VI.

[43] »Ist das das Gasthaus der Frau Hansen? – Ja wohl, antwortete Hulda.

– Ist wohl Frau Hansen selbst zu Hause?[43]

– Nein, doch sie wird bald wiederkommen.

– Bald?...

– Augenblicklich; wenn Sie vielleicht mit ihr zu sprechen haben...

– Keineswegs; ich habe ihr nichts zu sagen.

– Wünschen Sie ein Zimmer?

– Ja, das beste des Hauses.

– Und soll ich Ihnen ein Mittagsmahl zurecht machen?

– So schnell als möglich, und sehen Sie darauf, daß mir das Beste, was Küche und Keller bieten, vorgesetzt wird.«

Diese Worte wurden zwischen Hulda und dem Reisenden gewechselt, noch ehe dieser aus dem Wagen stieg, den er zur Fahrt durch die tiefen Wälder, über die Seen und durch die Thalgründe des mittleren Norwegens bis ins Herz von Telemarken benutzt hatte.

Man kennt wohl schon vielfach das Gefährt, den Transport-Apparat, den die Skandinavier ganz besonders bevorzugen: eine lange Gabeldeichsel, zwischen der ein Pferd mit Holzkummet läuft, das meist gelblich von Farbe und von starker Mähne ist. Dasselbe wird durch einen Strang geleitet, der nicht als Gebiß durch dessen Maul verläuft, sondern an der Nase befestigt ist. Dazu zwei große einfache Räder, deren federlose Achse einen kleinen farbigen, kaum für eine Person hinreichenden Sitzkasten trägt – von einem Verschlag, einem Schutzleder oder Fußtritt ist keine Rede – und hinter dem Sitze ein Brett, auf dem der »Skydskarl« Platz nimmt. Das Ganze ähnelt etwa einer gewaltigen Spinne, deren doppeltes Netz die beiden Räder des Gefährtes darstellen.

Und mit diesem sehr urwüchsigen Werke der Wagenbaukunst kann man sehr wohl Strecken von fünfzehn bis zwanzig Kilometern ohne große Belästigung zurücklegen.

Auf ein Zeichen des Reisenden beeilte sich dessen Bursche, das Pferd zu halten. Dann erhob sich jene Persönlichkeit, schüttelte und streckte sich und stieg nicht ohne einige Anstrengung herab, was man aus dem übellaunigen Murren desselben abnehmen konnte.

»Mein Wagen kann doch wohl eingestellt werden?

– Ja gewiß, versicherte Hulda.

– Und mein Pferd kann auch Futter haben?

– Ich werde es nach dem Stalle bringen.

– Daß es nur gut versorgt wird![44]

– Seien Sie darum außer Sorge. Darf ich fragen, ob Sie mehrere Tage in Dal zu verweilen gedenken?

– Das weiß ich noch nicht.«

Pferd und Wagen wurden nach einem innerhalb der Umfriedigung errichteten offenen Schuppen gebracht, der schon am Fuße des Berges unter dem Schutze von Baumkronen stand. Es war das der einzige Schuppen und Stall zugleich, der sich bei dem Gasthause vorfand, doch genügte er stets für die hier weilenden Gäste.

Bald nachher war der Reisende, wie er es verlangt hatte, im besten Zimmer des Hauses untergebracht. Nachdem er den weiten Ueberrock abgelegt, wärmte er sich vor einem tüchtigen Holzfeuer, das er hatte anzünden lassen. Um seine wenig anheimelnde Laune zu verbessern, empfahl Hulda der »Piga«, ja das möglich beste Mittagsbrot zu bereiten. Diese »Piga« war ein kräftiges Mädchen aus der Umgebung, welche während des Sommers in der Küche und bei den gröberen häuslichen Arbeiten zur Aushilfe diente.

Der neue Ankömmling war, obwohl er die Sechzig überschritten haben mochte, doch noch ein wohlerhaltener Mann. Mager, in der Haltung etwas gebeugt, von mittlerer Größe, knochigem Kopfe, glattem Gesicht, mit spitzer Nase und kleinen Augen mit durchbohrendem Blick hinter den großen Brillengläsern, mit einer meist in Falten liegenden Stirn und zu dünnen Lippen, als daß über dieselben je hätte ein freundliches Wort kommen können, und endlich mit langen, fast klauenartigen Händen bildete er den Typus eines Pfandleihers oder Wucherers. Hulda hatte das Vorgefühl, als ob dieser Reisende dem Hause der Frau Hansen nicht eben Glück bringen dürfte. Daß er von Geburt Norweger war, erkannte man auf den ersten Blick, doch fanden sich in seiner Erscheinung von dem skandinavischen Typus nur die niedrigen Seiten vereinigt. Sein Reiseanzug bestand aus einem niedrigen breitkrämpigen Hute, einem Rocke aus weißlichem Tuch, einer über der Brust sich kreuzenden Weste, am Knie durch die Schnalle einer Lederstrippe befestigtem Beinkleide und über dem Allen aus einer Art bräunlichem Pelz, der inwendig mit Schaffell gefüttert war – was sich durch die auf den Hochebenen und in den tiefen Thälern Telemarkens noch recht kalten Abende und Nächte hinlänglich erklärte.

Nach dem Namen dieser Persönlichkeit hatte Hulda vorläufig noch nicht gefragt. Sie mußte denselben ja bald erfahren, da sie ihn in das Fremdenbuch des Gasthauses einzutragen hatte.[45]

In diesem Augenblick kehrte Frau Hansen zurück. Ihre Tochter meldete ihr die Ankunft eines Reisenden, der das beste Zimmer und beste Mittagsessen beansprucht hätte. Ob er sich längere Zeit in Dal aufhalten werde, konnte sie nicht sagen, da jener sich darüber nicht ausgesprochen hatte.

»Er hat auch seinen Namen nicht genannt? fragte Frau Hansen.

– Nein, Mutter.

– Auch nicht gesagt, woher er käme?

– Nein.

– Es ist jedenfalls ein Vergnügungsreisender, und ich bedaure nur, daß Joël nicht zu Hause ist, um sich ihm zur Verfügung stellen zu können. Was thun wir, wenn er einen Führer verlangen sollte?

– Ich halte ihn für keinen Vergnügungsreisenden, sagte Hulda. Es ist ein schon bejahrterer Mann...

– Doch wenn er kein Lustreisender ist, was sollte er in Dal wollen?« erwiderte Frau Hansen, vielleicht mehr mit sich selbst, als mit ihrer Tochter redend, und in einem Tone, der eine gewisse Unruhe erkennen ließ.

Auf die letztere Frage vermochte Hulda nicht zu antworten, da ihr der Reisende von seinen Absichten ja nichts mitgetheilt hatte.

Eine Stunde nach seiner Ankunft trat jener Mann in die große, neben seinem Zimmer gelegene Stube. Beim Erblicken der Frau Hansen blieb er einen Augenblick auf der Schwelle stehen.

Offenbar kannte er bisher seine Wirthin von Person ebenso wenig, wie diese ihn. Er schritt auf diese zu und begann, nachdem er sie durch die Brille scharf angesehen und ohne den Hut, den er noch auf dem Kopfe trug, nur mit der Hand zu berühren:

»Frau Hansen, wenn ich nicht irre?...

– Das bin ich, mein Herr,« entgegnete die Wirthin.

In Gegenwart dieses Mannes empfand sie, ganz wie ihre Tochter, eine gewisse Beklemmung, die Jenem nicht entgehen konnte.

»Sie sind also die Frau Hansen aus Dal?

– Ja, natürlich. Haben Sie mir vielleicht etwas Besonderes mitzutheilen?

– Keineswegs, ich wollte zunächst nur Ihre Bekanntschaft machen. Ich bin ja Ihr Gast. Wollen Sie nun dafür sorgen, daß mir das Essen so bald wie möglich aufgetragen wird.[46]

– Ihr Mittagsmahl ist bereit, erklärte Hulda. Wollen Sie sich gefälligst nach dem Speisezimmer bemühen....

– Ja wohl.«

Damit ging der Reisende schon nach der, ihm von dem jungen Mädchen gezeigten Thür zu. Eine Minute nachher saß er in der Nähe des Fensters vor einem sauber gedeckten Tischchen.

Das Mittagsmahl war sicherlich sehr gut. Auch der verwöhnteste Lustreisende hätte daran gewiß nichts auszusetzen gefunden. Diese wenig geduldige Persönlichkeit ließ es jedoch an Zeichen und Worten für seine Unzufriedenheit nicht fehlen – vorzüglich nicht an Zeichen, denn er schien nicht allzu gesprächiger Natur zu sein. Man konnte sich wohl fragen, ob daran, daß er so anspruchsvoll war, sein schlechter Magen oder seine üble Laune die Schuld trug. Die Kirsch- und Johannisbeersuppe schien ihm wenig zu munden, obgleich sie gewiß vorzüglich zubereitet war. Er berührte weder die Lachsschnitten noch den marinirten Häring. Der zarte, rohe Schinken, ein appetitliches halbes Hühnchen und verschiedene trefflich zugerichtete Gemüse gefielen ihm ebenso wenig. Selbst mit der Flasche Saint-Julien und der halben Flasche Champagner schien er unzufrieden zu sein, obwohl diese erwiesenermaßen den besten Kellereien Frankreichs entstammten.

Die natürliche Folge hiervon war, daß der Reisende, als er vom Tische aufstand, nicht ein einziges »Tak for mad« für seine Wirthin hatte.

Nach der Mahlzeit zündete sich der Murrkopf eine Pfeife an, verließ die Stube und ging nach dem Ufer des Maan spazieren.

Am Flusse angelangt, wendete er sich um; seine Blicke hafteten unablässig auf dem Gasthause. Es schien, als studirte er es wörtlich nach Plan und Bauart, nach Größe und Höhe, als wollte er den Werth desselben möglichst abschätzen. Er zählte die Thüren und Fenster des Hauses, und als er wieder vor den wagrecht gelagerten Grundbalken desselben stand, machte er in diese drei kleine Einschnitte mit der Spitze seines Dolknif, um die Art des Holzes zu erkennen und zu sehen, wie es sich erhalten habe. Wollte er sich wirklich darüber Rechenschaft geben, wie viel das Gasthaus der Frau Hansen werth sei? Beabsichtigte er es vielleicht gar zu erwerben, obwohl es doch nicht zum Verkaufe stand? Sein Benehmen erschien mindestens auffallend. Nach dem Hause musterte er ebenso ein dazu gehöriges eingehegtes Stück Land, dessen Bäume und Sträucher er zählte. Endlich maß er zwei Seiten desselben in gleichmäßigen Schritten ab,[47] und die Bewegung seines Bleistiftes auf einer Seite des in der Hand gehaltenen Notizbuches ließ vermuthen, daß er die beiden erhaltenen Zahlen multiplicirte.

Immer aber schüttelte er dabei den Kopf und brummte, die Augenbrauen runzelnd, wie mißbilligend vor sich hin.

Bei seinem Hin- und Hergehen beobachteten ihn Frau Hansen und ihre Tochter durch ein Fenster der großen Stube, verwundert, mit welch' sonderbarer Persönlichkeit sie zu thun hätten, und was wohl Ziel und Zweck der Reise dieses Tollhäuslers sein könne. Es war beklagenswerth, daß Alles das sich[48] während der Abwesenheit Joëls zutrug, da der Reisende mindestens noch die nächste Nacht im Gasthause zubringen sollte.

»Wenn das nun ein geisteskranker Narr wäre! bemerkte Hulda.


Der Reisende wärmte sich vor einem tüchtigen Feuer. (S. 45.)
Der Reisende wärmte sich vor einem tüchtigen Feuer. (S. 45.)

– Ein Narr?... Nein, erwiderte Frau Hansen, aber es ist ein sonderbarer Mann.

– Es ist immer ärgerlich, nicht zu wissen, wen man in seinem Hause aufnimmt, sagte das junge Mädchen.

– Hulda, antwortete ihre Mutter, denke daran, bevor der Reisende wieder eintritt, ihm das Fremdenbuch ins Zimmer zu legen.

– Ja, gewiß, Mutter.

– Vielleicht läßt er sich dann herbei, seinen Namen einzuschreiben.«

Gegen acht Uhr, es wurde schon etwas dunkel, begann ein seiner Regen niederzurieseln, der das Thal bis zur halben Bergeshöhe mit feuchtem Dunst erfüllte. Zum Spazierengehen war das Wetter eben nicht günstig. Auch der neue Gast der Frau Hansen kam, nachdem er den schmalen Fußweg bis zum Sägewerk hinauf verfolgt, nach dem Gasthause zurück, wo er sich ein Gläschen Branntwein bestellte. Ohne ein weiteres Wort zu äußern und ohne Jemand »Gute Nacht« zu wünschen, ergriff er dann einen Holzleuchter mit brennender Kerze, zog sich nach seinem Zimmer zurück und verriegelte dessen Thür. Während des Abends und der Nacht war nichts weiter von ihm zu hören.

Der Skydskarl hatte unter dem Schuppen für die Nacht Obdach gesucht. Hier schlief er schon zwischen der Wagendeichsel neben seinem gelblichen Pferde und unbekümmert um Sturm und Wetter draußen.

Am folgenden Tage erhoben sich Frau Hansen und ihre Tochter mit dem Morgenrothe. Aus dem Zimmer des Reisenden, der noch zu schlafen schien, hörte man kein Geräusch. Etwas nach neun Uhr erst trat dieser in die große Gaststube mit womöglich noch grämlicherem Aussehen, als gestern, beklagte sich über das Bett, das zu hart sei, über den Lärm im Hause, der ihn aufgeweckt habe, würdigte aber Niemand eines Grußes. Dann öffnete er die Thür und betrachtete die Beschaffenheit des Himmels.

Das Wetter sah nicht gerade zum Besten aus. Ein scharfer Wind fegte über die Gipfel des Gusta, der von Dunstwolken verhüllt war, und fing sich in dem Thale, das er in heftigen Stößen durchtobte.

Der Reisende zögerte, herauszutreten, trotzdem verlor er seine Zeit noch nicht Seine Pfeife rauchend ging er in dem Gasthaus umher, sachte dessen[49] innere Einrichtung kennen zu lernen, besah sich die verschiedenen Zimmer, musterte die Möbel und Geräthe, öffnete Wandschränke und Schubladen und benahm sich überhaupt, als ob er sich in den eigenen vier Pfählen befände. Man hätte ihn wohl auch für einen Gerichtsbeamten halten können, der Zwecks einer Zwangsversteigerung ein Inventar aufnahm.

Entschieden trat der Mann sonderbar auf und sein Vorgehen wurde immer verdächtiger.

Nachdem das geschehen, nahm er in dem großen Lehnstuhle der Gaststube Platz und richtete mit kurz abgebrochener ruhiger Stimme an Frau Hansen einige Fragen. Seit wie lange das Gasthaus schon erbaut wäre; ob ihr Mann Harald es erst errichtet oder schon erblich übernommen habe; ob sich schon Reparaturen nothwendig gemacht hätten; wie viel Flächeninhalt die Umfriedung einschließe und wie viel der dazu gehörige Garten habe; ob sie gute Kundschaft hätte und ihr Haus sonst gelobt würde; wie viele Lustreisende im Durchschnitt jedes Jahr hier vorsprächen und ob sie gewöhnlich nur einen oder mehrere Tage hier blieben, und dergleichen mehr.

Offenbar hatte der Reisende nicht von dem in seinem Zimmer niedergelegten Fremdenbuche Einsicht genommen, denn das hätte ihm wenigstens über die letzte Frage Aufschluß gegeben.

Wirklich fand sich das Buch noch an der Stelle, wo es Hulda hingelegt, und der Name des Reisenden stand noch nicht darin.

»Mein. Herr, sagte da Frau Hansen, ich begreife eigentlich nicht, wie alle diese Dinge für Sie Interesse haben können. Doch wollen Sie erfahren, wie unsere Geschäfte hier gehen – nichts leichter als das. Sie brauchen nur das Fremdenbuch zu durchblättern. Ich möchte Sie auch bitten, wie es allgemein Sitte ist, Ihren Namen in dasselbe einzutragen...

– Meinen Namen?... Gewiß werd' ich meinen Namen einschreiben, Frau Hansen!... Ich werde ihn einschreiben, wenn ich mich von Ihnen verabschiede.

– Sollen wir Ihnen das Zimmer noch aufheben?

– Das ist unnöthig, erwiderte der Reisende sich erhebend. Ich werde schon nach dem Frühstück abreisen, um heute Abend wieder in Drammen zu sein.

– In Drammen?... sagte Frau Hansen.

– Ja, sorgen Sie also, daß ich schnell bedient werde.

– Sie wohnen wohl in Drammen?[50]

– Ja, ist etwas so Außergewöhnliches dabei, daß ich in Drammen wohne?«

Nachdem er also kaum einen Tag in Dal oder vielmehr nur im Gasthaus daselbst zugebracht, kehrte dieser Reisende wieder zurück, ohne vom Lande etwas gesehen zu haben. Er betrat den Bezirk nicht weiter. Um den Gusta, den Rjukansos, um die Wunder des Vestfjorddals bekümmerte er sich nicht im mindesten. Nicht um des Vergnügens, sondern gewiß um irgend welchen Geschäftes willen hatte er Drammen, wo er wohnte, verlassen, und es schien, als habe er gar keinen anderen Zweck gehabt, als den, das Haus der Frau Hansen auf's Eingehendste zu besichtigen.

Hulda sah recht wohl, daß ihre Mutter auffallend bekümmert war. Frau Hansen hatte sich wieder in den großen Lehnstuhl gesetzt, stieß das Spinnrad zurück und blieb, ohne ein Wort zu sagen, unbeweglich sitzen.

Der Reisende war inzwischen nach dem Speisezimmer gegangen und hatte am Tische Platz genommen.

Das ebenso sorgfältig wie das gestrige Mittagsbrot bereitete Frühstück schien ihm ebenfalls nicht zu passen; dennoch aß er nicht wenig und trank tüchtig dazu; seine Hauptaufmerksamkeit richtete sich aber offenbar dem Werthe des Silberzeugs zu – ein Luxus, auf den die norwegischen Landleute viel halten – auf einige Löffeln und Gabeln, die von dem Vater auf den Sohn forterben und die man sorgfältig mit den Kleinodien der Familie aufbewahrt.

Während dieser Zeit traf der Skydskarl seine Vorbereitungen zur Rückreise. Um elf Uhr warteten Wagen und Pferde vor der Thür des Gasthauses.

Die Witterung war noch immer nicht einladend, der Himmel grau und stürmisch; manchmal schlug der Regen wie Hagel an die Fensterscheiben. Mit seinem Doppelpelzmantel, der auch den Kopf schützte, kümmerte sich der Reisende darum blutwenig.

Nach vollendetem Frühstück genoß er noch ein Glas Branntwein, zündete die Pfeife an und zog den Mantel über; dann kam er nach der Gaststube zurück und verlangte seine Rechnung.

»Ich werde sie sogleich aufsetzen, sagte Hulda, die schon vor einem kleinen Schreibtische Platz nahm.

– Beeilen Sie sich! drängte der Reisende. – Doch da fällt mir ein, geben Sie mir doch das Fremdenbuch, damit ich mich eintrage.«

Frau Hansen stand auf, das genannte Buch zu holen, und legte dasselbe dann auf den großen Tisch nieder.[51]

Der Reisende ergriff eine Feder und sah zum letzten Male Frau Hansen durch die Brille scharf an. Nachher schrieb er mit sehr großen Buchstaben seinen Namen in das Buch und klappte es sogleich wieder zu.

Da brachte ihm Hulda die Rechnung.

Er nahm sie entgegen, prüfte die einzelnen Posten und zählte sie offenbar wie murrend noch einmal zusammen.

»Hm, sagte er, das ist aber viel Geld! Sieben und eine halbe Mark für eine Nacht und zwei Mahlzeiten?

– Es bezieht sich auch auf den Skydskarl und das Pferd.

– Thut nichts, ich finde es theuer; so freilich wundert es mich nicht, daß Sie in diesem Hause gute Geschäfte machen!

– Sie sind gar nichts schuldig!« ließ sich da Frau Hansen mit so gedämpfter Stimme vernehmen, daß man sie fast gar nicht hörte.

Sie hatte eben das Buch aufgeschlagen und den eingeschriebenen Namen gelesen. Schnell ergriff sie darauf die Rechnung, zerriß diese und sagte noch einmal:

»Sie sind uns gar nichts schuldig!

– Das dächte ich auch!« antwortete der Reisende.

Und ohne Lebewohl zu sagen, so wenig, wie er bei der Ankunft guten Tag gesagt, bestieg er den Schußkarren, während der Bursche hinter ihm auf den Tritt sprang. Einige Augenblicke später war er schon hinter einer Wendung der Straße verschwunden.

Als Hulda das Buch geöffnet hatte, fand sie nur den Namen:

»Sandgoïst aus Drammen.«

Quelle:
Jules Verne: Ein Lotterie-Los. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LI, Wien, Pest, Leipzig 1888, S. 43-52.
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