2. Die Jungfer-Noth

[128] 1.

Wo find ich einen Trost

In meinem Hertzenleide?

Mein Glück ist doch erbost,

Und gönnt mir keine Freude.

Ach gebt mir einen Mann,

Der mich verlassnes Kind ein bißgen trösten kan.


2.

Ich bin vor warten kranck,

Die schönen Sommer-Tage

Sind mir nur gar zu lang,

Und mehren meine Plage:

Drum gebt mir einen Mann,

Der mir die liebe Zeit mit Lust vertreiben kan.


3.

Ich weiß kein eintzig Spiel,

Daß mir belieblich wäre,

Zwar, wann ich spielen wil,

So find ich kein Gehöre,

Drum gebt mir einen Mann,

Der mit mir auß- und ein im Bette spielen kan.


4.

Zur Hochzeit möcht ichs wohl

Vom Junggesellen leiden,

Doch weil ich immer soll

Nur welcke Rüben schneiden,

So gebt mir einen Mann,

Der auff der Hochzeit mich zum Tantze führen kan.


5.

Es ist mir nicht bewust,

Daß ich in vielen Jahren

Auff eine Sommer-Lust

Spatzieren wär gefahren,

Ach gebt mir einen Mann,

Der mich zur Vogel-Stang auf Pfingsten führen kan.


6.

Hab ich in dieser Welt

Nicht lauter Ungelücke,

Das liederliche Geld,

Das wächst mir auch nicht dicke:

Drum gebt mir einen Mann,

Dem ich die Pfennge fein im Hosen steubern kan.


7.

Ach, ist er noch nicht da,[129]

Es ligt mir im Gekröse

Fürwar ein bißgen nah,

Ich werde gerne böse,

Drum gebt mir einen Mann

Der meinen bösen Sinn mit sanfftmuth leiden kan.


8.

Ich bin der Jungferschafft

Von gantzem Hertzen müde,

Und meine schlechte Krafft

Hilfft mir zu keinem Friede,

Drum gebt mir einen Mann,

Der mich zu einer Frau mit Ehren machen kan.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 128-130.
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