Sechstes Capitel.
Ein Walfisch in Sicht.

[55] Es erscheint wohl nicht wunderbar, daß dieser merkwürdige Vorfall wieder holt der Gegenstand des Gespräches zwischen Mrs. Weldon, Kapitän Hull und dem jungen Leichtmatrosen war. Vorzüglich der Letztere konnte sich eines gewissen Mißtrauens gegenüber Negoro nicht entschlagen, dessen Aufführung übrigens zu keinerlei Klagen Veranlassung gab.

Während diese Unterhaltungen auf dem Hinterdeck gepflogen wurden, sprach man auf dem Vorderdeck eben davon, nur daß man dort nicht die nämlichen Folgerungen daraus zog. In den Schlafräumen der Mannschaft[55] galt Dingo für weiter nichts als einen Hund, der lesen und vielleicht sogar besser schreiben konnte als irgend ein Matrose an Bord. Was das Sprechen betraf, so glaubte man, er werde gewiß gute Gründe haben, es zu unterlassen.

»Eines schönen Tages aber, meinte der Obersteuermann, wird der Hund kommen und fragen, welchen Kurs wir halten, und wenn der Wind[56] aus West-Nord-West-Halbnord bläst, werden wir ihm wohl Rede stehen müssen.

– Ja, es giebt ja Thiere, welche sprechen können, warf da ein Matrose dazwischen ein, z.B. Elstern oder Papageien! Nun, warum soll ein Hund nicht dasselbe im Stande sein, wenn er Lust dazu hätte? Es ist doch wahrlich weit schwieriger, mit einem Schnabel zu reden als mit einem Maule.


Negoro machte eine drohende Handbewegung (S. 53.)
Negoro machte eine drohende Handbewegung (S. 53.)

Negoro machte eine drohende Handbewegung (S. 53.)
[57]

– Ohne Zweifel, erwiderte der Hochbootsmann Howick, nur hat man das mein Lebtag noch niemals gesehen.«


Dingo, der Held des Tages. (S. 58.)
Dingo, der Held des Tages. (S. 58.)

Die guten Leute wären gewiß höchlichst erstaunt gewesen, hätte man ihnen gesagt, daß das schon dagewesen sei, und daß ein dänischer Gelehrter einen Hund besessen, welcher etwa zwanzig Worte ganz deutlich aussprach. Davon freilich, daß das Thier auch verstanden hätte, was es sagte, konnte natürlich keine Rede sein.

Offenbar verband jener Hund, dessen Kehlkopf so organisirt war, daß er articulirte Töne hervorzubringen vermochte, mit seinen Worten nicht mehr Sinn als die Papageien, die Staare und die Elstern mit den ihrigen. Ein Satz ist bei diesen Thieren nichts Anderes als eine Art gesprochener Gesang oder Geschrei aus einer fremden Sprache, deren Sinn nicht zu enträthseln ist.

Sei dem wie es will, jedenfalls war Dingo der Held des Tages geworden – was ihm übrigens keinen besonderen Stolz einzuflößen schien. Kapitän Hull wiederholte dasselbe Experiment mehrmals. Die Holzwürfel mit dem Alphabet wurden dann vor Dingo aufgestellt und immer wieder suchte dieser, ohne je zu irren oder zu zögern, die Lettern S und V heraus, während die anderen seine Aufmerksamkeit nicht im Geringsten erregten.

Diese Wiederholungen fanden öfters auch im Beisein Vetter Benedict's statt, den sie indessen gar nicht zu interessiren schienen.

»Man darf übrigens, ließ er sich eines Tages herab, zu bemerken, nicht glauben, daß die Hunde allein ein Privilegium auf derartige Intelligenz besäßen. Andere Thiere thun es ihnen hierin gleich, während sie nur ihrem Instincte folgen. Die Ratte z.B., welche das Schiff verläßt, welches im Meere unterzugehen be stimmt ist; die Biber, welche das Anwachsen des Wassers vorausfühlen und deshalb rechtzeitig ihre Uferbauten erhöhen; die Rosse von Nicomedes, Scanderbegg und Oppien, deren Schmerz beim Tode ihrer Herren so weit ging, daß sie selbst starben; jene durch ihr Gedächtniß so berühmt gewordenen Esel und noch eine Menge anderer Geschöpfe, welche die Ehre haben, zum Thierreich zu gehören! Hat man nicht jene wunderbar dressirten Esel gesehen, welche die von ihren Lehrern vorgesagten Worte fehlerlos aufschrieben, Cacadus, die eben so gut, wie ein Beamter der Bureaux für Längenmessung, die Anzahl der in einem Zimmer befindlichen Personen zählten? Existirt nicht ein übrigens mit hundert Thalern Gold bezahlter[58] Papagei, der seinem Herrn, einem Cardinal, die ganzen symbolischen Bücher ohne jeden Fehler hersagte? Muß sich der gerechte Stolz eines Entomologen nicht bis zum Gipfel erheben, wenn er ganz gewöhnliche Insecten Proben der auffallendsten Intelligenz ablegen und das bekannte Axiom


in minimis maximus Deus


bestätigen sieht? Jene Ameisen z.B., welche Häuser gleich denen in einer großen Stadt erbauen oder die Argyroneten, welche Taucherglocken anfertigen, ohne ein Jota von Mechanik zu verstehen; jene Flöhe, wel che kleine Kutschen ziehen wie die besten Rosse, ebenso exerciren wie die Riflemen und Kanonen abfeuern, besser als die geprüften Artilleristen von West-Point?1 Nein, gehen Sie mir, dieser Dingo verdient mit nichten eine solche Bewunderung, und wenn er Kenntnisse vom Alphabete hat, so gehört er wahrscheinlich zu einer wissenschaftlich, noch nicht classificirten Race von Pudeln, die etwa »canis alphabeticus« von Neu-Seeland zu nennen wäre.«

Trotz dieser und anderer Einreden des selbstsüchtigen Entomologen, verlor Dingo nicht im Geringsten in der allgemeinen Achtung und spielte in den Verhandlungen auf dem Verdeck nach wie vor die Rolle eines wunderbaren Phänomens.

Höchstens Negoro theilte den sonst an Bord herrschenden Enthusiasmus bezüglich dieses Thieres nicht. Vielleicht fand er den Hund gar zu intelligent. Jedenfalls bewahrte dieser fort und fort dieselbe Animosität gegenüber dem Küchenmeister. Und zweifelsohne würde es ihm übel ergangen sein, wäre er einestheils nicht selbst im Stande gewesen, sich seiner Haut zu wehren und hätte ihn anderentheils nicht die ganze Mannschaft durch ihre Sympathie geschützt.

Negoro vermied es also mehr denn je, Dingo zu treffen. Dick Sand aber hatte seit jenem Zwischenfall mit den beiden Buchstaben die zunehmende gegenseitige Antipathie zwischen dem Manne und dem Hunde recht wohl beobachtet, was ihm zunächst allerdings ziemlich unerklärlich schien.

Am 10. Februar schwächte sich der Nordostwind, welcher bisher immer auf die langen und ermüdenden Windstillen gefolgt war, merkbar ab. Kapitän Hull durfte also auf einen bevorstehenden Wechsel in der Richtung der atmosphärischen Strömungen rechnen. Vielleicht sollte die Brigg-Goëlette[59] endlich mit vollen Segeln fahren können. Jetzt hatte sie den Hafen von Auckland erst seit neunzehn Tagen verlassen. Die Verzögerung war noch keine so beträchtliche und mit einem guten Winde von der Seite mußte der »Pilgrim«, wenn er alle Leinwand entfalten konnte, die verlorene Zeit bald genug wieder gewinnen. Noch galt es freilich einige Tage zu warten, bis der erwünschte Umschlag des Windes nach Westen wirklich erfolgt war.

Dieser Theil des Pacifischen Oceans blieb immer öde und leer. Kein einziges Schiff kam in Sicht. Man segelte hier in einer von den Seefahrern sonst völlig verlassenen Breite. Die Walfischfahrer der australischen Meere zogen jetzt noch nicht wieder heim. Auf dem »Pilgrim«, den nur besondere Umstände gezwungen hatten, die Fischgründe vor Ablauf der Saison zu verlassen, durfte man demnach gar nicht darauf hoffen, ein Schiff, das denselben Kurs segelte, zu treffen.

Von den transpacifischen Packetbooten erwähnten wir schon, daß sie bei der Ueberfahrt zwischen Australien und dem amerikanischen Continente unter einer weit niedrigeren Breite fuhren.

Deshalb jedoch, weil das Meer verlassen ist, darf man es niemals vernachlässigen, die ganze Umgebung bis zu den Grenzen des Horizonts im Auge zu behalten. So monoton dasselbe einem oberflächlichen Beobachter erscheinen mag, so unendliche Abwechselungen bietet es jedoch Demjenigen, der sie versteht. Seine oft nur geringfügigen Veränderungen erregen dann die Einbildungskraft und wecken die Poesie des Oceans. Ein wenig Seegras, das auf- und abwogend dahinfließt, ein Sargassozweig, der hinter sich einen leichten Streifen auf den Wellen zieht, ein Stück Planke, dessen Geschichte man ergründen möchte – etwas Weiteren bedarf man ja nicht. Gegenüber dieser Unendlichkeit wird der Geist durch nichts Anderes abgelenkt. Die Phantasie entfaltet ihre Flügel ungehindert. Jedes dieser Wassermoleküle, das die Verdunstung immer wieder zwischen Himmel und Meer austauscht, birgt vielleicht das Geheimniß irgend welcher Katastrophe! Muß man nicht jene bevorzugten Geister beneiden, denen es vergönnt ist, die Geheimnisse des Oceans zu durchdringen und sich von der bewegten Fläche hinauf bis in die heitern Höhen des Himmels zu erheben?

Ueber und unter den Meeren, immer zeigt sich das Leben überall. Die Passagiere des »Pilgrim« sahen oft ganze Schaaren von Vögeln, die dem rauhen Winter der Polargegenden entflohen, in hitziger Verfolgung kleiner[60] und kleinster Fische, und mehrmals gab Dick Sand, hierin wie in so manchem Anderen der gelehrige Schüler Mrs. Weldon's, Beweise seiner Geschicklichkeit mit der Flinte oder der Pistole, indem er einige dieser flüchtigen Zugvögel erlegte.

Hier schwärmten weiße Sturmvögel, dort andere Arten derselben Familie mit braun geränderten Fittigen. Manchmal zogen auch ganze Heerden von Captauben vorüber oder Gesellschaften von Pinguins, deren Fortbewegung am Lande ebenso schwerfällig als lächerlich ist. Auf dem Wasser aber bedienen sich diese Pinguins, wie Kapitän Hull erzählte, ihrer kurzen Füße ganz wie Schwimmvögel und übertreffen auch die flinksten Fische an Schnelligkeit, so daß selbst Seeleute sie nicht selten mit Breitfischen verwechselt haben.

Höher oben schwebten riesige Albatros mit einer Flügelspannweite von ca. 3 Meter und setzten sich dann auf die Oberfläche des Wassers, in welches sie mit dem Schnabel einhieben, um sich Nahrung zu suchen.

Solche Scenen gewährten ein ewig wechselndes Schauspiel, welches nur solche Leute monoton finden konnten, denen aller Genuß an den Reizen der Natur versagt ist.

Am erwähnten Tage ging Mrs. Weldon eben auf dem Hinterdeck des »Pilgrim« spazieren, als eine merkwürdige Erscheinung ihre Aufmerksamkeit erregte. Das Wasser des Meeres war nämlich fast augenblicklich ganz roth geworden. Man hätte glauben können, es sei von Blut gefärbt gewesen, und diese unerklärliche Färbung reichte auch so weit das Auge trug.

Dick Sand befand sich mit dem kleinen Jack in ihrer Nähe.

»Siehst Du, Dick, sagte sie zu dem jungen Leichtmatrosen, diese sonderbare Farbe des Meerwassers? Rührt sie wohl von irgend einer Seepflanze her?

– Nein, Mistreß Weldon, erwiderte Dick Sand, diese Färbung entsteht durch unzählbare Myriaden kleiner Crustaceen, welche den großen Seesäugethieren zur Nahrung dienen. Die Fischer nennen das nicht mit Unrecht das »Walfischfutter«.

– Crustaceen! rief Mrs. Weldon verwundert. Aber sie sind so klein, daß man sie die Insecten des Meeres nennen sollte. Vetter Benedict dürfte sehr entzückt sein, sich einen Vorrath derselben einzusammeln.«

Sie wendete sich um.

»Vetter Benedict!« rief sie.[61]

Der Gerufene erschien fast gleichzeitig mit Kapitän Hull auf dem Verdeck.

»Vetter Benedict, begann Mrs. Weldon, sieh nur diese ungeheure rothe Fläche, die sich bis über Seeweite hinaus ausdehnt.

– Alle Wetter, rief Kapitän Hull, das ist Walfischfutter! Eine schöne Gelegenheit, Herr Benedict, diese merkwürdige Art von Crustaceen zu studiren.

– Pah, machte der Entomolog.

– Nun, warum Pah? rief der Kapitän. Sie haben kaum das Recht, eine solche Gleichgiltigkeit zu zeigen. Diese Crustaceen bilden eine der besonderen Classen der Gliederthiere, wenn ich nicht irre, und als solche...

– Pah, wiederholte Vetter Benedict kopfschüttelnd.

– Wahrhaftig, ich finde, daß Sie diese Sache als Entomolog sehr geringschätzig behandeln.

– Bezüglich eines Entomologen hätten Sie wohl recht, erwiderte Vetter Benedict, ich bin aber specieller nur Hexapodist, das wollen Sie gefälligst nicht vergessen, Herr Kapitän.

– Nun, es mag sein, fuhr Kapitän Hull fort, daß diese Crustaceen Sie nicht besonders interessiren; anders wäre es freilich, wenn Sie einen Walfischmagen hätten! Welch' leckere Mahlzeit! – Sehen Sie, Mistreß Weldon, sobald wir Walfischfänger während der Fischzeit auf solch' einen Zug dieser Crustaceen stoßen, gilt er für uns als Signal, die Harpunen und Leinen parat zu halten; wir sind dann sicher, daß das Wild nicht mehr fern ist.

– Ist denn das möglich, fragte Jack, daß solche kleine Thiere so große ernähren können?

– Ei, mein Söhnchen, antwortete Kapitän Hull, geben denn die Grieskörnchen, das Mehl, die Stärkekörnchen nicht etwa auch eine gute Suppe? Die Natur hat es eben so gemacht. Schwimmt ein Walfisch inmitten dieser röthlichen Wellen, so ist die Suppe für ihn aufgetragen, er braucht nur seinen ungeheuren Rachen zu öffnen. Myriaden von Crustaceen dringen sofort hinein; die zahllosen Barten des Fischbeins in der Rachenhöhle dieses Thieres spannen sich dann auf wie Fischernetze, so daß nichts mehr den Rückweg findet, und bald verschwindet die ganze Menge der Eindringlinge[62] in dem weiten Magen des Walfisches, ganz ebenso wie die Suppe in dem deinigen.

– Du mußt nämlich bedenken, lieber Jack, setzte Dick Sand hinzu, daß Madame Walfisch die Zeit nicht damit verschwendet, die Schalen jener Krustenthiere zu entfernen, wie Du, wenn Du z.B. Krabben ißt!

– Dazu kommt für uns, fuhr Kapitän Hull fort, daß man sich dem gewaltigen Gourmand, gerade wenn er in dieser Weise beschäftigt ist, weit mehr nähern kann, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist also der günstigste Augenblick, ihn mit Erfolg zu harpuniren.«

In demselben Augenblicke erscholl, wie um des Kapitäns Worte zu bekräftigen, die Stimme eines Matrosen.

»Ein Walfisch vor Backbord!« rief jener.

Kapitän Hull hatte sich umgedreht.

»Ein Walfisch!« wiederholte er und eilte, wie getrieben von seinem Fischerinstincte, nach dem Vordercastell des »Pilgrim«.

Mrs. Weldon, Jack, Dick Sand und selbst der Vetter Benedict folgten ihm sofort nach.

In der That verrieth in der Entfernung von etwa vier Seemeilen das Brodeln des Wassers, daß sich ein solches Seesäugethier in jenen rothen Wellen tummelte. Ein Walfischfänger konnte sich hierin nicht täuschen.

Dennoch war die Entfernung jetzt noch allzu groß, um zu entscheiden, welcher Art von Säugethieren jenes Exemplar angehören möge, und es giebt bekanntlich sehr von einander abweichende Arten derselben.

War dort nun jener eigentliche Walfisch, welchen die Fischer der nördlichen Meere mit Vorliebe suchen? Diese Cetaceen, denen die Rückenflosse fehlt, deren Haut aber eine dicke Specklage überdeckt, können wohl eine Länge von 25 Meter erreichen, obwohl sie im Mittel nur gegen 19 Meter messen; doch auch dann liefert ein solches Ungeheuer leicht bis hundert Tonnen Thran.

Oder hatte man es hier mit einem »Hump-back« zu thun, der zu der Species der Balänopteren gehört – eine Bezeichnung, welche doch gewiß der Aufmerksamkeit des Entomologen werth gewesen wäre? Diese besitzen Rückenflossen von weißer Farbe und halb so lang wie ihr Körper, so daß sie fast Flügeln ähnlich sind – etwa so etwas wie ein fliegender Walfisch.


Er gab Beweise seiner Geschicklichkeit. (S. 61.)
Er gab Beweise seiner Geschicklichkeit. (S. 61.)

[63] Sollte es vielleicht aber, und das war das Wahrscheinlichste, ein »Schnabelfisch« sein, ein Säugethier, das allgemein unter dem Namen des »Jubart« bekannt ist, und dessen Länge der des eigentlichen Walfisches nicht selten gleichkommt?


Ach, Du möchtest jenen Walfisch haben? (S. 67.)
Ach, Du möchtest jenen Walfisch haben? (S. 67.)

Diese Fragen vermochten vorläufig weder Kapitän Hull noch seine Leute zu beantworten, doch schauten sie Alle mit weit mehr Begierde als Bewunderung nach dem Thiere.[64]

Wenn es wahr ist, daß ein Uhrmacher sich nicht in einem Zimmer mit einer Uhr befinden kann ohne das unwiderstehliche Verlangen, dieselbe aufzuziehen, wie viel mehr muß einem Walfischfänger in Gegenwart einer Cetacee der gebieterische Wunsch kommen, sich derselben zu bemächtigen! Die Jäger auf Hochwild sollen ja, sagt man, auch leidenschaftlicher sein als die auf niederes Wild. Je größer ein Thier ist, desto mehr scheint es die Lüsternheit zu reizen. Was müssen also die Elefantenjäger[65] und die Walfischfänger empfinden! Hier kam nun noch die Enttäuschung der Schiffsbesatzung des »Pilgrim« hinzu, mit einer unvollständigen Ladung zurückzukehren.

Inzwischen bemühte sich Kapitän Hull, das Thier zu erkennen, welches ihm signalisirt worden war. In dieser Entfernung war es nur wenig sichtbar. Immerhin konnte ja das geübte Auge eines Walfischfängers über gewisse charakteristische Einzelheiten nicht lange im Unklaren bleiben.

Zunächst erregte der Schaum- und Wasserstrahl, den der Walfisch durch die Luftlöcher auswarf, die Aufmerksamkeit des Kapitäns Hull, da dieser ihn am leichtesten darauf hinführen konnte, welcher Art jene Cetaeee angehörte.

»Der eigentliche sogenannte Walfisch ist das nicht, rief er. Sein Wasserstrahl wäre ebensowohl höher, als von schwächerem Umfange. Wenn das Geräusch, welches jener Strahl verursacht, mit dem entfernten Zischen etwa eines Schwärmers verglichen werden kann, so würde ich glauben, daß jener Wal zu der Species der »Hump-backs« gehöre; das ist aber nicht der Fall, denn wenn man genau dorthin horcht, gewinnt man die Ueberzeugung, daß jenes ein Geräusch ganz anderer Art ist. Was ist wohl Deine Meinung, Dick? fragte der Kapitän, indem er sich an den Leichtmatrosen wendete.

– Ich möchte annehmen, Herr Kapitän, antwortete Dick Sand, daß es sich um einen »Jubart« handelt. Betrachten Sie, wie aus seinen Athmungsöffnungen das Wasser des Strahles mit Heftigkeit emporgetrieben wird. Scheint es Ihnen nicht auch so – was meine Ansicht bestärken würde – daß jener Strahl mehr Wasser als Luft enthält? Wenn ich nicht irre, liegt aber hierin eine Eigenthümlichkeit des Schnabelfisches.

– Richtig, Dick, bestätigte Kapitän Hull, es kann kein Zweifel sein; das ist ein Jubart, der dort in dem rothen Wasser schwimmt.

– Ei, das ist hübsch, jubelte der kleine Jack.

– Ja wohl, mein Sohn! Und wenn man noch dazu daran denkt, daß das Thier jetzt im vollen Frühstücken ist und sich nicht versieht, daß Walfischfänger ihn beobachten.

– Ich möchte behaupten, bemerkte Dick Sand, daß jener Schnabelfisch sehr groß ist.[66]

– Gewiß, antwortete Kapitän Hull, der nach und nach warm wurde. Er mißt meiner Schätzung nach mindestens siebenzig Fuß!

– Sehr schön, sagte der Hochbootsmann. Ein halbes Dutzend solcher Kerle würde genügen, ein Schiff, so groß wie das unsere, ganz zu füllen!

– O, gewiß, erwiderte der Kapitän, der auf das Bugspriet stieg, um besser sehen zu können.

– Und wenn wir diesen fangen, setzte der Hochbootsmann hinzu, so würden wir bald die Hälfte der uns fehlenden zweihundert Tonnen Oel haben.

– Ja!... Wahrhaftig... ja, ja... murmelte der Kapitän Hull.

– Das ist wohl wahr, meinte Dick Sand, doch manchmal ist es eine ganz ernsthafte Sache, mit einem Jubart von solcher Größe anzubinden.

– Freilich, eine sehr ernste, erwiderte Kapitän Hull. Die Balänopteren haben ganz ungeheure Schwänze, denen man nicht ohne Vorsicht nahe kommen darf. Auch das beste Boot würde den Schlag eines solchen nicht aushalten. Indessen der Nutzen wiegt hier auch die Mühe auf.

– Bah! rief da einer der Matrosen, ein tüchtiger Jubart ist allemal ein fetter Fang.

– Und ein einträglicher! sagte ein anderer.

– Es wäre wahrlich schade, den da im Vorüberfahren nicht zu begrüßen.«

Offenbar wurden die wackeren Seeleute beim Anblick jenes Walfisches allgemach warm. Dort schwamm ja, ihrer Hand fast erreichbar, eine ganze Ladung Oel. Wenn man sie so sprechen hörte, hätte man glauben können, es handle sich um weiter nichts, als frisch gefüllte Tonnen in den Raum des »Pilgrim« zu verstauen, um dessen Ladung zu vervollständigen.

Einige Matrosen, welche die Wanten des Fockmastes erstiegen hatten, jubelten schon hell auf. Kapitän Hull sprach kein Wort und nagte nur an den Nägeln. Dort zeigte sich ja ein unwiderstehlicher Liebhaber, der den »Pilgrim« und dessen Besatzung gar so mächtig anzog.

»Mama, Mama, rief der kleine Jack, ich möchte gern den Walfisch haben, um zu sehen, wie das gemacht wird.

– Ach, Du möchtest jenen Walfisch haben, mein Junge? Nun, warum nicht, Ihr Leute? antwortete Kapitän Hull, der endlich seinen eigenen, geheimen[67] Wunsch ausdrücken konnte. Unsere Hilfsmannschaften fehlen jetzt freilich, doch ich denke, wir sollten auch allein...

– Ja wohl! Gewiß! riefen die Matrosen wie aus einem Munde.

– Es ist ja nicht das erste Mal, daß ich als Harpunier auftrete, fügte Kapitän Hull hinzu, und ihr werdet bald selbst sehen, ob ich die Harpune noch zu handhaben verstehe!

– Hurrah! Hurrah! Hurrah!« gab die Mannschaft zur Antwort.

Fußnoten

1 Militärschule im Staate New York.


Quelle:
Jules Verne: Ein Kapitän von fünfzehn Jahren. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XXVII–XXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1879, S. 68.
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