Neunzehntes Capitel.
Eine alte Geschichte.

[175] Das von Fragoso angeregte Gespräch sollte damit aber noch nicht zu Ende sein, denn dieser nahm den Faden desselben sofort wieder auf.


Riesenblätterige Nymphäen. (S. 172.)
Riesenblätterige Nymphäen. (S. 172.)

»Wie, Sie sind aus Tijuco, aus der Hauptstadt des Diamanten-Districtes selbst?

– Gewiß, versicherte Torres. Stammen Sie vielleicht aus derselben Provinz?[175]

– O nein, meine Wiege stand in den atlantischen Küstenprovinzen des nördlichen Brasiliens, antwortete Fragoso.

– Sie kennen jenes Gebiet der Diamanten wohl auch nicht, Herr Manoel?« wandte sich Torres an diesen.

Ein verneinendes Kopfschütteln war die ganze Antwort des jungen Mannes.

»Aber Sie vielleicht, Herr Benito? richtete Torres seine Frage an den jungen Garral, den er offenbar in das Gespräch zu ziehen wünschte; hätten Sie niemals Luft verspürt, die berühmten Diamantenfelder zu besuchen?[176]

– Nie, erwiderte Benito trocken.

– O, ich hätte mir das Land gern einmal angesehen, rief Fragoso, der unbewußt Torres' Absichten förderte. Mir ahnt, ich hätte dort gewiß einen kostbaren Diamanten gefunden.

– Und was hättest Du mit dem werthvollen Steine thun wollen, Fragoso? fragte Lina.

– Nun, ich hätte ihn zu Gelde gemacht.

– Dann wärst Du wohl heute ein sehr reicher Mann?


Die Fahrt durch den überschwemmten Wald. (S. 173.)
Die Fahrt durch den überschwemmten Wald. (S. 173.)

[177] – Natürlich, ein steinreicher.

– Ja, aber, wenn Du nun vor drei Monaten reich gewesen wärst, dann wär' Dir auch die Sache mit... mit der Liane nicht eingefallen!

– Und in diesem Falle, schmunzelte Fragoso, hätt' ich auch mein liebes reizendes Weibchen nicht gefunden, das... Nein, wahrhaftig, was Gott thut ist doch wohl gethan!

– Das erkennen Sie wohl selbst, bemerkte Minha, da er Ihnen meine kleine Lina zur Frau bescheerte. Ein Diamant für einen anderen, Sie werden bei dem Tausche wohl nichts einbüßen!

– Aber ich bitte Sie, Fräulein Minha, antwortete Fragoso galant wie immer, ich gewinne ja dabei!«

Torres war ohne Zweifel an der Weiterführung dieses Gespräches besonders gelegen, denn er nahm selbst wieder das Wort.

»Gewiß, begann er, findet in Tijuco Mancher zuweilen unverhoffte Schätze, und diese Aussicht hat schon Vielen die Köpfe verdreht. Haben Sie nicht einmal von dem berühmten Diamanten von Abante gehört, dessen Werth auf zwei Millionen Conto Reïs1 taxirt wurde? Nun, auch diesen, kaum eine Unze schweren Kiesel haben die Bergwerke Brasiliens geliefert. Drei Verurtheilte, drei lebenslänglich Verbannte waren es, welche jenen zufällig im Abanteflusse, etwa neunzig Meilen von Serro do Frio fanden.

– Damit war natürlich sofort ihr Glück gemacht? ließ sich Fragoso vernehmen.

– Das doch nicht, belehrte ihn Torres. Der Diamant wurde zunächst dem Generalgouverneur des Bezirks überliefert. Nachdem der außerordentliche Werth des Steines erkannt war, ließ König Johann VI. von Portugal denselben durchbohren und trug ihn bei feierlichen Gelegenheiten am Halse. Die Verurtheilten wurden zwar begnadigt, das war aber auch Alles. Schlauere Leute hätten daraus gewiß mehr Vortheil zu ziehen verstanden.

– Wie zum Beispiel Sie! warf Benito trocken ein.

– Ich?... Nun ja... warum nicht? antwortete Torres. Haben Sie auch niemals den Diamanten-District besucht? fügte er, jetzt zu Joam Garral sprechend, hinzu.[178]

– Niemals, antwortete Garral mit einem Blicke auf den Fragesteller.

– Das ist wirklich schade, fuhr dieser fort, dahin sollten Sie doch einmal gehen. Ich versichere Ihnen, daß Sie eine solche Reise nicht bereuen würden. Der Diamanten-District stellt gewissermaßen eine Enclave des großen brasilianischen Reiches dar, eine Art Park von zwölf Meilen Umfang, der durch Bodennatur, Vegetation, durch die, von einem Kranze hoher Gebirge umschlossenen Sandstrecken von dem Charakter der benachbarten Landestheile sehr merkwürdig abweicht. Doch darf dies beschränkte Fleckchen Erde vielleicht als die schätzereichste Gegend betrachtet werden, denn von 1807 bis 1817 bezifferte sich der Durchschnittsertrag an Edelsteinen auf jährlich achtzehntausend Karat.2 O, dort war gelegentlich ein Schlag zu machen, nicht allein für die eigentlichen Diamantensucher, deren Ausgrabungen zuletzt bis an die Berggipfel hinaufreichten, sondern auch für Schleichhändler, welche manchen Edelstein zu entführen wußten. Jetzt ist die Ausbeute freilich geringer geworden, und die von der Regierung in den Bergwerken und Tagesschachtbauten beschäftigten Neger, immerhin noch zweitausend Mann, müssen Wasserläufe ableiten, um den diamanthaltigen Sand derselben auszuheben und zu waschen. Früher bedurfte es nicht so vieler Umstände.

– Da hätte man die schönste Zeit also verpaßt, seufzte Fragoso in komischem Ernste.

– Nun, ein leichteres Verfahren giebt es noch immer, man kann sich Diamanten verschaffen, wie Verbrecher thun, durch einfachen Diebstahl. Halt, da entsinne ich mich – so im Jahre 1826, ich zählte damals acht Jahre – eines entsetzlichen Vorganges in Tijuco, der den Beweis liefert, daß kühne Verbrecher doch vor nichts zurückschrecken, wenn es sich um Erlangung eines Vermögens durch einen verwegenen Streich handelt. Doch heute dürfte das für Sie weniger Interesse haben...

– O, im Gegentheil, Torres, erzählen Sie weiter, ersuchte Joam Garral den Sprecher ruhig.

– Wie Sie wünschen, antwortete Torres. Jener Vorgang betraf also einen Diamantenraub, und eine Handvoll jener hübschen Steine werthet ja leicht eine Million, wenn nicht gar zwei!«

Torres, dessen Züge seine eigene Habgier abzuspiegeln schienen, öffnete dabei unwillkürlich die Hand und krampfte sie wieder zusammen.[179]

»Die Sache ging nun folgendermaßen zu, fuhr er fort. In Tijuco besteht die Gewohnheit, alle im Laufe eines Jahres gewonnenen Diamanten auf einmal fortzusenden. Man theilt dieselben dort nach ihrer Größe in zwei Sorten, nachdem sie vorher schon durch zwölf Siebe mit ungleichen Löchern gegangen sind. Die beiden Packete werden, nur in Säcken verwahrt, nach Rio de Janeiro geschafft. Da diese jedoch einen Werth von so und so vielen Millionen repräsentiren, können Sie sich wohl vorstellen, daß eine solche Sendung unter sicherer Bedeckung befördert wird. Letztere besteht gewöhnlich aus einem, von der Regierung auserwählten Beamten, vier Berittenen aus dem Regimente der Provinz und zehn Mann zu Fuß. Diese begeben sich zunächst nach Villa Rica, wo der commandirende General sein Siegel auf die Säcke drückt, und dann geht der Zug nach Rio de Janeiro ab. Ich bemerke hierzu, daß der Termin der Abreise dahin aus Vorsicht stets geheim gehalten wird. Nun klügelte im Jahre 1826 ein gewisser Dacosta, ein junger, etwa zwei- oder dreiundzwanzigjähriger Beamter, der seit mehreren Jahren in Tijuco im Bureau des General-Gouverneurs arbeitete, folgenden Streich aus: Er setzte sich mit mehreren Schleichhändlern in's Einvernehmen und verrieth ihnen den Tag der Absendung der Diamanten, so daß die wohlbewaffneten Uebelthäter die nöthigen Maßregeln treffen konnten. In der Nacht des 22. Januar fiel die Räuberbande jenseits Villa Rica unversehens über die Soldaten her, welche sich heldenmüthig wehrten, aber niedergemetzelt wurden, bis auf einen, der schwer verwundet entkam und über das schreckliche Attentat Bericht erstattete. Der begleitende Beamte war dabei ebenso wenig geschont worden wie die Soldaten der Escorte. Unter den Streichen der Banditen gefallen, mochte sein Körper wohl in eine unzugängliche Schlucht gestürzt worden sein, denn niemals wurde eine Spur von ihm gefunden.

– Und jener Dacosta? fragte Joam Garral.

– Nun, sein Verbrechen brachte ihm keinen Lohn. Verschiedene Umstände lenkten bald den Verdacht der Urheberschaft auf den jungen Mann, und er wurde deshalb unter Anklage gestellt, wo er vergeblich seine Unschuld betheuerte. In Folge seiner Stellung mußte er den Tag, an dem die Sendung abgehen sollte, vorher kennen; nur er allein konnte die Bande jener Uebelthäter davon benachrichtigt haben. Er wurde also angeklagt, verhaftet und nach längerer Verhandlung zum Tode verurtheilt. Die Execution eines solchen Urtheils pflegte gewöhnlich binnen vierundzwanzig Stunden zu erfolgen.

– Und der Unglückliche erlitt also den Tod? fragte Fragoso.[180]

– Nein, antwortete Torres. Aus dem Gefängniß in Villa Rica, wo er in der Nacht untergebracht war, gelang es ihm entweder allein oder wahrscheinlicher mit Hilfe anderer Spießgesellen zu entfliehen.

– Seit jener Zeit hat man von dem Manne nie wieder etwas gehört? fragte Joam Garral.

– Niemals, versicherte Torres. Er wird Brasilien verlassen haben und lebt vielleicht herrlich und in Freuden in fremdem Lande von dem Ertrage des Raubes, den er gewiß zu verwerthen gewußt hat.

– Möchte er lieber unter dem Fluche seiner That seufzen! bemerkte Joam Garral.

– Und Gott möge sein Gewissen erweckt haben!« fügte der Padre Passanha hinzu.

Hiermit erhoben sich Alle nach beendigtem Essen von der Tafel und begaben sich hinaus, um die erquickende Abendluft zu genießen. Schon neigte sich die Sonne dem Horizonte zu, aber vor Ablauf einer Stunde konnte es noch nicht finster werden.

»Solche Erzählungen hinterlassen einen peinlichen Eindruck, sagte Fragoso, unser Verlobungsfest fing weit hübscher an.

– Daran bist Du aber selbst schuld, lieber Fragoso, meinte Lina.

Ich, in wiefern?

– Du sprachst immer weiter über jenen District und seine Diamanten, eine Sache, mit der wir doch gar nichts zu schaffen haben.

– Das ist freilich wahr, gestand Fragoso, aber ich hatte keine Ahnung davon, wohin jene Unterhaltung führen sollte.

– Du bist also in erster Linie der Schuldige.

– Aber auch der am härtesten Bestrafte, liebste Lina, weil ich Dich beim Dessert nicht ein einziges Mal habe lachen hören!«

Die ganze Familie begab sich nach dem Vordertheile der Jangada. Manoel und Benito gingen schweigsam neben einander. Yaquita und deren Tochter folgten ihnen ebenso stumm, und Alle erfüllte eine gewisse bange Empfindung wie ein Vorgefühl drohenden Unheils.

Torres hielt sich in der Nähe Garral's auf, der, mit gebeugtem Haupte dahinwandelnd, tief in Gedanken versunken schien, und legte ihm plötzlich die Hand auf die Schulter.

»Joam Garral, begann er, könnte ich Sie ein Viertelstündchen sprechen?«[181]

Garral sah ihn groß an.

»Hier? fragte er.

– Nein, unter vier Augen.

– So kommen Sie mit!«

Beide begaben sich nach dem Hause, traten da selbst ein und schlossen hinter sich die Thür.

Es möchte schwer zu sagen sein, was Jeder empfand, als Joam Garral und Torres verschwunden waren. Welche Gemeinschaft konnte zwischen dem Abenteurer und dem ehrbaren Fazender von Iquitos bestehen? Es schien ein furchtbares Unglück über der ganzen Familie zu schweben und Niemand wagte, sich darüber Rechenschaft zu geben.

»Manoel, sagte Benito endlich, den Freund am Arme mit sich fortziehend, geschehe was da wolle, aber jener unheimliche Mann wird in Manao an's Land gesetzt.

– Gewiß... das wird und muß geschehen! stimmte Manoel ein.

– Und wenn meinem Vater durch ihn... ja, durch ihn irgend ein Unglück widerfährt, dann bezahlt er mir's mit dem Leben!«

Fußnoten

1 Sechs Milliarden Mark, nach der ohne Zweifel stark übertriebenen Abschätzung Romé's de l'Isle.


2 Ein brasilianisches Karat = 212 Milligramm.


Quelle:
Jules Verne: Die Jangada. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXXIX–XL, Wien, Pest, Leipzig 1883, S. 182.
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