Das anderte Capitel.

Der Bescheidenheit des Beichtvatters wird überlassen eine schwehre oder geringe Buß aufzulegen.

[876] S. Vitalis Abbt, gibt kleine Buß.


St. Vitalis Abbt, führt in Welschland, in einer ausgeholten Stein-Ritzen, nach Ordnung St. Basilii ein Mönch-Leben, hätte auch Priesterlichen und Beichtvätterlichen Gewalt. Der süsse Geruch seiner Heiligkeit ziehet an sich nicht allein Bienlein und Pfas-Hennen, sondern auch Hund, Füchs und Wölf, fromm und böse Leut; die Böse wolten fromm, die Fromme noch frömmer werden. Viele beichteten ihm, welche mit grossen Sünden beladen waren, und wie trauriger sie kommen, je frölicher giengen sie nach verrichter Beicht. Die Aussag ware, St. Vitalis ladet ab, aber ladet nicht auf, vergibet grosse Sünden, aber gibt keine grosse Busen, er läßt die, welche ihm gebeicht, in Freud und Frieden lauffen, welches vielen zum Beichten einen Lust, vielen eine Verwunderung gemacht.

Ursach dessen kommet Leontius de Petra, und Hilarius de Galaso, zwey Geistliche, unweit von ihm wohnende H. Vätter zu ihme vorzuhalten, was massen er die Bosheiten der Beichtenden gar zu gütig mit geringer Genugthuung abmesse. Sie gehen in seine Einsidlerey, begrüssen und beichten, warum sie hinkommen, die Lieb GOttes und der Eyfer bereiteten ihnen den Weeg, sie sprachen zu ihme: Geliebter Vatter Vital, du bist eine Zuflucht der Sünder, dann viele seynd, welche dir beichten, aber kein Ausrotter der Sünden, dann mit geringen Bussen werden abgefertiget, welche dir gebeichtet haben. Er vernahme ihre Lehr, und entschuldigte sich bevor nicht, bis er ihnen einige Richt zu essen zugerichtet und vorgesetzet. Diese Richt ware eine schlechte Speiß, dieweilen er nichts bessers zu geben, noch selbsten zu geniessen hätte, nicht nur die Speiß, sondern auch der Geruch ware bey den Gästen widerwärtig, sie wolten darvon weder essen, weder kosten, stunden auf, und begaben sich auf freyen Luft. Dessen wird Vitalis gewahr, beredet derowegen sie: diese meine Speiß, welche ich euch angerichtet, riechet euch übel, und will euch nicht wohl schmecken, und wie wolt ihr, daß grosse und widerwärtige Bussen denen Beichtenden wohl schmecken sollen? welche Christus unser Heyland zur Buß beruffet, entbürdet er von Sünden, und erquicket sie mit Gnaden. Den verlohrnen wiederum gefundenen Sohn, nimmet der barmhertzige Vatter an, kleydet und ersättiget ihn kostbahr, und schaffet ihme nicht hungerleydende [877] Fasten zu verrichten, und grobe Buß-Kleydung anzulegen. Ja niemand aus allen büssenden Sündern, hat der HErr mit scharffen Worten jemahls angeredet, niemahls mit belästigten Bußwercken überladen. Geringe Bussen geben Anlaß mehrmahlen zu beichten, und mit dem Beichtvatter freundlich und verträulich zu handlen.

Als sie dieses vernommen, konnten sie seine gute Meynung nicht widerreden, lobten GOtt, und wandleten im Frieden.

Orphei Saiten-Spiel und liebliches Singen hat die Luftkündige Vögelein und wilde Thier angezogen, wie das alte Fabelwerck dichtet. Aber eben dieser H. Abbt Vitalis hat die wunderliche Anzügigkeit; (weilen er gegen allen Sündern, welche zu der Buß geschritten, liebreich und annehmlich gewesen) gleicher Weiß und wahrhaftig gehabt; die Vögelein des Lufts fliegeten ihm zu, die wilde Thier verliessen ihre Wildnus und Schlief-Orth, giengen zu ihme, liebkoseten ihm, nahmen auch von seinen Händen die Speiß, höreten und folgeten seinen Reden, bald ruffet er diese, bald schuf er sie ab, andern Platz zu machen, wurden doch nie ohne Seegen von ihm entlassen. Also verbliebe dieser H. Abbt Vitalis ein Zuflucht der Sünder, und ein Freund der wilden Thier, diese wolte er nicht fangen, sondern in ihrer Freyheit lassen, jene wolte er nicht beschwehren, sondern in die Freyheit der Kinder GOttes bringen. In vita 9. Martii. Hentschenius. Soc. JEsu.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 876-878.
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