Lebensgeschichte Prinz Balacins und der Prinzessin Higvanama.

[43] Es wird niemand so gar ein Fremdling in den asiatischen Begebenheiten sein, dem nicht die mehr tadel- als lobwürdige Regierung des Königs von Ava, Dacosem meines Prinzens Herr Vater, in etwas bekannt sein wird; bevoraus, wie er eine große Ursache des jämmerlichen Untergangs von Pegu[43] gewesen sei. Dieser Dacosem hatte eine Tochter des Königes von Bengala zur Gemahlin, mit welcher er zwei Prinzen und eine Prinzessin zeugete, wovon der älteste Prinz gleichfalls den Namen seines Herrn Vaters, Dacosem, führete; der jüngere, als mein gebietender Herr, Balacin, die Prinzessin aber Higvanama genennet ward. Weil er nun gerne für jedem Prinzen eine Krone gewünschet hätte, Ava aber nicht zulänglich sein wollte: als warf er ein sehnsüchtiges Auge auf das Reich Pegu, welches sein leiblicher Bruder, als Kaiser beherrschete, und nach dessen Tode den unglückseligen Prinzen Xemindo, als einigen Erben und Besitzer des großen Reichs Pegu, hinterlassen hatte. Solches stach nun unsern alten Dacosem gewaltig in die Augen, und wollte das Siammische Recht einführen, kraft dessen kein Sohn succedieren könne, so lange ein Bruder verhanden wäre. Weswegen er denn auch der Krönung zu Pegu nicht beiwohnen, vielweniger die Lehenspflicht gleich andern Lehenkönigen ablegen, noch einige Lieferung der Präsenten erstatten wollte, welches er doch zuvor seinem Bruder getan, angesehen Ava jederzeit ein Lehn von Pegu gewesen. Überdas ließe er auch den Jubelenhandel sperren, und ganz nichts in Pegu abfolgen. Solches alles wollte dem Xemindo nicht anständig sein: Dannenhero er alsobald Gelegenheit suchte, dem alten Herrn Vetter im Harnisch eine Visite zu geben, ließ seine Armee zusammenrücken, und zog mit dreimal hunderttausend Mann nach den Grenzen von Ava, indem er es vor viel besser hielte, sein Pferd an einen Fremden, als eignen Zaum, zu binden. Dacosem verließ sich inzwischen auf eine heimliche Verbündnis, die er mit etlichen hohen Bedienten von Pegu aufgerichtet, besonders mit dem Xenimbrun, Vicekönig von Brama, welcher auch ingeheim seinen Bruder Chaumigrem, mit etliche tausend Mann nach Ava geschickt hatte: Und ob solches zwar eine gar unzulängliche Hülfe wider so einen mächtigen Feind war, dennoch war unser alter Dacosem dermaßen hierüber vergnügt, daß er dem Chaumigrem nicht gnugsam Ehre zu erweisen vermochte. Kurz hierauf lief die schreckende Post zu Ava ein, es habe Xemindo mit einer gewaltigen Armee die Grenzen bereits auf zwanzig Meilen überschritten, und dürfte wohl sein Hauptquartier in Ava nehmen wollen. Worüber Dacosem heftig erschrak, die Armee eilend zusammenzog, und den ältern Prinz Dacosem hierüber zum Feldmarschall setzte, jedoch sollte Chaumigrem[44] über alles ein wachendes Auge haben. Mein Prinz war damals im 15. Jahre, und achtete es sich vor die höchste Schande, eine solche Gelegenheit, wobei er die Probe seiner Tapferkeit ablegen könnte, zu versäumen. Derowegen hielt er inständig bei dem Herrn Vater an, daß er ihn endlich mit diesen selbstschmeichelnden Worten entließ: »Nun, so zeuch hin, mein Sohn, und hilf deinem Bruder eine Krone erwerben, damit du die von Ava nicht teilen dürfest.« Untergab ihn auch sofort gleichfalls der Aufsicht des Chaumigrems, welcher diesen künftigen Stein des Anstoßes gewiß bei dieser guten Gelegenheit würde aus dem Wege geräumet haben, wenn er das Bevorstehende gewußt hätte. Chaumigrem, und zwar eben dieser jetzige Kaiser und Tyrann von Pegu, begab sich hierauf mit unsern zweien Prinzen nach der Armee, und rückte schleunigst ins Feld, weil Xemindo nur noch acht Meilen von Ava stund. Hier durften sie nun nicht lange den Feind suchen, und weiß ich am besten, wie mir damals zumute war, als der ich unter meines Prinzen Leibwacht ein Hellebardierer war. Denn wir Soldaten vermeinten, uns noch etliche Wochen vor unserm Ende lustig zu machen, und uns des Landes zu erkundigen, wo es am besten zu fressen und zu saufen wäre: Allein wir waren kaum zwei Tage marschieret, so kamen unsere Leute parteienweise gelaufen, als wenn das Gras unter ihnen brenne, und berichteten mit tiefen Atemholen, der Feind stünde nur noch eine Meile von uns. Welches uns ganz unglaublich, vorkommen wäre, wenn nicht fast ein jeder ein blutig Zeugnis vorgelegt hätte. Solches lernte unsere Herren Generales ein wenig behutsamer sein, daß sie sich nunmehr auf Kundschaft legten, und die Armee besser zusammenzogen: denn es lagen damals wohl noch tausend Mann um Ava herum, die erst auf das Gewehr warteten, welches von Malboa aus dem Zeughause sollte gebracht werden. Ich vergaß nun aller Gedanken, und hätte man mich mögen hundertmal Scandor nennen, so hätte ich nicht gewußt, ob es ein Mannesname gewesen, oder ob es mich anginge? Ja, ich wünschte wohl herzlich, gar ein Mädchen zu sein, so dörfte es noch eher ohne sonderliches Blutvergießen ablaufen. Denn ich meinte, wunder was es vor eine herrliche Sache um das Soldatenleben sei! Allein ich hatte mein Tage noch keinen Feind gesehen, und zitterte schon, als ich ihn nur nennen hörte. Inmittelst kam mein Prinz auf einen schönen kastanienbraunen Hengste dahergerennt, und[45] unterstund sich uns allen ein Herze einzusprechen, gleich als wäre er längst bei der Erfahrung in die Schule gangen. Die Angst vermehrte sich aber um ein großes, als das Geschrei kam, der Feind käme in voller Schlachtordnung angezogen, und wollte es auf ein Haupttreffen ankommen lassen. Da erhub sich nun ein grausames Getümmel, es wurde überall Lärmen geblasen, und geschlagen, die Generalspersonen rennten bald hie bald dort hin, und schrien, daß sie ganz schwarz wurden, da sie sich doch selbst nicht hörten. Der Feind hatte auch einige Feldstücke auf einen Hügel gepflanzet, und begrüßte uns mit etlichen Salven, daß uns Hören und Sehen verging. Und hier verließ mich nun die Courage auf einmal, daß ich auf der Stelle umkehrte, und mich zur Bagage begeben wollte. Allein ich wurde hierüber so ungestüm zur Rede gesetzet, daß mein Rücken geschworen hätte, es kämen einige Pillen vom Berge geflogen. Ob es nun zwar nur ein verkehrtes Gewehre war, so preßte es mir doch, weil ich meine Herzhaftigkeit nicht bekennen wollte, diese in der Eil ersonnene Entschuldigung aus, ich wollte nur den Musterschreiber mein Testament aufsetzen lassen, weil ich doch wohl sehe, es müßte gestorben sein: ich wurde aber beim Arme so ungestüm wieder in das Glied geführet, daß ich anfing, meinen Geist den Göttern zu befehlen. Was nun das größte Versehen von unserm neuen Feldherrn war, so waren alle Stücke zurücke blieben, mit dem Befehl, erst inner vier Tagen zu folgen, weil man wegen übler Kundschaft den Feind nicht so nahe vermutet hatte. Inmittelst vermehrten sich die feindlichen Stücke dermaßen, daß es schien, als sollte Himmel und Erden einfallen. Und dieses Schießen verursachte, daß wir unsern Vorteil und das geraume Feld verlassen, und uns auf tausend Schritte zurücke ziehen musten: Bei welchem Rückmarsche ich herzlich erfreuet wurde, in Meinung, es würde so bis in Ava hinein währen, da ich denn gewiß nicht der letzte zum Tore wollte gewesen sein, und freute ich mich schon, wie mich meine liebe Mutter aus dem gefährlichen Kriege so sehnlich empfangen würde. Allein wie ich das entsetzliche Wort hörte: Setzt euch, schließt die Glieder! macht das Gewehr fertig! so vermeinte ich nicht anders, es hätten mich zehen Kugeln getroffen: ja ich kunnte mein Gewehr nicht mehr regieren, und war dermaßen verwirret, daß ich meinen Prinzen, welcher voller Feuer vor unserm Haufen hielte, ganz ängstlich fragte: »Gnädiger Herr, sollen wir[46] auch Feuer geben?« da wir doch nichts als Spieße und Säbel hatten: Welches denn unsern Prinzen zu heftigem Lachen bewegte, worüber ich mich öfters gewundert, daß er bei solcher Gelegenheit, da auch wohl die größten Helden zum erstenmal gezittert, habe lachen können. Mit solcher Frage hatte ich meinen Nebenkameraden gleichfalls dermaßen irre gemacht, daß er mich um einen Spanner ansprach, da wir doch gleiche Gewehr hatten. Meine Person aber zu verlassen, so erhub sich erst das Treffen durch kleine Haufen, da bald dieser, bald jener, unten lag, bis es endlich zur vollkommenen Schlacht ausbrach, und mein Prinz kaum die Zeit erwarten kunnte, daß er angreifen sollte. Wir wurden aber, ehe wir uns versahen, selbst angegriffen; denn Chaumigrem tat den Angriff mit der Reuterei, und wurde sofort von der Menge des Feindes geschlagen. Als ihn nun Prinz Dacosem mit den Elefanten gebührend sekundierte, füget es das Unglücke, daß diese beiden Vettern, Xemindo und Dacosem einander selbst begegneten, und einen Streit um die Krone Pegu persönlich antraten. Erst brauchten sie Rohr und Pfeile gegeneinander, worinnen sich Xemindo aber von dem Dacosem weit überlegen sahe; und dannenhero sein Schwert, welches ihm der Stadthalter von Goa, Luigi di Taida verehret hatte, entblößte, daß also ein ernstes Faustgefechte unter ihnen entstund, da inzwischen die Elefanten, welche diese königliche Fechter trugen, gleichfalls nicht feierten, sondern einander feindselig zusetzten, bis des Xemindo Elefante einen Zahn verlor, und daher voller Grimm und Schmerzen auf den andern einstürmte. Wodurch Xemindo Gelegenheit bekam, unserm Prinzen einen tödlichen Stoß zu versetzen, und ihm zugleich des Lebens, und aller Hoffnung zur Krone, zu berauben. Dacosem stürzte nicht so geschwinde vom Elefanten, als der flüchtige Soldate dem Feinde den Rücken zukehrte, gleichsam als wenn mit ihrem Prinzen auch ihre Tapferkeit gute Nacht gäbe; da sie doch vielmehr durch solchen kläglichen Fall hätten zu grausamster Rache sollen angetrieben werden. Allein da half kein Rufen, Bitten, Drohen noch Schlagen, sondern ein jeder rannte, als ob ein Wettlaufen nach Ava angestellet wäre. Hierdurch nun wurde der ganze Schwarm vom Feinde auf unsern Hals gezogen; und ich muß gewiß sagen, wir hielten uns zu Fuß dermaßen, daß die Reuter einen weiten Vorsprung taten, ehe der Feind ohne Verhindernis nachhauen konnte. Hier erzeigte nun unser Prinz Balacin[47] ungemeine Proben seiner künftigen Tapferkeit, und machte mich hierdurch so beherzt, daß, als ich nur warm worden, ich dermaßen grausam um mich hieb und stach, daß ich mich noch über meine damalige Tapferkeit verwundere. Endlich aber, als der Feind uns allzu heftig zusetzte, trennte er unsere Glieder, und wir gerieten dermaßen ins Handgemenge, daß wir oft nicht wußten, ob wir Feind oder Freund trafen. Ich meinesteils hielt mich so viel möglich, bei meinem Prinzen, da mir denn das gütige Glücke die erste und schöne Gelegenheit gab, mich bei demselben in sonderbare Gnade zu setzen. Denn es kam ein großer baumstarker Indianer gelaufen, und versetzte dem Pferde meines Prinzen mit einem Spieße einen dermaßen gewaltigen Stoß, daß es sofort übern Haufen, und meinem Prinzen auf den Leib fiel; weil nun von so heftigem Stoße der Schaft am Spieße zerbrochen, als griff der ungeschickte Kerl zum Säbel, und wollte hier auch den letzten Zweig des königlichen Stammes abhauen. Allein es beseligten mich die Götter mit einer tapfern Begierde, meinem Prinzen, sobald ich das Pferd fallen, und den Feind mit bloßem Säbel über ihm sahe, schleunigst beizuspringen; ich sprang über etliche Leichen weg, und kam gleich zurechte, als der Indianer den Säbel aufgehoben, und den Streich recht auf des Prinzen Hals gerichtet hatte. Hier ergriff ich nun meinen Spieß zu beiden Händen, und stieß ihn dem feindlichen Gesellen unter den rechten Arm, welchen er aufgehoben hatte, hinein, daß er den Säbel entfallen ließ, niederstürzte, und die schwarze Seele samt dem Blute ausblasen mußte. Weil nun hier nicht lange zu säumen war, so riß ich den Prinzen unter dem Pferde hervor, worüber mir ein plumper Kerl einen ziemlichen Streich über den linken Arm versetzte, daß ich mich sattsam prüfen konnte, ob ich auch mein eigen Blut sehen könnte. Inzwischen ward der Prinz auf ein ander Pferd, und aus dem Gedränge gebracht. Nachdem aber der Feind uns weit überlegen war, und die Reuterei nebst dem Feldmarschall Chaumigrem uns durch die Flucht verlassen hatten, so waren wir ohne Anführer, daher denn ein jeder seine Füße um Rat fragte, und sich so viel möglich, dem feindlichen Säbel zu entfliehen, bemühete. Ich selbst vermeinte an ermeldter Heldentat gnugsam verrichtet zu haben, sahe mich derowegen nach meinen Prinzen um, und eilte ihm dermaßen nach, daß ich nicht wußte, ob Feind oder Freund hinter mir war. Nach einer Stunde erreichte ich einen Wald, und[48] schätze mich nunmehro sicher zu sein, satzte mich nieder, und verband meine Wunden, so gut ich konnte. Als ich aber von weiten ein starkes Getümmel vernahm, hielte ich ferner nicht vor ratsam, mich noch einmal in die Gefahr zu begeben, dahero ich mich auf den Weg machte, und des andern Tages ganz matt und kraftlos vor den Toren zu Ava anlangte, woselbst ich vieler meiner Kameraden antraf, welche durch die Flucht ihr Leben gerettet hatten. Es kamen auch deren noch stündlich zu ganzen Truppen in voller Unordnung gelaufen, von denen man das Ende der Schlacht, und den großen Verlust der unsrigen, gnugsam vernehmen kunnte. In summa, die Schlacht war verloren, dreiundzwanzigtausend der Unsrigen wurden vermißt, und es war alles in höchsten Sorgen und Furcht, wenn der Feind kommen, und uns gar in Ava besuchen möchte. Welches denn auch gewiß geschehen wäre, wenn nicht in währender Schlacht dem Kaiser von Pegu die gefährliche Nachricht wäre hinterbracht worden, was maßen dessen Stadtverweser in Brama, vorerwähnter Xenimbrun, in dessen Abwesen sich einen großen Anhang gemacht, Brama eingenommen, und jetzt in vollem Marsche nach Pegu begriffen wäre, um sich daselbst zum höchsten Haupte des großen Reichs zu machen, welchen fernern Verlauf Sie beiderseits besser wissen werden, als wir, die wir damals noch genug an den eigenen Wunden zu heilen hatten. Ich fahre nur fort in unsern eignen Angelegenheiten, die sich nach solchem Verlust erzählter Schlacht ferner ereigneten. Chaumigrem war fast mit den ersten in die Stadt gekommen, und hatte persönlich diese leidige Nachricht dem Könige hinterbracht, welcher hierüber dermaßen bestürzt worden, daß er sofort die Stadt verlassen, und sich nach Malbao begeben wollen, wann ihn nicht Chaumigrem getröstet, und durch schriftlichen Beweis versichert hätte: es könne der Kaiser von Pegu solchen Sieg nicht verfolgen, indem sein Bruder Xenimbrun bereits Brama zum Abfall bewegt, erobert, und die Hand nach der völligen Krone ausgestrecket hätte, welche zu retten, er notwendig sich eilend zurücke wenden, und die Glut seines eigenen Hauses dämpfen müsse. Solches sein Vorbringen ward durch fernere Kundschaft bestätiget, welche den schleunigen Rückmarsch des Feindes, und daß er gleichwie in voller Flucht die Grenzen von Ava verlassen hätte, voller Freuden verkündigte. Hiedurch nun machte sich Chaumigrem zu einem Abgotte bei dem Könige; und welcher zuvor durch[49] Unverstand den Kronerben und die Schlacht verloren hatte, dieser mußte anjetzo der einzige Erhalter des Königreichs genennet werden. Und gewiß, wo einige Verräterei kann gut gesprochen werden, so waren diese zwei ungerechte Brüder rechte Schutzengel des Königs Dacosem, außer deren Hülfe er gewiß einen strengen Lehnsherrn an dem Xemindo würde gefunden haben, angesehen Ava so gut als verloren schien, und nicht die geringste Anstalt zu einiger Gegenwehr zu spüren war.

Hier mag nun Chaumigrem in dem Schoße des Königs ruhen, und ich will etwas von mir gedenken, in was vor Angst ich abermal des dritten Tages nach der Schlacht geriet, als mir angedeutet ward, ich sollte nebst andern vor unserm Befehlshaber erscheinen, und zuvörderst meinen Namen von mir geben.

Ich vermeinte nun nicht anders, denn es würde die gewöhnliche Kriegsstrafe an mir wegen meines Ausreißens verübet, und ich mit einem schimpflichen Luftarreste beleget werden; wiewohl ich stets daran gedachte, wo es ja an ein Henken ginge, so müßte notwendig der Rang beobachtet, und unser Feldherr Chaumigrem, welcher zum ersten das Feld scheute, oben an logiert werden, alsdenn wollte ich mich gerne neben ihm aufknüpfen, und auch im Tode eine dermaßen hohe Miene blicken lassen, daß mich jedweder Fremder vor einen Unterfeldherrn angesehen und respektieren müßte. Mit solchen selbstschmeichelnden Todesgedanken verfügte ich mich nach dem hohen Markte, allwo ich den ganzen Rest von der überbliebenen Leibwacht meines Prinzens ohne Gewehr antraf, da doch keiner dem andern die Ursache ihrer Zusammenkunft zu sagen wußte; wiewohl einige ihre Einbildung vor gewisse Wahrheit ausgeben wollten, sie wären von dem Chaumigrem angegeben, als hätten sie nicht allerdings ihre Pflicht in währendem Treffen beobachtet, deswegen denn Kriegsrecht über sie sollte gehalten werden. Solches vermehrte meine vorhin dem Chaumigrem gehässige Gedanken dermaßen, daß ich zum öftern diesen Seufzer zu den Göttern in geheim abschickte:


Ihr Götter! soll ich unverhofft

Mein Leben schließen in der Luft;

So soll mich dieser Tod nicht kränken,

Laßt Chaumigrem nur bei mir henken.[50]


Wegen der Andacht aber, erblickte ich mit sonderlicher Gemütsänderung meinen Prinzen, welcher in gelbem Habit, als der gewöhnlichen Indianischen Trauerfarbe um dessen Herrn Bruder, auf einem schönen Rappen daher gesprenget kam, und sich vor unsern Trupp setzte, da er denn alsobald begierig sagte: Es sollte derjenige, welchem er bei vorgegangenem Treffen sein Leben zu danken hätte, ungescheut hervor treten, und fernerer gnädiger Verordnung gewärtig sein. Solches vernahm ich mit freudigster Bestürzung, und weil mich mein Gewissen versicherte, ich hätte hierdurch keine henkens- sondern beschenkenswürdige Tat begangen, als maßte ich mich einer sonderbaren Herzhaftigkeit an, und trat mit einem, meiner Einbildung nach, sonderbar-heroischen Gesichte hervor, sagende: »Durchlauchtigster Prinz, daß ich zu Rettung Dero hohen Lebens ein unwürdiges Werkzeug gewesen, solches ist vielmehr der gütigen Schickung unserer Götter, welche meine Faust regieret, als etwa meinem geringschätzigen Vermögen zuzuschreiben.« Hierauf fragte mein Prinz mit einer ganz gnädigen Miene nach meinem Namen und Stande, welche Frage ich mit kurzem Berichte vergnügte: »Man nennet mich Scandor, und bin aus dem alten adelichen Geschlechte der Frenojamer entsprungen, es wohnet mein Vater nicht unfern von Ava, welcher mich denn nach Landes Art bestmöglichst erzogen hat. Als er aber nach sechsjährigem Witberstande sich mit der falschen Einbildung geschwängert befande: es könne dessen Wirtschaft ohne einen weiblichen Befehlshaber nicht sattsam versorget werden: so verknüpfte er sich mit dem gefährlichen Liebesbande der edeln Jugend, und legte eine glühende Kohle in sein Ehbette, unbesorgt, ob nicht der Schnee seiner grauen Haare bei solcher Glut schmelzen, oder gar fremde Nachtsteiger den Wachsstock ihrer Begierde bei diesem vermeinten Eigentum anzünden möchten. Kurz, er nahm eine junge Dame von 17 Jahren, welche ihn beherrschte und mich verfolgte. Ob mich nun zwar mein Vater, als sein einiges Kind, der väterlichen Huld sattsam genießen ließ, so würde ich doch deren durch stetes Verleumden bald beraubet: denn, indem sie wohl wußte, wie wohl es der Katzen tue, wenn man ihren Rücken streicht; also brachte sie endlich durch vieles Liebkosen zuwege, daß eine eingebildete Vergnügung, die väterliche Liebe, und mich in Krieg verjagte. Worinnen ich nun unter Dero Befehl bei sechsunddreißig Monaten gestanden,[51] mein Zug und Wache wohl versehen, und mich als ein getreuer und rechtschaffener Soldate jederzeit verhalten habe. Bitte sodann untertänigst, mein gnädigster Herr zu verbleiben.« Solche Freimütigkeit gefiel meinem Prinzen über die Maßen, und als er zugleich mein Wohlverhalten aus dem Munde meiner Offizierer vernahm, war es ihm um so viel desto angenehmer, daß ich von gutem unverfälschten Adel war. Dannenhero er denn mich mit einhelliger Bewilligung meiner Kameraden zum Hauptmann der sämtlichen Kompanie vorstellete, und mir unwürdigst die hohe Gnade antat, daß ich als Hof- und Kammerjunker auch bei Hofe einen freien Zutritt haben möchte. Ob ich mich nun wohl äußerst entschuldigte, und mein Unvermögen vorschützte, wie ich mich, bevoraus in das gefährliche Hofleben, nicht würde zu schicken wissen, so war es doch alles vergebene Bemühung, indem mir mein Prinz zu gehorsamen auferlegte, auch sofort eine anständige Summa Geldes auszahlen ließ, wodurch ich mich bestens auskleiden, Bediente annehmen, und mich als einen unschuldigen Hofmann aufführen kunnte. Vor solche unvermutete hohe Gnade, ließ ich es zwar an untertänigster Danksagung nicht ermangeln, und kunnte ich mich in meine Hauptmannsstelle noch ziemlich finden, zumalen ich und mein Lieutenant erfahrne Soldaten waren. Allein, was den Hof anlangte, da muß ich bis diese Stunde noch ein Schüler bleiben; am allermeisten hütete ich mich vor der gemeinen Hofpest, ungemessener Einbildung, und befliß mich, durch anständige Demut, mir jedermann, er mochte ein Hof- oder Landmann sein, zu verpflichten; aus Ursachen, weil ich nicht unbillig besorgte, es möchte diese ungemeine Gnadensonne einen schädlichen Nebel des Neides über mein Haupt zusammenziehen, und ich etwan in solcher Finsternis auf dem schlüpferichen Eise der Herrengnade gar fallen. So ich mir nun durch unnützen Hochmut jedermann verhaßt gemacht hätte, so würde ich in solchem Fall von den Höhern verstoßen, und von den Geringern wohlverdientermaßen wiederum verachtet werden. In summa, ich ward über alles Verhoffen ein vornehmer Kriegsbedienter, und wider meinen Willen ein Hofmann. Es kam mir aber die sonderliche Gnade meines Prinzen trefflich zu statten, indem er mich gar zu seinem Vertrauten machte, weil ihm meine Verschwiegenheit und lustiger Humor trefflich wohl gefiel, wodurch meine Fehler bedecket, und der Mangel ersetzet wurde.[52]

Ich überkam auch einen freien Zutritt von allem denjenigen ein leibhaftiger Zeuge zu sein, was ich ferner erzählen werde. Chaumigrem befestigte sich inzwischen dermaßen in der königlichen Gnade, daß Prinz Dacosem gar leicht vergessen ward, gleichsam als ob er in Chaumigrems Person wiederum lebendig worden wäre, ja er wurde in gewissen Dingen auch gar meinem Prinzen vorgezogen, angesehen sich Dacosem in der väterlichen Liebe ohne dies gar wohl zu mäßigen wußte, wie er solches sattsam gegen die Prinzessin Higvanama, die er doch jederzeit sein liebstes Kind zu nennen pflegte, merken ließ. Diese Prinzessin war nun so wohl am Stande als an Schönheit und Tugend die Krone in ganz Ava, ihres Alters im siebzehnten Jahre, und von so angenehmen Wesen, daß Nherandi, Königlicher Erbprinz aus Siam, gewiß hierinnen nicht irrete, als er vor einer Jahresfrist unsern Hof besuchende sich durch sie fesseln lassen und es vor ein hohes Glücke achtete, als er ihre Gegenhuld und den väterlichen Willen voller Vergnügung mit sich nach Siam nehmen kunnte. Welche Liebes-Vollziehung auch bereits geschehen wäre, wenn nicht erwähnte Kriegsflamme solches verhindert hätte, zumal weil Xemindo und Higvero, König in Siam, in genauem Bündnis stunden. Chaumigrem, welcher die Gewalt hatte, auch unangemeldet in das königliche Cabinet zu gehen, nahm sich ebenfalls einsten die Freiheit, in den königlichen Lustgarten zu gehen, und ob zwar der Gärtner ihm hierinnen nicht bald willfahren wollte, mit Vermelden, es sei die Prinzessin hineingegangen und hätte, um ihre Einsamkeit zu suchen, auch sogar ihr Frauen-Zimmer in den äußern Garten-Zimmern hinterlassen; so wurde doch dessen ungeachtet der treue Gärtner vor seine Nachricht mit dem Prügel belohnet und der Garten mit Gewalt eröffnet. Welchen Tumult die Prinzessin wegen Größe des Gartens nicht vernehmen können. Als nun der ungeschickte Chaumigrem in den Garten gekommen und die Prinzessin nicht gesehen, ist er getrost nach denen begrünten Galerien hingegangen, gleich als ob er durch seine Gegenwart der Prinzessin eine sonderbare Freude erwecken würde. Und ist dessen unverschämtes Wesen um so viel mehr hieraus abzunehmen, indem er die Prinzessin sein Tage nicht gesehen hatte. Sobald er sich der Galerie genähert, höret er von weiten eine Laute spielen, welches er vor die Prinzessin erachtet, und sich dannenhero ganz unvermerkt dermaßen hinan verfüget, daß er jedes[53] Wort vernehmen, auch Dero Gebärden seitwärts genau bemerken können, als sie gleich mit entzückender Anmut und Stimme folgende Arie durch die Luft nach ihrem geliebtesten Prinzen Nherandi seufzende abgeschickt und in die Laute, welche sie von einem Portugiesen wunderwohl gelernet, absunge:


1.

Mein Hoffen stirbt, mein Kummer lebt,

Der Anker meiner Ruh ist nun zerbrochen,

Mein Schicksal, das bein Sternen schwebt,

Hat wider mich dies Urtel ausgesprochen:

Der Liebe süßer Scherz

Soll fesseln zwar dein Herz,

Doch ferne Huld bringt zweifelvollen Schmerz.


2.

Ich bin vergnügt und unvergnügt,

Wenn ich an jenen Blick und Blitz gedenke,

Durch den mein Herze ward besiegt:

Um welchen ich Abwesende mich kränke.

Zwar meine Liebespflicht

Erinnert mich und spricht:

Wo Liebe blüht, da wächst kein Zweifel nicht.


3.

Doch meine Lieb ist allzu zart;

Das Auge kann ein Staub empfindlich rühren.

Die Furcht ist reiner Herzen Art:

Ein fremder Blick kann oft den Geist verführen.

Das Leben wird versüßt,

Wo man beisammen ist,

Und Gegenwart die holden Lippen küßt.


4.

Indessen soll die treue Glut

Bis in das Grab in meinem Herzen brennen;

Wo dir mein Fürchten Unrecht tut,

So wirst du doch hieraus mein Feuer kennen.

Die Hoffnung soll allein

Nunmehr mein Zucker sein,

Ich weiß: Der Himmel wird mich bald erfreun.


Bei diesen Worten sprang Chaumigrem mehr mit närrischen als unanständigen Gebärden hervor und schrie mit vollem[54] Halse: »Chaumigrem stellt sich ein!« lachte auch hierauf mit vollem Halse dermaßen, als ob er die artigste Sache vorgebracht hätte. Hierauf stund er stille, und sahe die Prinzessin mit solchen Blicken an, daß sie vielmehr Ursache hierüber zu lachen als zu erschrecken gehabt hätte. Die Prinzessin aber erschrak, daß ihr die Laute ins Gras fiel, und sie ganz unbeweglich sitzen bliebe, bis endlich Chaumigrem in diese Worte herausbrach: »Schönste Prinzessin, Sie vergebe mir, daß ich mir die Ehre der ersten Aufwartung selber genommen und Ihr deutlich zu verstehen gebe, wie hoch es mich erfreuen würde, wenn der Inhalt dieses Liedes auf mich gerichtet wäre.« Als sich nun die Prinzessin wieder in etwas erholte, antwortete sie mit zornigen Blicken: »Herr Graf, wer hat Ihm die Kühnheit erlaubet, der sich auch königliche Personen wider meinen Willen nicht unterfangen dürfen?« Chaumigrem, welcher sich, weiß nicht was, vor ein freundlich Gesichte eingebildet hatte, angesehen er noch nicht mit so hohem Frauenzimmer umgegangen war, erschrak anfangs hierüber; jedoch antwortete er alsobald mit sonderbarem Übermute: »Wem des Königlichen Herrn Vaters Cabinet und Herze unverschlossen ist, der darf auch dessen Tochter ungescheuet besuchen.« – »Entfernet Euch, unverschämter Graf«, sagte sie mit erhitztem Gemüte, »und wisset, daß die väterliche Gnade der Tochter zu keinem Nachteil gereichen kann.« Mit diesen Worten verwies sie den bestürzten Chaumigrem, welcher sich dessen nimmermehr versehen, sondern vielmehr in der Einbildung gelebet, es müßte jedermann seine Gunst vor eine Gnade schätzen. In solchen Gedanken stellete er sich zugleich die anmutigen Gebärden und verwunderliche Schönheit, welche er währenden Singens sattsam betrachtet, vor Augen, und befand sich dermaßen gerühret, daß er nicht anders als rasende zu sein schiene, wann er betrachtete, wie ihm so etwas Angenehmes verwundet und zugleich verstoßen hatte. Und daß ich nicht irre, so können meine Herren unschwer hieraus abnehmen, wie ewig es wunder gewesen sei, daß sich ein solcher barbarischer Mensch durch so kurzes Anschauen habe entzünden lassen, wann ich ihre Person nach meinem schlechten Verstande möglichst beschreibe: Sie war einer anständigen Länge, sehr wohl gewachsen, ihr Haupt war mit kohlschwarzen natürlichen Locken bedecket, wie denn auch die Zierat ihrer großen Augen durch schmale Augbraunen um ein großes vermehret ward. Die reine[55] Haut gab die blauen Adern lieblich zu erkennen, zudem waren die rosengleichen Wangen gleichsam beschämt gegen die etwas erhabenen korallenfarbene Lippen, unter welchen sich ein wohlgebildetes Kinn, schneeweißer Hals, und (ach ich werde selbst verliebt) alabasterne Berge der Liebe anmutigst zeigeten. Die Hände waren dermaßen beschaffen, daß wer sie mit den artigen Fingern so künstlich auf der Laute spielen sahe, nicht anders, als selbte zu küssen, wünschen konnte. Mit einem Worte, außer der Prinzessin Banise getraue ich nicht in ganz Asia ihr Gleichnis zu finden. Solche Schönheit ward durch einen Gold in Blau gewürkten Rock trefflich erhaben, zumal die Diamanten häufig durch die schwarzen Locken blitzten, und auch wohl leblose Blumen hiedurch konnten bewegt werden. Allein was vor reizende Ursachen zu einiger Gegenliebe an den Chaumigrem zu finden waren, das werden meine Herren, welche ihn täglich sehen, besser im frischen Gedächtnis haben, als ich von langer Zeit herzählen kann. Weil er sich aber doch könnte geändert haben, so muß ich nur dessen damalige Gestalt beschreiben: Er war ganz klein von Person, und hatte der Rücken mit dem Schenkel einen Vergleich getroffen, sie wollten einander in der Krümme nichts nachgeben. Sein bis an den Gürtel reichendes und braunrotes Haar war hingegen so aufrichtig, schlecht und gerecht, als wenn es auf einen Fiedelbogen gespannet, und statt des Harzes mit Speck bestrichen wäre, welches einen trefflichen Widerglanz bei der Sonne gab. Der Kopf war von einer ungewöhnlichen Größe, jedoch das Gesichte lang und schmal, sehr hager und mit einer solchen großen Nase besetzt, daß es schien, als ob der Kopf ein kleiner Anhang von der Nase wäre, welche noch darzu durch so eine unanständige Krümme verstellt war, daß sie wie ein Säbel, dessen Spitze gleich auf die Unter-Lippe traf, über dem Maule hing; die Augen stunden tief im Kopfe, deren Augäpfel man vor den überhangenden roten Augbrauen nicht wohl erkennen konnte: von welcher Farbe auch ein dünner Bart um die angelweite Lippen gesäet stund: und wundert mich nur, daß ihn die Prinzessin nicht von fernen merken können, indem sein Atem so durchdringende war, daß er den Feind gar wohl damit aus dem Felde hätte jagen können, wenn er nicht mit den Stücken geräuchert, und den Stank dadurch vertrieben hätte. Von was vor hohen Farben er müsse gewesen sein, ist hieraus zu schließen: daß, weil er gleich in die Hoftrauer, und[56] zwar in Schwarz-Gelb gekleidet war, man das Kleid nicht von dessen Haut unterscheiden konnte: in summa, es war ein recht Krokodil der Liebe und eine Mißgeburt der Affektion. Was tät aber der verliebte Bucephalus ferner? Er ging die Galerie etlichemal auf und ab, und wußte nicht, ob Zorn oder Scham die Oberhand behalten sollte. Endlich tröstete er sich doch wiederum und vermeinte, er hätte es vor diesmal nicht recht angefangen, sie wäre vielleicht mehr über die Verstörung ihrer verliebten Gedanken als über dessen Gegenwart erzürnt gewesen. Derowegen wollte er die Entdeckung seiner Liebe zu anderer Zeit besser anbringen. Worüber er dermaßen entzückt schien, daß er sich allbereit in verliebten Mienen übte, und in dem Grase seltsame Stellungen machte, bis er sich endlich einem gewissen Baume nahte, welcher aus Mexico dahin versetzet war und Qvamochtil6 genennet wird. Dieser Baum ist an allen Ästen und Zweigen, wie auch an dem ganzen Stamme mit Stacheln besetzet, welche Stacheln, wenn man sie anrühret oder drücket, mit solcher Gewalt und Krachen herausplatzen, als würden sie aus einem Geschoß getrieben. Diesen Baum nun stellte sich diese vor Liebe blinde Seele nicht anders vor, als hätte er durch neue Liebesanschläge seine Higvanama dahin gebracht, daß er völlige Gewalt sie zu umarmen, ja gar zu küssen hätte: Dannenhero drückte er seine finstere Augen zu und umfing erwähnten Baum mit solcher Brunst, daß es nicht zu verwundern war, wenn sich auch ein lebloses Holz vor ihm entsatzte und durch heftiges Krachen und Stechen ihm zu verstehen gab, mit was vor Anmut er mit seinem Liebesvortrage bei der Prinzessin würde ferner empfangen werden. Der Schrecken und Schmerz zwang ihn, hierauf etliche Schritte zurücke zu springen, und heftig auf den Gärtner zu schelten, gleichsam als ob er der Natur gebieten könnte, wie sie der verliebten Narren schonen sollte. Nachdem er aber gleichsam aus einen Traume ermuntert schien, ging er von diesem empfindlichen Holze weg und legte sich in den Schatten eines andern Baumes, um sein verliebtes Elend in genauere Betrachtung zu ziehen; allein auch hier wurden seine Gedanken durch das Anschauen empfindlichst verstöret: denn es hatte ihm sein wahrsagendes Verhängnis abermal unter den in Ava gleichfalls unbekannten Baum Hoitzmamaxalli7, oder auf deutsch[57] den horntragenden Baum, geführet. Dieser Baum ist mit Blättern gleich den Tamarinden belaubet, mit gelben Blumen überzogen, und lasset sowohl an den Ästen als auch am Stamme häufige Hörner, welche allerdings den Ochsenhörnern gleichen, hervorgehen; wie solches ferner ein gelehrter Europäer von unsern Gewächsen beschreibet. Hier erzürnte sich Chaumigrem dermaßen aufs neue, daß er gehlings aufsprang, und mit dem Säbel alle unschuldige Hörner, die er erlangen konnte, mit diesen erhitzten Worten herunterhieb:


So will ich die Räuber, die Diebe belohnen,

Die meiner mit Hörnern nicht wollen verschonen.

Ich schwere: wo etwan dergleichen geschicht:

So sei man versichert, ich leide das nicht.


Nach solcher entsetzlichen Hörner-Schlacht steckte er den müden Säbel ein, und ging mit solchen gravitätischen Schritten nach der Gartentüre zu, als ob er dem Actäon ein Horn abgerannt hätte, daß auch ein Gärtnerjunge, welcher versteckterweise solches alles gesehen, gehöret und hernach meinem Prinzen erzählt, sich nicht enthalten können, überlaut zu lachen. Als er nun zur Gartentüre ausgetreten, ersähe er noch ein hinterstelliges Mägdgen von der Prinzessin Frauenzimmer, welche er zu sich berufte und ihr einen schönen Rubin verehrte, mit Bitte, ihn ihrer Prinzessin bestens zu befehlen, und sie seiner innigsten Liebe zu versichern, welches Geschenke dieses Mägdgen begierigst annahm, und ihm mit diesen Worten dankte: Hievor versichere ich Ihn meiner Gegenliebe. Welche Worte er aber ganz unrecht verstand. Folgenden Tages ließ ihn der König zur Tafel ersuchen, welches er aber durch den Vorwand einiger Unpäßlichkeit abschlug, wodurch der König sich dermaßen betrübt erzeigte, als ob die ganze Wohlfahrt von Ava an einem Faden hinge, ja mein Prinz sagte öffentlich, er hätte über den Tod seines Sohnes Dacosem nach der Schlacht nicht solches Leidwesen, als über die verstellte Krankheit dieses Menschen, spüren lassen. Wie denn allsofort zwei königliche Leibärzte sich zu ihm verfügen, und die Beschaffenheit des zugestoßenen Unfalls genau untersuchen müssen, nebst angehängter Versicherung, sollte auch die Hälfte der Krone dessen Gesundheit wiederbringen können, es sollte nicht gesparet werden. Solches gnädige Anerbieten machete sich Chaumigrem bald zunutze und fertigte die Ärzte wiederum ab, ließ vor die hohe königliche Gnade[58] untertänigsten Dank abstatten und zugleich berichten, es würde alle angewandte Arznei vergeblich sein, solange das Gemüte mit Schwachheit behaftet wäre, welches niemand, denn I. Maj. heilen könnte. Inmittelst erstaunte der ganze Hof über die ungemessene Gnade, derer ein solcher unwürdiger Mensch genoß. Der Prinz sahe sich in väterlicher Gnade hintan gesetzt, die Prinzessin mußte gleiches besorgen, die Großen des Hofes, wollten sie sich anders befestiget wissen, mußten ihm fast königliche Ehre erweisen: ja sogar die Reichsräte mußten seinem Eingeben den Vorzug gönnen, daß auch viel vermeinten, es gehe durch übernatürliche Kunst zu. Mein Prinz aber besuchte indessen die Prinzessin Higvanama fleißig, welche voller Betrübnis über die sparsame Nachricht von ihrem geliebten Prinzen Nherandi war, also, daß mein Prinz gnungsam zu trösten hatte, ob er wohl zur Zeit nicht viel von diesem Leiden empfunden. Eines Tages ward mir durch einen unbekannten Lakaien ein Schreiben eingehändiget, mit fleißiger Bitte, solches schleunigst der Prinzessin zu überantworten, worüber ich höchst erfreuet ward, nicht anders vermeinende, denn ich werde die Prinzessin mit einer angenehmen Post von ihrem Prinzen erfreuen. Weswegen ich mich denn sofort nach Hofe und in das Frauenzimmer-Gemach verfügte, durch welches ich um ein gnädiges Gehör bei der Prinzessin anhalten ließ, weil ich einige, verhoffentlich angenehme Verrichtungen abzulegen hätte. Ich ward hierauf alsbald in dero Zimmer erfodert, allwohin ich mich verfügte, und mein Kompliment, so viel, als von einem halbjährigen Hofmann konnte erfodert werden, vorbrachte, zugleich auch ermeldten Brief mit tiefster Reverenz überreichte, nebst dem Berichte: es sei mir selbter von einem unbekannten Menschen überantwortet worden, solches gebührende zu bestellen, und hoffe ich, hierdurch mich in dero Gnade zu setzen. Die Prinzessin nahm solches mit gnädiger Hand und ganz erfreutem Gesichte von mir an, trat an ein Fenster und erbrach dieses. Allein, da sie etwas hiervon gelesen, o ihr Götter, in was vor Bestürzung und Erstaunen geriet ich, als die Prinzessin den Brief anspie, zur Erden warf und mit Füßen trat, zugleich aber mich mit diesen freundlichen Worten anredete: »Und du, verfluchter Hund, darfst dich unterfangen, mir von einer ewig-verbannten Person solche Sachen einzuhändigen, welche würdig wären, mit dem Henker beantwortet zu werden. Hiervon sollte gewiß an dir der Anfang gemacht[59] werden, wenn ich nicht des Prinzen verschonte. Immittelst lasse dich nicht gelüsten, vor meinem Angesicht mehr zu erscheinen, sonsten soll dein Kopf auf dem Rumpfe wackeln.« Nach welchen harten Worten sie sich in ihr Kabinett begab, und mich ganz außer mir selbsten ließ. Ich hielte es hierauf nicht vor ratsam, vor der Höhle einer erzürnten Löwin länger zu verziehen, sondern verließ das Zimmer, und ging mit so leisen Tritten vom Schlosse als wie ein Pfau, welcher seine Füße betrachtet hat. Ja ich sahe mich immer fleißig um, ob nicht einer von der löblichen Büttel-Gesellschaft mich zurücke und auf einen Trunk Eisenkraut-Wein laden würde. Nachdem ich aber ungehindert das Schloß auf dem Rücken hatte, begegnete mir zu allem Glücke der Vogel, von welchem ich den Brief empfangen hatte; denselben setzte ich alsobald zur Rede, wer sein Herr wäre? Worauf er mir ganz trotzig antwortete, er wäre sein eigen Herr. Hierauf erwischte ich meinen Stock und sagte: so mag dein Herr der ärgste Schelm sein; und mit diesen Worten schlug ich aus allen Kräften auf ihn zu, daß er lauter Luftsprünge tat, und in solcher Angst kein Wort mehr als Chaumigrem, aufbringen konnte. Hieraus merkte ich schon, in welcher Münze dieses Geld geschlagen war, ich stellte mich aber, als wüßte oder verstünde ich ihm nichts, und sagte bei Endigung dieses Stock-Balletts zu ihm: »Sage deinem Herrn, er sei wer er wolle, die Prinzessin wollte ihm durch den Henker antworten, und dich neben ihn aufknüpfen lassen.« Ich aber begab mich zu meinem Prinzen, wartete ihm auf, und stellte mich höchst betrübt an, dessen Ursache der Prinz auf vieles Fragen nicht erfahren konnte, bis er mir bei Vermeidung seiner Ungnade auferlegte, ich sollte es ihm entdecken. Darauf faßte ich einen Mut, und brachte es auf das bewegligste vor, wie mich einer von des Chaumigrem Leuten, den ich nicht gekennet, so schändlich betrogen, indem er mir einen Brief an die Prinzessin eingehändiget hätte, und weil ich nicht anders vermeinet, er würde in geheim von India kommen sein, weil sonst alle Posten von Siam geleget waren, so hätte ich ein angenehmes Botenbrot zu erhaschen verhofft, und erzählte ferner den ganzen Verlauf, mit angehängter Bitte, in solcher Unschuld mein gnädiger Herr zu sein und mich sotaner unverdienten Ungnade bei der Prinzessin zu entledigen. Weil ich nun auch in der höchsten Angst gleichwohl so bedächtig gewesen, und den Brief, welchen die Prinzessin weggeworfen, wieder aufgehoben[60] und eingestecket hatte; als übergab ich das unglückliche Papier meinem Prinzen, welcher mich sofort vor unschuldig hielt, weil der Titel in siammischer, der Inhalt aber in peguanischer Sprache gestellet war, und las er folgende Worte der Überschrift:


Der Durchlauchtigsten, unvergleichlichen Sonnen in Ava, Higvanama, Prinzessin des Großmächtigsten Königes, Dacosem, Beherrscherin der Liebe und einigem Leitsterne meiner Seelen. Cito.


Der Inhalt klappte ganz verwirret, und zwar dergestalt:


Schönste Prinzessin!


Ich weiß nicht, ob ich die Götter, als den Ursprung Ihrer überirdischen Schönheit, oder Dero angenehmen Geist, welcher mich durch anmutigste Gebärden versteinerte, die Quelle meines Jammers nennen, und mich über Ihre Grausamkeit beschweren soll. Ich will nicht gesund hier in meinem Siechenbette liegen, wo ich nicht bei Henkerholen geschworen hätte, als ich Sie im Garten lautenieren sahe, es wäre ein Gespenst, indem unmöglich solche Entzückungen von einem bloßen Menschen herrühren können. Prinzessin, ich will versinken, wo ich nicht von derselben Stunde an bei mir beschlossen, selbte mit meiner Liebe zu beseligen. Ich versichere Sie, daß Himmel und Hölle, meinen Vorsatz zu stören, viel zu ohnmächtig sind. Durch mich soll Ihr Haupt erhöhet und Sie glückselig werden. Sie befehle nur, schönster Rubin meines verliebten Herzens, welches von denen neuen, dem Reich Pegu unterworfenen Königreichen Ihr am besten anstehet, so will ich als ein Blitz mich dahin begeben, die Städte verbrennen, das Land verwüsten, und die Krone desselben Reiches zu Dero Füßen legen; denn ich versichere, ob zwar Venus mir im Gesichte sitzet, so herrschet doch Mars im Herzen. Ich liege hier als ein armer Wurm aus bloßem Erschrecken vor Dero verstelltem Eifer, mit welchem Sie mir bei erster von den Göttern versehenen Zusammenkunft im Garten so entsetzlich vorkam. Die Zuentbietung aber Ihrer Gnade und Versicherung Ihrer Liebe wird meine Gesundheit eher befördern als das stärkste Vomitiv der königlichen Leibärzte. Es reißet mich heftig im linken Schenkel, wobei sich auch ein Durchfall befindet; allein Ihre Huld kann mich heilen, und allen Schmerzen vertreiben. – Was den Willen Ihres[61] Königlichen Herrn und Vaters anbelanget, davor lassen Sie mich sorgen. Es wird ihm die höchste Freude und Ihr die größte Ehre sein, wenn man Sie eine Gemahlin des allgemeinen Erlösers und Siegesfürsten von Ava begrüßen wird. Adieu, meine künftige Vergnügung; und wo es nicht abzulegen, so wird Dero persönliche Besuchung in meiner Schwachheit vor ein sonderbares Liebeszeichen von mir erkennet werden.

Dero

liebenswürdiger

Chaumigrem.


Mein Prinz wußte nicht, ob er lachen oder sich hierüber erzürnen sollte, doch bezwang er sich insoweit, daß er in diese Worte herausbrach: »Es hat der Hochmut, Unverstand und Grobheit ein Verbündnis in diesem Menschen gemacht, das Reich Ava, mich und mein Fräulein Schwester aufs empfindlichste zu beleidigen. Weil es aber scheinet, es habe der Hochmut den höchsten Gipfel seiner Vollkommenheit erreichet, und Hoffart gemeiniglich vorm Fall kömmt, so lasse ich mich trösten, daß dessen Untergang vor der Türe ruhet, und dieser muß erfolgen, sollte er auch durch meine Hand befördert werden. Du aber, Scandor, bist unschuldig, und lasse es dir zur Warnung dienen, daß du bei Hofe nicht allem Vorgebrachten glaubest und trauest, viel weniger solches ohne genauste Untersuchung denen Höhern hinterbringest. Ich will inmittelst auf deine Aussöhnung bedacht sein, und kannst du mir nur in einer halben Stunde folgen, bis ich dich werde erfodern lassen.« Vor solche Gnade stattete ich verpflichtetsten Dank ab, und verharrete nach diesem bis zu der vom Prinzen anbefohlnen Zeit in dem Zimmer. Hier überlegte ich nun den ganzen Handel in meiner Einfalt, und ließ es mir zu sonderbarem Troste dienen, daß ich nicht der Ungeschickteste an unserm Hofe allein war, sondern an Unverstand und Unhöflichkeit von dem Königlichen Augapfel weit übertroffen wurde. Denn meine Staats-Faute rührte aus einer Unwissenheit, welche noch zu entschuldigen war, jene aber aus einem unverantwortlichen Hochmute her: und also hatte ich, wie im Ausreißen, also auch in der Unhöflichkeit einen treuen Kameraden an dem Chaumigrem. In solchen Gedanken war fast eine Stunde verflossen, da ich mich meines Prinzens Befehl erinnerte, aufs schleunigste nach Hofe zu eilen, allwo ich mit flüchtigem Gesichte erfahren mußte, daß bereits[62] einige Nachfrage nach mir geschehen wäre, welche auch indem wiederholet und ich in der Prinzessin Zimmer berufen ward, dahin ich mich mit zitterndem Fuße begab und bei dem ersten Hintritt mit einem kläglichen Fußfall um Verzeihung meines Fehlers anhielt. Die Prinzessin aber befahl mir mit diesen trostreichen Worten aufzustehen: »Es hat bereits Ihr Liebden der Prinz deine Unschuld mir sattsam vor Augen gestellet, als soll hiemit meine Ungnade gegen dich aufgehoben sein, jedoch mit ernster Verwarnung, dich künftig in Überantwortung solcher Briefe besser in acht zu nehmen, und zum wenigsten den Boten so lange anzuhalten, bis er wiederum gebührend abgefertiget werde.« Hier schüttete ich nun wiederum einen ganzen Sack voll Dankkomplimenten aus, die ich nach meinem Vermögen vor so hohen Personen zu verantworten getraute, und versicherte, ich hätte den schlimmen Boten, als ich ihn wieder angetroffen, dermaßen abgefertiget, daß sein Herr leichtlich hieraus würde abgenommen haben, wenn man den Sack schlüge, so meinte man den Esel. Indem nun mein Prinz, welchem ich vor so gnädige Vorsorge meiner Versöhnung demütigst die Hand küßte, der Prinzessin zu Gefallen noch einen und andern Einfall von mir herauslocken wollte, so ließ sich Mangostan, Oberkammerherr des Königs bei der Prinzessin als ein Abgeordneter von dero Herrn Vater anmelden, welcher alsobald vorgelassen und von der Prinzessin bei dem Eingange mit geziemender Anständigkeit empfangen ward. Und als dergleichen auch von dem Prinzen verrichtet war, brachte Mangostan sofort das königliche Ansinnen vor: Wie daß nämlich Königl. Maj. die Prinzessin könig- und väterlicher Gnade versichern ließe, welche sie auch um ein großes vermehren würde, wenn sie dem Chaumigrem, als welchem das ganze Königliche Haus hoch verpflichtet wäre, einen freien Zutritt und Besuchung erlauben wollte. Über welches die Prinzessin sich dermaßen entsetzte, daß sie etliche Schritte zurücke wich und mit etwas harter Stimme antwortete: »Wie nun? hat der König, mein Herr Vater, vergessen, daß ich eines Königs Tochter und eines Königlichen Erbprinzens versprochene Braut bin, und will er mir zu Schimpfe unsers hohen Hauses zumuten, mich mit einem solchen Schandfleck der Natur gemein zu machen, welcher vielmehr Schimpf als Ehre verdienet hat. Die Schlacht hat er durch Unerfahrenheit verloren, durch üble Aufsicht hat er das Reich seines Kronprinzens beraubet, und wo ja[63] Verräterei einiger Verbindlichkeit würdig ist, so hat man solches vielmehr seinem Bruder Xenimbrun, als ihm zu danken. Doch er habe sich so hoch verdient gemacht, als er wolle, so ist er doch noch lange nicht würdig genung, eine Königliche Prinzessin zu bedienen.« – »Durchlauchtigste Prinzessin«, widerredete Mangostan, »die königliche Gnade ersetzet dessen Unwürdigkeit.« – »Doch ohne Nachteil des Königlichen Hauses«, fuhr die Prinzessin fort, »ich frage Euch, mein Herr Mangostan, auf Euer Ehre und Pflichten, ob mir eine solche Erniedrigung anständig oder zu raten sei. Nicht zielet hier mein Absehen auf dessen Stand, als welcher an und vor sich selbst öfters ein würdiger Anfang zur Krone gewesen: Untugend aber kann auch den königlichen Thron erniedrigen. Und diese hat gleichsam ihren Sitz in dem Chaumigrem erwählet, in ihm, sage ich, halten alle Laster ihre gewöhnliche Zusammenkunft, wie solches der ganze Hof, ich will nicht sagen, das ganze Reich, einhellig bezeugen würde, wo anders ohne Scheu dürfte geredet werden. Daß sich nun I.M. mein Herr Vater, ich weiß nicht wodurch, die Augen verblenden lassen, das ist Mitleidens würdig: daß aber sehende Augen auch verdunkelt werden sollen, solches ist Jammerns wert und läuft wider meine Natur. Endlich so sei auch Chaumigrem, wer er wolle, ich will ihn in unverdienten Würden lassen, so ist es doch gemeinem Frauenzimmer eine unanständige und nachteilige Sache, wenn sie, indem die rechte versprochen, mit der linken Hand fremde Besuchungen annehmen. Nun aber werden die Finsternissen der Sonnen viel genauer durch das Fernglas der politischen Welt bemerket, als etwan eines gemeinen Sterns: wieviel mehr würde diese verhaßte Gemeinschaft von mir im ganzen Reiche beredet, und durch das geschwätzige Gerüchte mit vielen Vermehrungen meinem verlobten Prinzen zu Ohren gebracht werden. Als wollet ihr nur I.M. meinen kindlichen Gruß und Respekt vermelden, und selbten zugleich untertänigst ersuchen, die Ehre seines Kindes dem Verlangen eines Fremden nicht nachzusetzen, sondern vielmehr mir von dergleichen väterlich abzuraten.« – »Daß diese Antwort«, sagte Mangostan hierauf, »eine falsche Auslegung einigen Ungehorsams bei Dero Herrn Vater verursachen möchte, solches befürchte ich gar sehr. Sollte es aber in Gnaden vermerket werden, so wäre wohl unmaßgeblich zu raten, man ließe bei sotaner Beschaffenheit eine Verstellung die eigenen Affekten in etwas beherrschen[64] und erlaubte, dem Befehl des Herrn Vaters zu Ehren, eine kurze Besuchung; welche doch so eingerichtet werden könnte, daß Chaumigrem solche nicht mehr verlangen würde, wenn er weniger Vergnügen, als er suchet, gefunden hätte.« – »Und kein verständiger Mensch«, redete hier mein Prinz ein, »wird Euch in keinem Verdacht einiger Gewogenheit gegen dem Chaumigrem haben, welcher dessen Gestalt, Tun und Wesen nur in etwas weiß.« Hierüber schien die Prinzessin etwas besänftiget zu sein und sagte: »Wer Tugend liebt, der muß auch den falschen Schein der Laster meiden: kann ich aber hierdurch I.M. dem Herrn Vater einigen Gefallen erweisen, und mein geliebter Herr Bruder will mir hierin treulichst raten, so soll dem verhaßten Menschen eine kurze Gegenwart erlaubet sein.« Nach welcher Einwilligung Mangostan sofort seinen Abschied und Abtritt nahm, die Prinzessin aber fiel meinem Prinzen beweglich um den Hals und sagte: »Sehet, allerwertester Herr Bruder, in was vor Hochachtung Eure Person bei mir beruhet, daß ein bloßes Einreden mehr bei mir gilt als ein königlicher Befehl. Denn bloß Eurem Einrat gemäß habe ich solche gefährliche Besuchung nachgegeben; ich lebe aber der schwesterlichen Zuversicht, es werde mich Prinz Balacin nicht verlassen, sondern unvermerkt von allem dem, was bei dieser gezwungenen Zusammenkunft vorgehen möchte, ein gegenwärtiger Zeuge sein.« Mein Prinz antwortete mit sonderbarer Bewegung: »Liebste Schwester, wisset, daß mein Leben an Eurer Seele hanget, und daß meine Ehre und Euer Ruhm genau zusammen verknüpfet sind; dannenhero versichere ich, daß ich ganz gerne diesem beiwohnen wollte, wenn ich nicht befürchtete, er dürfte meine Abwesenheit mit in die Bedingungen setzen wollen.« – »Daß sich Chaumigrem hierüber nicht zu beschweren habe«, widerredete die Prinzessin, »so sollen diese Tapeten verhindern, daß er Euch nicht sehen könne. Sollte ich mich aber von seiner bekannten Unhöflichkeit allzu sehr beleidiget finden, so wird mein geliebtester Bruder bei Anhörung des Wortes ›es ist genung‹ vernehmen können, wie nötig dessen Gegenwart und die Verstörung unsers Gesprächs sei.« – »Ich gehorsame als ein treuer Bruder«, antwortete der Prinz, »und verpflichte mich durch dieses brüderliche Zeichen eines ungefärbten Herzens.« Worauf sie mit diesem Verlaß, daß des Chaumigrems Ankunft beizeiten sollte verständiget werden, einander küssende verließen. Als wir unser Zimmer beschritten, mußte ich von meinem[65] Prinzen eine strafende Lehre annehmen, daß es sich nämlich nicht gezieme, bei den Höhern sich lange aufzuhalten, wenn sie in einen und andern notwendigen Unterredungen begriffen wären, sondern gebührenden Abtritt zu nehmen: es würde sich auch solche Erklärung dieses Hofe-Texts um ein ziemliches verlängert haben, wenn nicht unterschiedliche Vornehme des Hofes ihre Aufwartung bei dem Prinzen abgeleget hätten; bei derer Ankunft ich alsobald nach des Prinzens Lehre meinen Abtritt nehmen wollte, er rufte mich aber zurücke und erinnerte mich, ich sollte meinen Gehorsam bis zu nötiger Zeit versparen. Hier erfuhr ich nun den Zustand des Chaumigrems umständlich, und wie er von dem Könige selbst besuchet worden, welches gewiß eine solche Gnade, daß sie ihm wegen seiner Unwürdigkeit von jedweden mußte mißgönnet werden. Bei dieser Besuchung nun hat sich der listige Fuchs sehr krank angestellt, und mit vielen Worten bezeuget, wie er viel geruhiger sterben wollte, wenn er nur dem Könige noch einige angenehme Dienste erweisen, und seinen Vorsatz bewerkstelligen könnte, indem er sich feste vorgesetzet, einige tausend Mann bei I.M. auszubitten, und bei itziger Verwirrung in Pegu in das Reich Andesa einzufallen, selbtes wegen heimlichen Verständnisses leicht zu erobern, und dessen Krone zu freier Willkür I.M. zu überliefern. Solches waren nun dem Könige heftige Stacheln des Ehrgeizes gewesen, daß er hierüber ganz vergnügt den Chaumigrem umarmet, und mit diesen verpflichteten Worten den Zweck seines Verlangens berühret hat. »Allerwertester Chaumigrem, einige Grundsäule dieses Reichs, nimmermehr werden die gütigen Götter dieses zulassen, daß ich eines solchen Freundes durch den Tod sollte beraubet werden, an welchem der Ruhm meiner Krone hanget. Ich bitte Euch um des Gottes der Ewigkeit willen, entdecket mir Euern Gemütskummer, damit selbter geheilet und der Leib erhalten werde. Ich schwere Euch bei dem Gott der tausend Götter, die Hälfte meines Reichs soll zu Eurer Arznei angewendet werden. Lasset Euch derowegen raten und helfen, werdet gesund, vollführet Euer tapferes Vorhaben, und versichert Euch, daß ich mich alsdenn um ein kronenwürdiges Gemahl vor Euch bewerben will.« Hierdurch wurde Chaumigrem dermaßen gerühret, daß er ganz außer sich selbst war, und durch viele Ermunterungen des Königes kaum konnte dazu gebracht werden, daß er mit tiefen Seufzen herausbrach: »Ach wäre[66] ich mit dieser Hoffnung beseliget, ich dürfte mit versicherter Gunst einer kronwürdigen Gemahlin meinen Säbel ausziehen und mir eine Krone erobern, so wäre mein Gemüte beruhiget, und meine Tapferkeit sollte mich ihrer bald würdig machen.« Diese dunkele Worte konnten dem Könige noch keinen Verstand eröffnen, weswegen er denn begierigst nachforschte: »Wie? tapferer Chaumigrem, ist etwan eine verborgene Liebe, die Euer Gemüte fesselt; entdecket sie uns ungescheuet, es soll Euch geraten werden, und sollte alle Welt ihre Hülfe versagen.« Chaumigrem sahe den König sehnlichst an, und sagte mit schwacher Stimme: »Ach! Ihr. Majest. zwingen mich nicht hierzu, indem Sie selbsten mir diejenige Arznei versagen werden, die mich bloß dem Tode entreißen kann.« Der König saß hierüber in bestürzten Gedanken, und wußte nicht, ob er schweigen, oder ob er in seinem Anhalten fortfahren sollte? Endlich brach er in diese nachdrückliche Worte heraus: »Chaumigrem entdecket Euer Anliegen! Euch soll geholfen werden, und sollte auch mein Kind zum Opfer dienen.« Diese Rede stürzte den Chaumigrem von dem Lager zu des Königs Füßen, welche er umfaßte und mit innigstem Seufzen diese Worte entfallen ließ: »Ach, gnädigster Herr, mein Blut ist viel zu wenig, ein solches gnädiges Anerbieten auch nur im geringsten dankbar zu erkennen. I.M. sind der rechte Arzt, und aus ihrem geheiligten Munde fleußt die rechte Arznei meiner Seelen. Higvanama, ach! Higvanama, ist die Feindin meiner Ruhe, in ihren Augen ruhet mein Tod und Leben. Großmächtigster König und Herr, ich genieße unwürdigst Dero überflüssige Gnade; allein ohne der Prinzessin Gunst ist mir dieser Zucker nur Galle, und Dero versagte Huld wird mich bald aus I.M. Augen rücken. Derowegen hanget mein Wohl und Weh an I.M. Lippen, Sie bitten, ermahnen, Sie befehlen, so wird Higvanama, will sie anders den Ruhm kindlichen Gehorsams haben, folgen, und mich in das Paradies erwünschter Vergnügung versetzen.« Bei dieser Entdeckung ließ der König einige Bestürzung merken, demnach hub er den Chaumigrem sanfte von der Erden und sagte zu ihm: »Ihr begehret etwas Hartes, trauter Chaumigrem, ja Ihr verlanget etwas, welches in meinen Kräften nicht mehr stehet. Higvanama ist nicht mehr in dem Zustande, worinnen sie ihr Herze einem andern schenken könne: mit einem Worte, Higvanama ist eine verlobte Braut des Prinzen von Siam.« – »Wie? gnädigster König und Herr«, redete hier[67] Chaumigrem ein, »wollten Sie wohl ein so wertes Kind Ihrem Feinde gönnen? Stehet nicht Siam mit Pegu im Bunde und sollten nicht viel tausend Siammer unter des Xemindo Anführung wider I.M. Wohlfahrt gestritten haben? Solches ist von einer königlichen Weisheit nicht zu vermuten.« »Chaumigrem hat recht«, widerredete der König, »allein durch jener Bund lässet Higvanama ihren Bund nicht brechen.« – »Hierzu lassen Sie mich raten«, antwortete Chaumigrem, »und befehlen nur vermöge könig- und väterlicher Gewalt, daß mir bei der Prinzessin ein freier Zutritt erlaubet werde, so will ich bald erweisen, daß das leichtsinnige Frauenzimmer entferntes Metall nicht achte, wenn sie nahes Gold merken. Und alsdenn nach erworbener Gunst soll Higvanama nicht eher mein Lager betreten, sie habe denn zuvor einen königlichen Thron bestiegen.« – »Es sei also«, endigte der König diese Besuchung, »bemühet Euch besten Fleißes, sie zu gewinnen, an meiner Gnade und Einwilligung soll nichts ermangeln.« Worauf er bemeldten Mangostan sofort befehlichet hatte, der Prinzessin das Vorerzählte zu hinterbringen. Wenig Tage darauf erhielt mein Prinz durch eigene Post unterschiedene Briefe aus Siam von dem Prinzen Nherandi, welchem zugleich ein mit güldenem Leder überzogenes Paquet beigefüget und die Überschrift an die Prinzessin Higvanama gestellet war. Hierdurch ward mein Prinz höchlich erfreuet, weil er wohl wußte, was vor ungemeine Freude er bei seinem inniggeliebten Fräulein erwecken würde. Er schickte mich sofort nach der Prinzessin, um ihr seine Ankunft zu hinterbringen, welche sich im Garten finden und den Prinzen dahin ersuchen ließ. Weil nun mein Prinz keinen Zeugen dieser Zusammenkunft verlangete, so nahm er mich, als seinen unwürdigstvertrauten Diener, nur allein mit sich und verfügte sich alsobald in den Garten, woselbst ihn die Prinzessin mit einem dermaßen anmutigen Kusse bewillkommete, daß mir auch nur durch bloßes Gedenken der Mund voll Wasser läuft. Denn gewiß, ihre Schönheit hatte sich an diesem Tage um ein hohes vermehret, gleichsam als ob ihr die angenehme Zeitung von ihrem Prinzen ahnte. Sie hatte sich in Grün und Silber gekleidet, und waren jederzeit die schwarzen Locken mit Diamanten reichlich durchflochten: also daß ihre Pracht einen ungemeinen Wettstreit mit dero blitzenden Augen verursachten. In summa, dergleichen Schönheit war mir damals noch nie vorgekommen, daß ich öfters dem Chaumigrem recht gab,[68] wann nur auch seinerseits etwas Würdiges wäre vorhanden gewesen. Allein wieder auf ihre Person zu kommen, so merkte sie bald aus des Prinzens munterm Gesichte, daß sein Herze etwas Angenehmes vorzubringen hätte, derowegen ihr erstes Nachforschen war, was den Prinzen zu solchem muntern Wesen veranlassen möchte. Welches er mit lachendem Munde beantwortete: »Ein Postillon der Liebe wird ja nicht sauer aussehen.« – »Was vor ein Postillon?« fragte die Prinzessin ganz begierig, »ich vermeine nicht, daß Scandor sich wieder wird einen Brief haben einschwatzen lassen.« – »Nein, meine Herzensschwester«, widerredete der Prinz, »sondern Ihr sollt Eure Liebe verändern.« – »Was? verändern?« antwortete sie ängstig; »nicht eher, bis die Götter mein Leben in den Tod verwandeln.« – »Chaumigrem«, wollte der Prinz fortfahren. »Was, Chaumigrem?« fiel ihm die Prinzessin in die Rede; »quälet mich ja nicht mit diesem ewig verhasseten Namen, sondern entdecket doch, worinnen die Veränderung meiner Liebe bestehen soll.« – »Hierinnen soll sie bestehen«, antwortete der Prinz, »daß sich Eure zweifelhafte Furcht in gewisse Zuversicht verwandeln, und die Versicherung des Geliebten Euch hierzu verbinden soll.« – »Ach wertester Bruder«, bat sie seufzende, »quälet doch mein vorhin geplagtes Gemüte nicht ferner, sondern erkläret mir Eure dunkele Reden, welche mich mehr verwirren als unterrichten.« Auf welches bewegliche Ersuchen sich mein Prinz nicht länger enthalten kunnte, ihr das vergüldete Paquetgen, welches ich unter meinem langen Oberrocke verborgen trug, zu überreichen: Welches bei Lesung der Überschrift eine solche Bestürzung und Freude in ihr verursachte, daß die Farbe der Wangen sich nach der Stirn zogen, und also dem ganzen Gesichte eine angenehme Röte verursachte. Endlich erbrach sie das völlige Paquet mit bebender Hand und las zuvörderst folgende Zeilen ab:


Durchlauchtigste Prinzessin!


Die höchste Freude, schönste Higvanama! so mir Zeit meines Lebens begegnet, ist, daß ich Sie gesehen: Die tiefste Traurigkeit aber, daß ich Sie nicht mehr sehe. Zu Ava ist alle meine Lust verblieben, statt deren ich hier in India tausend Verdruß erdulden und empfindlichst empfinden muß, wie der schmerzliche Verlust einer angenehmen Sache die Freude einer steten Gegenwart weit übertreffe. Jedoch versichere ich,[69] daß ein einiger Gedanken an Sie mir mehr Anmut weder alles Unglück in der Welt Betrübnis zufügen könne. Ja eben die jetzige Stunde, da mich Ihre Abwesenheit kränket, wollte ich mit den allerzärtsten Schoßkindern des Glückes nicht vertauschen. Diese beherzte Entschließung, bei so wichtiger Ursache zu trauren, überredet mich, daß Ihre Rede nicht falsch gewesen, als Sie sagte: Sie hätte mir Ihr Herz gegeben. Denn gewiß, daferne ich kein anders als das meinige hätte, würden mich so viel widrige Anstöße leicht überwinden. Sonder Einbuße der Wahrheit: Es ist wohl ein seltsamer Zufall, an einer einzigen Person, alles, was die Welt Schönes hat, antreffen, dieselbe zugleich schauen und liebgewinnen: ihrer auch ja sobald, als man in ihre Liebe kommen, wiederum verlustig werden. In gleichem Augenblicke sein Glücke lachen und weinen, scheinen und verschwinden sehen und in solcher Zeitkürze beides zu jauchzen und klagen befugt sein. Dieses sind die Gedanken, womit ich die schmerzende Abwesenheit mir etlichermaßen versüße, und herzlich wünsche, durch Dero englische Gegenwart alles Andenkens überhoben zu sein. Inmittelst wird die unschätzbare Higvanama ihre beschworene Treue ebenfalls auf den Fels der Beständigkeit gebauet haben, als wie ich seeleninnigst versichere, daß ich sei bis in die Gruft Dero ewiggetreuester

Nherandi, Prinz von Siam.


Durch welche Versicherungen sich dieses glückselige Blatt unzählige Küsse von diesem schönen Munde zuzog, und ward ihr Vergnügen um ein merkliches vermehret, als ihr der Prinz, welcher indessen das Paquet durchsuchte, eine darinnen gefundene Arie überreichte, welche sie, weiln deren Melodie darzu gesetzet war, mit entzückender Stimme folgendergestalt zu meines Prinzens sonderbarer Vergnügung absange:


1.

Mein Schicksal nähret mich mit Flammen,

Und raubt das Öl der reinen Glut,

Es will mich sonder Schuld verdammen,

Und presset manche Perlenflut

Aus dem entfernten Augenpaar,

Das mir ein Brand und dir ein Zunder war.[70]


2.

Der Himmel scheint mir selbst zuwider,

Ob gleich sein Einfluß mich beseelt,

Er leget meine Hoffnung nieder

Und hat den Schmerzen mir verhehlt.

Der auf so zuckersüße Lust,

Ganz unverdient quält mein und deine Brust.


3.

Was sonsten Aug und Ohr entzücket,

Der Anmut holder Liebesscherz,

Bleibt wohl von mir unangeblicket,

Es glänzt mein Stern nur nordenwärts.

Solang ich dessen bin beraubt,

Hab ich dem Herzen keine Lust erlaubt.


4.

Will ich in Wäldern mich bemühen,

Zu suchen meiner Seelen Ruh,

So seh ich deinen Namen blühen:

Es winkt mir Higvanama zu,

Und ist den Bäumen eingeprägt,

Durch meine Hand wird dieser Schmerz erregt.


5.

Das schnelle Rauschen heller Flüsse,

Hat meinen Geist zwar oft ergötzt,

Itzt mehrt es nur die Tränengüsse,

Wenn meinen Fuß das Ufer netzt,

Es ruft der Wiesen bunter Klee:

Entfernung bringt Verliebten größtes Weh.


6.

Indessen soll mich ewig zieren

Die Krone der Beständigkeit.

Man soll der Palmen Wachstum spüren,

Durch schwere Last entfernter Zeit.

Und meine Grabschrift soll dies Sein:

Die reinste Glut bedecket dieser Stein.


Nach abgesungener Arie zog der Prinz ein güldenes mit großen Perlen gleichsam überschneietes Schmuckkästgen hervor, welches die Prinzessin wegen verborgener Kunsteröffnung kaum aufzumachen wußte, bis ein großer Saphir,[71] welcher unter den Perlen hervorspielete, sanfte geschoben ward, da das Kästgen zu ihrem großen Erschrecken jähling aufsprang, und ihr erlaubte, ein paar Armbänder mit wunder-spielenden Diamanten herauszunehmen, nebst einem peguanischen Hauptschmucke, dessen Blitz und Pracht fast königliche Würde zu übertreffen schiene. Was aber der Prinzessin am angenehmsten war, das war des Prinzen von Siam Bildnis in einer mit kostbaren Diamanten versetzten Kapsul, welche auf beiden Seiten sehr artig geätzet, und auf dem Deckel dieses Sinnenbild vorgestellet war: Es zeigte sich bei trüber Nacht eine Sonnenwende, welche ihren Blumenkopf nach der Erden hing, über ihr ließ sich durch die Wolken ein Stern blicken, nebst dieser Überschrift:

Ich hasse fremdes Licht.

Außerhalb an den Boden aber hatte des Künstlers Hand einen fliegenden Pfeil vorgebildet, welcher sich gleichsam vor Müdigkeit nach der Erden senkete, mit dieser Beischrift:

Weil mir das Ziel gebricht.

Als nun dieses alles von der Prinzessin eine geraume Zeit ganz entzückt betrachtet worden, brach sie endlich in diese Worte heraus:

»Treuester Nherandi, wertester Prinz! verzeihe mir das bisweilen geschöpfte Mißtrauen wegen deiner beständigen Liebe, worzu mich dein so langes Stillschweigen veranlasset. Doch wen die Liebe mit gleichen Fesseln beleget hat, der wird wissen, wie die größte Furcht mit der treuesten Liebe verbunden sein. Die Götter wissen es, mit was Sorgen ich die Ruhe gesuchet, und mit was Kummer ich jederzeit das Licht der Sonnen aufgehen gesehen.« – »Ihr seid allzu besorgt gewesen«, redete hier der Prinz ein, »indem die beschuldigte Wankelmut sich mehr bei dem Frauenzimmer als denen standhaften Mannsbildern verspüren läßt. Und hätte Prinz Nherandi mit mehrerm Recht einiges Mißtrauen schöpfen können, dessen er doch mit keinem Worte gedenkt.« – »Ach schweiget, Herzensbruder«, antwortete die Prinzessin, »das Frauenzimmer und die Liebe ist ein zartes Wesen, und wollen auch dahero zärtlich mit sich umgegangen wissen. Was aber zart ist, das erfordert desto mehr Aufsicht, auch sich vor dem geringsten Fehler zu hüten, ja ich wollte sonder Mühe behaupten, daß das Frauenzimmer im Lieben viel vollkommener sei als das männliche Geschlechte. Denn ein Mannsbild bildet sich ein, es sei ihm in der Ferne alles erlaubet, und[72] achtet sich eine Sonne zu sein, von welcher auch andere Sterne ohne einige Verminderung Licht und Vergnügung schöpfen könnten. Ein Frauenbild hingegen bemühet sich auch in der Ferne, durch einsames Wesen erst recht beliebt bei dem Geliebten zu machen, und achtet jeden Blick vor einen Ehebruch. Ja wenn ein leichtsinniges Mannsherz abwesende seinen Hunger auf fremden Lippen sättiget, so lassen wir indessen unsere Seelen Durst leiden, da es doch ihnen ebenso wohl anstünde, daß sie solche unberührte Lippen, wie sie von denen hinterlassenen Liebsten erfordern, mit zurücke brächten. Und weil dieses eine allgemeine und bekannte Sache ist, so ist uns ein sorgsamer Argwohn nicht zu verdenken.« – »Ich gebe es zu«, antwortete der Prinz, »daß des Frauenzimmers Geblüte mit mehr Flammen begeistert und dahero desto verliebter.« – »Nicht verliebter, mein Bruder«, fiel ihm hier Higvanama in die Rede, »sondern nur reiner und vollkommener in der Liebe. Denn wie die Liebe einen Unterscheid kennet, und sich gleichsam in zwo Straßen teilet, deren eine zur Tugend, die andere aber zur Unreinigkeit und Lastern leitet. Also gebe ich es gar gerne zu, daß wir auf der erstern etwas emsiger fortwandeln. Denn die Liebe ist eine Schwachheit des Gemütes, und also von schwachen Werkzeugen keine Stärke zu vermuten. Inzwischen bestehet doch unser Ruhm hierinnen, daß wir eher fähig sind, uns der Lasterstraße zu entschlagen, als die Mannsbilder, deren sich fast keiner rühmen kann, daß er nie die verbotenen Wege der Liebe gewandelt habe.« – »Den Unterscheid der Liebe«, beantwortete mein Prinz, »wisset Ihr sehr wohl zu nennen, aber der Unterscheid der Liebhabenden wird gar hintan gesetzet. Denn sowenig dies letztere von den Männern ein gewisser Schluß ist, sowenig wird man sich bereden lassen, es sei jedwes Frauenzimmer sonnenrein, da sie doch jederzeit dem Monden zu vergleichen sei, welchem von den Sternkündigern viel Flecken beigeleget werden. Ja es ließe sich dieser Satz gar leichte durch häufige Exempel umstoßen, wenn nicht das geschwätzige Gerüchte auch öfters in der Prinzen Cabinete nachfolgte. Man schauet ja hin und wieder viel schöne Bilder, welche der Himmel mit sattsamen Verstande begabet, daß sie die Liebe wohl zu unterscheiden wissen: dennoch siehet man sie viel begieriger den Nebenweg der Liebe laufen, als jemals ein Mann tun kann. Wer locket aber die unschuldigen Männerherzen mehr auf solchen Weg, als eben diese Sirenen? Und kann man also das[73] Frauenzimmer nicht so gar engelrein abbilden, als sie es haben wollen, und sich vorstellen.« – »Bei den Rosen sind Dornen«, fing die Prinzessin hierauf an, »ja auch die Sternen sind nicht von gestirnten Mißgeburten befreiet: Wie sollten sich nicht auch öfters Teufel denen reinen Geistern beigesellen und vor Engel ausgeben. So auch alle engelrein wären, so würde Keuschheit keine seltsame Tugend, sondern ein gemeines Wesen genennet werden. Freilich ist es zu beklagen, ja mit blutigen Tränen zu beweinen, daß unser asiatisches Frauenzimmer fast mehr Kometen als reine Sterne blicken lässet; da eine bereits durch das Band der Liebe gebundene Venus den Wechsel dermaßen liebet, daß öfters die sämtlichen Planeten nicht gnugsam sind, sie durch ihren Einfluß zu stillen. Und brennet ja noch wo ein reines Licht, welches sich keine Lasterwolke will schwärzen lassen, so heißen dessen Strahlen einfältig, und muß öfters von den andern einen verdrießlichen Gegenschein erdulden. Wenn aber ein solcher Stern Raum und Gelegenheit bekommt, mit den Strahlen reiner Liebe zu spielen, alsdenn ist meine Meinung erfüllet, daß dessen Glanz und Beständigkeit viel heftiger, reiner und vollkommener sei als des vornehmsten Planetens der wechselliebenden Mannsbilder.« – »Ich muß«, erwiderte der Prinz, »Beifall geben, weil meine Meinung auch vor bekannt angenommen wird; und schließe selbst, daß ein tugendhaftes Frauenzimmer die reine Pflicht der Liebe viel genauer beobachtet als einig Mannsbild, weiln sich solche jederzeit mehr Freiheit anmaßen. Indessen verbeut uns die Ermangelung eines unparteiischen Richters fernern Streit, es wäre denn, daß Scandor durch kurze Eröffnung seiner Gedanken den Ausschlag der Sachen täte.« – »Gnädigster Herr«, fielen meine Worte, »bei dieser Materie haben die Gedanken mehr Freiheit als die Worte, daß es also viel sicherer ist, zu schweigen, als sich bei dem rachgierigen Frauenzimmer durch unzeitiges Urteilen in verhaßte Gefahr zu setzen. Zudem bin ich so alber, daß ich die Liebe nur nach ihrem Namen, nicht aber nach ihrem Wesen kenne. Ja sie würde mir ganz unbekannt sein, wenn ich nicht die kurze Zeit, in welcher ich Dero hohe Gnade genossen, solche Dinge gesehen, daß ich nicht weiß, ob man die Liebe einen Engel oder eine Mißgeburt nennen soll.« – »Die einfältige Wahrheit ist die beste«, redete mir die Prinzessin ein, »so rede demnach deines Herzens Meinung ohne einige Besorgung, von dem Unterschied der Liebe.« – »Durchlauchtigste[74] Prinzessin«, erwiderte ich, »Sie haben diese wichtige Sache schon dermaßen wohl entschieden, daß mein geringes Erachten ein tadelhafter Überfluß sein würde. Damit ich aber nicht einiges Ungehorsams dürfte bezüchtiget werden, so gestehe ich gar gerne, daß ich keiner andern Meinung bisher gewesen, als die Liebe sei ein vollkommenes Laster, weil ich aller Orten keine andere Wirkung verspüret, als daß sie lediges Frauenzimmer vor der Zeit in Ehestand gebracht, oder auch verheiratete Personen dahin veranlasset, daß sie stets bemühet gewesen, eines dem andern ein härmicht Schmach-Altar aufzubauen, und dergleichen tausendfältige Greuel mehr, welche auch von der Einfalt selbst verfluchet werden. Wenn ich nun nachgefraget, wo solches alles herrühre, so ist mir geantwortet worden: Von der Liebe. Ja diese Liebe hat sogar eine neue Sprache erfunden, wie die Beutelschneider, denn wenn ich sahe, wie öfters sich die Lippen verirreten, und nach fremder Luft schnappeten, oder wie man durch Winken, Händedrücken, auch wohl gar durch brünstiges Umfangen einander Geheimnisse offenbarete, so nennete man dies Freundlichkeit, wohlanständige Gebärden; welche sich aber dessen enthielten, die wurden einfältig und unverständig genennet; ja was die Priester unserer Götter öffentlich vor Ehebruch schelten, das wird durchgehends eine Galanterie geheißen. In summa, die Liebe wäre mir ewig verhaßt geblieben, wenn ich nicht an Ihrer Hoheit nunmehr den Unterschied selber bemerken könnte, wie rein und unverfälscht ihr Liebes-Weihrauch, welchen Sie Ihrem Prinzen angezündet haben, gegen den andern häßlichen Brunst-Opfern hervorleuchte.« Ich wäre hierinnen fortgefahren, wann nicht ein Gärtner eilend wäre gelaufen kommen, und die verdrüßliche Ankunft des Chaumigrems angekündiget hätte, wie er alsobald unangemeldet seinen Eintritt in den Garten nehmen wollen, weilen er in den Gedanken stehe, die Prinzessin abermals allein anzutreffen. Solches aber habe der Gärtner durch Schließung des Gartentores verhindert, und solches zuvor gehorsamst hinterbringen wollen. So hoch nun die Prinzessin zuvor erfreuet und vergnüget war, so bestürzt schiene sie hierüber zu sein, daß sie sich fast anfangs nicht erholen kunnte, endlich meinen Prinzen ersuchte, ihr zu raten, ob sie ihrer widrigen Neigung folgen, und ihm allen Zutritt verwehren, oder dem königlichen Befehl nachleben, und seine verhaßte Gegenwart auf kurze Zeit vertragen sollte. Mein[75] Prinz aber riet ihr, sich einer klugen Verstellung anzumaßen, durch kaltsinniges Bezeigen ihn von fernerer Besuchung abzuschrecken, und also dem Willen des Königlichen Herrn Vaters ein Genügen zu tun. »Allein wird nicht hierdurch«, wendete die Prinzessin vor, »mein Prinz abwesend beleidiget?« – »Mitnichten«, antwortete der Prinz, »sondern Ihr werdet vielmehr hiedurch zuwege bringen, daß auch die Feinde von Eurer Beständigkeit werden zeugen, und Eure Liebe rühmen müssen.« – »So sei es denn«, entschloß sie sich hierauf, »immittelst werde ich mich auf den Beistand eines tapfern Prinzens und treuen Bruders zu verlassen wissen, wenn ja der unverschämte Mensch die Grenzen gebührender Ehrerbietung überschreiten wollte, denn man weiß nicht, worzu einen der Hochmut öfters verleitet. Auf derowegen mein Geist! und hilf mir sowohl dieses Untier bestreiten, als auch den Sturm verhaßten Anbringens ritterlich abschlagen. Du aber«, befahl sie dem Gärtner, »eröffne das Tor, und vermelde unsere Einsamkeit.« Worauf sich der Prinz nebst mir in eine dichtbelaubte Galerie begab, die Prinzessin aber verfügte sich nach einem Springbrunnen, welcher unferne von uns spielte, so, daß wir nicht allein die Gebärden genau bemerken, sondern auch ihre Worte wohl verstehen konnten. Das übrige Frauenzimmer ward, wie zuvor, befehlichet, ihre Vergnügung bei den Blumen zu suchen. Nach weniger Zeit sahen wir den Chaumigrem mit hohen Tritten seinen Eintritt nehmen, da er sich denn alsbald nach der Prinzessin wendete, und sich derselben mit solcher Ehrerbietung nahte, daß es schien, als ob er mit der Nase an die Erde gewachsen wäre, weil jedweder Schritt mit einer tiefen Neigung begleitet wurde. Die Prinzessin aber hatte sich auf den Fuß des Springbrunnens gesetzet, und stellte sich, als ob sich ihre Gedanken in das Lustspiel der springenden Flut dermaßen vertiefet hätten, daß sie sonst nichts mehr beobachten könnte; deswegen sie den Kopf auf ihren Arm lehnte, und ganz unbeweglich sitzen blieb, ob sich gleich Chaumigrem dermaßen genähert hatte, daß er sie auch allbereit anzureden begunnte. Da wir denn das Gespräche folgendergestalt gar wohl vernehmen konnten, und zwar waren dieses des Chaumigrems erste Worte: »Wie so einsam und betrübt, schönste Prinzessin?« – »Wer von vergnügten Gedanken begleitet wird«, antwortete sie hierauf, »der ist nicht einsam, und die Vergnügung verstattet keine Traurigkeit.« – »Dennoch«, erwiderte er, »lässet[76] sich einiges Betrübnis gar deutlich aus Dero englischem Angesichte lesen.« – »Wo ja«, sagte sie, »einiges Betrübnis vorhanden, so wird die Ursache billig dem zugeschrieben werden, welcher mich in solchen angenehmen Gedanken verstöret.« Chaumigrem fuhr fort: »Das wollen die Götter nicht, daß ich ein Zerstörer der Anmut sein sollte; vielmehr wollte ich wünschen, daß ich sotane vergnügte Gedanken verursachen, und mich in Dero verliebtes Andenken einschließen könnte.« Higvanama erwiderte: »Weil keine Vergnügung so vollkommen ist, welche nicht von einiger Unlust begleitet werde, so kann Er leicht auch in meine Gedanken kommen.« Chaumigrem gab zurücke: »Solches wird mich mehr vergnügen, als ein Paradies, und solches Andenken übertrifft die Hoheit des Himmels.« Hier hätte sich mein Prinz fast durch Lachen verraten, indem die verliebte Einfalt nicht verstund, wohin die Unlust zielte. Immittelst fuhr Chaumigrem fort: »Es wird aber, schönste Prinzessin, meine untertänigste Aufwartung nicht übel gedeutet werden, wenn ich vor allen andern, als ein genau verbundner Freund und Diener dieses Hofs, zu allererst mein sonderbares Beileid wegen des Unfalls, welcher Dero hohe Person am meisten betrifft, schuldigst zu bezeugen, bemühet lebe.« – »Was vor einen Unfall?« fragete die Prinzessin ganz begierig: »Ich will nicht hoffen, daß der Herr Graf noch darzu ein Unglücksbote sein wird.« – »Ehe ich der erste Anbringer«, erwiderte Chaumigrem, »eines noch unbewußten Trauerfalls sein wollte, so will ich lieber schweigen, und diese verhaßte Zeitung zu überbringen, einem andern gönnen.« – »Hierdurch aber«, hörten wir die Prinzessin reden, »werde ich um so viel mehr beleidiget, nachdem ich durch Selbten in kummerhaften Zweifel, und durch dessen nunmehro unzeitiges Stillschweigen in sorgsame Ungewißheit versetzet werde.« – »So soll Dero Befehl«, antwortete Chaumigrem, »gehorsamst vollzogen werden, wenn ich durch denselben gezwungen berichte, wie vor zweien Tagen ein Kurier aus Siam die betrübte Zeitung von tödlichem Hintritt des tapfern Prinzens Nherandi gebracht, und hierdurch sowohl Dero Königl. Herr Vater als auch der ganze Hof in sonderbares Leidwesen gestürzet worden.« – »Und dieses«, fragte die Prinzessin mit flüchtigen Augen und erblaßten Lippen, »sollte mir mein Herr Vater verschwiegen haben?« – »Solches wird I.M.«, hörten wir Chaumigrem erwidern, »klüglich verbergen und zu gelegener Zeit erst hinterbringen wollen,[77] damit Dero Gemüt durch allzu geschwinde Nachricht nicht zu heftig betrübt werde. Ich beklage mein Unglück, daß ich solche Vorsichtigkeit unterbrechen und der erste Trauerbote sein müssen, welches Dero strenger Befehl verursachet hat. Inmittelst, weil ich weiß, daß durch diesen Verlust ein ziemlich Anteil Ihres Herzens verloren gangen, als bin ich kommen, mein ungefärbtes Beileid zu bezeugen, und seelen-innigst zu wünschen, daß die Götter doch diesen erblaßten Stern durch eine Sonne ersetzen wollen.«

Hier wurde mein Prinz anfangs selbst in etwas bestürzt, als er aber sich erholte, und die Umstände genau überlegte, so konnte er sich nicht gnungsam über die Arglistigkeit dieses verliebten Feindes verwundern, und erwarteten wir mit Verlangen, wie solche erdichtete Zeitung von der Prinzessin würde aufgenommen werden. Diese nun konnte sich anfangs allerdings nicht begreifen, indem auch nur die bloße Erinnerung von ihrem geliebten Prinzen mächtig gnung war, sie in betrübtes Nachsinnen zu setzen. Derohalben saß sie eine Weile mit niedergeschlagenen Augen ganz unbeweglich, außer daß man einige wangen-abrollende Tränen verspüren konnte. Wie aber ihre himmlische Schönheit mit einem vollkommenen Verstande jederzeit vermählet war, also merkte die kluge Prinzessin alsbald, worauf solch listiges Vorbringen zielte, dannenhero sie sich im Gemüte, nicht aber in betrübten Gebärden fassete, und sich anstellete, als ob sie allem vollkommenen Glauben zustellte, auch ganz wehmütig fragte: »Mein Herr Graf, Er betrübe mich nicht ohn Ursach, sondern entdecke mir die Wahrheit.« – »Durchlauchtigste Prinzessin«, erwiderte Chaumigrem, »die Götter wollen das nicht zugeben, daß ich Dero hohe Person durch einige Unwahrheit beleidigen sollte. Inmittelst wünsche ich, daß mein Vorbringen durch bald ausbrechende Hoftrauer nicht möge bekräftiget, und der betrübte Fall allzu wahr erfunden werden. Und weil man einen Zweifel in meine Worte setzen will, so sollen diese Zeilen von dem sterbenden Prinzen zwar stumme Zeugen meiner Wahrheit, zugleich aber eine herbe Vermehrung Ihres Betrübnisses sein.« Mit welchen Worten er einen Brief hervorzog, den er ausgab, als hätte ihn solchen der Kurier mitgebracht, und er ihn von dem Könige erhalten. Wie wir aber hernach erfahren, so hatte Chaumigrem einen von dem Prinzen Nherandi erlassenen Geheimschreiber auf seine Seite durch Geld gebracht, welcher sich unterstanden, des Prinzen[78] Hand nachzumalen, und diesen Brief zu verfertigen. Die Prinzessin kunnte sich anfangs wiederum in die listige Verwirrung nicht finden, angesehen sie auf den Titelblatte einige Gleichheit von ihres Prinzen Schreibart erblickte, da sie ihn denn mit zitternder Hand erbrach, und diese Worte daraus las:


Schönste Prinzessin!


Es scheinet, als ob mich der Himmel nicht würdig gnung achten wollte, künftiges eine solche überirdische Schönheit in Dero englischen Person zu besitzen: dannenhero er mir nicht allein durch harte Schwachheit meine Gestalt entzogen, sondern auch gleich den sterbensbegierigen Geist zu sich abfordern will. Mit kurzem: ich sterbe, und nehme durch ein bereit gebrochenes Adieu entfernten Abschied von der liebgewesenen Higvanama. Weil nun der Todeszwang unsere Liebe trennet, so wird sie nach angeborner Klugheit meine kalte Stelle durch einen würdigen Nachfolger zu ersetzen und mich lebenslang in Dero guten Andenken zu erhalten wissen als

Der Prinzessin von Ava treu gewesenen Nherandi.


Zugleich war diese Abschieds-Arie beigefüget:


1.

Ich sterbe;

Weil das Verhängnis spricht:

Daß diese Glut verderbe,

So lesche Flamm und Licht.

Ich sterbe.


2.

Ich sterbe.

Des Lebens Balsam schwindt,

Die Gruft ist Thron und Erbe,

Der Adern Quell gerinnt.

Ich sterbe.


3.

Ich sterbe.

Hier kommt der letzte Kuß.

Es schmeckt das Scheiden herbe,

Wann man sich trennen muß.

Ich sterbe.[79]


4.

Ich sterbe.

Nun hast du freie Macht,

Die ich wie du erwerbe.

Prinzessin gute Nacht.

Ich sterbe.


Solche scheinbare Vorstellung hätte ein leichtgläubiges Gemüte leicht besiegen können, wenn nicht die Prinzessin ihre kluge Vernunft zu Rate gezogen, und ihres Prinzen wahrhafte Handschrift gegen diesen betrugvollen Zeilen gehalten hätte: da sie nicht allein einigen Unterscheid der Hand, sondern auch die ungleiche Zeit bemerkte, indem der falsche Brief fast acht Tage älter war als das letztere mit vorerwähnten Liebesgeschenken begleitete Schreiben. Ob nun zwar die Prinzessin durch sotanes vernünftiges Nachsinnen augenscheinlich erkennen kunnte, wie arglistig Chaumigrem sie zu hintergehen suchte, so kunnte sie sich doch nicht zwingen, daß sie bei so traurigem Andenken, ob sie es gleich falsch befand, dennoch mit einigen Tränen ihre reine Liebe zu erkennen gab, welche ihr aber zu angenommener Verstellung, also ob sie es glaubte, artig zustatten kommen: dahero sie in diese betrübte Worte herausbrach: »Unglückliche Higvanama! verlassene Prinzessin! so mußt du denn nur allein das Ziel der unbarmherzigen Götter sein, nach welchem sie alle Pfeile des Unglücks richten, und schlägt nur ihr Blitz immer auf eine Stelle? Grausames Verhängnis! wie verwandelst du die Krone meiner Hoffnung in einen Zypressenkranz, wenn mein wertster Prinz statt wohlverdienten Purpurs in einen Sterbeküttel gehüllet wird. Ach Nherandi, mein Leben! Nherandi mein Licht! du Seele meiner Seelen! Es schweben meine Lebensgeister schon um deinen Schatten, weil mein Lebensschiff notwendig scheitern muß, nachdem du als mein Anker zerbrochen bist. Doch ach! Liebster Prinz! was beweget dich zu diesem Zweifelmut, daß du mir die Freiheit nach deinem Tode erlauben willst, deine kalte Stelle mit einem andern zu ersetzen? Nein, nein, englischer Prinz, wahre Liebe trotzet den Tod, und ihre Fackel brennet auch in dem Sarge; ja die Liebe ist das ewig währende Feuer, welches viel Kunstverständige anzuzünden sich vergebens bemühet haben. Die Liebe, welche die Götter mit den Menschen und die Erde mit dem Himmel verbunden hat, wird[80] zwar durch des Todes Pfeil verwundet, aber nicht getötet, ihre Glut wird nicht ausgelöscht, es mögen auch die Winde der sterbenden Zufälle rasen, wie sie immer wollen. Derowegen soll auch dir, nunmehro unsterblicher Prinz, meine unsterbliche Liebe gewidmet, und dieser irdische Leib ein ewiges Opfer der göttlichen Keuschheit sein und verbleiben. Ja ich will meine Gelübde vor einen brennenden Deweta8 leisten, daß meine Seele in unverrückter Treue deine Seele begleiten, und mein Leib, bis zu gesetztem Lebensziel in steter Einsamkeit sein Auge vor fremder Liebe bewahren soll.« Diese Worte waren lauter stachlichte Dornen in Chaumigrems Herzen, also daß man seinen Verdruß aus dem finstern Angesichte leichte erkennen konnte, wiewohl er solche Gemütsbewegungen möglichst zu verbergen trachtete, und der Prinzessin mit diesen Worten einzureden sich unterfing: »Wie schönste Prinzessin? soll die Sonne Ihres berühmten Verstandes in einem toten Meere untergehen? und will Sie das Licht hoher Vernunft bei den Sterbenden anzünden? Nein, das verstattet Dero weltbekannte Tugend nimmermehr, und Dero Vernunft, welche als ein Bleimaß jedes Meer zu ergründen vermag, rät Ihr viel ein anders, als daß Sie sollte eine tote Liebe lebendiger Anmut vorziehen. Denn es würde der Himmel statt verhoffter Belohnung der Treue eine scharfe Rechnung wegen anvertrauten Schatzes sotaner Schönheit fodern, wenn Sie dessen Wert gleich ungenützten Eisen durch den Rost verzehren ließe. Vergrabne Schätze und ein Quell, welcher in den Sand versinket, wird von dürftigen Händen und durstigen Lippen verflucht, weil sie denen Menschen ihren von dem Himmel gewidmeten Nutzen verweigern.« Wir mußten uns gleichwohl über diese Reden des Chaumigrems höchlich verwundern, wenn wir sonst dessen vorgedachte Reden und ungeschickte Schriften dargegen hielten, deren Unförmlichkeit wir einer heftigen Liebeswürkung zuschreiben mußten. Denn wo die Liebe raset, da strauchelt der Verstand, ja der klügste Mann wird zum Narren. Von dieser Verwunderung aber zogen uns der Prinzessin Worte bald ab, als wir sie so reden hörten: »Diese Gründe sind viel zu schwach, den festen Vorsatz zu hindern, denn wohl dem, welcher seine Klugheit in dem Sarge suchet, und das Gold seines[81] Verstandes auf den Probierstein der Sterblichkeit streichet. Gewiß aus dieser Mitternacht scheinet die Sonne, und wer in dieser Lebens-See seine Augen stets nach der Bahre richtet, dem muß die Tugend wie ein heller Pharos leuchten. Zudem achte ich davor, daß wie die Götter unserm Leben nur ein Ziel, nämlich den Tod, also auch das Verhängnis unserer Liebe nur ein Ziel gesetzet habe: welches, so es uns der Himmel aus den Augen rücket, wir dennoch im Herzen behalten, und die völlige Genießung bis ins ewige Niba versparen, uns aber desselben inmittelst durch keine fremde Wahl unwürdig zeigen, noch dem in das gestirnte Buch des Himmels eingeschriebenen Ratschluß widerstreben sollen. Denn wo einmal reine Liebe durch den Tod betrübet wird, da ist die Keuschheit der beste Schatz in der Welt, und alle Liebe ist alsdenn nur ein Irrwisch, dessen Glanz von unreinen Seelen entspringet.« – »Durchlauchtigste Prinzessin«, erwiderte Chaumigrem, »Sie geneußt zwar des Nektars der Liebe, aber nur aus einem leeren Becher: Sie kann zwar das Wesen der Liebe in etwas vormalen, worinnen sie aber bestehe, solches weiß Sie nicht zu sagen. Derowegen lasse Sie die Toten ihre Toten begraben, Sie aber, als eine Gleichheit der vollkommensten Göttin, liebe die Lebenden und versichere sich, wo Sie einmal auf die rechte Spur der Liebe geraten, Sie den Wegweiser küssen werde.« – »Mit Prinz Nheranden«, antwortete die Prinzessin, »fällt mein Stern ins Grab, und außer diesem Lichte erwähle ich die Finsternis, ja mein Geist soll nunmehro nur mit seinem eignen Schatten buhlen. Meine Seele soll aus seiner Asche Lust schöpfen, und sein Tod soll alles, was in mir Liebe heißt, vertilgen. Denn wo Herz und Luft trübe ist, da wird Sonne und Brunst dunkel.« – »Nicht so, durchlauchte Higvanama«, redete Chaumigrem ferner ein, »wo Sterne schwinden, da gehet die Sonne auf, und Nherandi Anmut ist hundert Seelen eingepflanzet, welche sich ebensowohl Ihrer Liebe würdig machen können. Der Himmel selbst zählet Sie nunmehro durch den Mund des sterbenden Prinzen los von aller Pflicht, wodurch sich verliebte Herzen verbinden, und ist schon vergnügt, über die zweijährige Beständigkeit, welche Sie Ihrem noch lebenden Prinzen erwiesen hat, ja er will Sie nunmehro durch einen angenehmen Liebeswechsel bekrönen, wo nicht verbessern. Denn wie die Sonne bald diesen bald jenen Stern küsset, und sich auch der Mond bemühet, durch öftere Veränderung seiner Gestalt dem Himmel[82] durch sein einfaches Licht keinen Ekel zu erwecken; also glaube Sie nur, überirdische Prinzessin, daß keine größere Anmut, denn in dem Wechsel der Liebe, gefunden werde.« – »Der Sonnen«, widerlegte die Prinzessin, »schreibet man Finsternissen zu, und dem Monden legt man Flecken bei; eine keusche Seele aber soll bedenken, daß sie ein Spiegel der reinen Gottheit sei, welcher sich durch kein lüstern Auge beflecken lasse. Ich aber bin dem Prinzen Nherandi mit Leib und Geist bis in die dunkele Gruft verpflichtet: und wie ich bis daher in keuscher Liebe und reiner Anmut seiner Person beständig geblieben; also soll auch hinfort in der rauhen Schale der Einsamkeit die Keuschheitsperle gezeuget und ernähret werden, bis mich der Tod, als das Ende der Natur, dem unvergleichlichen Nherandi, der Unsterblichkeit nach, beigesellet.«

Bis hierher hatte die Prinzessin ihre verstellte Person so wohl gespielet, daß wir selbst nicht wußten, ob es Ernst oder Scherz, indem sie solche Worte mit so anmutiger Traurigkeit vorbrachte, daß man fast zu einigem Mitleiden beweget wurde. So artig sie nun ihren falschen Beifall vorzubringen wußte, so künstlich entdeckte Chaumigrem seine Herzenmeinung, daß, wem nicht seine Anschläge zuvor bekannt waren, bisher unmöglich aus seinen Reden etwas Gewisses schlüssen konnte, bis endlich die verliebte Ungeduld hervorbrach, und er sich mit folgenden Worten etwas deutlicher, wo nicht allzu deutlich, zu erkennen gab: »Das Verhängnis aber«, sagte er, »und Dero Königlicher Herr Vater befiehlt, Sie soll lieben.« – »Ich weiß zwar wohl«, versetzte die Prinzessin, »wie man den Schluß des Himmels verehren soll: allein hier kann ich keinen Befehl noch Anlaß zur Liebe vermerken, wenn er mir dasjenige, was ich lieben soll, raubet, und dadurch das Gesetze der Liebe aufhebet. Mein Herr Vater aber kann mir hierinnen nicht befehlen, weil seine Krone dem Verhängnisse und sein Szepter der Liebe selbst unterworfen ist. Zudem lässet sich meine Liebe durch keinen Befehl zwingen, solange kein liebenswürdiger Nherandi vorhanden ist, welchem ich doch ein freiwilliges Liebesopfer bringen würde.« – »Ist gleich kein Nherandi vorhanden«, brach endlich Chaumigrem heraus, »so ist doch noch wohl der tapfere Chaumigrem einer Prinzessin würdig.« Ob sie sich nun zwar über solche Freimütigkeit nicht wenig entrüstete, so faßte sie sich doch möglichst und beantwortete es glimpflich mit diesen Worten: »Es[83] sei Chaumigrem, wer Er wolle, so wird doch Nherandi, dessen Tapferkeit mir weit besser bekannt, ewig mein Herz besitzen: dem erwähnten tapfern Chaumigrem aber will ich sein anderwertiges Vergnügen nicht mißgönnen.« Hierauf nun ließe Chaumigrem seiner großsprechenden Hochmut den Zügel völlig schießen, als er mit veränderter Stimme herausfuhr: »Und diese Vergnügung wird Sie ihm auch gönnen müssen. Dem tapfern Chaumigrem, welcher durch seinen Bruder neun Kronen bestreiten läßt, um sie auf sein Haupt zu setzen und alsdenn von allen denjenigen Rache zu fodern, welche anitzt seine Liebe kaltsinnig hintan setzen. Ja ich, ich bin die rechte Hand und die Stütze dieses Königreichs, vor mir zitterte Xemindo, und als ich ihm nur den Rücken, geschweige das Angesichte kehrte, ward er feldflüchtig. Ich habe in dem Blute der Feinde bis an die Knie gestanden, und mein Arm erstarrte über der Niedermetzelung so vieler kühner Peguaner, derer öfters ihrer Fünfe zugleich die grausame Würkung eines Lanzenstoßes von mir empfunden haben. Die Stückkugeln, welche gleich denen Mücken im Sommer haufenweise durch meine Haare flogen, ermunterten meinen vorhin heroischen Geist zu desto größerer Tapferkeit: und wo ich nur meine blitzende Augen hinwendete, da fleheten mich die kniende Feinde mit Tränen um ihr Leben an; ja ich glaube nicht, daß ein Winkel auf Erden sei, in welchem nicht mein Name erschollen, und aufs glorwürdigste angebetet werde. Sogar, daß ich befürchte, man möchte Abgötterei mit mir treiben, und mein Bild statt eines Kriegsgottes anbeten: dieses allein, welches noch wie nichts gegen dem, was ich verschweige, zu rechnen, ist mehr als würdig, daß sotane ungemeine Tapferkeit mit würklicher Gegenhuld einer Prinzessin, vor dero Wohlfahrt sie angewendet worden, belohnet werde.« – »Der Herr Graf entrüste sich nur nicht«, antwortete ihm die Prinzessin mit verächtlichem Gesichte, »indem ich erzählter Tapferkeit ganz unwissend bin, auch niemals von dem tapfern Chaumigrem etwas gehöret habe, außer, als unsere unglückselige Truppen verwichener Zeit von dem Xemindo durch üble Anführung ihres mir unbewußten Feldherrns geschlagen worden, und sich haufenweise vor diese Festung reterierten, da ersahe ich unter andern feldflüchtigen einen in ganzvergüldten Harnisch versteckten Reuter daherrennen, welchem Furcht und Schrecken aus den Augen sahe, zumal er in der Angst die Sturmhaube verloren hatte; diesen[84] ließe ich mir vor einen Chaumigrem bedeuten: daß es aber der tapfere Chaumigrem gewesen sei, solches kann ich nicht glauben.« – »Den soll der Blitz rühren«, fuhr er im Zorn heraus, »welcher mich so übel angedeutet, und wollte mir die Prinzessin dessen Namen kundig machen, so schwere ich, er sollte durch einen Streich meines mächtigen Säbels in tausend Stücke zergliedert werden. Allein auf den Zweck unsers Vorhabens endlich zu kommen, so wisse Sie, Prinzessin, daß des Königlichen Herrn Vaters ernstlicher Wille und Befehl ist, die Stelle des verblichenen Prinzen von Siam mit meiner der Liebe nicht unfähigen Person zu ersetzen, und Ihr Herze dem zu widmen, welcher Sie künftig als ein mächtiger König wird zu lieben wissen.«

»Hochmütige Einfalt!« erwiderte die Prinzessin, »auch sklavische Gemüter suchen im Lieben ihre Freiheit, und ich als eine freigeborne Königliche Prinzessin soll mich zwingen lassen, einen Sklaven der Laster zu lieben? Unverschämter Graf, schämet Euch in Euer Herze, daß Ihr Euch unterstehet, mit so handgreiflichen Lügen mir den Tod meines geliebten Prinzen einzubilden, von welchem ich doch vor zwei Stunden erst schriftliche Versicherung seines Lebens und beständiger Liebe erhalten: Daß Ihr also notwendig mit Eurem erdichteten Vorgeben zuschanden werden müsset.« Welche Worte sie mit Vorzeigung des rechten Briefes begleitete und den Chaumigrem nicht wenig schamrot machte. Wie aber den Hochmut gemeiniglich eine unverschämte Tollkühnheit begleitet, also sagte er ganz verzweifelt: »Prinz Nherandi sei tot oder lebendig, so will ich doch das Wort des Königes von Ava erfüllet wissen, welcher mir versprochen, seine Tochter solle mich lieben. Widrigenfalls soll dieses Land durch meine Waffen überschwemmet, und alles Frauenzimmer in ganz Ava meiner verachteten Liebe aufgeopfert werden. Ja das Königliche Blut soll lange nicht kräftig genung sein, meine Rache nur im minsten zu kühlen, Prinz Nherandi aber soll im glühenden Ofen seinen unzeitigen Eintrag der Liebe bereuen.« Hier kunnte mein Prinz kaum die Losung von der Prinzessin erwarten, als er solche freche Drohworte anhören mußte: Jedennoch hielt ihn der Prinzessin Antwort noch etwas zurücke, welche wir folgendergestalt höreten: »Hütet Euch, Herr Graf, und mißbrauchet nicht meine Geduld: Denn ob zwar Eure Vermessenheit was anders verdienet hätte, so gibet man Euch doch noch Bedenkzeit, die rasende[85] Begierde zu dämpfen, sonsten wird man Euch lehren, mit königlichen Personen gebührend umzugehen.« – »Auch die ganze Welt ist zu wenig«, fuhr er ganz rasend fort, »meine Liebe zu hindern: Und meine Macht zu bezeugen, so raube ich diesen Kuß mit Gewalt von Ihren Lippen.« Worauf er die Prinzessin höchst vermessen anfiel, daß sie kaum diese Worte: »Es ist genung, Prinz Balacin!« schreien kunnte. Allein, ehe sie noch solche Losungsworte geendiget hatte, war mein Prinz dem Chaumigrem schon auf dem Halse und stieß ihn mit der Hand so unsanfte von der Prinzessin hinweg, daß er gestreckt auf den Rücken fiel, und sich lange nicht besinnen kunnte, was vor ein Zufall ihn zu dieser Niederlage gezwungen hatte. Endlich, als er meinen Prinzen erkannte, sprang er wiederum auf, und fuhr ihn mit diesen Worten an: »Verwegener Prinz, diese Schmach soll Euch gereuen, und indem Ihr den Augapfel Eures Vaters beleidiget, und mich an meiner vorgesetzten Vergnügung verhindert, so schwere ich bei allen Furien, mich an Euch und der unempfindlichen Higvanama zu rächen. Zu erweisen aber, was Chaumigrem gelte und vermöge, so sollen Götter und Menschen mich nicht an meinem Vorsatze hindern.« Nach welchen Worten er wiederum als rasende auf die Prinzessin zulief, und schiene es, als wollte er zu Sturme laufen, nicht weiß ich, ob er die Prinzessin küssen oder sich gar an ihr vergreifen wollte. Dieser Sturm aber wurde ihm häßlich abgeschlagen, denn mein Prinz antwortete ihm kurz, und sagte: »Du unverschämter Cujon bist meines Säbels nicht würdig«; womit er ihm zugleich mit der Hand ein solches accidens in das Angesichte warf, daß die Nase durch solchen Aderschlag eine blutige Empfindlichkeit zu erkennen gab. Hierauf sprang Chaumigrem zurücke, entblösete seinen Säbel und rief seinen Leuten zu, welches sechs verwegne Kerle waren, sie sollten zuhauen, und ihres Herrn Ehre retten. Diese kühne Gesellen nun durften sich unterstehen, nebst ihrem Herrn mit gesamter Hand auf einen Königlichen Prinzen in seiner Burg und väterlichen Residenz mit bloßen Säbeln einzustürmen. Weswegen denn mein Prinz gleichfalls gezwungen wurde, seinen Säbel zu zücken, dem ich mich treulich beigesellte, und also unser zwei sich gegen sieben in einen ungleichen Kampf einließen. Wie nun mein Prinz durch seine Tapferkeit sich des einen Feindes durch einen Gurgelhieb entledigte, und einen andern durch Beraubung der rechten Hand zum Gefechte untüchtig machte,[86] also dummelte ich mich auch rechtschaffen unter diesen Schelmen herum, und gedachte, haben dich die Götter in verwichener Schlacht unter so viel tausend Feinden erhalten, so werden dich auch diese wenige nicht fressen. Welches mir auch dermaßen glückte, daß ich dem einen, welcher heftig auf mich los ging, mit dem blanken Linial einen solchen roten Strich über das Gesichte zog, daß er vor Blut nicht mehr sehen kunnte, und fast tot zur Erden fiel: wiewohl ich von einem andern hier über die linke Hand zur Rache gezeichnet wurde, welches mich, wiewohl zu spät, lehrete, ich sollte, wann es an ein Hauen ginge, nicht die linke Hand vorwerfen, sonst würde man auf den Schild geklopft. Chaumigrem hielte sich indessen frisch hinter seinen Leuten, seine Tapferkeit durch heftiges Zuschreien ersetzende. Und ob zwar sowohl der Prinz als ich bemühet waren, dem Haupte dieses Streits eine verdiente Schlappe anzuhängen, so wußte er doch so behende hinter seinen Vorfechtern herumzuspringen, daß man geschworen hätte, er gäbe einen Seiltänzer ab. Währenden Kampfes war das Frauenzimmer nach dem Gartentore gelaufen, und hatte die Burgwache herzugerufen, von welcher denn in zwanzig Mann stark bald herzu eileten, und mit verkehrtem Gewehr uns dermaßen entsetzten, daß Chaumigrem und seine Leute im Augenblicke ihre Säbel verloren, und sich ungeachtet vieles Widerredens gefangen geben mußten: Da sie denn der Prinz in den Turm bis auf fernere Verordnung zu führen befahl. Wie sich nun Chaumigrem ganz Ava zu Feinden gemacht hatte; also empfand er auch bei dieser Gelegenheit den wirklichen Haß der Soldaten, indem fast jeder Schritt mit einem Rippenstoß begleitet ward. Allein, was wunder? Chaumigrem war unter so unanständiger Begleitung kaum hundert Schritte von dem Garten gelanget, so kamen über fünfzig bewährte Mann, welche auf des Königs Befehl nicht allein den Chaumigrem mit seinem Anhange auf freien Fuß stellten, sondern auch die Wacht dargegen in gefängliche Haft einzogen. Wie heftig solches meinen Prinzen verdroß, und wie unbillig solches von einem Vater, ja von einem Monarchen verfahren war, dieses überlasse ich Dero reiferem Nachdenken. Was wollten wir tun? Wir mußten an der trockenen Rache, welche Chaumigrem von der Wache empfangen hatte, vergnüget sein, und mein Prinz verfügte sich voller Verdruß nach seinem Zimmer. Morgens darauf wurden sofort die Reichsräte berufen, als ob ein großer[87] Feind vorhanden wäre, welchen der König den gestrigen Streit entdecket hatte, mit Begehren, ersprießlichen Rat zu erteilen, auf was Art und Weise solche Uneinigkeit möchte beigeleget, und der Prinz mit Chaumigrem versöhnet werden. Chaumigrem hatte dieses kaum erfahren, so war er ungescheut vor den König und die Räte getreten, hatte mit hochtrabenden Worten und vielen Unwahrheiten die Ursache gestrigen Kampfes vorgebracht, und gebeten, weilen ihm der erwiesene Schimpf unmöglich zu ertragen wäre, man wollte ihm erlauben, seine Sache wider den Prinz durch einen Zweikampf auszuführen. Ob nun zwar die sämtlichen Räte diesem unanständigen Begehren durchaus widersprachen, so war doch die rasende Gewogenheit gegen dem verhaßten Chaumigrem in des Königs Herzen dermaßen eingewurzelt, daß er sich nicht enblödete, das Leben seines einigen Erbprinzens und die Wohlfahrt des ganzen Reichs auf die Spitze zu setzen und an einen stockfremdem Menschen zu wagen: deswegen ihm denn der König Vollmacht erteilete, seine Sache nach eigenem Begehren auszuführen.

Noch selbigen Tages wurde meinem Prinzen von diesem verwegenen Menschen durch einen Bramaner folgende Ausforderung eingehändiget:


Prinz von Ava!


Wo Eure Faust so tapfer den Säbel zu führen, als verwegen einen Feldherrn zu beschimpfen ist, so werdet Ihr Euch morgen frühe vor dem Schloßtore ohne andere Waffen als Säbel und Schild einfinden, und allda der grausamsten Rache von meiner Hand gewärtig sein. Solches geschiehet auf Königlichen Befehl und Erlaubnis, und es erwartet Euer

Chaumigrem.


»Verfluchte Raserei! Unartiger Vater!« redete der Prinz hierauf zu sich selbst, »ist dieses wohl jemals in ganz Asien erhöret worden, daß ein Königlicher Prinz auch in dem Schoße seines Vaters vor Schimpf und Überfall nicht könne gesichert sein, ja daß ein geborner König einem fremden und nichtswürdigen Menschen blutige Rechenschaft von eigner Hand geben soll? Blitz und Schwefel auf deinen verdammten Kopf, du frevelhafter Bösewicht! Ich kenne bereits die Zuneigung der getreuen Avaner, welche auf mein bloßes Winken viel eher bei tausenden ihr Leben aufopfern als einen[88] Blutstropfen von mir nehmen lassen würden. Diese will ich dir vorstellen, und von diesen magst du deine vermeinte Rache nehmen. Doch nein! Sollte mir dieses wohl anständig sein, mich fremder Hülfe zu bedienen, und zwar gegen einen solchen Feind, dessen Tapferkeit in den Füßen und der Mut auf der Zungen beruhet. Weil ihn denn mein Vater würdig erkennet, mit einem Prinzen zu fechten, so sei es denn. Gehe demnach hin«, wendete er sich zu dem Bramaner, »und sage deinem närrischen Herrn, ich wolle mir endlich die Mühe nehmen, und ihm um meines Vaters willen die Ehre gönnen, daß er von meiner Faust sterbe, ob er wohl des Henkers Bemühung verdienet hätte.« Folgenden Morgen verfügte sich mein Prinz nebst mir ganz allein nach dem bestimmten Platz, hatte einen viol-braunen Rock, seinen Verdruß anzudeuten, angezogen, und eine rote Feldbinde darüber gebunden. An der Seiten hing ihm ein mit Türkoissen reichlich versetzter Säbel, und den linken Arm beschwerte ein hell polierter Schild. Als wir uns dem Platze genähert hatten, sahen wir den blutdürstigen Vater an einem Fenster liegen, welcher bei widrigem Erfolg sich gar wohl getraute, den blutigen Tod seines Sohnes mit anzuschauen. Es war ein Kreis von zweitausend bewährten Soldaten geschlossen, welches mehr auf die Sicherheit des Chaumigrems als Beschützung des Prinzens angesehen war. Bei unserer Ankunft wurde der Kreis geöffnet, und wir ehrerbietig eingelassen, alles aber ging mit so einer ungemeinen Stille zu, als wenn jedes vor Verlangen nach der Sachen Ausgang verstummet wäre. Wir funden noch keinen Feind vor uns, dahero denn der Prinz voller Bitterung fragte: wo denn der künftige Erbe von Ava bliebe? er würde gewiß bei dem Könige zuvor ein Frühstück einnehmen, damit er desto bessere Kräfte habe, den Avanischen Stamm auszurotten. Nachdem man aber angedeutet, man hätte noch keine Nachricht von seiner Ankunft, setzte sich mein Prinz auf die bloße Erde, und erwartete voll brennenden Zorns seines Feindes. Es vergingen inzwischen mehr als zwei Stunden, daß man nichts Feindseliges merkte noch sahe. Endlich nach so vergeblichen Harren, kam ein kleiner Mohr in den Kreis gelaufen, welcher dem Prinzen ein Briefgen einhändigte, dieses Inhalts:[89]


Prinz!

Nachdem uns die gütigen Götter in einen solchen Zustand gesetzt, daß wir nicht vor nötig erachten, durch einen Zweikampf unsere Person, woran nunmehro der halben Welt viel gelegen, in einige Gefahr zu setzen: Als wollet Ihr Euch nur kurze Zeit gedulden, da wir als ein Blitz Euch heimsuchen, und durch viel hunderttausend Säbel den angetanen Schimpf und Verachtung an Euch und Eurer stolzen Schwester grausamst rächen wollen. Gegeben Ava, im ersten Jahr unserer Regierung, an einem Succerawaram.

Chaumigrem, König von Brama.


An den König aber hatte er zugleich einige Zeilen eingeliefert, welche wir hernach folgenden Inhalts gewesen zu sein erfuhren:


Großmächtiger König und Herr!


Der unvermutete Todesfall unsers Bruders Xenimbrun rufet uns eilend von hinnen zu der Bramanischen Krone, welche uns durch wohlgelegten Grund unsers Bruders auch bald den Thron von Pegu verspricht. Nun wären wir zwar Eu. Lb. vor bisher genossene Freundschaft ziemlich verbunden, wenn Sie nicht Dero eigene Kinder einiger Vergeltung unfähig machten: maßen wir uns vielmehr feste vorgesetzet, den von Prinz Balacin erlittenen Schimpf dermaßen zu rächen, daß auch das Kind in Mutterleibe den Tag beweinen soll, an welchem mich die eigensinnige Higvanama verachtet hat, und ist uns nur leid, daß wir E.L. hierdurch beleidigen sollen. Wir sind deswegen heute früh auf bestellter Post nach Brama gangen, und wird Prinz Balacin vergebens der Ehre, mit uns zu streiten, erwarten, Ava am Succerawaram.

Chaumigrem, König von Brama.


»Wie?« hub mein Prinz überlaut an, als er dieses gelesen, »ist nun so geschwinde aus einem Bärenhäuter ein König worden? Doch hat ein verzagter Tyrann oft besser Glücke als das tapferste Gemüte. Inzwischen wird mir ein jedweder braver und treuer Avaner das Zeugnis geben, daß ich mehr getan, als mir gebühret, des Feindes erwartet, und mit ihm zu schlagen begierig gewesen bin.« Hierauf erhub sich von allen Anwesenden ein Freudengeschrei und tausendfaches Glückwünschen, ja es fehlete nicht viel, daß nicht einige[90] Schmachreden wider den alten König geflogen wären, wenn sich nicht mein Prinz eiligst in sein Zimmer, von dar aber nach der Prinzessin begeben hätte, welche ihn mit unglaublicher Freude und schwesterlicher Liebe empfing, daß ich nicht weiß, ob die Liebe unter Geschwistern höher steigen könne, als welche itziger Zeit dermaßen erfroren, daß fremde Personen ihre Liebe viel hitziger als Brüder und Schwestern erzeigen, ja wo heutiges Tages drei Geschwister sind, so bemühet sich das dritte, wie es die andern zwei ineinander hetzen möge. Allein wieder auf unsere Erzählung zu kommen, so ward dieser Triumph bald wieder in ein Trauren verkehret, denn es war Chaumigrem dem Könige dermaßen ans Herze gewachsen, daß er vermeinte, unsinnig zu werden, als er aus vorerwähntem Briefe seinen Abzug vernommen. Und dieses wirkete eine solche Raserei in ihm, daß er alsobald meinem Prinzen andeuten ließ, er sollte Hof und Reich ein ganzes Jahr lang meiden, die Prinzessin aber sollte sich gleiche Zeit des väterlichen Angesichtes enthalten. Ob nun zwar die Reichsräte, wie auch der ganze Hof heftig hierwider waren, ja es sich gar zu einem Aufruhr schicken wollte, so drang doch königliche Gewalt durch, und dieser harte Befehl ward dem königlichen Geschwister hinterbracht. Worauf mein Prinz ganz bestürzt antwortete: »Wie? ist denn sogar alle Liebe und Gnade in dem väterlichen Herzen des Königes erloschen, daß er auch die Wohlfahrt seiner Kinder hintan setzen, und sich durch deren Verlust einen ungewissen Feind versöhnen will. Ha Tyranne! verhaßter Vater, welch Tiger jagt seine Jungen von sich? oder welcher Drache verläßt seine Frucht? und mein Vater will mich als einigen Erben seiner Krone, ja, als sein erstes Pfand der Liebe, ohne einige Ursache in fremdes Elend jagen? Jedoch die Tugend findet überall ihr Vaterland, und mein Vater ist viel zu schwach, ob er gleich ein mächtiger König ist, das Absehen des Himmels zu hintertreiben. Ich verlasse dieses Reich, nicht aber die Hoffnung, mich einst meinen verleumderischen Feinden auf dem Thron von Ava erschrecklich zu zeigen. Und wie mir der ganze Hof das ungeheuchelte Zeugnis geben kann, daß ich niemals im geringsten die Grenze kindlichen Gehorsams gegen meinen Herrn Vater überschritten habe; also will ich auch zum Überflusse durch diesen meinen Abschied erweisen, wie begierig ich sei, väterlichen Befehl zu erfüllen, um durch solchen Gehorsam mir die Götter geneigt zu machen.«[91]

Die betrübte Higvanama war indessen in eine Ohnmacht gesunken, also daß sie mein Prinz nebenst ihrem Frauenzimmer kaum wiederum ermuntern kunnten. »Unglückliche Higvanama«, hub sie endlich nach langem Stillschweigen an, »so sollst du nun die andere Hälfte meines Herzens vollend verlieren, nachdem du das eine Teil fast zwei Jahr entbehren müssen. Soll ich den, welcher nicht mein Bruder, sondern mehr als mein Vater gewesen, von mir scheiden lassen? Worzu nützet mir denn mein Leben? Grausamer Vater! sind denn alle Wolken leer, und heget ihre Finsternis keinen Blitz mehr in sich, solche Greueltat zu rächen? Doch will ich mich nicht durch Ungeduld verführen lassen, der Götter Gesetze wegen kindlichen Gehorsams zu beleidigen: sondern mein reines Blut soll den harten Fehler des Vaters versöhnen, und ein Dolch soll der bedrängten Seele freie Luft machen, daß sie ungescheut um ihren liebsten Nherandi und wertesten Balacin schweben möge. Ja ich schwere, Herzensbruder, daß die erste Stunde Eures Verlusts die letzte meines Lebens sein soll.« – »Nein, liebste Schwester«, redete ihr mein Prinz ein, »dies ist nicht die rechte Bahn, worauf wir wandeln sollen. Ich meinesteils achte dieses vor ein geringes, daß mir das verhasseste Anschauen dieses Hofes benommen wird, ob mich zwar die schwesterliche Abwesenheit heftig schmerzen wird. Inzwischen bin ich versichert, daß der gütige Himmel zu seiner Zeit alles ändern, und die itzt verwirreten Sachen in erwünschten Stand versetzen werde.« Worauf sie etwas besänftiget zu sein schiene, und von ihrem Frauenzimmer ein silbern Kästgen foderte, nach dessen Aufschließung sie dem Prinzen drei überaus kostbare Kleinodien mit diesen Worten überreichte: »Trautster Bruder, nehmet hier von Eurer ewigtreuen Schwester ein geringes Andenken herzlicher Liebe, und verübelt mir es nicht, daß ich mich so geschwinde in Euren Abzug schicken lerne, weil mir gleichsam mein Geist ins Ohr saget, es werde künftiges Glücke uns voller Vergnügung wieder vereinigen. Ziehet hin, gedenket an mich! die Götter begleiten Euch.« Mein Prinz konnte sich gleich ihr der Tränen nicht enthalten, daher er ihr vor sotanes Andenken mit einem herzlichen Kuß dankte, und zugleich nassen Abschied nahm. Weil nun auch die Zeit uns des Scheidens erinnert, als werde ich das übrige, doch mit Dero Erlaubnis, bis morgen versparen, da ich noch seltsamere und verwirrtere Zufälle erzählen will. –[92]

Abaxar dankte höflich vor so geneigte Mühwaltung, und bezeigete sonderbare Vergnügung über dieser Erzählung, dannenhero er versprach, morgendes Tages, wo es anders seine Verrichtungen zuließen, wieder zu erscheinen, und mit hohem Verlangen das übrige anzuhören. Nach genommenem Abschiede ließ sich der Prinz nochmaln verbinden, genoß ein wenig Speise und legte sich vollend zur Ruhe. Tages darauf, als Talemon seiner Gewohnheit nach bei aufgehender Sonne seinen Garten besuchen und vor seines hohen Gastes Wohlfahrt sorgen wollte, vernahm er ein hartes Wortgespräch zweier Weibespersonen, dannenhero er dem Schall folgete, und seine Frau und Pflegetochter folgendergestalt reden hörte: »Was?« sagte Hassana, »soll man sich in seinem eignen Hause von den fremden Lumpenhunden verachten lassen? Du siehest es ja vor Augen, wie verächtlich er dich hält, und wie wenig mein Versprechen bei ihm gilt.« – »Frau Mutter«, erwiderte Lorangy, »die Liebe ist wie ein Tiger, welcher sich eher durch Glimpf als mit gewaltsamen Fesseln bändigen läßt. Sie wird mit gelinden Säften am ersten eingeflößet. Die Zeit wird und kann alles ändern. Ein Pfahl wird nicht auf einen Stoß in die Erde gebracht, also wird sich der liebe Mensch meine verliebte Not wohl endlich lassen zu Herzen gehen.« – »So wolltest du wohl«, versetzte Hassana, »dem weiblichen Geschlechte zu ewigem Schimpfe um Gegenhuld bittliche Ansuchung tun? Pfui schäme dich! Das Bitten und Flehen kömmt den Mannsbildern zu. Und ob wir noch so verliebt in unsern Herzen sein, so sollen wir uns doch stellen, als ob wir unempfindlich wären. Hierdurch erfahren wir, ob es eine beständige oder Flatterliebe sei. Ist es auf Beständigkeit angesehen, und hat sich einer einen Narren an dir gefressen, so entläuft er dir nicht, und du kannst ihn endlich, nach solcher Probe, den Zweck seines Verlangens wohl erreichen lassen; ist es aber nach heutiger Weltart nur auf eine kurze Wollust angefangen, so wird er nach sotaner verstellten Weigerung bald ablassen und dich überall vor die Keuschheit selbsten ausschreien, ob du es gleich am wenigsten bist. Und dieses ist eine notwendige Regul vor uns Frauenzimmer, welches Profession von der Liebe zu machen suchet, die du auch in acht nehmen mußt.« – »Frau Mutter«, antwortete Lorangy, »ich begehre zwar keine Profession von der Liebe zu machen, welches sonst gar eine verdächtige Art zu reden ist, allein, daß ich nicht sollte verliebt sein, wenn mir[93] das Verhängnis ein feines Gesichte in den Weg stellet, das kann ich nicht leugnen. Und eben dieser junge Fremdling, er sei, wer er sei, hat mich dermaßen verwundet, daß ich fürchte, wo nicht das Pflaster ehlicher Liebe darauf geleget wird, es dörfte auf eine verbotene Kur nauslaufen.« – »Wer die Tochter haben will«, setzte ihr Hassana entgegen, »der halte es mit der Mutter; nachdem aber dieses nicht geschiehet, und mir jederzeit das verächtlichste Gesichte zugekehret wird, als wirst du zu wenig sein, meinen Vorsatz zu hindern. Ich will noch heute nach Hofe laufen, und meinen Alten verraten, daß er verdächtige Fremdlinge aus Ava beherberget: hierdurch räche ich meine Schmach, und kann mit Gelegenheit auch meines Alten loswerden.« – »Ach Frau Mutter«, fiel ihr Lorangy ganz unbeweglich in die Rede, »wo Ihre Adern einen Blutstropfen in sich hegen, welcher mir nur etwas gewogen ist, so erbarme Sie sich der armen Lorangy, welche sich lebendig verscharren und ihr Elend auch nach dem Tode bejammern würde. Sie weiß ja selbst, wie stark das süße Gift der Liebe sei, und hat deren Würkung sowohl gegen den bewußten Hofjunker als auch den portugiesischen Kammerdiener sattsam empfunden. Ach so trage Sie doch auch Mitleiden mit meiner Jugend, und gedenke, daß mich die Götter rächen, Sie auch im Alter mit verliebten Herzen belegen und dabei unglücklich machen können. Denn mein endlicher Vorsatz ist, entweder zu sterben, oder meine Liebe zu vollführen.« – »Du kannst nach dem Herzen greifen«, fing die Alte endlich an, »und ich gestehe es gerne, daß ich mich durch das süße Andenken voriger Liebe ganz verjüngt befinde. Ich gebe dir Beifall, und verspreche dir, kraft meiner alten Liebe, möglichen Beistand. Nur siehe zu, daß du nicht alleine liebest, sondern audi geliebet werdest, wovon du doch noch nicht das geringste Zeichen abnehmen können.« – »Ach ja, liebe Frau Mutter«, tröstete sich Lorangy, »ich habe es sattsam verspüret, daß sein Gemüte durch meine Anmut so sehr als der Leib verwundet sei. Maßen er alsobald, als er mich nur erblickte, tief seufzete, und mir ganz sanfte die Hand druckte.« – »Ein verliebtes Herze«, widerredete die Alte, »hält jeden Sonnenblick vor einen Sommertag; allein nimm dich in acht, und wisse, daß ich dich aus Erfahrung lehren könne. Der flüchtige Merkur ist öfters denen Männern ins Herze geprägt. Das Gegenwärtige küssen sie, und das Entfernte meinen sie. So alber sind wir teils; wenn wir einer guten Miene gewahr[94] werden, so bilden wir uns ein, es sind lauter Stricke, welche uns und sie verbinden. Ein falscher Schwur ist uns so gewiß als tausend Eide. Ein gemaltes Fünkgen kann uns in volle Flammen setzen, daß wir auf den Hochzeitsschmuck bedacht sein, ehe noch von einiger Bewilligung geredet worden, wir werden öfters vor der Zeit allzu treuherzig, und lassen uns fangen, ehe der Jäger auf die Jagd zeucht. Ja, was das ärgste, den ersten Betrug, der uns mitgespielet worden, nennen wir einen Zufall, den andern ein Unglück und lassen kaum den dritten vor eine Warnung gelten. Ich bin zum höchsten Leidwesen mehr als sechsmal dergestalt angelaufen, daß man mit mir wie mit einem versalzenen Brei umgegangen, welchen jeder, wenn er ein paar Löffel davon genossen, stehen lassen.« Hier wollte der alte Talemon nicht länger zuhören, sondern ging seufzende davon, begab sich aber bald nach des Prinzen Zimmer, den er wachende befand, und nach dem Zustande seiner Gesundheit forschete, welche denn nach dieser Ruhe merklich zuzunehmen schien. Als er auch nach der Wunde sahe, befand er dieselbe dermaßen, daß er seinen Hausmitteln eine sonderbare Kraft zuschreiben mußte. Worauf er den Prinzen ferner anredete: »Gnädigster Herr, wo jemals der Rat eines alten und treuen Dieners gegolten hat, so bitte ich nicht übel zu deuten, wenn ich, nicht ohne Ursache erinnere, sich gegen meine Frau ehrerbietig und gegen meine Pflegetochter verliebt anzustellen: widrigenfalls stehet uns ein großer Unfall vor.« – »Wie?« antwortete der Prinz, »sollte ich mich wohl auf solche unverantwortliche Art und Weise an meiner himmlischen Banisen versündigen? Das sei ferne!« – »So sind wir des Todes«, widerredte Talemon, »denn die Götter haben die Sünden meiner Jugend durch meine itzige Ehe gerochen. Ich habe mit Entsetzen angehöret, wie meine Frau entschlossen, des Prinzen Anwesenheit, ob zwar in unbekannter Person, dem Kaiser zu entdecken, welches Vorhaben aber meine Pflegetochter durch vorgeschützte Liebe hintertrieben, jedoch mit diesem Bedinge, wenn sie in ihrer Liebe gegen den Prinzen glücklich wäre.« – »Der Himmel wird ja«, hub der Prinz hierauf an, »einmal müde werden, mich zu verfolgen, und nicht auch schwache Weibesbilder wider mich erwecken. Ich glaube ...« Hiemit traten Hassana und Lorangy hinein, wodurch der Prinz so erschrecket ward, daß ihm der Angstschweiß ausbrach. Talemon aber wurde zu mehrem Unglücke von seiner Frauen benachrichtiget, es sei[95] jemand aus Pegu angelanget, der ihn sprechen wollte. Weswegen er durch seinen Abschied den Prinz voller Angst hinterließ, welcher ihn beweglich bat, den faulen Scandor aufzuwecken und ihm zu befehlen, schleunigst aufzuwarten. Als nun dies ehrbare Frauenzimmer solche erwünschte Gelegenheit, ihre Liebesgeschäfte vollend auszuführen, ersahe, bediente sich die Alte deren bald mit diesen Worten: »Mein Freund, wie habt Ihr heinte geruhet, hat Euch nicht etwa ein guter Traum, durch Verstellung einer Person, welche meiner Tochter ähnlich siehet, empfindlicher gemacht?« Der Prinz konnte sich kaum fassen, diese närrische Frage zu beantworten, dahero er zuvor eine kurze Bedenkzeit nahm und endlich sagte: »Mein unbeglückter Zustand erlaubet nicht, mir etwas Angenehmes einzubilden, vielweniger vorzustellen. Inzwischen habe ich hohe Ursache, der werten Frau Mutter, als welche Ehrenbenamung sie billig um mich verdienet, untertänigst zu danken vor die unverdiente Gnade und Wohltat, welche ich unwürdigst unter Dero Dache genieße, und trage das Vertrauen zu Dero Güte, Sie werde die Erwiderung bis zu künftiger Gelegenheit ausgesetzt verbleiben lassen.« Hierdurch vermeinte nun der bedrängte Prinz sie auf andere Reden zu führen, und die verdrüßlichen Liebeserinnerungen zu hintertreiben; allein durch diese Liebkosungen, welche der Prinz mit einer sonderbaren Anmut vorzubringen wußte, wurde die Alte viel freimütiger und die Jüngere desto verliebter. Dahero die Hassana Anlaß nahm, folgendergestalt zu antworten: »Werter Freund und lieber Sohn! Ihr tut ganz wohl, daß Ihr einige Erkenntlichkeiten gegen Eure Wohltäter verspüren lasset, und sind wir auch allerseits begierig, nicht allein Euch alle Annehmlichkeit zu erweisen, sondern auch gar in unsere Freundschaft auf- und anzunehmen, wenn Ihr nur nicht Euch selbst in Lichten stehen, noch uns durch Ungehorsam betrüben, und zu widrigen Gedanken bringen wollet.« – »Da sein die Götter vor!« versetzte der Prinz, »daß ich mich sotaner Wohltat durch vorsätzliche Fehler unwürdig machen sollte: sondern ich würde mich vielmehr beglückt achten, wenn mir wegen jetzigen Unvermögens einiger Anlaß zu würklicher Vergeltung, an die Hand gegeben würde.« Diese Worte setzten unsere verliebte Lorangy in solche Vergnügung, daß sie sich nicht enthalten konnte, des Prinzen Hand zu fassen, und ihre Brunst durch ziemliches Drücken sattsam an den Tag zu legen. Endlich als[96] ihre Liebe und Glut gleichsam aus den Augen brannten, löste sie ihre Zunge und redete den Prinzen an: »Wollten die Götter, diese Worte hätten ihren Ursprung aus einem verliebten Herzen genommen, so würdet Ihr glückselig und ich vergnüget sein! Gewiß, das Glücke selbst gibet Euch Anlaß, Euer bestes zu bedenken. Denn hier, ich bin zu schwach, es zu verhehlen, brennet Lorangy, und ihr Gemüte erwählet Euch zu ihrem Abgott, dem sie Weihrauch ergebenster Liebe begierig anzuzünden verlanget. Erwäget demnach den Brand meiner Seelen, und bedenket die Pflicht, womit jedes Mannesbild dem Frauenzimmer verbunden ist.« Der Prinz hatte sich sotaner freien Erklärung nimmermehr versehen, derowegen er sich um so viel weniger in solcher Eil auf eine geschickte Antwort bedenken konnte, bis ihm endlich diese Ausflucht einfiel: »Schönstes Fräulein! ich kann kaum gläuben, daß sich Dero Tugend so tief erniedrigen, und eine unwürdige Person mit Ihrer Liebe beseligen sollte. Immittelst wird zwar diese hohe Gnade mit unsterblichem Danke von mir erkennet; allein ich beklage zugleich mein Unglück, daß mich eine anderwärtige Verbindung in Ava sotaner Liebe unfähig machet.« – »Wer sich in die Zeit schicket«, vertrat Hassana der Lorangen Stelle, »der wird vor klug geachtet, und wo das Verhängnis die Hand im Spiele hat, da muß man sich in die Zeit schicken. Mein Freund, Ihr müßt gedenken, daß Ihr jetzt in Pegu und nicht in Ava seid. In Pegu, sage ich, wo Euer Glück und Unglück blühen kann. Zwar meine Tochter hat sich ziemlich weit vergangen, daß sie, als ein Frauenzimmer, ganz verkehrterweise ihre Liebe selbst verraten, und sich einem fremden Mannesbilde gleichsam angetragen: Allein die heftige Würkung der Liebe und die feste Hoffnung, zu Euch, daß Ihr dieses viel eher vor eine wahre Probe ungefärbter Huld als einige Leichtsinnigkeit erkennen werdet, entschuldiget sie und verspricht uns eine gewierige Erkenntlichkeit von Eurer Person.« – »Ich sehe meine Wohlfahrt blühen«, erwiderte mein Prinz, »wenn mich nicht ein teurer Eid, welchen ich meiner Geliebten in Ava getan, zurücke hielte.« – »Daß man«, versetzte Hassana, »Eide tut und Gelübde hält, ist ganz rühmlich, wenn es nur in unserm Vermögen stehet, solche zu halten. Allein die Liebe läßt sich weder durch Eid noch Gesetze binden. Und wo sonst ein jeder bemühet leben soll, Treu und Glauben zu halten, so ist es ihm doch in Liebessachen erlaubet, auch mit Eiden zu spielen.« – »Welcher[97] Aberglaube«, antwortete hierauf der Prinz, »hat Ihnen dies eingepflanzet, daß man im Lieben das Gewissen hintansetzen solle? Gewiß, wo das Garn der Liebe nicht aus reiner Unschuldsseide gesponnen wird, da fressen sich unfehlbar die Motten des Unglücks ein. Drum stellet man dieses Fallbrett nur vergebens auf.« Hierüber wurde die Alte ganz ungeduldig, wo nicht erzürnt, indem sie sich vernehmen ließ: »So achtet Ihr dieses vor ein Unglücke, wenn Euch diejenige, welche bereits viel Stürme der Liebe abgeschlagen, Ihrer Huld würdiget. Und da Euer jetziger Zustand es doch erfodert, daß Ihr Euch um beständige Freundschaft bewerbet, so dürft Ihr noch eine entfernte Ungewißheit gegenwärtiger Schönheit vorziehen: Pfui, schämet Euch solcher Undankbarkeit! Besinnet Euch demnach in kurzem eines bessern, oder wisset, daß verschmähete Liebe Haß und Tod im Köcher führe.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, und ließ ihre Pflegetochter ganz allein bei dem Prinzen. Hier suchte nun Lorangy alle möglichste Liebesreizungen hervor, welche nur ein Frauenzimmer angenehm und ein Mannsherze empfindlich machen können: die Augen schienen gleichsam als gebrochen, und die ungemeine Röte ihrer Wangen verriet den starken Brand ihrer Seelen, welcher in dem Geblüte steckte und die sichtbaren Adern auf Stirn und Brust in die Höhe triebe. Die Armen zitterten, und die Knie senkten sich zur Erden, auf welchen sie des Prinzen Hand faßte, und ihn durch diese bewegliche Rede ganz aus sich selbst setzte: »Ach allerschönster und ohne Zweifel von den Göttern mir zugewidmeter Engel! Wie lange soll doch die verlassene Lorangy den Frühling ihrer Jahre mit Seufzen zubringen? Wenn wird mir doch die längst gewünschte Ruhe durch deine Gegengunst gewähret werden? Es ist ja unmöglich, daß den Tempel dieser Schönheit ein steinerner Abgott besitzen könne! Den Marmel bezwinget der Regen, und der Diamant wird durch solches schlechtes Blut erweichet; dein Herze aber will sich einem Ambosse vergleichen, welcher sich nur durch Schläge verhärtet: je mehr nun mein Herze klopfet, je eiserner wirst du. Ach unglückselige Lorangy! so muß dich dein eigen Feuer verzehren. Ich brenne, ach, ich brenne! und wo du, mein Augentrost, mir keine Rettung widerfahren läßt, so muß ich das Land der Toten betreten. Mein Herze schwitzet Blut, und meine Augen sind nasse Zeugen, daß Lorangy ohne Gegenliebe sterben müsse. Schau doch, du Abgott meines Herzens,[98] wie mich die milden Götter auch nicht sogar aller Liebe unwürdig gemacht haben. Sind gleich meine Augen keine Sonne zu nennen, so lassen sie sich dodi noch wohl denen Sternen vergleichen. Meine zwar blasse Wangen zeugen eine gemäßigte Glut an, welche durch kein fremdes Öl soll genähret werden. Die Lippen werden durch öfters Küssen den Scharlach übertreffen, und meine Haare haben wohl eher verliebte Seelen gefesselt; ja diese Brust bezeuget, daß die Götter meinen Leib zu keinem wilden Manne versehen haben. Willst du nun den reinen Trieb der Natur hemmen? Wie, willst du deine Augen von mir wenden? Lasse mich doch das Ziel deines Anschauens sein, schaue doch, wie mein Herze kochet, und meine Seele nach dem Labsal lechzet, welches aus deiner Anmut quillt. Ich will dir, mein Engel, die Hände unterlegen, ja meine Seele soll sich dir aufopfern. Ich wünsche, daß noch hundert Herzen in mir wären, so sollten sie alle in Liebe gegen dich zerrinnen und sich in deine Seele einflößen. Ach willst du mich durch Schweigen betrüben, unempfindliche Seele? Die toten Felsen antworten ja denen Fragenden durch ein Echo, und du willst mich Trostlose keiner Antwort würdigen.« Der Prinz lag hierüber fast wie entzückt, und wußte sich aus solcher Verwirrung ganz nicht zu finden. Einesteils wunderte er sich über ihre ungemeine Heftigkeit der Liebe, welche sie zu dieser Kühnheit veranlassete, ihre Gedanken so ungescheut zu offenbaren, und mit verliebten Gebärden vorzutragen, als ob sie längst bei der Liebe wäre in die Schule gegangen. Andernteils fühlte er einiges Mitleiden, und wünschte ihr auf solche Art geholfen zu sein, womit ihr gedienet, und sein Gewissen nicht beflecket, vielweniger sein hoher Stand benachteiliget werden möchte. Wie sie nun nach eigener Erinnerung nicht so gar ungestalt war, daß nicht ein leichter Vogel an diesem Leime hätte können kleben bleiben, zumal sich ihr eine ungewöhnliche Anmut beigesellte, so war sich über unsers Prinzen ungemeine Tugend um so vielmehr zu verwundern, daß er sich so klüglich bezwingen konnte, nicht allzu verliebt anstellen und auch ihr nicht alle Hoffnung benehmen wollte. Derohalben er ihr denn einen freundlichen Blick und diese Antwort erteilte: »Werteste Lorangy, ich bin der Liebe nicht würdig, womit Ihr mir unverdient zugetan seid, und erblicket hieraus nicht ungefähr einige Schickung der Götter: weswegen ich denn törlich handelte, wenn ich diesem allzuheftig widerstreben[99] wollte, zumal ich nicht leugnen kann, daß sich durch Eure Anmut hin und wieder einige Funken der Gegenliebe in mir entzündet haben, welche gewiß zu ihrer Vollkommenheit gelangen möchten, wo es anders der Götter Wille ist, so man nur solche Liebesglut durch das Öl der Vorsicht, ich will nicht sagen, Vollziehung keuscher Liebe treulich unterhält. Denn ich sichere, daß ich Eurethalben eine solche Schönheit verlassen müßte, welche sich mit der Euren gar leicht in einen Wettstreit einlassen könnte. Diese nun hintan zu setzen und Eure Liebe zu erfüllen, erfodert Klugheit, damit nicht vor der Zeit solches in Ava kund, und wir an unserer Liebe verhindert würden. So ist denn vor allen Dingen nötig, daß vor itzo auch der geringste Verdacht, welchen unsere einsame Zusammenkunft nicht unbillig erwecken kann, vermieden werde. Dannenhero erwartet der Zeit, meidet mein Zimmer, liebet in der Stille, und versichert Euch, daß den Schluß des Himmels nichts zu hintertreiben vermöge.« – »Ach armselige Lorangy«, antwortete sie darauf mit tränenden Augen und ringenden Händen, »so hast du das Todesurteil aus dem Munde desjenigen vernehmen müssen, von dem du das Leben gehoffet hast. Wehe mir, ich bin verloren! Ach ich kenne allzuwohl den Verzug kaltsinniger Herzen, welche die Zeit zum Mantel ihres Hasses gebrauchen, zumal jedweder Verzug denen Verliebten eine Höllenpein ist. Man weiß ja der Liebe Macht, wie sie tausend Mittel habe, ihr Recht zu beschleunigen; hingegen, wo ihr nicht geraten wird, so ist sie auch fähig, unsern Geist zu verkürzen.« Diese auf Verzweiflung zielenden Worte preßten unserm Prinzen einen Angstschweiß nach dem andern aus. Endlich fand er sich doch gezwungen, ihr Begehren etwas genauer zu untersuchen und zu sagen: »Liebste Lorangy! Ihr werdet hieraus ein sattsames Zeugnüs meiner Liebe gegen Euch verspüren, wenn ich billige Vorsorge vor Eure Ehre trage und mich befürchte, so jemand uns alleine antreffe, es möchte Euch nicht wenig Nachteil bringen. Und weil mir Euer Begehren noch nicht allerdings bekannt ist, auch in so kurzer Zeit mich nicht darauf werde entschließen können, so entdecket mir Euren Vorschlag in aller Kürze, und erwartet alsdenn in einigen Tagen mein reiferes Bedenken hierüber, welches gewiß zu Eurer Vergnügung ausschlagen soll.« – »Es ist zu spät«, antwortete Lorangy hierauf, »an einigen Aufschub zu gedenken, wo nicht zugleich mein Leben mit der Sonne untergehen soll. Denn sehet meinen festen[100] Vorsatz, sollte ich ja unglücklich in meiner Liebe sein, so soll dieses Messer meine Brust durchgraben, und die Rache soll mit meinem Blute angeschrieben werden. Heget Ihr aber einen Blutstropfen in Euch, welcher mich Eurem Vorgeben nach etwas liebet, und gehet Euer Vorwand, wegen einiges Verdachts unserer offenen Zusammenkunft von Herzen, so beschwere ich Euch bei allen Göttern, daß Ihr mir erlaubet, heinte noch bei nächtlicher Zeit, wenn alles in der Ruhe liegt, Euch durch Hülfe des Hauptschlüssels zu besuchen, und den letzten Spruch meines Lebens oder Todes von Euren Lippen zu holen.« Niemals war der Prinz in größern Ängsten gewesen, zudem ihr nunmehro statt der Liebe die Verzweifelung aus den Augen sahe. Dannenhero mußte er sich in dieser Not zu etwas entschließen und zu ihr sagen: »Sehet, beständige Lorangy, daß Ihr kein Mißtrauen in mich setzen dürfet, so will ich morgen zur Nacht Eurer in diesem Zimmer erwarten, weil diese Nacht Talemon bei mir zu bleiben versprochen; allein Ihr müsset mir angeloben, ohne Licht zu erscheinen, nicht viel zu reden und Euch, so viel als möglich, stille zu verhalten, damit nicht jemand sotane verdächtige Zusammenkunft merken möge.« Wodurch die verzweifelte Lorangy ganz wieder zu sich selbst kam, alles getreulich zu halten versprach, und mit einem Kusse, welchen der Prinz unmöglich verwehren konnte, endlichen Abschied nahm. Nach ihrem Abtritt stellte sich Scandor ein, und erwiese durch sein mattes Wesen, daß er noch nicht allerdings ausgeschlafen hätte, weswegen ihm denn der Prinz einigen Verweis gab. Er aber wendete zu seiner Entschuldigung vor, daß er die überflüssigen Feuchtigkeiten, welche er im Flusse eingeschlucket, noch nicht verdauen könnte, welche ihm denn öfters den Kopf so beschwerten, daß er notwendig schlafen müßte, wollte er anders bei unverrückter Vernunft bleiben. Nach wenig Stunden stellte sich Abaxar versprochenermaßen gleichfalls wieder ein, mit dem Bericht, daß sich der Kaiser in ein nahe bei Pegu gelegenes Holz auf die Jagd begeben, und ihn fernerer Aufwartung überhoben hätte. Als sich nun auch nachgehends Talemon und Ponedro einfunden, ersuchte der begierige Abaxar den Prinzen ganz freundlich, seinem Bedienten anzubefehlen, daß er doch die angenehme Lebensbegebenheiten des Prinzen von Ava fortsetzen, und durch dessen Erzählung sein Gemüte vergnügen möchte; weil er ein sonderliches Verlangen den Anfang der Liebe zwischen dem Prinzen und der Banisen zu[101] vernehmen trüge. Ob nun zwar solches dem Prinzen schwer vorkam, solchen Erinnerungen, welche ihm nichts anders als ein trauriges Andenken verursachen konnten, beizuwohnen: dennoch wollte er dem Abaxar, als einer vermutlich hohen Person nicht gerne entfallen, sondern befahl dem Scandor, seinem Begehren nachzuleben, und alles, was ihm wissend wäre, zu erzählen. Demnach setzte er sich abermals etwas abseits und erzählte die

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Francisci Staats-Garten. p. 812.

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Francisci Staats-Garten. p. 812.

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Dewetaes heißt bei denen asiatischen Völkern Götter, und halten sie das Feuer auch vor einen Deweta, bei welchem sie ihre Eide ablegen und schweren. Roger. Heydenthum. p. 184.

Quelle:
Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen: Die Asiatische Banise. München 1965, S. 43-102.
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