Lobgesang

[85] An die durchleuchtigste churfürstin etc. Frau Elisabeth etc. geborne königliche princessin aus Groß-Britannien.


Princessin, deren leib und seel

ganz himmelisch, ohn allen fehl,

ein süßes wunder hie auf erden:

nach eures schönen leibs gestalt

und eurer lieblichkeit gewalt

könt ihr wol Venus genant werden.


Ihr habt, wie sie, braunlechte haar

und augen braunlecht leuchtend klar

und alles was schön zu vermehren

und ihr könt mit dem reinen strick

des haars und mit der augen blick

mehr dan sie fangen und versehren.


Wird aber euer glatte stirn

und der, aus dessen weisen hirn

ihr in die welt gebracht betrachtet:

so werdet ihr mit größerm preis

von denen, die gelehrt und weis,

Minerva selbs zu sein geachtet.


Und euer kühnes angesicht

gibt einen ernstlichen bericht

von eurer keuschen lieb gedanken;

gotsforcht, die euer schild und wehr,

und fromkeit euer scharfes speer

versperren den lust in den schranken.


Wan, süß und schöne heldin, ihr

reh, hirsch und andre wilde thier[86]

zu fällen, wolt die wäld durchziehen;

so sicht man, daß die Nymfen euch

wie Phöbe folgen, und zugleich

die üppige waldgötter fliehen.


Zwar könt ihr wol Diana sein,

als deren stetiger vollschein

kan die nacht in den tag verkehren,

und deren zuckt ihr köcher ist

und deren blick zu jeder frist

die götter stralen gleich versehren.


Demnach dan eurer schönheit pracht

und eurer tugend hohe macht

der sterblichen gesicht durchdringen,

so will sie alsbald die vernunft,

daß Juno sie durch ihre kunft

erquicke, zu bekennen zwingen.


Zwar eure zierliche person

(vil würdiger der höchsten kron

dan Juno) kan sich wol bereichen

mit solchem schmuck nach ihrem stand,

daß euch an köstlichem gewand

und kleinoten muß Juno weichen.


Also könt, göttin, ihr allein

mit keuschem unbeflecktem schein

mehr dan Diana; und mit lehren

mehr dan Pallas; mit lieblichkeit

mehr dan Cypris; mit köstlichkeit

mehr dan Juno die welt gewehren.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 85-87.
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