An die Frau von Breßler

[54] Erlaube, daß ich darff nach deinen Wohlseyn fragen,

Nachdem ich lange Zeit gar nichts von dir gehört,

Als Schwester muß ich wohl vor dich auch Sorge tragen,

Da deine Treflichkeit ein jeglicher verehrt.

Dein Vetter reist von hier, ich darff nicht lange säumen,

Und hohl im Augenblick mein Saitenspiel herbey,

Du kennst die Stümperey von meinen schlechten Reimen,

Doch weist du, daß mein Kiel flieht alle Heucheley.

Dein edelmüthger Geist kan meine Schwäche leiden,

Ob meine Muse schon der Deinigen nicht gleicht,

An der die gantze Welt muß Aug und Hertze weyden,

Weil Feuer und Verstand aus ieder Zeile leucht.

Mein Hertze hast du längst zu deinen Dienst und Willen,

Es ist dir, wie du weist, vor andern zugedacht.[55]

Bishero schlug ich mich mit hundert tausend Grillen,

Ob die von Breßler noch auf meine Neigung acht.

Du kanst, ich glaub es wohl, an mich nicht vielmahl dencken,

Weil dein beschäfftger Geist dir selbiges verbeut,

Denn wer sein Aug und Kiel muß hohen Dingen schencken,

Der dencket, ists nicht wahr? an keine Kleinigkeit.

Doch, da dein naher Freund, der dir die Hand wird küssen,

Von seiner Reise mir vorhero Nachricht gab,

Und auch von meiner Schrifft sich will begleitet wissen,

So schick ich dieses Blat an dich durch selbgen ab.

Es soll den Nahmen dir nur bloß von mir erwehnen,

Damit du selbigen nicht gantz und gar vergist,

Und wiederum den Weg zu deiner Huld mir bähnen,

Woran, ich schwör es dir, mir viel gelegen ist.

Wirstu mit deinen Kiel und Antwort mich beehren,

So brech ich halb entzückt davon das Siegel auf.

Dich und die Nachtigall mag ich am liebsten hören,

O Freundin, säume nicht, ich warte schmertzlich drauf.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 54-56.
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