3. Der furchtsame Liebhaber

[43] 1.

Was soll ich länger schweigen?

Es ist doch nun geschehn

Nach dem die klaren Zeugen

Mir auß den Augen sehn:

Ich habe durch den süssen Trieb

Der Schönheit auch ein Mädgen lieb.


2.

Und wil es jemand wissen,

Was denn die Liebe sey,

Darauff ich mich beflissen,

So sag ichs ohne Scheu,

Und spreche die Beschaffenheit

Der Lieb ist Furcht und Blödigkeit.


3.

Sonst pfleg ich zwar zu schertzen

In allem was ich thu;

Doch meine Furcht im Hertzen

Lässt hier gar wenig zu:

Denn dieser Scrupel fällt mir ein[43]

Das Mädgen möchte böse seyn.


4.

Vnd daß ich alles sage,

Was mir beschwerlich ist:

Ich habe sie mein Tage

Nie auff den Mund geküst,

Vnd gleichwol hab ich Tag und Nacht

An die Corallen-Lust gedacht.


5.

Gelegenheit macht Diebe,

Nur ich versteh es nicht,

Vnd wenn mir gleich die Liebe

Manchmal die Bahne bricht,

So bin ich doch so wunderlich

Ich armes Kind, und fürchte mich.


6.

Sonst kan ich fleissig tippen

Wann ich bey andern bin,

Da geb ich meine Lippen

In die Rappuse hin,

Denn werd ich gleich was ausgericht

So sterb ich doch von drauen nicht.


7.

Kan ich was mit bekommen,

So weiß ich was ich thu,

Vnd wird mirs auch genommen

So schnipp ich eins darzu,

Wer weiß wo noch ein Mädgen ist

Die mich wol ungebeten küst.


8.

Doch meine Tausendfreude

Die nem ich wol in acht,

In dem sie mir zu leide

Viel saure Minen macht,

Vnd mitten in der Freundlichkeit

Mir unversehns die Spitze beut.


9.

Ich wolte gerne küssen,

Die Furcht die macht mich matt,

Dieweil ich nicht kan wissen,

Ob sie es gerne hat,

Vndob sie das verleckte Spiel

Aus ihren Lippen leiden wil.


10.

Ach dieser Sache wegen

Versuch ich keine Kunst,[44]

Es ist mir mehr gelegen

An ihrer guten Gunst,

Doch weil ich sie nicht küssen kan,

Greiff ich ihr in Gedancken dran.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 43-45.
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