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[53] Der Ruhm dies Wunder zu erneun,

Olympia, der seltne Ruhm, sei Dein!

Der schönste aller Deiner Preise!

Wohl Dir, die in dem Weihrauchkreise

Der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlor

Für Freiheit und Natur, nach alter Deutscher Sitte

Sich einen Wald zum Ruhesitz erkor,

Und in der moosbedeckten Hütte,

Wenn tief im nächtlich stummen Hain

Auf offnem Herd die heilge Flamme lodert,

Sich glücklich fühlt und nichts vom Schicksal fodert.

Des Waldes Geister sehn den ungewohnten Schein

Ringsum die hohen Buchen weißen,

Und nähern freundlich sich, und heißen

Willkommen Dich in ihrem stillen Reich.

Wir spüren sie, bald leichten Nebeln gleich

Um halb bestrahlte Erlen lauschen,

Bald über uns durch hohe Wipfel rauschen.

Ein leises Grauen schleicht um unsre Brust,

Doch stört es nicht, erhöht nur unsre Lust.

Wir singen – um Dich her im Kreise

Gelagert – nach der schönen Weise

Die Dir, Olympia, die Musen eingehaucht,

»Zaydens Schmerz bei ihres Mohren Klagen«,

Und fühlen unser Herz im Busen höher schlagen:

Bis jetzt der Herd mit trüberm Feuer raucht,

Und späte Sterne, die durch schwarze Wipfel blinken,

Uns in die Burg zurück zu unsern Zellen winken.


Was ist's, das uns Olympiens hehren Wald

Zum Zaubergarten macht, zum Tempel schöner Freuden,[53]

Zu dem man eilt um zögernd draus zu scheiden?

Sie selbst! – O! würde Sie zu Ihrem Aufenthalt

Der rauhsten Alpe Gipfel wählen,

Der rauhsten Alpe würde bald

Kein Reiz der schönsten Berge fehlen.

Ja, zöge Sie bis an den Anadir,

Wohin Sie gehen mag, die Musen folgen Ihr,

Ihr einen Pindus zu bereiten.

Sie, von Olympien stets geliebt, gepflegt, geschützt,

Belohnen Sie durch ihre Gaben itzt.

Sie schweben Ihr in Ihren Einsamkeiten,

Wenn Sie im Morgentau die Pfade der Natur

Besuchet, ungesehn zur Seiten,

Und leiten Sie auf ihre schönste Spur.

Und wenn Sie, in begeistertem Entzücken,

An einen Stamm gelehnt, mit liebender Begier

Was Sie erblickt und fühlt Sich sehnet auszudrücken,

So reichen sie den Bleistift Ihr.

Sie sind's, die am harmonischen Klavier

Der leichten Finger Flug beleben;

Und wer als sie vermöchte Ihr

Die Melodien einzugeben,

Von denen das Gefühl der lautre Urquell ist,

Die tief im Herzen widerklingen,

Die man beim ersten Mal erhascht und nie vergißt,

Und niemals müde wird zu hören und zu singen?


O Fürstin, fahre fort aus Deinem schönen Hain

Dir ein Elysium zu schaffen!

Was hold den Musen ist soll da willkommen sein!

Doch allen, die in Deine Wildnis gaffen

Und nichts darin als – Bäume sehn,

Dem ganzen Midasstamm der frostgen langen Weile

Mit ihrem Troß, dem Uhu und der Eule,

Und ihrer Schwesterschaft von Gänschen und von Krähn,

Sei Deine Luft zu rein! Das traur'ge Völkchen weile

Stets an des Berges Fuß; und führt das böse Glück

Es ja hinauf, so kehr es bald zurück,[54]

Und banne selber sich aus Deiner Republik!

Und so, Natur, und ihr, geliebte Pieriden,

Pflegt eurer großen Priesterin!

Ihr sei das schönste Los des Erdenglücks beschieden,

Zur Lust an euch ein immer offner Sinn,

Ein immer fühlend Herz, und eine Quelle drin,

Die nie versiegt, von süßem innerm Frieden!

Was sonst die Sterblichen zu wünschen sich ermüden,

Ist gleich der Flut im Faß der Danaiden:

Und schöpften sie äonenlang hinein,

Es würde niemals voller sein.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 53-55.
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