ihren Angehörigen zu unterbleiben. Sie sind mein Gefangener, Joam Garral, und ich werde meinem Mandate gemäß mit aller Strenge verfahren.«

Joam Garral beruhigte seine Kinder und die betroffenen Diener durch eine Handbewegung.

»Laßt der menschlichen Gerechtigkeit Ihren Lauf, sagte er, die göttliche muß doch noch siegen!«

Mit ungebeugtem Muthe und stolzer Haltung bestieg er die Pirogue.

Es hatte wirklich den Anschein, als ob von allen bei dieser unerwarteten Katastrophe Betheiligten Joam Garral, auf dessen Haupt sich diese doch entlud, am wenigsten getroffen worden sei.


Ende des ersten Bandes.[194]

Quelle:
Jules Verne: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX–XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 182-195.
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