Dritter Auftritt.

[13] Pausanias, Zoe; später ein Greis.


PAUSANIAS.

Kläglich knechtische Geschöpfe,

Menschenkinder, Staubeskinder!

Wie die Meeresschnecken am

Schlüpfrigen Gestein, so kleben

Sie am Dasein, angeklammert:

Leiden, dulden, nur nicht sterben!

ZOE war aufgestanden und zurückgetreten; tritt vor; ruhig.

Du irrst. Nicht alle.[13]

PAUSANIAS.

Du, die Junge, fürchtest

Du nicht den Tod?

ZOE.

Ich nicht.

PAUSANIAS.

Schon gut. So redet

Wohl manche, – mutlos oder stolz; doch glaub mir,

Es spricht sich leicht, was schwer zu halten ist.


Hinter dem Fels tritt, wie vorhin Pausanias, ein ehrwürdiger Greis hervor, mit weißem Haar, aber jugendlich blühendem Gesicht, in wüstengelbes

Gewand gekleidet.


Frag Den!

ZOE.

Wer ist's?

PAUSANIAS.

Ein Stärkerer als du.

Der Weise, den Palmyras Narren suchen.


Der Greis tritt, mild und freundlich blickend, auf Zoe zu, die sich ehrfürchtig vor ihm verneigt.


DER GREIS.

Du wanderst von Damaskus durch die Wüste.

Was treibt dich nach Palmyra?

ZOE schlicht, sanft.

Gottes Wille.

Sein Wort zu predigen und das Heil zu bringen.

GREIS.

Den Heiden?[14]

ZOE.

Ja.

GREIS.

Die Christin?

ZOE.

Ja, mein Vater.

GREIS.

Dich treibt der Geist?

ZOE.

Du sagst es.

GREIS.

Und du zitterst

Vor diesen Heiden nicht? Und wenn sie dich

Verwerfen, hassen? dir das blühende Leben

Mit Steinen töten?

ZOE.

Gottes Wille lenkt

Die Herzen und die Steine.

GREIS.

Und wenn Gott

Durch meinen Mund dir weissagt: heute noch

Wirst du die Erde von Palmyra färben

Mit deinem jungfräulichen Blut? es wird

Dein müdes Auge brechen noch vor Nacht,

Wenn du Palmyra siehst?[15]

ZOE

Mir graut. – – Doch will ich

Es sehn, mein Vater. Morgen werd' ich dann

Im Paradiese sein!

GREIS.

Und wenn ein Wahn

Die gläubige Seele täuscht? Wenn du entschlummerst,

Nie zu erwachen?

ZOE starrt ihn an.

Warum redest du

So hart zu meinem Seele? – Du! Wer bist du?


Eine leise, geisterhafte Musik beginnt. Zoe horcht erstaunt; doch mit sichtbar ermattenden Sinnen und langsam einschlafendem Blick.


Die Luft erklingt. – – Es tagt in meinem Ohr;

Es nachtet mir im Aug'. Mein Geist wird hell

Und dunkel.


Langsam auf die Felsbank zurücksinkend, so daß, hinter ihr, Pausanias ihr zu Häupten, der Greis ihr zu Füßen steht; die Augen schließend.


Was geschieht mit mir? Wer bist du?

GREIS.

Wer ich bin? – Und wollt' ich's sagen,

Du vernähmst nicht; und vernähmst du,

Deine Seele faßt es nicht.

Seele du, dem Tod geboren –

PAUSANIAS.

Sterben mußt du –

ZOE wie im Traum wiederholend.

Sterben muß ich –[16]

GREIS.

Doch ein Wunder sollst du schauen.


Trompeten und Hörner, in einiger Entfernung; zuerst kurz wie ein Signal, dann rauschende Fanfare. Zoe horcht, den Kopf ein wenig hebend,

doch die Augen fort und fort geschlossen.


Hörst du, Jungfrau?

ZOE.

Hörner tönen.

Kriegsmusik.

PAUSANIAS.

Heimziehende Sieger.

STIMMEN viele, hinter der Scene.

Heil dem Sieger! Heil Apelles!

ZOE.

Und sie rufen.

PAUSANIAS.

»Heil dem Sieger!

Heil Apelles von Palmyra!«

GREIS.

Wohl, Apelles von Palmyra!

Komm, und deiner Seele Pforten

Oeffne! deine stolzen Wünsche

Laß entflattern Adlern gleich!

STIMMEN wie vorhin, näher.

Heil dem Sieger! Heil Apelles![17]

APELLES hinter der Scene.

Schweigt und laßt wich! Preist die Götter!

Zieht nach Haus!

PAUSANIAS.

Er kommt.

GREIS.

Er komme!


Zieht ein gelbliches Schleiertuch von seinem Haupt, legt es über Zoes Antlitz.


Und sein Auge sehe niemand,


Zu Zoe.


Weder dich, noch ihn, noch mich!


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Der Meister von Palmyra. Stuttgart 61896, S. 13-18.
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