Der Asiatischen Banise erstes Buch

[15] »Blitz, Donner und Hagel, als die rächenden Werkzeuge des gerechten Himmels, zerschmettere den Pracht deiner goldbedeckten Türme, und die Rache der Götter verzehre alle Besitzer der Stadt: welche den Untergang des Königlichen Hauses befördert, oder nicht solchen nach äußerstem Vermögen, auch mit Darsetzung ihres Blutes, gebührend verhindert haben. Wollten die Götter! es könnten meine Augen zu donnerschwangern Wolken, und diese meine Tränen zu grausamen Sündfluten werden: Ich wollte mit tausend Keulen, als ein Feuerwerk rechtmäßigen Zorns, nach dem Herzen des vermaledeiten Bluthundes werfen, und dessen gewiß nicht verfehlen: Ja, es sollte alsobald dieser Tyranne, samt seinem götter- und menschenverhaßten Anhange, überschwemmet und hingerissen werden: daß nichts, als ein verächtliches Andenken überbliebe. Doch, ach! wie irre ich? Was rede ich? Sollte wohl solche Rache ohne Unterscheid und ohne einiges Bedenken vollzogen werden? wo bliebe denn die überirdische Banise? um derentwillen einig und allein der Himmel noch die abscheulichste Strafe über Pegu zurücke hält, und welche das gütige Verhängnis noch sonder Zweifel von dem ganzen Kaiserlichen Stamme wird übrig, ach! wer weiß? ob nicht in der Hand eines grausamen Besitzers, gelassen haben: um so viel mehr die geschlagenen Gemüter der fast entseelten treuen Untertanen wieder aufzurichten, und zu erinnern: es sei noch ein Stern vorhanden, welcher leicht wiederum zu einer Sonne werden könnte: wenn man ihm aus jetziger Finsternis zu seinem vorigen Glanze verhülfe. Auf! derowegen, Prinz von Ava! erinnere dich desjenigen, womit du Banisen verpflichtet bist, und wisse: daß du die glückselige Besitzung einer so himmlischen Schönheit nicht eher würdig genießen kannst, du[15] habest dich dann durch würkliche Rache an ihren Feinden sattsam um sie verdient gemacht.

Ach! aber, was schwärmest du noch weiter, unglückseliger Prinz! Erinnerst du dich nicht, daß du zwar ein König vom Stande, doch nicht vom Lande, bist? Ein ohnmächtiger Prinz, welchen das Leben seines unbarmherzigen Vaters aller Mittel beraubet hat, seine innigstgeliebteste Banise von Schande und Tod mächtigst zu befreien. Ich wünsche mir den Tod, wenn ich bedenke, wie ich ihr in jetzigem Zustande nicht mehr, als einer ihrer geringsten Sklaven, zu raten oder zu helfen vermag: und wie hingegen auch der wenigste Verzug zu ihrem und meinem höchsten Nachteil geraten kann. Jedoch, kann ich ihr nicht mit meinem Leben dienen: so soll sie doch mein Tod von dem Tyrannen befreien. Ich will in die Burg, mich mitten unter die Feinde wagen, ja sobald ich mich dem Mordkönige dermaßen genähret habe, daß ich ihn werde erreichen können, diese meine Faust mit seinem mörderischen Blute färben, und seinen schwarzen Geist, als ein höllisches Rachopfer, der brennenden Finsternis zuschicken.« Mit solchen verzweifelten Worten ließ sich Balacin vernehmen: als ihm bei aufgehender Sonne der Glanz derer auf der kaiserlichen Burg mit purem Golde gedeckten Türme die Augen blendete, und er von einem Hügel die große und prächtige Stadt Pegu übersehen konnte: nachdem er die ganze Nacht durch, bloß allein von tausend widerwärtigen Gedanken begleitet, geritten, und sein ermüdetes Pferd in die Weide geschlagen, sich aber selbst, um seine ruhbedürftige Glieder in dem betauten Grase zu erquicken, auf seinen Mantel geleget hatte. Allein bei Endigung der letzten Worte ersahe er drei verwegene Bramaner, mit entblößten Säbeln, aus einem Strauche hervorgesprungen kommen, welche ihn sofort mit entsetzlichen Gebärden anschrien: »Und du bist der einige Verräter, welchem das rechtmäßige Verfahren unseres mächtigsten Kaisers mißfallen, und sich, als ein Sklave, in Fesseln rächen will? Halt, dein Kopf soll uns tausend Pesos gelten!« Sofort wurde Balacin von ihnen ohne ferneres Wortwechseln überfallen, daß er kaum aufspringen, und den ins Gras gelegten Säbel ergreifen konnte. Weil sich aber zu allem Unglücke sein Riemen über das Gefäße geschlungen hatte, vermochte ihn Balacin nicht auf den ersten Zug zu entblößen: dahero er von dem einem Bösewicht einen ziemlichen Hieb in die linke[16] Schulter bekam, daß sein himmelblauer Rock in kurzer Zeit mit Blute gefärbet war. Doch der Himmel, welcher diesen tapfern Prinzen noch zu etwas Größern aufbehalten, als daß er von so schnöder Faust liederlich verderben sollte, gab Gnade, daß er bald seines Säbels mächtig ward, und im andern Streich den Täter so ungestüm an den Hals zeichnete, daß er gleich zur Erden stürzte. Hierauf ersahe der Prinz sein Vorteil, und sprang, um den Rücken zu versichern, an einen Baum: Da sich denn diese Schelmen über den Tod ihres Mitgesellen dermaßen ereiferten, daß sie gleichsam als blind und rasend einzulaufen sich bemüheten. Dahero sich auch einer den vorgehaltenen Säbel des Prinzen unter der linken Brust dermaßen einlief, daß er tot davon niedersank, und den vorgesetzten Streich nicht vollziehen konnte. Es würde aber unseren Balacin noch ein größerer Unfall betroffen haben, wenn nicht das Verhängnis selbst vor ihm den Streich ausgenommen hätte. Denn als er den Säbel nicht so geschwinde, wie es die Not erfoderte, aus dem Leibe des Eingelaufenen ziehen konnte, versuchte der dritte durch einem grausamen Hieb, den Tod seiner Kameraden zu rächen, und holte demnach aus allen Kräften aus, dem Prinzen den Kopf zu spalten: welches ihm auch richtig gelungen wäre, wenn nicht ein treuer und überhangender Ast den Streich aufgefangen hätte. Denn als der Mörder vor Raserei den Ast nicht bemerkte, hieb er so grimmig hinein, daß er nicht allein den Säbel mußte stecken lassen: sondern auch, als Balacin hiedurch seinen Säbel wieder zu gewinnen, Zeit bekam, von selben einen schweren Streich in die Achsel empfing, daß er sofort, wo er nicht den andern beiden gleich werden wollte, das Reißaus spielen mußte: wiewohl er leicht würde einzuholen gewesen sein, wann nicht Balacin sowohl wegen der fernen Reise, als auch ziemlichen Verwundung dermaßen ermüdet, daß er vor Ohnmacht in das Gras niedersank, und sich in ziemlicher Weile nicht zu entsinnen wußte, in was vor elenden Zustand und gefährlichem Orte er wäre.

Als nun der verwundete Prinz fast bei einer Stunde ganz entkräftet gelegen hatte, erholte er sich endlich in etwas wiederum, und bemerkte von fernen einige redende Stimmen. Dahero er sich nicht unbillig eines fernern Überfalls besorgte, und deswegen einen sichern Ort, allwo er nur etliche Stunden der höchst benötigten Ruhe pflegen, und sodann[17] des Himmels Schickung mit Geduld erwarten könnte, zu suchen bedacht war. In solcher Entschließung bemühte er sich zu erheben. Als er sich aber kaum auf einen Schenkel steuerte, fiel er vor großer Schwachheit, so ihm der große Verlust des Geblütes verursachte, wieder dahin. Weil aber die Stimmen sich näherten, versuchte er sein äußerstes, auf allen Vieren diesen gefährlichen Platz zu verlassen: indem er sich befürchtete, der Entrissene möchte ein größeres Unglück über ihn herbeiführen: Derowegen kroch er voller Mattigkeit und Furcht bei dreihundert Schritte fort, bis er an einen breiten Fluß gelangte, welcher ihm Hoffnung und Flucht benahm. Nachdem er aber ein starkes Geräusche hinter sich vernahm, entschloß er, sich dem sandichten Ufer anzuvertrauen: welches, ob es zwar ziemlich erhöhet war, dennoch etliche Schritte breit truckenen Sand unter sich zeigete, und von einigen Bäumen beschattet wurde. Dannenhero er sich, so viel seine Schwachheit zuließ, sanfte am Ufer herunterließ, allwo ihm das Glücke eine weite Höhle unter den Wurzeln der Bäume, die das reißende Wasser unterwaschen hatte, darbot, sich derer in dieser Gefahr zu bedienen. Welche angenehme Gelegenheit er willigst ergriff, und sich nach Vermögen eilends darein verbarg: indem er bereits einige Personen auf dem hohen Ufer also reden hörte: »Hätten wir unser Vorhaben eine Stunde eher beschleunigt, wir hätten den fremden Vogel auf Stücken zerreißen können. Immittelst lasset uns fleißig suchen, wer weiß, ob nicht der Fund die Mühe belohnet.« Welchem der andere antwortete: »Er kann nicht ferne von hier sein: weil er gleichfalls sein Teil bekam, daß er unmöglich weite Springe wird haben machen können. Unterdessen lasset uns unsere entseelte Kameraden dem Ufer dieses Flusses anbefehlen, derselbe mag sie bei anwachsendem Wasser hinführen, wo ihr Grab bestimmet ist. Bekommen wir aber den mörderischen Verräter, so soll er ihnen ein grausames Schlachtopfer werden.« Hiemit stürzten sie die zwei vom Prinzen entleibte Körper vom Ufer auf den Sand, daß sie gleich vor die Höhle zu liegen kamen, und gingen mit harten Bedrohungen davon. Solches sahe und hörte Balacin alles an. Weil ihn aber die Wunde sehr schmerzte, und er des Schlafes sehr benötiget war: als riß er den Saum von seinem japanischen Rocke, verhüllte die Wunde, so viel möglichen, daß nur das Geblüt gestillet wurde, wickelte sich in den Mantel,[18] welchen er nebst den Säbel wohl bedachtsam mit sich genommen hatte, und schlief also vor höchster Mattigkeit ein. In solcher Ruhe verharrete er bis an späten Abend, da bereits der Mond mit vollem Lichte aufgegangen war, vermittelst dessen er das Silber des rauschenden Flusses, und zugleich die zwei Leichen auf dem Sande ersehen konnte. Hier kann sich ein furchtsames Herze die entsetzlichsten Vorstellungen einbilden, welche auch der Herzhaftigkeit selbst eine Furcht einzujagen vermögen: Einesteils quälte den Prinzen die Wunde, und zugleich der Hunger, welchen er in zweien Tagen durch stetes Reisen und Fasten erwecket hatte. Andernteils sahe er sich von der Nacht, die ein Schrecken an sich selbsten ist, an einem so unbekannten schrecklichen Orte überfallen. Die vor der Höhle liegende, und mit Schand und Blut besudelten Körper aber, deren jeder so ein gräßliches Gesichte zeigete, als ob er drohete, sich auch im Tode an dem Prinzen noch zu rächen, vermehrten das natürliche Entsetzen. Ja was noch abscheulicher war, so befand er neben sich in der Höhle unterschiedene andere Leichen, welche vor zwei Wochen der tyrannische Chaumigrem bei dem jämmerlichen Blutbade in Pegu in den angelaufenen Fluß werfen lassen, und sodann das Wasser in diese Höhle geführet hatte, worinnen sie nach getrocknetem Ufer waren liegen blieben: und schiene es, als ob ein totes Element diesen Bluthund an Barmherzigkeit übertreffen, und die Toten mit einem Begräbnis versehen wollen. In solcher abscheulichen Totengesellschaft befand sich nun der armselige Prinz: Wiewohl solches seinen Augen wegen der Finsternis wohl würde verborgen geblieben sein, wenn er nicht, als er seinen Säbel zu suchen bemühet war, und also um sich greifende, statt des Säbels, bald eine eiskalte Hand, bald einen Kopf voll Haare und andere bereits vermoderte Menschenglieder in die Hand bekommen hätte: welches ihm dermaßen entsetzlich vorkam, daß er fast seiner Schmerzen vergaß, und nach ergriffenen Säbel und Mantel auf allen Vieren sich eilend nach dem Ausgang der Höhlen begab: allda er sich, um seinen elenden Zustand recht zu betrachten, und mit sich zu Rate zu gehen, was und wie er ferner seine Sache anstellen, und wohin er sich bei so eiteler Nacht wenden wollte, auf seinen zusammengerollten Mantel setzte. Denn in der furchtsamen Höhlen die ganze Nacht zu bleiben, wollte er lieber den Tod erwählen: zumal der Mond[19] den Untergang dräuete. Ihr Götter, hub er bei sich selbsten an, so müssen mich auch durch euer ungerechtes Schicksal die Toten verfolgen und ängstigen, nachdem die Lebendigen euren Befehl, mich in das Grab zu stürzen, nicht vollbringen können. Ist dieses die Ruhe, deren ihr mich durch euren Priester zu Pandior versichern lassen? Doch sollte mir dieses Elend eine Erfüllung euer Zusage sein: wenn ich nur wüßte, daß hiedurch der himmlischen Banise im geringsten geholfen würde. Ja, könnte ich ihre Befreiung und Sicherheit befördern: ich wollte mich gern, als ein Toter, diesem Toten beigesellen. Verhaßten Götter! Ich sehe es wohl, daß ihr meinen Untergang beschlossen habt: ich bitte euch aber um euer vermeinten Gerechtigkeit willen, ihr wollet mein Leben versparen, bis die erzürnten Bramaner mich zerfleischen, und ihren von mir ermordeten König an mir rächen werden: damit ich also durch meinen Tod der englischen Banisen einen ersprießlichen Dienst leisten könne.

Unter solchen Sterbensgedanken wurde unser Prinz von einem herabspringenden Tiger nicht wenig erschrecket, welches die Leichen gewittert, und alsobald aufs grausamste in die Körper hineinfraß. Solchem aber zuzusehen, erachtete der Prinz nicht vor ratsam, aus Furcht, es möchte die Toten verlassen, und die Lebendigen suchen. Dannenhero wagte er's getrost, als er seinen Vortel an dem heißhungrigen Tiere, welches bloß auf seine Speise Achtung gab, ersahe, und wollte ihm mit entblößtem Säbel einen spaltenden Streich über das Haupt versetzen: verfehlte aber solches zu besserm Glücke, und hieb ihm die rechte Tatze, welche es in das Fleisch eingeschlagen hatte, glatt hinweg: daß es also, indem es nach ihm zu springen vermeinte, auf die Seite fiel, und er es nach vielen Hieben und Stichen vollends hinrichten konnte. Solches erkennete Balacin als ein gutes Vorzeichen, worüber er ein innerliches Vergnügen empfand, und in diese Worte herausbrach: »Verzeihet mir, gütigsten Götter! wo mir etwa allzu große Ungeduld solche Worte abgedrungen, welche zu eurer Beleidigung gereichen können. Denn wo Schmerz und Verzweifelung den Sitz nehmen: da muß Geduld und Vernunft öfter hintan stehen. Schauet vielmehr mein Elend, und lasset ab, königliches Blut zu verfolgen, und mich ferner zu quälen. Lasset das bereits vergossene Blut von Pegu genung sein, die Glut eures allzufeurigen Zornes auszulöschen, und machet mich zu einem Werkzeuge, wodurch[20] Pegu gerettet, der Kaiser gerochen, und die Prinzessin erlöset werde. Ja lasset dieses Tiger ein beglücktes Vorbild sein: daß auch der Tyranne durch meine Faust auf solche Art fallen müsse. Voritzo aber zeiget mir verirrten Prinzen Weg und Steg, wie ich aus dieser Mördergrube meinen Fuß ziehen, und wohin ich mich, meinen Vorsatz glücklich zu vollstrecken, wenden möge.« Ehe er aber solche andachtsvolle Seufzer endigte, hörte er abermal einen Laut redender Personen über sich. Und ob ihm solches gleich anfangs einen Schrecken beibrachte, hielt er sich doch, so weit es die Sicherheit erlaubte, außer der Höhle, um desto besser alle Reden zu bemerken: welche er denn in folgenden Worten vernahm: »Und auf wen sollte sich wohl unsere Hoffnung gründen? Der Kaiser ist tot: die Prinzessin ist verloren: der Prinz von Ava kann, und sein Vater der König will uns nicht helfen, indem er vermeinet zu schwach zu sein; nicht bedenkende, daß eine gerechte Sache und des Himmels Beistand mehr als zehen Armeen auszurichten vermögen.« – »Mein Vater«, fiel ihm der andere in die Rede, »regierten nur die Götter den Prinzen von Ava, daß er seiner Pflicht gegen unsere Prinzessin ingedenk wäre, und sich ingeheim zu uns verfügte: ich versichere, es würden so viel tausend treue Peguaner, welche ihr Blut und Vermögen, zur Rache ihres unschuldigst ermordeten Kaisers, willigst aufzuopfern bereit sein, auf seine Seite treten, daß er keiner anderen Hülfe benötigt sein würde.« – »Ich weiß nicht, mein Sohn«, hub der erstere an, »was ich mir vor Gedanken von dem Prinzen fassen soll? Ich habe bereits vor sechzehen Tagen einen schleunigen Bericht von dem jämmerlichen Zustande des Kaiserlichen Hauses und der äußersten Gefahr seiner Prinzessin nach Ava abgesendet, welchen er auch, wie ich vernehme, richtig erhalten, und gleichwohl siehet und höret man nichts von seiner Verrichtung, da doch jedweder Augenblick der trostlosen Prinzessin den endlichen Untergang drohet. Jedoch wird er seine edele Pflicht bedenken, und auf grausamste Rache bedacht sein.« Hierüber erseufzete der Prinz so tief, daß sie auch solches auf dem Ufer vernehmen konnten, welches ihnen eine entsetzende Verwunderung verursachte, und dem Talemon diese Worte herauslockte: »Ich halte davor, daß auch die stummen Bäume durch solche Tyrannei beweget werden, und ihr Mitleiden durch deutliche Seufzer zu verstehen geben wollen.« Als aber der Prinz solches Seufzen wiederholete,[21] konnte sich Talemon nicht enthalten, weil er eine notleidende Person in der Nähe vermutete, etwas lauter zu forschen, ob jemand vorhanden, welcher Hülfe benötiget wäre. Auf solche Nachfrage entschloß sich Balacin, welcher solches vor eine göttliche Schickung annahm, zu antworten, und sagte: »Wer ihr auch seid, von Göttern oder Menschen an diesen Ort begleitet, erbarmet euch über eine Person, derer Gemüte verwundet, und der Leib beschädiget ist.« Ponnedro, also nennete sich der jüngere, ward durch solche Stimme dermaßen bewegt, daß er sich alsobald am Ufer herunterließ, und heftigst erschrak, als er bei Mondenschein die toten Körper und das niedergehauene Tiger erblickte. Der Prinz aber ermunterte ihn mit diesen Worten: »Entsetzet Euch nicht, mein Freund, vor diesem häßlichen Anblick. Diese zwei entseelten Mörder haben nach meinem Leben unverschuldeterweise getrachtet: der Schutz des Himmels aber hat sie der Schärfe meines Säbels übergeben, wiewohl ich zugleich einen Teil meines Geblütes ihrer Mordbegier aufopfern müssen. Weil ich denn nun schon so lange an diesem einsamen Orte, von allen Menschen entfernt und in meinem Blute hier liegen müssen, da ohne Zweifel diese Höhle mein Grab sein würde, so bitte ich Euch um des Himmels willen, wo Ihr ja von dem Anhange des tyrannischen Kaisers seid, durchstoßet mein Herz, und befreiet Leib und Gemüte von Qual und Schmerzen. Seid Ihr aber aus dem Geschlechte der Menschen und aufrichtige Peguaner, so erbarmet Euch über den, welchen der bekümmerte Prinz von Ava an alle getreue Peguaner zu ihrem Besten abgeschicket hat.« – »Von wem?« fragte Ponnedro ganz begierig. »Vom Prinzen Balacin«, antwortete er selbst, »welcher, seine geliebte Prinzessin zu retten, sich bald in Person einstellen wird.« – »Ach!« rief Ponnedro seufzende, »zum Rächen, aber nicht zum Retten.« – »Wieso?« fragte der bestürzte Prinz, »ist Banise bereit geschändet, oder vielleicht gar tot?« – »Es ist jetzt nicht Zeit, hiervon zu reden«, antwortete Talemon. »Begebet Euch nur mit uns nach jenem Schlosse, und genießet allda benötigte Ruhe und Speise: Morgen soll Euch alles zur Gnüge entdecket werden.« Ob nun zwar solche Ungewißheit unserm Prinzen höchst beschwerlich vorkam, so folgete er ihnen doch endlich mit sachten Schritten, bis in das nahegelegene Schloß, da sie ihn nach geschehenen Eintritt durch eine hohe Wendelstiege, welche ihm wegen der Wunde[22] schmerzlich zu steigen war, in ein finsteres Gemach führeten, auch ihn, sobald er hineingetreten, verließen, und die Türe hinter ihm zuschlossen. Hier war der Prinz abermal in tausend Sorgen und Ängsten, und wußte nicht, ob er Freunden oder Feinden sich vertrauet hatte. Das Gemach schiene ganz schwarz zu sein, und nach eröffnetem Fenster sahe er einen steilen Felsen hinunter, dessen Tal voller Bäume und Sträucher stund, darinnen einige Wölfe entsetzlich heuleten, welche unangenehme Musik etliche Eulen mit ihrem Sterbegeschrei vermehreten, daß unserem Prinzen die Haare zu Berge stunden, und nicht anders vermeinte, er wäre aus einer Mördergrube ins Grab geraten. Als er nun in solcher Furcht und Sorge fast zwei Stunden verharret, kam ein alter Mann mit einer Laternen hinein, welcher ihn mit folgenden Worten seiner Angst entledigte: »Verzeihet mir, mein Freund, daß ich Euch so lange einsam gelassen, und nicht sowohl Euren Magen mit Speise, als auch den müden Leib mit einem geruhigen Lager, versehen habe. Inmittelst lasset mich Eure Wunde gebührend auswaschen und verbinden, nehmet ein wenig Speise zu Euch, und ruhet sodann ohne Furcht und Bekümmernis.« – »Die Götter verlohnen es Euch«, antwortete der Prinz, »daß Ihr so sorgfältig vor meine Gesundheit und Beruhigung seid. Inzwischen wollte ich wünschen, Euren Namen zu wissen: angesehen mir die Sprache vorkömmt, als ob ich die Person kennen würde, wenn ich sie bei mehrern Lichte betrachten sollte.« – »Es ist Euch solches nicht nötig zu wissen«, widerredete der Alte. »Ich will mich schon offenbaren, wenn ich das Glücke haben werde, den werten Prinz von Ava in Person zu bedienen.« Mit diesen Worten langte er das Licht hervor, und erleuchtete durch zwei angezündete Lampen das ganze Gemach; vermittelst deren der Prinz den Alten völlig erkannte, und ihm ganz entzückt um den Hals fiel. »Ach Talemon!« rief er, »mein allerwertester Talemon! wie wohl hat mich der Himmel versorget, daß er mich zu Euch geführet hat!« Der alte Talemon erschrak anfangs heftig hierüber, endlich aber, wie er den Prinzen sahe, fiel er vor ihm nieder, und küßte dessen Knie, sagende: »O ihr Götter! was vor eines Glückes würdiget ihr mich? Ist es möglich, Durchlauchtigster Prinz, daß es Seine hohe Person ist? oder wollen mich nur die Geister äffen, und meine Augen betrügen?« Der Prinz, welcher sich wegen seiner Wunde allzu heftig beweget hatte, ermahnte[23] ihn, solche Freud- und Ehrenbezeugungen zu versparen, bis zu gelegner Zeit: Und weil er wußte, daß er sich auf die Wundenkur wohl verstund, bat er vor allen Dingen, nach der Wunde zu sehen, und ihn zu verbinden. Welches Talemon fleißig verrichtete, und als er den Prinzen mit Speis und Trank sattsam erquicket, bereitete er ihm ein solches Lager, worauf er besser, als in der Totenhöhle, ruhen konnte: wünschte ihm sodann eine gute Nacht, und begab sich auch zur Ruhe.

Es wurde aber kaum die Annäherung der Sonnen durch einige Lichtstrahlen bemerket, als der muntere Talemon ihr zuvorkam, das Lager verließ, und sich in seinen Garten verfügte, allda aufs fleißigste zu sorgen: wie so ein hoher Gast würdig und sicher möchte bewirtet, bevoraus aber ihm der schmerzliche Verlust seiner Prinzessin auf solche Art hinterbracht werden, daß noch einige Hoffnung die Verzweiflung hindern könne. Wegen der Sicherheit nun, hielt er vor ratsam, bei dem Vorgeben eines Hofjunkers von Ava zu beruhen: das andere aber wollte er bei erster Nachfrage mit zweifelhafter Rede beantworten, bis völlige Besserung seiner Wunde sich verspüren ließe. Als aber währenden Nachsinnens das angenehme Welt-Auge in dem springenden Wasser eines in dem Garten stehenden Kunstbrunnens artige Vorstellungen machte, und solches den Talemon erinnerte, nachzusehen, ob den Prinzen der Schlaf verlassen, und ob er was benötiget wäre: eilte er zuvörderst seiner Frauen, der Hassana, zu, und ermahnte sie, etwas von einem Frühstücke zu verfertigen, welches zugleich stärkte und sättigte: weil sich der gestrig-späte Gast etwas übel auf befände. Da denn gedachte Hassana teils aus angeborenem weiblichen Vorwitze, teils aus Antrieb ihrer Pflegetochter Lorangy, nicht unterließ, fleißigst nachzuforschen: Wer doch erwähnter Gast sein müßte? Welche er aber mit der im Garten ersonnenen Antwort befriedigte. Hierauf ging er ganz leise nach des Prinzen Zimmer, und eröffnete die Türe in möglichster Stille: in willens, die annoch brennenden Nachtlampen ihres Amtes zu erlassen, und auszulöschen. Als er nun unfern dem Lager kam, bemerkte er, daß sich des Prinzen Mund bewegte, auch, nach etlichen tief geholten Seufzern, diese Worte im Schlafe vorbrachte: »Banise muß auch im Tode leben, und ich sterbe lebendig.« Worauf er ganz sanfte wieder eingeschlafen schien. Indem aber Talemon durch eilende[24] Unvorsichtigkeit eine Lampe herunterstieß, wachte der Prinz über solchem Getöse auf, und wünschte, sobald er den Talemon erblickte, ihm einen beglückten Morgen, zugleich dankende, daß er ihn von einem schweren Traume entlediget hätte, welcher ihn nicht unbillig bekümmerte, und ein schmerzliches Nachdenken verursachte. Talemon war begierig, solchen Traum zu wissen: dannenhero solchen Balacin folgendergestalt erzählete: »Es ist mir die unvergleichliche Banise vor wenig Stunden erschienen: Da ich bemerkte, wie sie mir mit tränenden Augen und ringenden Händen zuwinkte, und mich, weil sie mit vielen grimmigen Elefanten umgeben war, gleichsam um schleunige Hülfe aufs beweglichste anflehete. Als ich mich nun bemühete die Elefanten mit viel schmeichelnden Worten und vorhaltenden Futter zu besänftigen: erwischte ich die Prinzessin bei der Hand, und schien es, als ob wir durch eine sanfte Luft denen Elefanten aus den Augen geführet würden. So hoch mich nun diese vermeinte Besitzung vergnügte, so heftig ward ich bestürzt, als mich dauchte: wie mir durch eine starke Flamme die Prinzessin von der Hand geraubet würde. Da ich ihr nun mit kläglichen Gebärden nachfolgete, und sie wehmütigst suchte, erblickte ich sie zwar wiederum: mußte aber mit bekümmerten Augen ansehen, wie mich ein breiter Fluß verhinderte, zu ihr zu kommen. Und ob ich mich gleich bemühte, solchen zu überschwimmen, so wurde ich doch von vielen entsetzlichen Krokodilen zurücke gehalten, welche mir mit aufgesperrten Rachen den Tod dräueten. In solcher Angst habt ihr mich nun erwecket, und mich schleunigster Andacht erinnert, die erzürnten Götter anzuflehen, daß sie alle üble Deutung verhindern, und mich mit erwünschter Hülfe beseligen wollen. Aber, ach mein Talemon, entdecket mir doch aufrichtig, in was vor einem Zustande ich meine werte Prinzessin wissen soll?« Talemon entfärbte sich, und erinnerte mit kurzen Worten, vorietzo nur seiner Gesundheit zu pflegen, und den vorhin matten Leib durch übriges Sorgen nicht ferner zu schwächen. Solches aber betrübte den Prinzen um so viel mehr, daß er im Bette auffuhr, und mit kläglicher Stimme fragte: »Talemon! Ich beschwere Euch bei dem Geiste der ohne Zweifel entseelten Banise, saget mir: Ist die Prinzessin tot oder lebendig?« Welche Worte von einer solchen hervorscheinenden Verzweiflung begleitet worden, daß sich Talemon kaum erholen, und also beantworten[25] konnte: »Ei was tot! Hat es doch dem Prinzen diesen Augenblick geträumet, daß Banise noch lebet; und solcher Traum gibet meiner Wissenschaft Beifall, ein mehrers zu wissen, ist vor diesmal nicht nötig: es sei dann: daß einige Großmut die Empfindlichkeit dämpfe.« – »Lebet nur Banise noch«, widerredete Balacin, »so herrschet eine großmütige Hoffnung, und dieser feste Entschluß in mir, sie mit meinem Blute zu retten und zu rächen.« – »Ein solcher Vorsatz ist Ruhms würdig!« war Talemons Gegenrede, »denn ich muß bekennen: wir leben alle so weit in der Ungewißheit, daß wir zwar, leider, wissen, und mit Augen angesehen haben, wie das ganze Kaiserliche Haus von Pegu, nebst dem Kaiser Xemindo, erbärmlich hingerichtet worden: allein, ob die Prinzessin sich in der Zahl der Lebendigen oder Toten befinde; solches beruhet in der angenehmen Hoffnung: daß die Götter viel zu gnädig sind, ein solches Bild der Vollkommenheit verderben zu lassen. Inzwischen sorge Er nur vor seine Gesundheit, vertraue den Göttern, und wisse, daß sie auch vom Tode erretten können. Es wird noch heute mein Sohn, welcher aus tyrannischer Heuchelei Oberhofmeister des Kaiserlichen Frauenzimmers ist, und mich diesen Nachmittag besuchen wird, bessere Nachricht hiervon geben können.«

Auf solche Worte blieb der Prinz ganz unbeweglich liegen, und ließ durch die geschlossenen Augen einige Tränen hervor fließen, welche den Talemon bewegten, ihn noch ferner aufzumuntern: »Durchlauchtigster Prinz! Es hat mich Selbter vorhin bei dem Geiste der Banise beschworen, ihr Leben oder Tod zu entdecken. Was hindert aber mich: daß ich dessen zweifelmütige Seele gleichfalls bei dem, annoch in dem schönen Leibe wohnenden Geiste der überirdischen Prinzessin beschwere: sich allen schädlichen Kummers zu entschlagen, Leib und Gemüte heilen zu lassen, und alsdenn auf ihre Rache und Rettung bedacht zu sein. Ich bin versichert, die Götter werden uns inzwischen mit so gewünschter Nachricht erfreuen: daß wir die größte Ursache haben werden, ihnen vor den süßen Lohn unserer Mühe gnugsam zu danken.« Solches Einreden vermochte den Prinzen so weit, daß er versprach, bis zu gewisserer Nachricht von ihrem Zustande, sein Gemüte zu beruhigen, und inzwischen mit Geduld den Ausgang der besten Hoffnung zu erwarten. Nach sotanem Versprechen lösete Talemon das Band der Wunden[26] auf, und ersahe mit Vergnügen, wie sich solche so wohl gesetzet und gereiniget hatte: Dahero tat er ein wenig Sand von dem Wundsteine1 aus Peru in die Wunde, gab ihm auch hiervon etwas in warmen Wein ein, und band den Schaden, mit Versicherung, in acht Tagen völlige Bewegung zu erlauben, wieder zu.

Nach dieser Verbindung wurden einige stärkende Sachen von der Hassana und ihrer Pflegetochter überbracht, welche den Prinzen, als einen ihres Standes empfingen: Hassana aber stellete sich über ihre Gewohnheit sehr freundlich an; ob sie gleich sonsten, als des Talemons vierte Ehefrau, durch steten Widersinn ihrem alten Eheherrn die allgemeine Lehre gab: Es sei nichts gefährlicher, als eine oft wiederholte Ehe; weil man notwendig sich einmal verbrennen müsse, wann man die Flamme zu oft versuchen will. Lorangy ließ sich hingegen den ersten Anblick des Prinzen dermaßen entzünden: daß man die Buchstaben der Liebe ganz deutlich in ihren Augen lesen kunnte. Allermaßen sie sich sehr geschäftiget um den Prinzen erwiese, und sich angenehm zu machen, dergestalt bemühete, daß es dem Prinzen leicht war, etwas mehrers, als eine häusliche Aufwartung daraus abzunehmen. Sie war sonst von gemeiner Schönheit, mehr lang und stark, als wohl gewachsen, blasser Farbe, verliebter Augen, etwa 24 Jahre alt, und endlich einer standesgleichen Liebe noch wohl würdig: Außer, daß man einigen Mangel, des sonst dem Frauenzimmer anständigen Verstandes, an ihr verspürte: indem sie die Flammen ihrer Begierde durchaus nicht verbergen, noch sich in allzu heftiger Liebesbezeugung mäßigen kunnte. Und solches ließ sie auch hier dermaßen merken, daß es schiene, als ob sie durch des Prinzen Gestalt ganz bezaubert wäre. Dennoch aber ließ sie hierinnen einen Funken ihres Verstandes, in Urteilen der Liebe, so weit blicken, wenn man saget, daß sie in der Wahl ihrer Liebe nicht geirret habe. Denn, zu geschweigen des hohen und ihr unbewußten Standes, so war er eine wohlgewachsene, mehr lang als kurze Person. Sein Haupt war mit kastanienbraunen und von der Natur gelockten Haaren umgeben. Er hatte schöne große und graulichtblaue Augen,[27] woraus nichts als Anmut und ein hoher Verstand blitzte. Dem schönen, wiewohl itzt etwas blassen Munde, stund ein freundliches Lachen und Reden über die Maßen wohl an; und aus der wohlgestalteten, in der Mitte etwas erhabenen Nase, kunnte man dessen Großmütigkeit erkennen. Seine freie und ungezwungene Anständigkeit der Gebärden wollte immer seines Standes Verräter sein. In summa: Leib, Verstand und Gemüte war mit einer solchen Vollkommenheit begabet, daß seine Person die Abbildung eines vollständigen Prinzens sattsam vorstellen kunnte. In solche Leibes- und Gemütsgaben war nun Lorangy nicht unbillig verliebt, und hatte hierinnen mit einer Prinzessin etwas Gemeines, daß sie gleichfalls ihre Liebe, wiewohl mit Unterscheid des Irrtums, einem Prinzen widmen wollte. Dieser Irrtum verleitete sie so weit, daß sie, ihre Aufwartsamkeit zu bezeugen, durch öfters Zurechteziehen des Hauptküssens sich dermaßen zu ihm bückte, daß es schiene, als ob sie ihre Lippen auf des Prinzen Mund legen, und ihn gar küssen wollte. Allein der Prinz, welcher das Kleinod beliebter Keuschheit seiner Tugendkrone angeheftet, und jederzeit vor allen unordentlichen Begierden merklichen Abscheu getragen hatte, wurde hierüber dermaßen ungeduldig, daß er fast seines Zustandes vergessen, und eine Verschonung anbefohlen hätte: wann nicht indem die Ankunft des Ponnedro wäre berichtet worden, worüber Hassana und Lorangy das Zimmer verließen. Talemon aber ging seinem Sohne entgegen, vermeldete ihm des Prinzen Anwesenheit, und führte ihn hinein: da er sich alsobald dem Prinzen ehrerbietig nahete, die Hand küssete, und also anredete: »Durchlauchtigster Prinz! Die Freude über Dero hohen Gegenwart und die innigste Begierde, vor Dero Königliches Wohlsein zu sterben, halten einen angenehmen Wettestreit in mir. Inmittelst zwinget mich meine Pflicht, gehorsamst aufzuwarten, um gnädigsten Befehl, worinnen ich dienen soll, anzunehmen.« – »Wertester Ponnedro«, antwortete der Prinz, »es ist mir leid, daß Ihr mich nicht in dem Stande findet, worinnen ich Eure bekannte Treue vergelten, und solche nach Würden belohnen könnte. Ich will aber inzwischen hoffen: es werde die fremde Herrschaft, oder vielmehr Tyrannei nicht etwan auch Euer Gemüte entfremdet, noch verändert haben.« – »Allergnädigster Herr«, widerredete Ponnedro, »wann ich nicht wüßte, daß ich in meinem Zustande, wegen in Händen habenden Gelegenheit,[28] mehr, als sonsten, dienen könnte: so wollte ich von Stund an mein Amt ablegen, mit eigener Faust den tyrannischen Chaumigrem aufopfern, und mich in Dero Schutz und Dienste begeben. Auf solche Art aber versichere ich, bei Verlust des Ewigen Niba2: daß dieser jetzige Dienst, welchen ich dem Tyrannen leisten muß, zur Gelegenheit ärgster Rache, wegen so vielen vergossenen Bluts, angesehen sei.« – »Ich zweifele nicht an Eurer Treue, werter Freund«, war des Prinzen Gegenrede: »allein die wunderliche Anstalt Eures Kaisers befremdet mich nicht wenig, daß er gleichwohl denen geborenen Peguanern, welche er durch grausamste Blutstürz- und Verwüstung ihres Vaterlandes zum tötlichen Haß wider sich gereizet hat, dennoch solche Ehrenämter, und zwar gleichsam mit denselben den Schlüssel seines Lebens und Vergnügung anvertrauet.« – »Solches darf sich mein Prinz gar nicht befremden lassen«, gab ihm Talemon hiervon Nachricht, »denn nachdem der Bluthund von Brama ganz Pegu eingenommen, den kaiserlichen Stamm grausam ausgerottet, und alle Großen des Reiches mehrenteils umgebracht und verstoßen hatte: wie dann auch ich den Schlüssel, als bekannter Reichs-Schatzmeister, ablegen, und mich in diesen einsamen Stand begeben müssen, bloß den Göttern dankende, daß mir das Leben und dieser Auf- und Unterhalt zur Beute gelassen worden: so kunnte er sich leicht die Rechnung machen, sein Name würde allen Peguanern ein Haß, und seine Person ein Fluch sein. Über solche vergällte Gemüter aber glücklich zu herrschen, hielte er vor ratsam, durch eine und andere Wohltat die abgewendeten Herzen sich wiederum zuzuneigen: weswegen er dann zuvörderst allenthalben, ob sich gleich niemand einiges Verbrechens schuldig wußte, eine allgemeine Verzeihung ausrufen ließ. Über das berufte er die Söhne der entleibten und verstoßenen Väter nach Hofe, teilte die vornehmsten Ehrenämter unter sie aus, und stellete sich gegen jedweden dermaßen freundlich an, als ob er niemals einig Wasser betrübet hätte. Auf solche Art nun ist auch mein Sohn zu dieser[29] hohen Ehre gelanget, daß er Oberhofmeister über das kaiserliche Frauenzimmer geworden ist. Und, o wollten die Götter! die Prinzessin Banise wäre unter seiner Hand, sie würde bald ihren Prinzen küssen, und sollte noch einmal so viel Blut vergossen werden.« – »Ach schmerzliches Erinnern!« rief Balacin, »jammervolles Andenken! treuester Ponnedro, lebet Banise? Oder heißet mich ihr Tod sterben?« – »Nicht sterben, gnädigster Herr!« antwortete Ponnedro, »sondern rächen.« – »Denn – weh mir!« fiel ihm der Prinz in die Rede, »Banise ist tot. So machet denn, o ihr grimmigen Götter, doch ein Ende, einen vorhin halb entseelten Menschen mit fernerer Qual zu belegen. Nunmehro soll mich auch nichts abhalten können, mir selber das allgemeine Ende alles Unglücks zuzufügen. Entdecket mir nur zuvor mit kurzen Worten, auf welche Art mir die himmlische Banise im Tode vorgegangen sei, damit ich desto beherzter sterben, und ihr folgen könne.« – »Gnädigster Herr!« fuhr Ponnedro fort, »Sie lassen sich so wenig Worte nicht in solche Verzweifelung stürzen, indem es ja noch nicht klar, daß die Prinzessin tot ist. Und sollte ja das grausame Verhängnis so unbarmherzig verfahren haben, so würde des Prinzen Tod dem Feinde mehr zur Ergötzlichkeit, als zur Rache dienen. Sollte sie aber, mehrer Vermutung nach, noch am Leben sein, wen würde alsdenn dessen Todesfall am empfindlichsten betreffen, als die armselige Prinzessin?« – »Ihr haltet mich nur umsonst mit vergebenen Worten auf«, antwortete der verzweifelnde Prinz. »Verhindert mich nur nicht, derjenigen nachzufolgen, welche mir den Tod süße macht. Ich sterbe, und befehle den Göttern die Rache.« Hiermit sprang er als Rasender von dem Lager auf, in willens, sich des an der Wand hangenden Säbels zu bemächtigen und den eingebildeten Tod sich selbst zu beschleunigen. Sie fielen ihm aber alsbald in die Armen und brachten ihn mit großer Mühe wieder ins Bette, da ihn der alte Talemon etwas härter anreden mußte: »Wie? vormals tapferer Prinz«, sagte er, »ist es möglich, daß ein zweifelhafter Zufall den sonst großmütigen Geist besiegen könne? Eine solche Verzweifelung stehet nur niedrigen Gemütern an. Wer zum Szepter geboren ist, der muß sich über keinen Unfall ändern: Und Großmütigkeit ist der Prinzen höchste Zierde. Dahero muß man auch in diesem Fall den Mut nicht sinken lassen, sondern sich auf die Hoffnung eines Bessern gründen. Heißet[30] dieses dem vorigen nachleben, als Er seiner Prinzessin versprach, Sein ihr gewidmetes Leben zu ihrem Besten möglichst zu erhalten? Wie wird solches ins künftige bei ihr zu verantworten sein, wenn sie wird Rechenschaft der Liebe fodern?« – »Grausame Verhinderer meiner Ruhe!« hub endlich der Prinz an, »so wollet ihr mir denn verwehren, die geschworne Treu bis in den Tod zu beobachten?« – »Nicht wir«, antwortete Ponnedro, »sondern die Pflicht, gnädigster Herr, womit Er der Prinzessin verbunden, hält Ihm die Hand zurücke. Diese Verzweiflung hat die Ungewißheit zum Grunde, und möchte eine Mutter schmerzlichster Reue auch nach dem Tode sein. Ich sage ja nicht: die Prinzessin sei tot; sondern nur: daß man nicht wisse, wie, oder wo ihr Zustand und Aufenthalt sei. Solches nun zu erkundigen, und sie zu retten, ist ein tapferes Herz und kluger Geist höchst vonnöten. Ein verzweifelter Mut aber, ja ein toter Prinz, wird sie noch heftiger betrüben, und gewiß in den jetzt ungewissen Tod stürzen. Auf derowegen, tapferer Prinz! Er verbanne allen Zweifel-Mut und traue sicherlich denen Göttern: so wird gewiß dessen Hoffnung von ihnen mit einem erwünschten Ausgang beseliget werden.« – »Ihr tröstet mich mit erdichteten Worten«, wendete der sorgsame Prinz ein, »und wollet mir es nur verhehlen, was das ungütige Schicksal an Banisen verübet hat: Hiedurch aber vermehret Ihr nur meine Qual, und ich schwere Euch: Ihr sollet alsdenn viel zuwenig sein, meinen Tod zu verhindern.« »Durchlauchtigster Prinz!« war des Ponnedro fernere Gegenrede. »Sie geben Dero hohen Vernunft nur noch so viel Raum, und glauben denen Worten, welche von Dero ergebensten Diener ohne einigen Verdacht der Unwahrheit vorgebracht werden. Ich schwere bei der vorbittenden Kraft des Fotoko3, daß weder mir noch fast einigen Menschen in Pegu bekannt sei, wo die Prinzessin hingekommen, ob sie lebendig oder tot, gefangen oder entgangen sein? Man sahe wohl ein enthalsetes Weibsbild bei drei Stunden auf dem Markte liegen, welches von dem Abaxar und allen Soldaten vor die entseelte Prinzessin ausgegeben ward: Alleine, wen[31] nur die Natur mit einiger Vernunft begabet hatte, der kunnte aus den stärkern Gliedmaßen leicht abnehmen, daß ein sklavischer Körper in der Prinzessin Kleidung stecken müßte. Solches Vorgeben wurde nun von einigen Unverständigen vor bekannt angenommen: Hierdurch aber sind wir in einen kummerhaften Zweifel versetzet, daß wir nicht wissen, wo unsere Prinzessin geblieben sei, und ob man sie unter den Toten oder Lebendigen suchen solle; die starke Mutmaßung aber ihres Lebens dienet uns zum Troste, und eine tapfere Hoffnung versichert uns gewisser Erlangung des verlornen Kleinods.« – »Ach, treuesten Freunde«, sagte hierauf der Prinz, »diesen Schaden kann fast kein Pflaster, weder der Geduld noch Hoffnung heilen. Denn in der Liebe muß man stets das Schlimmeste hoffen, und alsdenn den Göttern danken, wann das Beste erfolget.« – »Und wenn alle Welt verzagte«, hub endlich Talemon an, »so muß doch ein Prinz nicht kleinmütig werden, sondern er soll auch sogar alles Unglück eher überwinden als fliehen. Es behalte derowegen mein Prinz auch in diesem Fall ein beständiges tapferes Gemüte, und lasse sich von den Drohungen künftigen Unfalls nicht abschrecken: denn unterweilen heben uns die Wellen aus einem sinkenden Schiffe, und werfen uns in ein anders, welches glücklich in Hafen lendet. Ja einem solchen Herzen ist der Himmel günstig, und lässet nicht geschehen, daß es in seiner Hoffnung zuschanden werde. Derowegen, so bilde man sich gewiß ein, die Prinzessin sei annoch im Leben, und bemühe sich äußerst, ihren Zustand zu erforschen. Nach dessen Erfahrung ein kluger Geist und tapfere Faust viel verrichten kann; ja es wird unfehlbar die Eroberung dieser Schönen alle Bemühung versüßen, und sotane Beständigkeit belohnen. Hätten aber ja die Götter es über das unschuldige Blut verhangen, daß sie auch durch diesen Kaisermörder gefallen sei, so soll nicht nur der Prinz, sondern auch ich und mein Sohn, getrost ihr im Tode nachfolgen, jedoch nicht eher, bis jeder seine Faust mit dem mörderischen Blute des Tyrannen besprützet habe. Worzu ich nicht nur meinen Arm, sondern auch mein altes Haupt willig darstrecken will.« – »Eure Klugheit«, erholte sich Balacin, »trautester Talemon! ist kräftig, auch die toten Steine zu bewegen, und spüre ich hieraus nicht sowohl Euren Verstand, als Eure gegen mich tragende Treue. So versichere ich Euch denn, Eurer Lehre gemäß mich zu verhalten, geduldig[32] zu leiden, getrost zu hoffen, und aller Widerwärtigkeit mit tapferem Mute entgegenzugehen. Inzwischen ratet nur, auf was Art und Weise man hinter das Geheimnis der verborgenen Prinzessin kommen möge?« – »Hierzu kann uns niemand dienlicher sein«, antwortete Ponnedro, »als Abaxar, Oberhauptmann der Kaiserlichen Leibwacht, welcher den grausamen Befehl an der Prinzessin vollziehen müssen. Dieser Abaxar nun soll, der heimlichen Sage nach, etwas Höhers als er sich ausgibt, und bei den Zerstörungen so vieler Reiche, unbekannterweise gefangen worden sein, sich aber klüglich verbergen, und durch sein Wohlverhalten in des Chaumigrem Gnade und zu dieser Ehrenstelle gelanget sein. Wie nun aber der heimliche Groll, vielleicht wegen Beraubung seines Vermögens und schmerzlicher Hinrichtung der hohen Seinigen, billig annoch im Herzen schwebt: Also wird er auch in geheim auf möglichste Rache nebst uns bedacht sein. Auf meinen Zweck aber zu kommen: so hat erwähnter Abaxar jederzeit eine sonderbare Freundschaft zu mir gesucht, welchen ich mit heimlicher Vergnügung an ihm auch öfters mit mir heraus genommen, und in meines Vaters Bekanntschaft gebracht. Inzwischen lassen wir uns nicht das geringste von der Mutmaßung seines hohen Standes merken, sondern machen uns gleichsam ganz vertraulich und gemein mit ihm, sogar, daß wir auch bereits etwas von der Liebe zwischen der Prinzessin von Pegu und dem Prinzen von Ava gegen ihn erwähnet haben: Welches er sehr merksam angehöret, und ein heftiges Mitleiden hierüber spüren lassen. Diesen Abaxar will ich morgen heraus vermögen, und ihm bedeuten, es sei ein Vornehmer vom Avanischen Hofe in geheim ankommen, um einige Gewißheit von der Prinzessin Zustande einzuziehen. In welcher Meinung man ihn so weit erhalten kann, daß er auch ungescheuet in dieses Zimmer darf geführet, und von dieser Sache, so viel als nötig, mit ihm geredet werden.« – »Diesen Vorschlag«, sagte Balacin ganz freudig, »haben Euch ohne Zweifel die Götter eingegeben, und kann ich kaum das morgende Licht erwarten: weil ich gleichsam einen Schritt Ungewisser Furcht und angenehmer Hoffnung in meinem Gemüte verspüre, worinnen es scheinet, als ob das letztere den Sieg erhalten würde. So gehet demnach unter dem Schutz der Götter, lasset Euch mein Anliegen befohlen sein, und seid versichert, Ava sei noch mächtig genug, Eure mühsame Treue sattsam[33] zu vergelten.« Worauf denn Ponnedro ehrerbietigst Abschied nahm, und sich wieder nach Hofe verfügte. Der alte Talemon aber wollte sich inzwischen um fernere Aufwartung bemühen, und nahm einen Abtritt, weil er nunmehro den Prinzen vollkommen beruhiget sahe.

Nach dessen Entfernung schauete Balacin mit höchstem Verdruß die Hassana und Lorangy das Zimmer betreten, welche sich dann ganz freimütig zu ihm naheten, und ihm mit vielerlei Fragen verdrießlich fielen. Die Lorangy aber schiene dermaßen von der Liebe überwunden zu sein, daß ihr öfters die hellen Tränen von den Wangen abrolleten. Endlich erkühnete sich Hassana nach dessen Stand und Vermögen zu forschen, und zu fragen: Ob auch in Ava der Adel berühmt sei? und von welchem Geschlechte er sich rühme? nebst angehängter Versicherung, es würde zu eigenem Glücke dienen, wann er sich hierinnen offenherzig erwiese. Der Prinz antwortete hierauf: »Ich erkenne so unverdientes Anerbieten mit verpflichtetem Danke, sehe aber hieraus weder vor Sie, noch vor mich, kein Glücke, ob Sie schon wissen sollten, daß Dero Herr aus sonderbarer Barmherzigkeit einen unbeglückten Hofbedienten von Ava aufgenommen hat, welchen mehr das Glücke, als einiger Stand oder Reichtum befördert hat. Und diese Wohltat werden Ihm die Götter vergelten, weil ich außer meiner wenigen Besoldung nichts im Vermögen habe, mich würklich dankbar zu erweisen.« – »Ich muß gestehen«, hub hierauf Lorangy an, »daß ich das Verhängnis selbst nicht wenig beneide, indem es Euch nicht so viel Glücke als Schönheit erteilet hat. Jedoch versichert Euch, daß Ihr hier, nach überstandenem Sturm, in dem Hafen Eurer Wohlfahrt angelanget seid.« Balacin stellete sich, als ob diese Reden zu hoch vor ihm wären, und sprach: »Mein ganzes Glücke beruhet in der Hoffnung, und die Hoffnung im Tode.« – »Ein solcher Mensch«, wendete Hassana ein, »darf in dem Frühling seiner Jahre nicht vom Winter reden, welches vielmehr einem verzweifelten, als tapfern Gemüte anstehet.« – »Und mein Freund«, setzte Lorangy dazu, »versichert Euch nochmals, daß, ob Euch gleich das Glücke hasset, dennoch die Menschen lieben.« – »Wie sollten mich die Menschen lieben«, versetzte der Prinz, »da sie doch die Quellen meines Unglücks sind.« – »Ich schwere«, widerredete Lorangy, »daß ich Euch allen Menschen, ja dem Verhängnis selbst zu Trutze, meiner Liebe würdigen will.« – »Wer in die Sonne siehet«, antwortete Balacin,[34] »der blendet seine Augen: und wer den Schluß des Himmels hemmen will, der stürzet sich ins Verderben.« – »Einfältiger Mensch!« vertrat Hassana der Lorangy Stelle, »der gewiß sehr jung aus der Liebesschule entlaufen ist. Freilich ist es ein großes Unglück, wer die Sonne seines Glückes nicht erkennen kann. Inzwischen lasset Euch bedeuten, und wisset, daß gegenwärtige meine Pflegetochter, welche bereits vornehme Bemühungen um ihre Huld unkräftig gemacht hat, dennoch anitzo freiwillig entschlossen ist, den Anker Eurer Gewogenheit in das Meer ihrer Gegenliebe versenken zu lassen. Ich sichere Euch, daß alsdenn Euer Wohlfahrts-Schiff durch lauter Glücks- und Liebes-Winde soll fortgetrieben werden.« Der sich einfältig stellende Balacin versetzte hierauf: »Nachdem ich zweimal unglücklich zur See gewesen bin, so stellet mir ietzo jedweder Gedanke einen Schiffbruch vor.« – »Alberes Geschöpfe«, fuhr die ungeduldige Lorangy heraus, »wie hat sich doch Schönheit mit Einfalt so unrecht vermählen können? Ich liebe Euch, und begehre, wiederum von Euch geliebet zu werden.« – »Dies erfordern die Götter«, fuhr Balacin in seiner verstellten Einfalt fort, »daß ich sie beiderseits, als meine Wohltäterinnen lieben soll.« – »So ist Euch auch«, sagte Lorangy, »der Unterscheid der Liebe allerdings bewußt. Ich vermeine –« Bei diesen Worten kam Talemon wieder zurücke, und ersah aus des Prinzen verwirretem Gesichte, daß ihm die Gegenwart seines Frauenzimmers nicht allzu angenehm mochte gewesen sein. Hierinnen ward er um ein großes bestärket, als ihn der Prinz fragte: warum er seine Wiederkunft so verzögert hätte: Welches er sofort beantwortete: »Die natürliche Liebe, und die äußerste Not eines armen Menschen, welcher in dem Strome bereits mit Tod und Wellen kämpfte, hat mich angetrieben, ihn retten zu lassen: welche Bemühung solchen Verzug verursachet hat.« »So werden wir also«, fing die vor Zorn glühende Hassana an, »zwei undankbare Fremdlinge unter unserm Dache haben. Indessen komme, Lorangy, und lasse uns bedacht sein, zu erweisen, wie eine verachtete Liebe tödlichen Haß bringen könne.« Nach welchen Drohworten sie sich eilends aus dem Zimmer begaben, und die Tür mit solchem Ungestüm hinter sich zuschmissen, daß es wäre zu wünschen gewesen, es hätten damals aller bösen Weiber Kopfe dazwischen gestecket.

Wie sich nun Balacin dieser beschwerlichen Gesellschaft entlediget sah, fragte er den Talemon, ob ihm die errettete[35] Person ganz unkenntlich sei. »Mehr als zu bekannt, gnädiger Herr!« antworteteTalemon. »Es ist der getreue Scandor, welcher bald sein Leben im Wasser verloren hätte.« – »Wer? Scandor?« fragte der sich verwundernde Prinz. »Was sollte doch wohl seine Ankunft bedeuten, indem ich ihm ja befohlen, Ava nicht eher zu verlassen, er habe denn gewisse Nachricht von mir, wo ich mich öffentlich aufhielte. Daß er aber von hier einige Gewißheit haben sollte, solches scheinet unmöglich zu sein.« »Ich weiß nicht«, antwortete Talemon, »was ihn hieher bewogen habe. Daß er aber den Prinzen hier suchen sollte, ist nicht zu vermuten. Indessen will ich ihn wohl warten, und zu sich selber kommen lassen: sonder Zweifel ist seine Ankunft nicht ohne wichtige Ursachen.« – »Seid doch bedacht«, erinnerte ihn Balacin, »daß er wieder zurecht, und zu mir ins Zimmer, ohne einige Nachricht meiner Gegenwart, gebracht werde.« Solches fleißig ins Werk zu richten, ließ sich Talemon bald angelegen sein: Und als er den Scandor sattsam getrocknet, erquicket, und ganz ermuntert hatte, nahm er ihn bei der Hand, und führte ihn in des Prinzen Zimmer, in welchem er kaum etliche Schritte fortgesetzet, und den Prinzen auf dem Bette ersehen hatte, als er mit vollem Schreien zurücke sprang: »O ihr Götter«, rief er, »errettet mich von diesem Zauberorte. Talemon, Ihr alter Hexenmeister, Ihr verblendet meine Augen.« Mit welchen Worten er zur Tür hinausreißen wollte. Als ihn aber Talemon beim Arme zurücke hielte, und ihm der Prinz zuredete, kam er endlich mit zitterndem Fuße wieder zurücke, wiewohl ihn das zauberische Mißtrauen noch nicht allerdings verlassen hatte: indem er Talemon stets ansahe, und zu ihm sagte: »Talemon, ich beschwere Euch bei den sieben Elementen, eröffnet mir meine Augen, oder gewähret mir meinen Prinzen und Herrn in leibhaftiger Gestalt.« – »So nähert Euch nur«, antwortete Talemon, »und fühlet, ob nicht dieser Zaubergeist Fleisch und Bein habe.« Als ihm nun der Prinz ferner zurief, fiel er auf die Knie, küßte ihm die Hand, und sprach: »Ach gnädigster Herr! ist es möglich, daß ich Sie hier, und zwar in solchem bettlägerigen Zustande antreffen soll. Ich bin noch nicht allerdings versichert, ob ich etwan träume oder sonst eine andere Person in Dero Gleichheit antreffe.« – »Nein, nein! mein Scandor!« redete ihm der Prinz ein, »ich bin es freilich selber, und muß beklagen, daß, da ich in eifrigster Bemühung, meine Prinzessin auszuforschen, leben sollte,[36] ich hier mit verwundetem Leibe und kranken Gemüte des Lagers hüten muß. Was bedeutet aber deine unanbefohlene Herkunft? Ist etwan zu Hause noch was mehr vorgefallen, welches mein Elend vergrößern könnte?« – »Gnädigster Herr!« antwortete Scandor, »meine Verrichtung ist von solcher Wichtigkeit, daß ich um Erlaubnis bitten muß, mich ein wenig verschnieben zu lassen. Denn gewiß, ich bin in solcher Gefahr gewesen, daß ich nunmehr glaube, ich sei von den Göttern zu einem luftigen Tode versehen; weil sie mich vor diesmal nicht den Klauen der furchtsamen Wassernymphen übergeben wollen. Versichert, ich sahe bereit ein Haufen schuppigte Posten unter dem Wasser laufen, welche die Fische zusammenberufen, und auf eine Mahlzeit einladen sollten, wobei ich das vornehmste Gerichte hätte sein müssen. Wie nahe mir nun der Tod müsse gewesen sein, ist hieraus abzunehmen, wenn ich sage: daß ich schon wie die Hechte auf dem Rücken zu schwimmen begunte: welches denn meinen Glauben bestärkte, daß ich kein Frauenzimmer sei, als welches von der schamhaftigen Natur bei dergleichen nassen Fällen dazu versehen, daß sie jederzeit dem Wasser den Vörderteil des Leibes gönnen, und auf dem Gesichte schwimmen müssen. Kurz: ob ich gleich die Beschaffenheit meiner Todesangst, und drauf erfolgenden Rettung, welche ich den Göttern und dem ehrlichen Talemon zu danken habe, ausführlicher erzählen wollte, so ist es mir doch unmöglich; weil mich damals mein wasserscheuer Geist ganz verlassen hatte, und sich erst wieder einstellte, als ich bereits hier auf dem Schlosse in truckener Wärme lag, da ich denn alle Menschen vor Fische ansah, nicht anders meinende: ich läge noch in der feuchten Herberge, und sollte itzt den Braten meines Lebens anschneiden lassen. Nachdem ich mich aber ganz unangebissen fühle, so bin ich nun nichts mehr besorget, als um mein Pferd, welches mich in dies Unglück gebracht, und hernach leichtfertigerweise verlassen hat.« Bei diesen Worten wurde ihm angedeutet, sein Pferd sei in den Schloßhof gelaufen kommen, wäre bereits wohl eingestallet, und brächte man hier das Felleisen, welches ziemlich benetzt, nur noch an einen Riemen gehangen hätte. Dieser Bericht stellte den Scandor in höchste Vergnügung, daß er auch sein Pferd nicht sattsam loben konnte, und vorgab: dies Pferd sei unschätzbar, denn wenn es seinen Herrn verlöre, so fragte es so lange nach, bis es ihn wieder gefunden hätte. Hierauf eröffnete er[37] das Felleisen, langete einige Briefe hervor, und überreichte sie dem Prinzen mit folgenden Worten: »Allergnädigster Herr! hier nehmen Sie, von der Hand Ihres geringsten Dieners, zwei Königreiche an.« »Was schwärmest du?« antwortete Balacin. »Ich halte das Sprichwort wird wahr an dir: Alle Freier, Narren und Trunkene sind reich.« – »Nein«, widerredete Scandor, »der Inhalt dieser Briefe wird mich solchen Verdachts entledigen.« Welchen zu vernehmen, der Prinz ganz begierig das Paquet erbrach, in dem ersten Briefe die Unterschrift seiner geliebten Fräulein Schwester Higvanama ersahe, und mit sonderbarer Regung folgenden Inhalt daraus las:


Durchlauchtigster Prinz!


Ich weiß nicht, ob ich in meinem Gemüte einer übermäßigen Freude, oder Traurigkeit, den Vorzog gönnen soll? Angesehen mich zu diesem kindliches Andenken, zu jenem aber schwesterliche Zuneigung, verbindet. Weil aber der väterlichen Liebe von den Göttern anbefohlen ist, die Wohlfahrt ihrer Kinder genau zu beobachten; solcher Vorsorge aber, ich Unglückselige, mich nie von meinem Vater rühmen können: als achte ich davor, es sei mir von den Göttern wohl erlaubet, mich mehr über den nunmehro blühenden Wohlstand meines innigst geliebtesten Prinzens, als Bruders, zu erfreuen: als jenes zu betauren, und alles Leid mit unserm unartigen Vater zu verscharren. Denn wie das unerforschliche Verhängnis, als ein unfehlbarer Augapfel der Gottheit, nicht jederzeit seinen diamantenen Schluß, denen Menschen durch Blitz und Sturm, sondern auch öfters durch erfreuliche Sonnenblicke will zu verstehen geben; also hat es demselben auch vor ietzo beliebet, auf einer Seiten den Thron von Ava in einen Sarg, und dessen Krone in einen Cypressenkranz zu verwandeln; ich will sagen: I. Maj. unsern Herrn Vater durch einen schleunigen Todesfall, vor kurzer Zeit, aus dieser Welt in die unsichtbare Höhe zu erheben: andernteils aber, die Krone von Ava durch rechtmäßige Folge auf das Haupt des Erbprinzens zu setzen, welcher denn von allen getreuen Avanern mit höchstem Verlangen erwartet, das starke Regimentsruder aber inmittelst durch meine schwache Hand, zu Verhütung alles unordentlichen Wesens, so lange geführet wird, bis mich der tapfere Arm zu künftiger Majestät, durch erwünschte Gegenwart, dessen überhebet.[38]

Wie törlich es auch gehandelt sei, ich will nicht sagen, von einem Vater, sondern insgemein von uns sterblichen Menschen, wenn wir uns unterfangen wollen, den unwidertreiblichen Schluß des Himmels ohnmächtig zu hintertreiben, solches wird aus Beigelegtem leicht zu ermessen sein. Denn E.L. sollen wissen, daß kurz vor I.M. des Königes Tode einige Abgesandte aus Aracan Audienz gesuchet, und auch erhalten, deren Verrichtung aber dermaßen geheim gehalten worden, daß weder ich, noch die Reichsräte, nicht das geringste davon erforschen können. Nachdem aber die Götter den König, als einen großen Stein vieler Verhinderungen unsers Glückes, aus dem Wege geräumet, so ist deren Verrichtung in dem Königl. Cabinet gefunden und eröffnet worden, welches auch sofort, als eine sonderbare Glücks- und Freudenpost durch unsern treuen Scandor hiemit überschicket wird: mit unmaßgeblicher Bitte, sich schleunigst nach Ava zu erheben, die väterliche Krone aufzusetzen, und die andere nicht zu versäumen. Inmittelst habe ich sofort einige Gesandte nach Aracan gesendet, selbtes Reich bei wohlgefaßten Gedanken zu erhalten, sie des Prinzen zu versichern, und das Beste vor uns an selbigem Hofe zu beobachten: welches alles vor die Wohlfahrt meines innigst geliebtesten Bruders geschiehet, von dessen treuergebenster Schwester

Higvanama, Prinzessin von Ava.


»Ihr Götter!« hub der Prinz an, »wie versuchet ihr mich, und setzet mich in einen sorgsamen Zweifel, ob ich euch danken, oder wegen Verzugs so langsamer Hülfe, schelten soll? Als ich mit mächtiger Hand den Fall des Königl. Baums von Pegu, auf welchem mein Vergnügen blühte, verhindern und erhalten sollte, wurde mir der Arm durch meinen unbarmherzigen Vater dermaßen verkürzet, daß ich nur von weiten mit nassen Augen zusehen, und mein Schicksal verfluchen mußte. Anjetzo aber, o wunderliche Götter! seid ihr allzu freigebig, und gebt mir ein gedoppeltes Schwert in die Hand, da ich dasjenige verloren, was ich mehr als ganz Asien schätze. Inmittelst soll mir dieses das Geheimnis wegen der Krone von Aracan besser entdecken.« Mit welchen Worten er auch dieses Siegel erbrach, und zuvörderst den Titul ersahe:[39]


Dem Hochmächtigsten König und Herrn, Dacosem, Hn. von dem Güldenen Hause, Besitzer des Roten Elefantens und Beherrscher des großen Reichs Ava!


Großmächtigster König, Gnäd. Herr!


Die mächtige Hand, welche Kronen stürzet, und Szepter zerbricht, welche den Fürsten auf den Thron setzet, und gekrönte Häupter in den Sarg leget, hat auch, leider! an unserm Purpur erwiesen, wie leicht dessen hohe Röte in eine blasse Totenfarbe, und dessen Gewand in einen Sterbekittel könne verwandelt werden. Denn als verwichenen Neumonden jetzigen Jahrs4 Pramadi unser allermächtigster König und Herr Vedam, König von Aracan und Boaxam, Herr von dem Güldenen Hause, und von dem Weißen Elefanten, Besitzer über alle großen Reiche in Bengala etc. als eine mühsame Reichssonne in dem Staatshimmel unsers Reichs und geheimen Rats öffentlich erschien, durch seinen kräftigen Einfluß und Gegenwart die Gemüter der Ratenden beseelte, und alles zu kräftiger Würkung zu bringen bemühet war: Als welches eine der vornehmsten Tugenden gekrönter Häupter ist: so überfiel unsere Augen eine dermaßen heftige Finsternis, welche wir noch mit Blute beweinen: indem das bloße Verhängnis durch einen gählichen Schlag I.M. des Lebens und uns alles Trostes und Hoffnung beraubte.

Wie nun der tötliche Abgang eines so gütigen und ruhmswürdigen Hauptes billig vor eine hohe Strafe der Götter zu achten: so danken wir doch der erzürneten Gottheit, daß sie uns noch mit der angenehmen Hoffnung und Willkür beseliget, als ein Wahlreich den schmerzlichen Verlust durch ein anderes gütiges Haupt zu ersetzen. Und daß wir in solcher Wahl nicht fehlen mögen, hat bereits auf unsere Verordnung und eigenen Antrieb jedweder treuer Untertaner den gnädigen Himmel sehnlich angeflehet, und den Göttern geopfert. Daß nun auch solches Gebet erhöret worden sei, schließen wir feste hieraus, wenn unser einmütiger Sinn und Wahlstimmen auf den Durchlauchtigsten Erbprinzen von Ava, Prinz Nautier Balacin gefallen, welcher durch seine unschätzbare Tugenden und Tapferkeit sich in allen Gemütern der Aracaner dermaßen befestiget hat, daß auch nur dessen hoher Ruhm jedweden begierig gemacht hat, unter der Regierung und Schutz eines so tapfern Prinzens zu leben, und[40] die Krone von Aracan auf sein Haupt zu setzen. Wann denn sotaner hohen Zuversicht die Ermangelung einigen Königlichen Erbens beifället; als ergehet an I.K.M. unser und des ganzen Reichs untertänigst-gehorsamstes Flehen und Bitten, Sie geruhen gnädigst, Dero hocherwähnten Prinzen unserm Staatskörper zu einem hohen Haupte zu vergönnen, unsern Thron mit Dero Königl. Geblüte zu besetzen, und uns durch schleunige Gegenwart unserer künftigen Majestät beglückt zu machen.

Großmächtigster König, wir versichern I.M. mit unverfälschtem Herzen, daß ein jeder, auch von den geringsten Untertanen des Reichs, begierig ist, sein Gut und Blut vor die Wohlfahrt des preiswürdigsten Prinzens aufzusetzen; und werden sich einer vor alle, und alle vor einen gegen denselben mit verpflichtestem Gehorsam und Respekt dermaßen zu erweisen wissen, wie es die Würde dieses Reichs und das Königliche Blut erfordert: Ja wir werden uns auch beglückt achten, wann wir unsere Dankbarkeit vor ein so wertes Pfand gegen das Reich Ava durch eine angenehme Verbündnis in der Tat werden erweisen können: Wie wir uns denn unausgesetzt bezeigen werden, als E. und unserer künftigen K.M. untertänigst-gehorsamste

Reichsrat und Stände des mächtigen Reichs Aracan.


»Wunderliche Götter«, hub der Prinz seufzende an, »mit einer Hand setzet ihr mir zwei Kronen auf, und mit der andern raubet ihr mir die dritte, welches die Krone meines Lebens, und dannenhero jenen weit vorzuziehen ist. Allein, ich versichere euch, eure Schmeichelei ist viel zu wenig, daß sie den anderweitigen Verlust im geringsten ersetzen, oder mich von eifrigster Nachforschung meiner Prinzessin abhalten könnte. Denn jenes ohne dieses ist mir eine gesalzene Speise ohne Trank. Ja ich werde mich keiner Krone anmaßen, vielweniger mich euch mit dem geringsten Danke verpflichtet achten, bis ich in einer Hand den Szepter, mit der andern meine Prinzessin zum Throne führen könne. Geschiehet dieses nicht, so soll der Sarg mein Thron, und das Grab mein Königreich werden.« »Gnädigster Herr«, redete ihm hier Talemon ein, »es ist allzu ein unzeitiger Verdacht, wo nicht ein Trutz, womit man die gütigen Götter beleget, und erzürnet: ja es ist ein Zeichen merklicher Ungeduld, welche das Herz betrübet, und alle gute Anschläge verstöret. Geduld ist[41] die linke Hand der Tapferkeit, welche endlich von der rechten mit einem erwünschten Ausgange bekrönet wird. Billig sind I.M. den Göttern tausendfachen Dank schuldig, daß Sie nunmehro so ansehnliche Mittel erlanget, entweder die Prinzessin mit mächtiger Hand zu retten, oder mit grausamster Art zu rächen.« – »Wer Geld hat«, fiel ihm Scandor in die Rede, »kann leicht Schätze suchen, und wer viel Hunde hat, kann leicht Hasen fangen. Mit zwei- oder dreimal hunderttausend Mann läßt sich noch wohl ein Wild ausspüren und fangen, welches den Jäger vergnügen, und seine Einbildung befriedigen kann.« – »Ach zu spät, zu spät, mein Scandor«, antwortete ihm der Prinz, »wo ein Wild in der Hunde Gewalt ohne einen Retter verfällt, da ist Hoffnung und Leben verloren.« – »Wenn aber«, wendete Scandor ein, »das Wild nur unter solche Hunde gerät, welche mehr rahmen, als gefänglich sein, so lasset sich das Leder noch wohl gebrauchen.« – »Du redest mir zu hoch«, sagte der Prinz, »inmittelst wollen wir noch einige Tage zusehen, auf deine Abfertigung bedacht sein, und der Götter Hülfe erwarten.«

Nach Endigung dieser Worte ließ sich Ponnedro mit dem Abaxar bei dem Prinzen anmelden, wiewohl dieser in der Unwissenheit wegen des Prinzen Person gelassen ward; weil ihm auch der Prinz, in Bedeutung eines Bedienten vor dem Prinz Balacin sehr gelobet worden, verfügte er sich alsbald nach geschehenem Eintritt zu ihm, und redete ihn folgender Gestalt an: »Mein Freund, ich trage sonderes Mitleiden, sowohl vor Eure Person, welche mir durch gegenwärtige Freunde sonderlich gerühmet worden, als auch vornehmlich wegen Eures Prinzens, welcher wohl eines bessern Glückes nebst seiner liebsten Prinzessin wäre würdig gewesen, wenn nicht der Himmel bisweilen auch so gar die Tugend unverschonet ließe.« Der Prinz sah sofort etwas Hohes aus des Abaxars Angesicht, und antwortete ihm ganz beweglich: »Ich sage Dank, mein Herr Oberhauptmann, für sotanes Mitleiden, welches ich gegen meinen Prinzen werde hoch zu rühmen wissen. Wo ja aber noch einige Seele in diesem Reich vorhanden ist, welche sich des armen Prinzen trostlosen Zustand einigermaßen zu Herzen gehen lässet, so versichere ich, es werde solches nicht nur der Himmel zu vergelten, sondern auch mein Prinz, als ein nunmehro mächtiger Beherrscher zweier Königreiche, dermaßen zu erwidern wissen, wie es ein solcher verdienet hat, welcher das schmerzliche Verlangen seines[42] Herzens, durch Entdeckung möglichster Wissenschaft, von dem Leben oder Tode der Prinzessin, in etwas besänftigen wird.« – »Wie?« redete Ponnedro ein, »ist der König von Ava tot?« – »Ja«, antwortete Scandor, »nicht nur tot, sondern der Prinz Balacin ist auch gekrönter König von Ava und Aracan, welches letztere Reich bei gleichfalls tödlichem Hintritt ihres Königes, unsern Prinzen zur Krone ver- und erlanget hat.« – »Weh dir, grausamer Chaumigrem«, hub Abaxar an, »nunmehro dürfte die gerechte Rache des Himmels aufwachen, und das unschuldig vergossene Blut auf deinen Kopf kommen. Und ob ich gleich ein gezwungener Diener von diesem Tyrannen bin, so wisset doch, mein Freund, daß mich die Rache zum Sklaven, und die Not zum Knechte gemacht hat. Ja ich versichere Euch bei dem Qviay Vogarem5, als mächtigen Beschützer der Bedrängten, daß ich mich wollte glückselig schätzen unter dem tapferen Prinzen von Ava wider diesen Bluthund zu fechten, und mein Leben zu Dienst der schönen Prinzessin von Pegu aufzuopfern. Könnte ich nun so beglückt sein, eine und die andere angenehme Nachricht von dem Leben dieses lobwürdigen Prinzen und Prinzessin zu vernehmen, so würde ich alsdenn auch nicht ermangeln, so viel als möglich, beizutragen, was zu des Prinzen Vergnügung gereichen möchte.« Welche Worte den Prinzen ganz aus sich selber brachten, daß er fast seine Verstellung vergessen, und sich selbst verraten, wann nicht Talemon sich alsbald begriffen, und gesagt hätte: »Den Anfang hiervon wird Scandor am besten verrichten können, welches denn bei diesen ohnedies müßigen Stunden mit Dero allerseits Erlaubnis gar füglich geschehen kann.« Als nun solches von allen beliebet ward, setzten sie sich um des Prinzen Bette herum, und Scandor fing folgender Gestalt an zu erzählen:


1

Ist ein schwarzer Fels, mit weißen Steinen untermenget, in der Landschaft de los Conchucos: Welcher alle Wunden, wenn er klein zerstoßen gebrauchet wird, am Menschen und Viehe heilet. Besiehe ferner hiervon Francisci Kunst- und Sittenspiegel p. 258.

2

Die Peguaner glauben drei Örter nach diesem Leben: als nämlich: den Ort der Pein und Marter, den Ort der fleischlichen Wollust, und den Ort der Seligkeit, welchen sie Niba nennen. Wer nun in das ewige Niba kommen wolle: der müsse zuerst vorermeldete Örter besuchen und ausstehen. Roger. Heydenthum. pag. 775, 776.

3

Fotoko ist ein Abgott in Pegu, von gemischten Erz gegossen. Dieser Abgott hat, ihrer Meinung nach, den höchsten Gott, Duma, durch sonderbare Vorbitte dahin vermocht, daß allen Seelen, weldie an die dunkeln Örter verwiesen waren, Gnade widerfahren ist. Roger. Heydenth. p. 795.

4

Roger, p. 128

5

Roger, p. 813 [der Gott des Beistands].

Quelle:
Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen: Die Asiatische Banise. München 1965, S. 15-43.
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