[20] MUTTER mit einer Kiepe auf dem Rücken.
Holla!
HÄNSEL UND GRETEL.
Himmel, die Mutter!
MUTTER.
Was ist das für eine Geschichte?
[20] Verlegenheit.
GRETEL.
Der Hänsel –
HÄNSEL.
Die Gretel –
GRETEL.
Er wollte –
HÄNSEL.
Ich sollte –
MUTTER tritt herein, schnallt ihre Kiepe ab und setzt sie nieder.
Wartet, ihr ungezogenen Wichte!
In Zorn ausbrechend.
Nennt ihr das Arbeit? Johlen und singen?
Wie auf der Kirmes tanzen und springen?
Indes die Eltern vom frühen Morgen
bis in die Nacht sich mühen und sorgen.
Daß dich!
Gibt Hänsel einen Puff.
Laßt seh'n, was habt ihr beschickt?
– Wie, Gretel, den Strumpf nicht fertig gestrickt?
– Und du? – du Schlingel! In all den Stunden
nicht mal die wenigen Besen gebunden?
Ihr unnützes Volk, den Stock will ich holen,
und euch den Faulpelz weidlich versohlen!
In ihrem Eifer hinter den Kindern her, stößt sie den Milchtopf vom Tisch, daß er klirrend zu Boden fällt.
Jesses! Nun auch den Topf noch zerbrochen!
Weinend.
Was nun zum Abend kochen?
Besieht ihren mit Milch begossenen Rock; Hänsel kichert verstohlen.
Was, Bengel, du lachst mich noch aus?
Mit dem Stock hinter Hänsel her, der zur offenen Tür hinausrennt.
Wart, kommt nur der Vater nach Haus –
Reißt einen kleinen Korb von der Wand und drängt ihn Gretel in die Hand.
Marsch, fort – in den Wald!
Dort sucht mir Erdbeeren !– Nun, wird es bald?
Treibt auch Gretel zur Stube hinaus und droht mit dem Stocke den sich furchtsam umschauenden Kindern.
Und bringt ihr den Korb nicht voll bis zum Rand,
so hau ich euch, daß ihr fliegt an die Wand!
Die Kinder laufen in den Wald. Die Mutter setzt sich erschöpft an den Tisch.
Da liegt nun der gute Topf in Scherben![21]
Ja, blinder Eifer bringt immer Verderben. –
Herrgott, wirf Geld herab! Nichts hab ich zu leben,
kein Krümchen, den Würmern zu essen zu geben;
kein Tröpfchen im Topfe, kein Krüstchen im Schrank,
schon lange nur Wasser zum Trank.
Stützt den Kopf mit der Hand.
Müde bin ich – müde zum Sterben –
Herrgott, wirf Geld herab –
Legt den Kopf auf den Arm und schläft ein.
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Hänsel und Gretel
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