Das fünfte Capitel.

Die Anruffung der Mutter GOttes hilft zur guten Erforschung.

[820] Ein Spanier beichtet Patri Joanni Eusebio Nierenbergio, Priestern der Gesellschaft JEsu.


Die gut, und böse Gewohnheiten legen sich hart an, mehr als ein Winter-Grün in das Gemäuer. Die tugendliche, und sündhafte Gewohnheiten [820] werden ein anligendes Gewand, welches nicht als mit Gewalt kan abgezogen werden. Der ein gute Gewohnheit anleget, verbleibt im Hochzeit-Kleid, der aber ein böse, ziehe sie aus, wie ein Schlang ihren Balg; nicht mit Zärtlen, sondern mit Bezwingen. Geschiehet solches nicht, so steckest in einer üblen Haut, tibi insanabilis animus est scelera sceleribus contexens, du verwicklest dich dermassen in der Bosheit, daß die antreibende Ursach zu sündigen nichts ist, als Sündigen, satis tibi est, magna ad peccandum causa peccare. Senecal. 1. de ira cap. 16.

Dieses hat endlich dannoch bey Zeiten erkennet ein grosser Sünder in Spanien, welcher Sünd mit Sünd überhäuffend, durch viel Jahr ein lang geschweiftes Gewand vieler Sünden angezogen. Er kam so weit, daß er nicht nur gewöhnlich, sondern GOtt zu Trutz gesundiget: ausser der Ketzerey war er mit allen anderen Sünden behaftet, mit der Liverey des Teufels angethan. Damit er aber in seiner Bosheit kein Ketzer erscheinte, sprach er täglich ein Ave Maria, die Mutter GOttes zu begrüssen.

Es begab sich aber in einer Nacht, daß dieser Sünder im Beth liegend nicht schlaffen konte: verdrüßlich war ihm die finstere Nacht ohne Liecht, das Ligen ohne Schlaffen; nichts erschröcket ihn, als sein sündhaftes Gewissen: gedachte auch nicht auf einige Erforschung des Gewissens, sein Gemüth war finsterer als die Nacht.

Augenblicklich wird die Nacht heller als der helliste Tag, die Jungfräuliche Mutter unsers HErrn erscheinet ihme schön wie der Mond, auserwählet wie die Sonne, und erschröcklich wie ein wohlgeordnetes Kriegs-Heer: das Liecht, welches von ihr heraus gieng, erleuchtet nicht nur allein das Zimmer, und die Augen, sondern das innerste des Hertzens, alle begangene Bosheiten nach dem Unterschied, und Anzahl zu erkennen. Kaum siehet er an die gnadenreiche Mutter der Barmhertzigkeit in ihrem freundlichen Anblick, so war sie wiederum vergangen: doch verblieb in ihme Forcht und Lieb, Forcht wegen seiner Sünden, Lieb wegen guter Hofnung durch aufrichtige Beicht Gnad zu finden. Er erinneret sich des Greuls seiner Bosheit, beweinet, und bedauret seine veralt-und verharte Gottlosigkeit, seufzet gegen Himmel anbettend die grundlose Barmhertzigkeit, und anruffend die tröstliche Vorbitt Mariä.

Im Anbrechen des Tags wird ein Beicht-Vatter erfordert, aus Schickung GOttes war dieser P. Joan. Eusebi Nierenberg ein geistreicher Mann: diesem eröfnet er erstlich die Jahr seines Alters, den Anfang seines boshaften Lebens: durchgieng demnach alle Gebott GOttes, und der Kirchen: was er inn- und äusserlich, auch mit Aergernuß und Versaumung gesündiget, erkläret er, wie auch alle seine böse Gewohnheiten mit erforderlichem Unterschied, und Anzahl. Alles beichtet er so offenhertzig klar, als jemahls ein Schriftgelehrter [821] vollkommentlich beichten kan. Wunderlich war dem Beicht-Vatter diese also klar vorgetragene Beicht; er fragte aber nach solcher Erforschung, und Erkanntnuß der Sünden, und vernimmt die oberzählte Erscheinung der Mutter GOttes: es erspriesse, ruffet darauf der Büsser, und grüne in allen grossen Sündern ein tröstliche Hofnung: die mit Gnaden erfüllte Mutter Christi verschmähet keinen. Was mir geschehen ist, wisse und erkenne die gantze Welt, der Beicht-Vatter habe Erlaubnuß von mir alles dieses kundbar zu machen.

Er kunte sich wohl auch der Wort des Heil. Bonaventuræ in Psalt. B.V. in Psal. 39. gebrauchen. O heiligste Jungfrau du hast angehöret das Gebett des Sünders, du hast ihn aus dem See der Müheseeligkeit geführt, und aus der Gruben des Feinds: Seine wenige, und schlechte Andacht hast du angesehen, durch dein Vorbitt ihme ein also vollkommene Erkanntnuß seiner Sünden erworben, daß er aus dem Abgrund der Verzweiflung mit gnädiger Hand gezogen worden: die heylsame Salben der Hofnung hast du ihme angewendet, kein Abscheuen getragen, bis er dem erschröcklichen Richter versöhnet worden. Joan. Euseb. Nierembergius in vita S. Ignatii Hisp. c. 33. Pædagogus Christian. tom. 2. p. 1. c. 4. §. 3.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 820-822.
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